Musik in Altägypten
Die Musikkultur des alten Ägypten (Altes, Mittleres, Neues Reich) zeichnet sich durch eine außerordentlich lange, relativ kontinuierliche und stabile Tradition aus. Sie reicht von etwa 2700 v.Chr. mit der Herausbildung eines einheitlichen Reichs bis zur Eroberung Ägyptens durch die Römer 30 v.Chr. Die Isolation des Landes durch Wüsten beiderseits der Nil-Oase förderte die Homogenität.
Wie alle frühen Hochkulturen war Alt-Ägypten eine geschichtete, sozial gespaltene Gesellschaft mit einer entsprechenden Spaltung der Musikkultur, von der vor allem die Musikkultur der herrschenden Schichten in zahlreichen prachtvollen, farbenfreudigen Bildern überliefert ist.
Die Herrschaft war theokratisch begründet: der König, der „Pharao“, hatte zugleich göttliche Weihen. Tempel- und Palastmusik, geistliche und weltliche Musik lassen sich aber unterscheiden. Das Repertoire an Musikinstrumenten ist reichhaltig; eine besondere Rolle spielen Bogenharfe und – häufig chorisch-instrumentales – Händeklatschen.
Zur Rolle der Musik in Altägypten
Die Musik diente in Altägypten als einer der frühen Hochkulturen der festlich-feierlichen Überhöhung religiöser Rituale, aber auch dem Vergnügen. Häufig war sie mit Tanz verbunden. Wie die Mehrheit der frühen Hochkulturen entwickelte sich auch in Ägypten eine Symbol- und Silbenschrift („Hieroglyphen“ = „heilige Zeichen“). Für die Musik wichtiger ist die soziale Schichtung. Einer übergroßen Mehrheit von Bauern, die die Grundlage des Reichtums erwirtschafteten, stand eine Herrschaftsschicht gegenüber, in der sich geistliche und weltliche Macht, Tempel und Palast miteinander verzahnten.
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Yorck
So beteiligte sich auch der Pharao selbst bei kultischen Anlässen am Singen, Musizieren und Tanzen. In einer Hymne an die „Goldene“ Göttin HATHOR wird der Pharao mit dem Kind-Mann der Mutter-Göttin identifiziert:
„O Goldene! Wie schön sind diese Lieder, wie das Lied des Horus selbst. Pharao singt als Obersänger. Er ist der Knabe, der das Sistrum schüttelt.“
Das Vorhandensein eines Refraintextes spricht für eine responsoriale Aufführungspraxis mit Vorsänger(in) und Chor-Antwort. Der Refrain lautet:
„Gebieterin sieh, wie er tanzt! Frau des Horus sieh, wie er springt!“
Die stabile Erwirtschaftung von Überschüssen auf Grundlage einer hoch entwickelten und gut organisierten Landwirtschaft, die soziale Schichtung und die sehr ungleichmäßige Reichtumsverteilung ermöglichten in Ägypten wie in anderen frühen Hochkulturen die Herausbildung einer Schicht von professionellen Musikern und Musikerinnen. Im Alten Reich waren das vorwiegend Männer. Die Ensembles bestanden aus
- Harfenspielern,
- Flötenspielern und
- Klarinettenspielern; dazu kamen
- einer oder mehrere Sänger und „Cheironomen“.
Im Neuen Reich aber kamen immer mehr Musikantinnen hinzu, z.B. als Tribute aus anderen Ländern, sodass oft die Frauen in diesen Berufen dominierten. Der Pharao scheint einen Harem gehabt zu haben. Die Frauen dort musizierten zu ihrem wie zu seinem Vergnügen und dürften oft qualifizierte Instrumentalistinnen oder eben Händeklatscherinnen gewesen sein.
Funktionen der Musik
Die Funktionen der Musik waren vielfältig. Musik erklang aber nicht nur bei Banketten, Staatsempfängen, Festen oder offiziellen Veranstaltungen. Sie wurde auch
- zur Erleichterung der Geburt eingesetzt, also gewissermaßen als eine Art Psychotherapie, und
- zur Begleitung und Erleichterung körperlicher Arbeit.
So sind sowohl Ernte- als auch Ruderer-Lieder in Text und Bild überliefert. Diese Musik waren von den Arbeitenden selber gesungene Lieder oder auch von speziellen Musikern und Musikerinnen produzierte Instrumentalmusik, die taktmäßig-rhythmisch die Arbeit mitorganisierte. Auch die Existenz von Militärmusik ist überliefert, für die Trommeln und – ziemlich laute – einfache Trompeten verwendet wurde.
