Die Reformation in der Schweiz: Zwingli und Calvin

Die Reformation in der Schweiz

In Teilen der Schweiz vollzog sich die Reformation fast zeitgleich zu den reformatorischen Ereignissen in Deutschland. Die bestimmende Person war zunächst ULRICH ZWINGLI.

Lebensdaten ULRICH ZWINGLIS
ULRICH (HULDRYCH) ZWINGLI wurde am 1.1.1484 in Wildhaus, im Kanton St. Gallen, geboren. Nach dem Besuch von Lateinschulen in Basel und Bern (1494–1498) ging er zum Studium der Grundwissenschaften und der Theologie an die Universitäten in Wien (1498–1501) und Basel (1502–1506).
1506 erhielt er seine erste Pfarrstelle im innerschweizerischen Ort Glarus. Hier betreute er zehn Jahre lang die christliche Gemeinde und nahm als Feldprediger auch an zwei Schlachten in Oberitalien teil, wobei er das Leid des Krieges aus nächster Nähe erlebte.
1516 wurde er Leutpriester in Maria Einsiedel im Kanton Schwyz. Als Leutpriester bezeichnete man damals Priester, die nicht Mitglieder eines Ordens waren. In den Jahren 1519–1531 wirkte er in derselben Funktion am Großmünster in Zürich. Am 11.10.1531 starb er während der Schlacht bei Kappel, nahe Zürich.

ZWINGLIS religiöser Werdegang

Etwa ab dem Jahre 1514 beschäftigte sich ZWINGLI mit den Schriften des großen Humanisten ERASMUS VON ROTTERDAM, der zu dieser Zeit in Basel lebte. Ein Jahr später kam es dort auch zu einer Begegnung ZWINGLIS mit dem Gelehrten. Von ERASMUS beeinflusst, vertrat er ein sich auf Vernunft und Moral gründendes Christentum.
Ähnlich wie LUTHER suchte ZWINGLI einen tieferen Zugang zum Neuen Testament und beschäftigte sich auch mit den Schriften des Kirchenlehrers AUGUSTINUS. Seine persönlichen Eindrücke kriegerischer Ereignisse und eine Erkrankung während der Pestepidemie (1519/20) brachten ihn dazu, sich auch mit politischen und sozialen Fragen zu befassen.

Der Durchbruch zur Reformation

Als sich ZWINGLI 1522 in einer Schrift gegen das Fastengebot aussprach, kam es zum Konflikt mit der Kirche. Im darauffolgenden Jahr veranstaltete der Rat der Stadt Zürich am 29.1.1523 eine erste Disputation, ein wissenschaftliches Streitgespräch, mit dem Ergebnis, dass ZWINGLIS Ansichten gebilligt wurden. Nach einer weiteren Disputation (26.–29.10.1523) wurde schließlich durch die städtische Obrigkeit die Reformation eingeführt. Da man sich streng an den Wortlaut der Bibel hielt, wurden folgende Regelungen verfügt, wobei sich der Rat der Stadt zur kirchlichen Obrigkeit ernannte:

  • Abschaffung der kirchlichen Hierarchie und der meisten kirchlichen Feiertage,
  • Feier des Abendmahls unter zweierlei Gestalten (Brot und Wein),
  • Abschaffung von Bildern, Prozessionen, Gemeindegesang und Orgelspiel,
  • Ablehnung von Firmung und letzter Ölung als Sakramente
  • Auflösung der Klöster.

Ein aus Geistlichen und Mitgliedern des städtischen Rates zusammengesetztes Gremium, das Ehegericht, beanspruchte die Rolle eines Sittengerichts und überwachte den Lebenswandel der Bürger, bis hin zum sonntäglichen Kirchgang.

