Camillo Golgi

Der Beginn der Neurobiologie

Noch Anfang des 17. Jhs. galt das Netzwerk der Nervenfasern als ein hohles System, indem ein „mysteriöser Geist“ oder eine Flüssigkeit fließe, ähnlich wie das Blut in den Adern. Erst der Schweizer Physiologe ALBRECHT VON HALLER (1708-1777) erkannte, dass Muskeln durch die Reizung der am Muskel befindlichen Nervenfasern kontrahieren - das Nervenfasern Impulse weiter leiten konnten und das sie über das Rückenmark zum Gehirn führten. Der französische Gehirnchirurg PAUL BROCA (1824-1880) entdeckte um 1860, dass das Gehirn spezialisierte Regionen besaß, die für bestimmte Verhalten (Muskelkontraktion, Sprechen usw.) verantwortlich sind.

Mitte des 19. Jhs. hatte sich gerade mithilfe der Entwicklung immer besserer Lichtmikroskope die Zelltheorie entwickelt - MATTHIAS SCHLEIDEN (1804-1881) stellte 1838 die Zelltheorie für Pflanzen auf, THEODOR SCHWANN (1810-1882) für tierische Organismen. Diese Theorie wurde schließlich auch auf die, fast gleichzeitig entdeckten Nervenzellen (vorher waren nur die Nervenfasern bekannt) angewendet. Der Zusammenhang zwischen Nervenzelle und Nervenfasern war jedoch noch unklar.

Erst der deutsche Anatom WILHELM VON WALDEYER (1836-1921) behauptete 1891, dass die Fasern feine Fortsätze der Nervenzellen seien und entwickelte damit den ersten Ansatz der „Neuronentheorie“. Die Arbeiten GOLGIs und RAMON Y CAJALs belegten diese Theorie und wiesen zudem nach, dass das Nervengeflecht aus einzelnen neuronalen Einheiten besteht und nicht ein zusammenhängendens Netzwerk ist. Paradoxerweise hat GOLGI lange Zeit nicht an die Individualität der Nervenzellen geglaubt.

Werdegang

CAMILLO GOLGI wurde am 7. Juli 1843 in dem kleinen Städtchen Corteno (heute nach ihm Corteno-Golgi genannt) in der Provinz Brescia in Norditalien geboren. Als Sohn des Arztes ALESSANDRO GOLGI war ihm sein beruflicher Werdegang in die Wiege gelegt und er begann mit 16 Jahren das Medizinstudium an der damals medizinisch führenden Universität in Pavia.

Seine Lehrer waren u. a. der Psychiater und Anthropologe CESARE LOMBROSCO (1835-1909) und der Pathologe GIULIO BIZZOZERO (1846-1902), ein Schüler von RUDOLF VIRCHOW (1821-1902).
Unter LOMBROSCO, der ihn später ermunterte bei BIZZOZERO auf den Gebieten der Neuroanatomie und Neurohistologie zu forschen, promovierte GOLGI 1865 mit seiner Arbeit über die Ätiologie (griech. = Lehre von den Ursachen) von Geisteskrankheiten.

Da die Wissenschaft noch Ende des 19. Jhs. kaum genug für den Lebensunterhalt einbrachte, musste GOLGI, auch auf Drängen seines Vaters hin, 1872 eine Stelle als Oberarzt der Klinik St. Matteo für chronisch Kranke in Abbiategrasso annehmen. Das hielt ihn jedoch nicht ab weiter zu forschen. Unter primitivsten Umständen - die Klinik hatte noch nicht einmal sanitäre Einrichtungen - richtete er in der Spitalsküche ein Labor ein, und begann in seiner Freizeit wieder an seinen Untersuchungen am Nervensystem zu arbeiten. Hier entwickelte er die berühmte Färbemethode mit Silbernitrat.

Durch seine zahlreichen Veröffentlichungen wurde er 1875 als außerordentlicher Professor wieder an die Universität Pavia berufen, Bereich Histologie. 1876 verbrachte er eine kurze Zeit in Siena und Turin, wurde aber 1877 wieder nach Pavia zurückberufen, wo er 1881 als Nachfolger seines Lehrers BIZZOZERO zum Professor für Histologie und allgemeine Pathologie ernannt wurde.
Im selben Jahr heiratete er die Nichte BIZZOZEROs, LINA ALETTI, später adoptierten sie, da sie keine eigenen Kinder bekamen, die Nichte von GOLGI, CAROLINA GOLGI-PAPINI. Die Familie ließ sich in Pavia nieder.

Sein erstes Universitäts-Labor war in einem ehemaligen Getreidespeicher im Botanischen Garten untergebracht und sehr bescheiden ausgestattet, doch GOLGI war solche Umstände ja gewohnt. GOLGI legte trotz allem großen Wert auf gute histologische Präparate, denn nur so könne man exakte wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen.
Sein 1885 veröffentlichtes Buch „Sulla fina anatomia degli organi centrali del sestema nervoso“ wurde bald zum Hauptwerk in der Neurobiologie.