Die historischen Veränderungen vollzogen sich, abgesehen von Kriegen und anderen Katastrophen, meist eher langsam, sind aber häufig merklich.
- Magische Rundtänze,
- Waffen- und Maskentänze sowie
- Fruchtbarkeitsreigen und
- getanzte Initiationsfeste
lassen sich schon während der Herausbildung des Alten Reichs nachweisen. Im Alten Reich prägte sich die altägyptische Kultur und Musikkultur schon voll aus. (Altes Reich: 2700–2160 v.Chr.; 1. Zwischenzeit: 2160–2040 v.Chr.; Mittleres Reich: 2040–1797 v.Chr.; 2. Zwischenzeit: 1797–1543 v.Chr.; Neues Reich: 1543–1075 v.Chr.; Spätzeit: 1075–30 v.Chr.)
Die religiös vermittelte Angst der alten Ägypter muss bei den Oberen wie den Unteren beträchtlich gewesen sein. Religiöse Rituale von Musik und Opfern über Einbalsamierung (Mumien) bis hin zu den monumentalen Grabmälern der Pyramiden wiederum sollten diese Angst bannen. Aus einer besonderen musikalischen Gattung, den „Harfnerliedern“, spricht oft eine eher pessimistische Weltsicht, aber auch die Hoffnung auf Überdauern und die Freude am Diesseits:
„Die, die dahingegangen sind ..., sie sind nicht wiedergekommen. / Ihre Namen werden durch Forschungen in Erfahrung gebracht, / doch blieb kein Ziegel von ihrem Hause übrig. ... Feiere einen Festtag, ... laß dein Herz nicht müde werden, keinesfalls, zusammen mit deiner Geliebten! / Beschwere dein Herz nicht über irgend etwas, was geschieht, / sondern laß Musik vor dir erklingen.“
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Prof. Dr. W. Guglielmi, Tübingen
Das Instrumentarium
Das Instrumentarium war vielfältig und reichhaltig. Im Lauf der Jahrhunderte entwickelte es sich intern durch allmähliche Differenzierungen einerseits und Importe aus fremden Ländern andererseits. Händeklatschen zusehender Frauen und das Geklapper der hölzernen oder elfenbeinernen Schlagstäbe begleiten schon im Alten Reich die Tänzer, besonders wenn es sich um akrobatische Darstellungen handelt. Die ruhigen Tanzfiguren dagegen, mehr geschritten als gesprungen, werden gewöhnlich von größeren Instrumental-Ensembles begleitet, die sich aus einer oder mehreren mundlochlosen und halbseitlich gespielten Längsflöten sowie einem oder mehreren Harfenisten zusammensetzen. Etwas später kommt noch eine Doppelklarinette hinzu. Die wird sitzend gespielt. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf 5–7 Saiten. Der Resonanzkörper ist sehr klein. Erst vom Neuen Reich an werden die Sänger und Harfenspieler blind dargestellt.
Die Sänger, die immer sitzend dargestellt werden, halten in der Art des heutigen Sängers im arabisch-vorderasiatischen Raum ihre linke Hand hinter das linke Ohr, während die rechte Hand häufig cheironomische Zeichen ausführt, sei es, um den Melodieablauf in die Luft zu zeichnen, sei es, um rhythmische Zeichen zu geben. Der Klang war durch die Verwendung einer „Stimmmaske“ mit scharfer Anspannung der Gesichtsmuskulatur eher nasal, scharf.
Vom Mittleren Reich bis zum Beginn des Neuen Reiches (ca. 2040–1543 v.Chr. lässt sich aus den bildlichen Darstellungen und der Struktur der Instrumente schließen, dass der leise Charakter des Klangbildes der ersten Periode sich verändert. Die ruhige Musik der Frühdynastien wird nunmehr klangfreudiger, rauschender, heftiger. Ebenso wird der rituelle, ruhig und mäßig dahergeschrittene Tanz der Frühzeit immer bewegter, oft sogar orgiastisch. Diese Wandlung hat wohl mit dem Einfall der Hyksos zu tun gehabt, der asiatisches Musiziergut in Ägypten einführte. Dazu kommen dann im Neuen Reich die vielfältigen politischen und Handelsbeziehungen der Pharaonen mit Asien. Der kulturelle Austausch beeinflusste die altägyptische Musik- und Klangwelt.