Unterschiede zu LUTHER

Neben einer Reihe von Gemeinsamkeiten gab es auch wesentliche Unterschiede zur von LUTHER vertretenen Glaubensauffassung. Eine Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Macht (LUTHERS Lehre von den zwei Reichen) gab es nicht. Da die Kirchengemeinde die oberste Instanz in geistlichen und in weltlichen Dingen war, durfte ihr auch kein Widerstand entgegengesetzt werden.
Auf Betreiben des Landgrafen PHILIPP VON HESSEN, der einen Zusammenschluss evangelischer Territorien anstrebte, kam es im Oktober 1529 zum Marburger Religionsgespräch. Hier standen die beiden Wittenberger Reformatoren LUTHER und MELANCHTHON den Schweizern ZWINGLI und OEKOLAMPAD (aus Basel) gegenüber.
Hinsichtlich der Abendmahlsfrage ging es um die Gegenwart Christi beim Abendmahl in Gestalt der Hostie. LUTHER vertrat die in dem kurzen Satz zusammengefasste Überzeugung: „Dies ist mein Leib“. Für ZWINGLI konnte das Wort Christi bei der Einsetzung des Abendmahls mit seinen Jüngern nur beinhalten: „Dies bedeutet mein Leib“.

Niederlage und Tod ZWINGLIS
Von Zürich aus hatte sich die Reformation auf die nördlichen Teile der Schweiz und nach Südwestdeutschland ausgebreitet. Als ZWINGLI versuchte, den neuen Glauben auch in anderen Teilen der Schweiz einzuführen, kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Zürich und den katholisch gebliebenen Schweizer Kantonen. Letztere besiegten das Zürcher Heer im Oktober 1531 bei Kappel. Unter den Hunderten von Toten war auch ZWINGLI, der die Soldaten als Feldprediger begleitet hatte. Die Ausbreitung der Reformation in der Schweiz war zunächst einmal zum Stillstand gekommen. ZWINGLIS Nachfolger in Zürich wurde der Theologe und Historiker HEINRICH BULLINGER. Zehn Jahre später war es JOHANNES CALVIN, der die reformatorischen Bestrebungen verstärkt weiterführen sollte.

JOHANNES CALVIN (1509–1564)

Nach LUTHER war JOHANNES CALVIN der bedeutendste Reformator dieser Zeitepoche. Seine Lehre verbreitete sich in west- wie auch in osteuropäischen Ländern: in Frankreich, den Niederlanden und Schotland, in Polen und Ungarn.
Geboren wurde CALVIN (als Jean Cauvin) am 10.07.1509 im Norden Frankreichs, in dem in der Picardie gelegenen Ort Noyon. Von 1523 bis 1528 studierte er in Paris Theologie, danach bis 1532 Rechtswissenschaften in Orleans und Bourges. Als er sich 1533 in Paris zur Reformation bekannte, musste er aus Frankreich fliehen. Er hielt sich in den Jahren danach zeitweise in Straßburg, Basel und Ferrara (Italien) auf. In Basel vollendete er 1535 sein Hauptwerk, „Institutio Christianae Religionis“ (Unterricht in der christlichen Religion), wodurch er binnen kurzer Zeit sehr bekannt wurde.
Im Herbst des gleichen Jahres kam CALVIN nach Genf, wo der Reformator GUILLAUME FAREL, der dort gerade den neuen Glauben eingeführt hatte, ihn zum Bleiben überredete. Beide versuchten nun ein christliches Gemeinwesen nach ihren strengen Vorstellungen aufzubauen. Dies scheiterte zunächst am Widerstand der Mehrheit des Rates der Stadt, dem einige Vorstellungen der Reformatoren zu weit gingen. Im April 1538 wurden beide aus der Stadt vertrieben.

Durchsetzung der calvinistischen Lehre

Nachdem die calvinistische Richtung 1540 im Rat der Stadt Genf die bestimmende Kraft geworden war, wurde CALVIN gebeten, dorthin zurückzukehren. 1541 beschloss der Rat eine von CALVIN aufgesetzte Kirchenordnung, die das gesamte öffentliche und private Leben bestimmen sollte. Hierbei war die Kirche dem Staat übergeordnet. Es wurden vier kirchliche Ämter eingerichtet:

  • Prediger für Predigt und Seelsorge,
  • Lehrer für den Unterricht,
  • Älteste für die Kirchenzucht,
  • Diakone für die Armenpflege.

