- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 6 Globalisierung und Global Governance
- 6.1 Globalisierungsprozess und globale Probleme
- 6.1.5 Migration und Bevölkerungswachstum
- Bevölkerungsentwicklung und globale Migration
Die Bevölkerungsentwicklung ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem gekennzeichnet durch:
Die Möglichkeit, politisch Einfluss auf das Bevölkerungswachstum zu nehmen, ist mit Chancen für die gesamte wirtschaftliche, politische, soziale und ökologische Entwicklung der Welt verbunden.
Im letzten Jahrhundert hat sich die Bevölkerung nahezu vervierfacht. Sie ist von 1900 bis 2011 von 1,6 Mrd. auf 7 Mrd. gestiegen. Die höchsten Zuwachsraten mit jährlich fast 90 Mio. finden sich Anfang der 1990er-Jahre. Seither ist allerdings eine abgeschwächte Tendenz zu verzeichnen. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Fertilität (Fruchtbarkeitsrate) zurückgegangen ist. Während die Frauen Mitte des 20. Jahrhunderts noch durchschnittlich fünf Kinder zur Welt brachten, bekommen sie gegenwärtig im statischen Durchschnitt 2,8 Kinder. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten, sind im statistischen Mittel 2,1 Nachkommen je Frau nötig (Ersatzniveau).
Beschleunigung der Entwicklung der Weltbevölkerung zwischen 1750 und 2050
Bevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen zufolge wird die Weltbevölkerung von gegenwärtig 7 Mrd. auf 7,4 bis 10,6 Mrd. (2050) ansteigen, je nach Entwicklung der Geburtenrate. Varianten des Bevölkerungswachstums sehen so aus:
Variante | Durchschnittliche Geburtenrate (Kinder pro Frau) | Weltbevölkerung 2050 (Mrd.) |
Niedrige Variante | 1,54 | 7,4 |
Mittlere Variante | 2,10 | 8,9 |
Hohe Variante | 2,50 | 10,6 |
Welche Prognose in den nächsten Jahrzehnten zutreffen wird, hängt vor allem davon ab, welche Entscheidungen die jungen Frauen in den Entwicklungsländern über die Familiengrößen treffen, insbesondere wie sich die Kinderzahlen in den bevölkerungsreichsten Ländern der Erde China und Indien entwickeln. Die jüngste UN-Prognose geht erstmals davon aus, dass die Fertilitätsrate (durchschnittliche Kinderzahl pro Frau) weltweit bis 2050 unter das so genannte Ersatzniveau von 2,1 sinken kann. Die Weltbevölkerung würde dann auf etwa 9 Mrd. Menschen (mittlere Projektion) im Jahr 2050 ansteigen.
In Verteilung und Wachstum der Weltbevölkerung gibt es sehr große regionale Unterschiede. Die Mehrzahl der Menschen lebt in Entwicklungsländern. Dort nahm auch das Wachstum der Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ständig zu. Demgegenüber ist die Bevölkerungsentwicklung in den hoch entwickelten Industrieländern rückläufig. In fast allen Industrieländern und einigen Schwellenländern reicht die vorhandene Kinderzahl nicht aus, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten.
Regionale Verteilung der Weltbevölkerung 1950, 2000 und 2050
Auch künftig werden sich Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsrückgang in den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich entwickeln. Während sich das Wachstum fast ausschließlich auf die Schwellen- und Entwicklungsländer Afrikas, Asiens und Lateinamerikas konzentriert, wird die Bevölkerungsentwicklung in den Industriestaaten stagnieren bzw. rückläufig sein. In den 49 ärmsten Ländern (Less Development Countries, LDC) liegt die Fertilitätsrate bei durchschnittlich über 5 gegenüber 1,6 im Durchschnitt der Industrieländer und 1,3 in Deutschland. In den nächsten 50 Jahren wird sich die Bevölkerung in den LDC-Ländern nahezu verdoppeln. Der Anteil Afrikas an der Weltbevölkerung wird sich damit im Jahr 2050 im Vergleich zu 2000 von 13 auf 20 % erhöhen. Asien wird etwa konstant bei 60 % und Lateinamerika bei 9 % liegen. Der Anteil Europas wird demgegenüber auf 7 % sinken. Die Tabelle in Bild 3 listet die jeweils neun bevölkerungsreichsten Länder der Welt für die Jahre 1950, 2003 und 2050 auf.