- Östliche Beduinen brachten in ihren Karawanen die neue vorderasiatisch-syrische Leier mit sich, die als Kithara dann in der griechischen Antike eine wichtige Rolle spielte.
- Die Harfen-Familie wurde um die mit nur wenigen Saiten bespannte Schulterharfe ergänzt, die einen größeren Resonanzkörper hatte, also volltönender war.
- Die hölzerne, zweifellige Schnür-Röhrentrommel diente im Mittleren Reich wahrscheinlich nur der Tanz- und Kultmusik. Später trat sie aber zusammen mit der militärischen Trompete auf.
- Immer häufiger erscheint das kultische Rasselinstrument, das Sistrum. Es ist wohl ägyptischen Ursprungs. Seit dem Ende des Alten Reichs ist das Sistrum in zwei Hauptformen überliefert, als Bügelsistrum und als Naossistrum (griech. „naos“ = „Kapelle“), also mit einem hausförmigen Oberteil. Mit Sistrumspiel verehrt werden vor allem die Mutter-Göttinnen ISIS und HATHOR, der spezielle Gott des Sistrumspiels ist der jugendliche Gott IHJ.
- Weitere vielverbreitete Idiophone sind Klappern, kleine Glocken und kleine Becken.
- Im Neuen Reich kommen als Saiteninstrument die mannshohe und reich besaitete Standharfe hinzu, sowie zierliche, mit einem Plektrum gespielte Lauten, die wohl aus Vorderasien stammen. Von dort kommt auch eine Doppeloboe, die aus zwei unverbundenen Rohren bestehet, die beim Spiel in spitzem Winkel auseinandergehalten werden.
Charakteristika der Musik
Die Musik selbst ist im Detail unwiderruflich verklungen, da es trotz der hoch entwickelten Schriftkultur keine musikalische Notation gab. Bildliche Darstellungen vermitteln aber konkrete Vorstellungen von der Musik, und manches lässt sich anhand spezieller archäologischer Quellen (Musikinstrumenten bzw. ihre Reste) bis zu einem gewissen Grad rekonstruieren. Besonders interessant ist die ausgedehnte Verwendung von Handzeichen („Cheironomie“). Zahlreiche bildliche Quellen zeigen einen Vorsänger bzw. fast eine Art „Dirigenten“, der mit verschiedenen Handzeichen möglicherweise nicht nur den Rhythmus angibt, sondern auch Tonhöhen, etwa in der Art unserer „Do-re-mi“-Handzeichen im elementaren Musikunterricht.
Es scheint nicht restlos geklärt, ob es sich um ein pentatonisches oder um ein heptatonisches Tonsystem gehandelt hat. Entsprechend der nordafrikanisch-vorderasiatischen sonstigen Musikpraxis ist Einstimmigkeit grundlegend.
- Heterophonie (gleichzeitiges Ausführen einer Melodie mit kleinen Varianten),
- Oktavieren sowie
- Bordunieren als älteste bekannte Form der elementaren Mehrstimmigkeit
sind als Realisierungs- und Ausführungsweisen anzunehmen.
Vom Ende des Neuen Reiches bis zur Herrschaft ALEXANDERS DES GROSSEN (um 356–323 v.Chr.), also von 1075 bis 332 v.Chr., änderte sich außer Bereicherungen des Instrumentariums und einigen Verfeinerungen und Veränderungen an den Instrumenten an der ägyptischen Musik und Musikkultur nichts wesentliches mehr. Die altägyptische Musik und Musikkultur wurde bereits durch die griechische Eroberung seit 332 v.Chr. im Zeichen des Hellenismus unter der Ptolemäer-Herrschaft stark verändert. Die hellenistische Vermischung griechischer Kulturelemente mit den jeweils einheimischen in verschiedenen Regionen Vorderasiens und Nordafrikas, also hier eben Ägyptens, setzte sich dann unter römischer Herrschaft ab 30 v.Chr. fort. Altägyptische Musikelemente lebten vor allem im koptischen Christentum – im Rahmen des byzantinischen Reichs – weiter und reichen noch bis in die arabisch-islamische Zeit (ab 640 n.Chr.) hinein. Die koptische Liturgie verwendet heute noch neben den Becken Geräuschinstrumente wie Triangel, Glöckchen, Metallkastagnetten, in manchen Gegenden sogar ein modernes Sistrum, das funktionell und strukturell genau dem altägyptischen Bügelsistrum entspricht (abgesehen von den einstigen „heidnischen“ Verzierungen).
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