Art Rock

Kennzeichen und Merkmale des Art Rock

Kennzeichnend für den Art Rock sind

  • sowohl Zitate sowie Adaptionen ganzer Werke aus der Musik des 18. und 19., gelegentlich sogar des 20. Jh.
     
  • als auch die Nutzung von Formmodellen klassischer Gattungen wie
    – der sinfonischen Dichtung,
    – der Sinfonie,
    – der Suite und
    – des Oratoriums oder
    – die Übernahme musikalischer Techniken aus dieser Musik wie Kontrapunktik, motivisch-thematische Arbeit.
     
  • Nicht selten ist hier auch die Begleitung durch großes Sinfonieorchester.

Ausgangspunkt dafür war ein gewachsenes Selbstbewusstsein vieler Rockmusiker, aus dem heraus sie ihre Musik als „Kunst“ zu begreifen begannen. Trotz mancher interessanter Experimente, die das mit sich brachte und von denen durchaus auch Impulse für die weitere Entwicklung ausgingen, lag dem Ganzen doch ein fundamentales Missverständnis zugrunde. Das, was die betreffenden Musiker und Gruppen unter Kunst verstanden und woran sich ihr Verständnis von Rockmusik als Kunstform orientierte, war von der Praxis des bürgerlichen Konzertbetriebs abgeleitet und damit auf die Musik und Musikanschauung des 19. Jh. ausgerichtet. Rockmusik als eine durch und durch zeitgenössische Musikform, die in und von den Bedingungen der Massenmedien lebt, wurde hier kurioserweise mit einem Kunstverständnis zu verbinden versucht, das mehr als hundert Jahre alt ist. Die Folgen waren

  • ein ausgeprägter Eklektizismus voller Mystizismus und
  • eine sich verselbstständigende Artistik,

so dass dieser vieldiskutierten Spielart der Rockmusik eine insgesamt nur kurze Lebensdauer beschieden war. Den Anspruch auf künstlerische Ernsthaftigkeit des Rock, den zuvor schon etwa die BEATLES mit ihrem Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ (1967) auf sehr eigenständige und den musikalischen Möglichkeiten der Rockmusik auch angemessene Weise geltend gemacht hatten, vermochte die Gigantomanie des Art Rock nicht einzulösen.

Entwicklung

Ab 1967/1968 kam es verstärkt zur Integration von Elementen klassischer Musik in das Umfeld der Rockmusik. Ausgelöst worden war dies maßgeblich durch die niederländische Gruppe EKSEPTION um den klassisch ausgebildeten Keyboarder RICK VAN DER LINDEN (* 1946), die sich an Rockversionen ganzer Werke von

  • JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750),
  • LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770–1827) und
  • WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791)

versuchte. Die Resonanz, die das fand, veranlasste nicht nur eine Reihe von Bands, sich auf derartige Adaptionen zu spezialisieren. Am erfolgreichsten war dabei die englische Gruppe EMERSON, LAKE & PALMER. Selbst bei darauf nicht festgelegten Gruppen führte das damals zu einer wachsenden Zahl von Produktionen, die durch Stil oder Melodiezitate an die Musik des 18. und 19. Jh. angelehnt waren. Zwar hatte es das auch zuvor schon gegeben – nicht zuletzt finden sich im Repertoire der BEATLES seit ihrem „Yesterday“ (1965), dem ein klassischer Streichquartettsatz unterlegt ist, eine Reihe von Beispielen dafür –, doch wurde daraus nun eine Mode. In jeder Hinsicht typisch war beispielsweise die englische Gruppe PROCUL HARUM, die nach ihrem Erfolg mit „A Whiter Shade of Pale“ (1967), dessen Basslinie einer Arie aus der BACH-Kantate „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ (BWV 170, Nr. 1) entnommen ist, nahezu alle ihre Werke mit diversen Klassik-Anklängen zu durchsetzen begann.

Die erste Gruppe, die mit einer Mischung aus

  • Rock,
  • Spätromantik,
  • Mystizismus und
  • Religion

ein komplettes Sinfonieorchester für ihre Produktionen bemühte – von den in eine andere Richtung zielenden Versuchen der BEATLES hier abgesehen – war die englische Band MOODY BLUES mit ihrem 1967 erschienenen Werk „Days of Future Passed“, das zusammen mit dem Londoner Festival Orchestra eingespielt wurde.

1969 ließen sich DEEP PURPLE bei einem Konzert in der Londoner Royal Albert Hall durch das Royal Philharmonic Orchestra bei dem „Concerto for Group and Orchestra“ von DEEP-PURPLE-Keyboarder JON LORD (* 1941) begleiten.
Ein Jahr darauf folgte die Aufführung der „Gemini Suite“ (1970) für Rockgruppe und Sinfonieorchester von DEEP PURPLE.

Auch wenn die Zusammenarbeit mit großen Orchestern schon aus rein praktischen Gründen Ausnahme blieb, der Klangbombast dieser Aufführungen fand damals reichlich Nachahmer. Der spektakuläre Charakter derartiger Klangexperimente übte trotz der mit dem Aufwand ständig steigenden Eintrittspreise eine Anziehungskraft aus, die den Art Rock in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre zur beherrschenden Erscheinungsform der Rockmusik werden ließ. Allerdings kam auch bald die Reaktion darauf; und die fiel dann umso radikaler aus. Die Revolte des Punk Rock mit seinem Kult des Dilettantismus ist nicht zuletzt auch als Reaktion auf diese Entwicklung zu begreifen.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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