Aristoteles: Von der Dichtkunst

Leben und Wirken

Über das Leben und Wirken von ARISTOTELES sind nur wenige Einzelheiten bekannt.
ARISTOTELES wurde 384 v. Chr. in Stagira in der Nähe von Thessaloniki im heutigen Griechenland geboren. Sein Vater, ein Arzt, wurde wenig später zum Leibarzt des makedonischen Königs berufen. Der Familientradition entsprechend sollte ARISTOTELES auch Arzt werden.
Nach dem Tod seiner Eltern ging er im Alter von 17 Jahren nach Athen und trat dort in die Akademie des berühmten PLATON (427–348 v. Chr.) ein. Hier erhielt ARISTOTELES seine wissenschaftliche Ausbildung und wurde der bedeutendste Schüler PLATONs.

Nach PLATONs Tod verließ ARISTOTELES die Akademie in Athen und lebte in verschiedenen Städten Kleinasiens. Er beschäftigte sich in dieser Zeit u. a. mit biologischen und physikalischen Problemen.
Im Jahr 343 berief ihn König PHILIPP VON MAKEDONIEN zum Erzieher seines Sohnes ALEXANDER, der als König ALEXANDER DER GROSSE später ein Weltreich schuf.
Als im Jahr 336 sein Schüler ALEXANDER König wurde, ging ARISTOTELES nach Athen zurück und gründete dort eine eigene Schule. Nach dem Tod seines Förderers und Beschützers ALEXANDER 323 verließ ARISTOTELES Athen: Er starb 322 v. Chr. in Chalkis.

Wissenschaftliche Leistungen

ARISTOTELES war ein universaler Geist und der Begründer einer Reihe von neuen Wissenschaften. So gilt er als

  • „Vater“ der Logik, schuf
  • die Zoologie,
  • die Psychologie,
  • die Botanik und in seiner Schule tritt zuerst eine
  • Geschichte der Philosophie

hervor. Er definierte die Begriffe Ethik (Tugendlehre) und Poetik (Tragödie, Epos) sowie grundlegende Begriffe der Politik (Staatslehre). Fast alle beschreibenden Wissenschaften sind von ihm und seinen Schülern gepflegt worden, und indem er das gesamte Wissen seiner Zeit in einem universalen philosophischen System der umgebildeten platonischen Ideenlehre zusammenfasste, wurde er der Urheber einer Weltanschauung, die länger als 1½ Jahrtausende das Abendland beherrschte.  

Aristoteles:  Von der Dichtkunst

Sein gewaltiges Werk umfasste nahezu das gesamte Wissen der Antike. Seine „ποιητική“ („Von der Dichtkunst“, siehe PDF „Aristoteles - Von der Dichtkunst“, entstanden ca. 335 v. Chr.) ist der älteste poetologische Text der Antike und hatte einen bestimmenden Einfluss bei der Herausbildung der neuzeitlichen Dichtungstheorie. Die Schrift stellt eine Abgrenzung gegen PLATONs (427–ca. 347 v. Chr.) Auffassungen dar, welcher die Dichtung – insbesondere Epos und Tragödie – heftig attackierte.
Theater sei (nach ARISTOTELES) aus dem angeborenen Nachahmungstrieb (Mimesis), der Freude am Lernen durch Nachahmung entstanden, wobei

  • die Komödie die Nachahmung von Gewöhnlicherem und Lächerlichem,
  • die Tragödie die Nachahmung edler Handlungen in gewählter Rede zum Zwecke der Reinigung des Zuschauers von den Leidenschaften

darstellte. Die emotionale und psychische Reinigung durch Furcht und Mitleid nennt ARISTOTELES Katharsis.
Nach ARISTOTELES sind alle literarischen Formen Nachahmungen. Dabei beschränkt er sich nicht auf Texte in schriftlicher Form, sondern meint jede Art eines dichterischen Vortrags:

Die Epik und die tragische Dichtung, ferner die Komödie und die Diithyrambendichtung sowie – größtenteils – das Flöten- und Zitherspiel: sie alle sind, als Ganzes betrachtet, Nachahmungen. Sie unterscheiden sich jedoch in dreifacher Weise voneinander: entweder dadurch, daß sie je verschiedene Mittel, oder dadurch, daß sie je verschiedene Gegenstände, oder dadurch, daß sie auf je verschiedene und nicht auf dieselbe Weise nachahmen.
(siehe PDF „Aristoteles - Von der Dichtkunst“)