Eine Behörde, das sogenannte Consistoire (Konsistorium), bestehend aus sechs Geistlichen und zwölf Mitgliedern des Rates der Stadt, überwachte alle Aspekte des bürgerlichen und des religiösen Lebens. Theater und Tanz, Karten- und Würfelspiele waren verboten. Auch die Kindererziehung wurde genauestens geregelt.
CALVIN setzte sich auch für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Stadt ein. Sein Bemühen galt den Bildungseinrichtungen (Schulen, eine Hochschule), dem Bau von Krankenhäusern und eines Abwassersystems. Neue Wirtschaftszweige sollten gefördert werden.
Die Organisation des Gemeinwesens lief auf eine Theokratie hinaus, eine Herrschaftsform, bei der die Macht im Staat allein durch religiöse Vorstellungen und Vorschriften legitimiert wird. Zu ihrer Durchsetzung wurden Strafen verhängt, Verbannungen ausgesprochen und, allein in den ersten fünf Jahren, 56 Todesurteile vollstreckt.

Ähnlichkeiten und Unterschiede zu LUTHER

Ähnlich wie LUTHER betonte CALVIN die grundlegende Bedeutung der Bibel für ein christliches Leben. Die Unterschiede zu Luther lagen

  • in der Auffassung von der Gegenwart Christi beim Abendmahl,
  • im Verhältnis zur weltlichen Obrigkeit (es gab ein Widerstandsrecht) und
  • in der Ansicht, wie die ewige Seligkeit erlangt werden könne.

Zum letztgenannten Punkt hatte CALVIN seine Prädestinationslehre aufgestellt. Danach stand von vornherein fest, wer zum ewigen Leben oder zur ewigen Verdammnis bestimmt war. Man glaubte, dies an einem sittenstrengen und arbeitsamen Leben erkennen zu können. Erfolg und Reichtum waren sozusagen wünschenswert, man sollte aber mit seinem Reichtum nicht protzen. Dementsprechend waren viele Bürger bemüht, auch im wirtschaftlichen Bereich besonders erfolgreich zu sein.

Ausbreitung des Calvinismus

Bald regte sich Widerstand gegen die neuen christlichen Vorschriften. Von 1545 an musste CALVIN 10 Jahre lang einen erbitterten Kampf um die Durchsetzung seiner Kirchenordnung führen. Widerstand kam von Seiten der Genfer Aristokratie, der die Kirchenzucht viel zu streng war. Es gab auch theologische Widersacher, die sich vor allem gegen die Prädestinationslehre wandten. Am 27.05.1564 starb JOHANNES CALVIN und wurde in einem anonymen Grab in Genf beigesetzt.
Die reformatorischen Ideen CALVINS verbreiteten sich noch zu seinen Lebzeiten in Westeuropa: in der Schweiz, in Frankreich (Hugenotten), den Niederlanden, England und Schottland (Puritaner). In Ost- und Südosteuropa fand der Calvinismus Anhänger in Polen, Ungarn und Siebenbürgen. Nach CALVINS Tod gingen die reformierten Kirchen in den genannten Ländern zum Teil ihre eigenen Wege. Ihnen gemeinsam war nach wie vor die intensive Beschäftigung mit der Bibel und in der Regel auch der Glaube an die Auserwähltheit des Einzelnen und damit die Prädestinationslehre.
Die nach CALVIN benannte Richtung des Protestantismus, der Calvinismus, beeinflusste in bemerkenswerter Weise die wirtschaftliche Entwicklung in Europa wie auch in Nordamerika.
Der deutsche Soziologe MAX WEBER veröffentliche 1904/05 eine Untersuchung mit dem Titel „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. In den darin vertretenen – umstrittenen – Thesen versuchte WEBER aufzuzeigen, dass eine wesentliche Wurzel der industriellen Leistungsgesellschaft und der Erfolge des Kapitalismus in den Lebensvorschriften des Calvinismus liegen.

Die Konferssionen in Mitteleuropa um 1555

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