Die Hälfte des Gesamtanstiegs der Weltbevölkerung wird sich voraussichtlich auf acht Länder konzentrieren: Indien, China, die USA, Pakistan, Nigeria, Bangladesch, die Demokratische Republik Kongo und Äthiopien. 2050 werden 87 % aller Menschen der Welt in den Entwicklungsländern und nur noch 13 % in den Industrieländern leben.
Bevölkerungswachstum wird durch eine Vielzahl indirekter Faktoren beeinflusst. Zu den Einflussfaktoren gehören u. a. die komplexen Wechselwirkungen von Armut, insbesondere geringer formaler Bildung und Gesundheitsversorgung, von Kultur, Religion, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, Grad der Verstädterung sowie Diskriminierung von Mädchen und Frauen.
Eine wichtige Rolle beim Rückgang der Geburtenraten spielt ein besserer Zugang zu den Instrumenten der Familienplanung. Insbesondere in den Entwicklungsländern gibt es eine große Kluft zwischen wachsendem Bedarf und der Versorgung der Bevölkerung mit modernen Verhütungsmitteln und Leistungen von Beratungsdiensten. Etwa 120 Mio. Paare haben weltweit keinen Zugang zu Verhütungsmitteln. Zwischen 1995 und 2000 waren mehr als ein Viertel der insgesamt 1,2 Mrd. Schwangerschaften ungewollt oder ungeplant. 700 000 Frauen sind an den Folgen ungewollter Schwangerschaften gestorben, über die Hälfte davon durch unsachgemäße Abtreibung.
In 53 der am meisten betroffenen Ländern wird sich die AIDS-Epidemie stark auf die Bevölkerungsentwicklung auswirken. Besonders betroffen sind die Länder des südlichen Afrika. In sieben Ländern beträgt die Infektionsrate 20 %. Dort wird die Bevölkerung nur geringfügig zunehmen. Dagegen zeichnet sich in Botsuana, Lesotho, Südafrika und Swasiland ein absoluter Rückgang der Bevölkerung ab.
Verbesserte Gesundheit und höherer Bildungsgrad insbesondere der Mädchen und Frauen sowie das Heraufsetzen des Heiratsalters tragen zur Verminderung des Bevölkerungswachstums bei. Eine aus der kulturellen Tradition heraus bedingte frühe Heirat wirkt dagegen einer Verringerung der Geburtenrate entgegen.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die Abnahme der durchschnittlichen Kinderzahl pro Frau und die steigende Lebenserwartung sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern zu einem schnell wachsenden Anteil der alten Menschen an der Bevölkerung geführt. Lag die durchschnittliche Lebenserwartung 1950 bei 46 Jahren, betrug sie 2002 66 Jahre.
Die Alterspyramide kehrt sich tendenziell um. Der Anteil der über 60-Jährigen an der Weltbevölkerung ist in den letzten fünfzig Jahren von acht auf etwa zehn Prozent gestiegen (629 Mio. Menschen). Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge werden es 2050 bereits 22 % sein, also jeder Fünfte. Damit wird erstmalig in der Menschheitsgeschichte die Zahl der 60-Jährigen höher sein als die der Kinder bis zu 14 Jahren. Sehr schnell wächst auch die Gruppe der über 80-Jährigen. Mitte des 21. Jahrhunderts wird bereits ein Fünftel der über 60-Jährigen 80 Jahre alt sein.
Die Zunahme älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung erfolgt in den Entwicklungsländern weitaus schneller als in den Industrieländern. Da jedoch wirksame Systeme der Altersversorgung für große Teile der Bevölkerung dieser Länder kaum erreichbar sind, ist zu befürchten, dass die Altersarmut in der Welt weiter zunehmen wird. Das betrifft den Bedarf an Pflege und die medizinische Versorgung ebenso wie die Altersversorgung. Wegen der höheren Lebenserwartung der Frauen und ihrem stärkeren Anteil an der älteren armen Bevölkerung dürfte auch die „Feminisierung der Armut“ weiter steigen.