Auf die Frage, warum der Mensch zur Nachahmung neigt und Dichtkunst produziert, gibt ARISTOTELES eine eindeutige Antwort:

Allgemein scheinen zwei Ursachen die Dichtkunst hervorgebracht zu haben, und zwar naturgegebene Ursachen. Denn sowohl das Nachahmen ist dem Menschen angeboren, es zeigt sich von Kindheit an, und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den übrigen Lebewesen (...), als auch die Freude, die jedermann an Nachahmung hat. Als Beweis hierfür kann eine Erfahrungstatsache dienen. Denn von Dingen, die wir in der Wirklichkeit nur ungern erblicken, sehen wir mit Freude möglichst getreue Abbildungen, z. B. Darstellung von möglichst unansehnlichen Tieren und von Leichen.
(siehe PDF „Aristoteles - Von der Dichtkunst“)

Fast scheint es, als wäre ARISTOTELES mit unseren modernen Rezeptionsgewohnheiten vertraut gewesen. Die naturgegebene Nachahmung in der Dichtkunst wird allerdings deutlich abgegrenzt von tatsächlichen historischen Ereignissen oder Personen und hat unsere Vorstellung vom logischen Status und den Grenzen der Literatur lange geprägt:

Es (ist) nicht Aufgabe des Dichters (...) mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, d. h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche. Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, dass sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt (...); sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte. Daher ist die Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit.
(siehe PDF „Aristoteles - Von der Dichtkunst“)

Die Dichter

„ahmen handelnde Menschen nach. Diese sind notwendigerweise entweder gut oder schlecht. Denn die Charaktere fallen fast stets unter eine dieser beiden Kategorien; alle Menschen unterscheiden sich nämlich, was ihren Charakter betrifft, durch Schlechtigkeit und Güte. Demzufolge werden Handelnde nachgeahmt, die entweder besser oder schlechter sind, als wir zu sein pflegen, oder ebenso wie wir.“

Unterschied zwischen Komödie und Tragödie

Mit dieser Einteilung der nachzuahmenden Charaktere begründet ARISTOTELES poetologisch den Unterschied zwischen Tragödie und Komödie :

Auf Grund desselben Unterschiedes weicht auch die Tragödie von der Komödie ab: die Komödie sucht schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen.
(siehe PDF „Aristoteles - Von der Dichtkunst“)

Dabei geht es nicht darum, den schlechteren Menschen nur in seiner Schlechtigkeit an sich darzustellen, sondern

„insoweit, als das Lächerliche am Hässlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht.“

Der schlechtere Mensch soll in seiner Lächerlichkeit bloßgestellt und verlacht werden.

Drei Einheiten

Wichtigstes strukturelles Merkmal der Tragödiendichtung ist die Geschlossenheit („drei Einheiten“).

Das bedeutet:

  • geschlossene Handlung (Die Handlung soll folgerichtig sein.)
  • Einheit der Zeit (Die Handlung soll innerhalb von 24 Stunden ablaufen.)
  • Einheit des Ortes (Es darf keinen Ortswechsel geben.)

Demzufolge dürfen Handlungen, wenn sie gut zusammengefügt sein sollen, nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden, sondern sie müssen sich an die genannten Grundsätze halten.
(siehe PDF „Aristoteles - Von der Dichtkunst“)

Der Zuschauer soll die Handlung bestmöglich nachvollziehen können. Nach ARISTOTELES soll die Tragödie Jammern (eleos) und Schaudern (phobos) hervorrufen, und so Reinigung (katharsis) des Zuschauers herbeiführen.

ARISTOTELES' Festlegung der Dichtung auf etwas, das wahrscheinlich sein muss, also irgendwie geschehen könnte,

  • belegt den fiktionalen Charakter der Dichtung und
  • gestattet der Kunst die Freiheit künstlerischer Formung.

Der Zwang der Wahrscheinlichkeit bedeutet aber auch Unfreiheit. Dichtung aristotelischen Zuschnitts fehlt die Möglichkeit zur Utopie, zur Subversion, zur gedanklichen Zersetzung von gesellschaftlichen Gegebenheiten.

Die Struktur des aristotelischen Dramas


Das aristotelische Drama hat eine bestimmte Struktur, die folgendermaßen dargestellt werden kann:

 

Aristotelisches Dramenmodell

Bild

 

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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