Auch in den Industrieländern verändert sich durch die Erhöhung des Altersdurchschnitts das Verhältnis zwischen erwerbstätigen Personen zwischen dem 15. und 64. Lebensjahr und den Menschen im Rentenalter. Zwischen 1950 und 2000 sank das Verhältnis von Arbeitstätigen zu Rentnern von 12 auf 9 Arbeitende je Rentner. In den nächsten 50 Jahren werden es nur noch vier Erwerbstätige sein, die für einen Rentner aufkommen müssen.
Angesichts der ungleichgewichtigen Entwicklungen ist zu erwarten, dass sich die sozialen Probleme weiter verschärfen und die globalen Wanderungsbewegungen vom Süden nach dem Norden zunehmen werden.
Die Geschwindigkeit, in der das Wachstum der Bevölkerung zunimmt, sowie deren regionale Verteilung haben Einfluss auf die Migration. Ständig wachsende Migration betrifft interne ebenso wie grenzüberschreitende Wanderungsbewegungen. Da die prognostizierte Zunahme des Bevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern, vor allem in Asien, erfolgen wird, ist anzunehmen, dass sich die Wanderungsbewegungen weiterhin auf die Länder des Südens konzentrieren und innerhalb der Entwicklungsländer erfolgen werden. Unverkennbar ist dabei der Trend zur Urbanisierung (Verstädterung).
In den Regionen und Ländern, in denen langfristig die Bevölkerung zurückgeht, ist Mangel an Arbeitskräften mit einer Sogwirkung verbunden. Diese Entwicklung vollzieht sich in den meisten Industriestaaten und betrifft nahezu alle EU-Staaten. Damit nimmt zugleich auch der Druck auf die sozialen Sicherungssysteme zu und gefährdet deren Erhalt. Diese Länder stehen vor der Entscheidung, Zuwanderung zuzulassen, entweder:
Mit wachsender Bevölkerung nehmen auch die Probleme zu:
Die entwickelten Länder sind demgegenüber mit dem Problem des kontinuierlichen Bevölkerungsrückgangs konfrontiert. Wenn Schätzungen zufolge die Bevölkerung Europas bis 2050 um 16 % sinken sollte, wird das auch ernste wirtschaftliche Folge haben. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit wird die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter in Deutschland bis 2040 um 27 % sinken. Mit dem weiteren Ansteigen der Lebenserwartung wird es dann mehr Menschen zwischen 75 bis 80 Jahren als Kinder im Alter bis zu zehn Jahren geben. Damit wird auch die Sicherung der Renten zu einem ernsten Problem. Haben Ende der 1980er-Jahre in Deutschland sechs Arbeitnehmer für einen Rentner Beiträge gezahlt, werden – bei Beibehaltung des gegenwärtigen Rentensystems und der derzeitigen Lebensarbeitszeiten – im Jahr 2050 auf einen Rentner nur noch zwei Rentenbeitragszahler kommen. Erfolgversprechende Bevölkerungspolitik in den Industrieländern erfordert daher sowohl systematische Familienförderung als auch gezielte Steuerung der Zuwanderung.
Der UN-Weltbevölkerungsbericht stellt einen Zusammenhang zwischen Erfolgen in der Bevölkerungspolitik und wirtschaftlicher Entwicklung her. Dabei zeigen sich zwei gegensätzliche Tendenzen:
Auf der Weltkonferenz über Bevölkerung und Entwicklung 1994 in Kairo wurde deshalb ein Aktionsplan verabschiedet. Der erzielte Kompromiss im Bereich der „reproduktiven Gesundheit“ sieht vor, dass die Familien selbst über Zeitpunkt und Anzahl der Kinder entscheiden, sie werden dabei jedoch durch staatliche Programme unterstützt, z. B. beim Zugang zu Verhütungsmitteln. Eine verbesserte Stellung der Frau gilt als wichtige Voraussetzung dafür, dass mit höherer Bildung und steigendem Einkommen der Mütter die Zahl der Kinder sinkt. Wichtige Ziele des Aktionsprogramms sind:
Sollen bevölkerungspolitische Maßnahmen Erfolg haben, ist es dringend notwendig, integrierte Projekte zu entwickeln und umzusetzen, die den Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum, wirtschaftlicher Entwicklung, Frauenrechten, medizinischer Versorgung und Umweltzerstörung berücksichtigen.
Migration weltweit
Ein Angebot von