GOLGI galt als sehr bescheiden und was seine Arbeit anging auch sehr zurückhaltend. Trotzdem konnten einige seiner Professorenkollegen mit seinem schnellen Erfolg - GOLGI war mittlerweile einer der führenden Neurohistologen in Europa - nicht umgehen und es kam Anfang der 90iger Jahre zu Streitigkeiten innerhalb der medizinischen Fakultät. 1893 sollte GOLGI neue Laborräume beziehen, was ihm jedoch verweigert wurde. Kurzerhand packte er mithilfe seiner Studenten all seine Laborgeräte, Bücher usw. und besetzte die ihm zustehenden Räumlichkeiten. Sie begannen ihre Arbeit erst einmal ohne Wasser, Licht und Heizung.

Während des 1. Weltkrieges gründete GOLGI, trotz seines fortgeschrittenen Alters ein Militärhospitals in Pavia, wo er ein Neuropathologisches und Mechanotherapeutisches Institut einrichtete, zum Studium und zur Behandlung von Verletzungen des peripheren Nervensystems. 1918 wurde GOLGI erimitiert, ging aber bis zu seinem Lebensende immer wieder ins Labor und hielt Vorlesungen. Er hat zahlreiche europäische Histologen ausgebildet, die später bekannte Wissenschaftler wurden. Besonders freundschaftlich war der Kontakt mit dem deutschen Anatom ALBERT VON KÖLLIKER (1817-1902), der als Begründer der modernen Histologie in Deutschland gilt.
CAMILLO GOLGI starb am 21. Januar 1926 in Pavia. Sein Denkmal und viele seiner zahlreichen Auszeichnungen und Preise sind heute im Saal „Cortile della Salute“ der Universität Pavia zu sehen.

CAMILLO GOLGI (1843-1926)

CAMILLO GOLGI (1843-1926)

Wissenschaftliche Leistungen

GOLGIs Entdeckung (1873) der histologischen Färbemethode mit Silbernitrat war ein Meilenstein für die Zellbiologie und Neurologie. Sie wird heute noch angewendet. Mit ihr konnten verborgene Strukturen der Zelle endlich sichtbar gemacht werden und ebenfalls ganze Neurone, d.h. Nervenzellen, ihre unmyelinisierten Axone und ihre Dentriten innerhalb des Gewebes.

Die Behandlung von Gewebe mit Silbernitrat -Lösungen (AgNO3) und Vorbehandlung mit Chromsalzen verursacht die Ausfällung reduzierter, metallischer Silbergranula (Versilberung) an Oligosaccharidüberzügen auf den Oberflächen extrazellulärer Fasern und Fibrillen, sowie einiger intrazellulärer Membranen des Cytoskeletts und anderer Teile der Zellstruktur. Dies erzeugt eine dunkel-schwarze Färbung, deshalb wird sie auch „Schwarze Reaktion“ genannt. Der Chemismus dieser Darstellungsmethoden ist bis heute noch nicht vollständig aufgeklärt.

Mit der Darstellung kompletter Neuronen belegte GOLGI die Behauptung WILHELM VON WALDEYERs (1836-1921), dass Nervenzelle und Nervenfasern eine Einheit bilden, zusammen also eine Zelle ergeben. Obwohl er mit bis dahin unerreichter Genauigkeit ihre Endigungen (heute Synapsen genannt) darstellen konnte hielt GOLGI lange Zeit noch an der Theorie fest, dass Nerven ein zusammenhängendes Netzwerk sind, wobei alle Nervenzellen über eine Art Reticulum miteinander verbunden seien (Reticular-Theorie). Der spanische Histologe SANTIAGO RAMON Y CAJAL, der die Färbetechnik GOLGIs ebenfalls anwendete und verbesserte gehörte zu den Anhängern der Neuronentheorie, die besagt, dass das Nervengewebe aus einzelnen getrennten Zellen aufgebaut ist. Die Neuronen beschrieb er als Zellen mit Enden unterschiedlicher Funktion. Obwohl GOLGI und Y RAMON ständig neue Beweise für die Neuronentheorie lieferten, konnte GOLGI selbst noch in seiner Rede bei der Vergabe des Nobelpreises, den sie 1906 für ihre neugewonnenen Erkenntnisse über die Struktur der Nervenzelle bekamen, nicht von seiner Reticular-Theorie abkommen. Dieser Disput gehört zu den vielen historischen Auseinandersetzungen in der Wissenschaft.

GOLGI entwickelte seine Färbe- und Imprägnationsmethode ständig weiter. Sie zeigte ihm die vielfältigen Formen von Zellkörpern und Dendritenbäumen mit teils kurzen, teils langen Axone. Dies führte GOLGI zu einer grundlegende Unterscheidung zwischen Zellen mit kurzen Axonen und stark verzweigten Dendriten, die mit ihren direkten Nachbarn in Verbindung stehen (Interneurone), und solchen mit langen Axonen und wenigen Dendriten, die in weiter entfernt liegende Regionen projizieren. Er begründete damit die Klassifizierung der Nervenzellen in Typ I und Typ II, heute GOLGI-Typ I und GOLGI-Typ II genannt.

Er beschrieb außerdem die Struktur der Gliazellen, die GOLGI-Zellen im Gehirn und ein Zellorganell, bestehend aus einem Stapel flacher membranumgebener Zisternen (Dictyosomen), die an ihrem äußeren Rand GOLGI -Vesikel abschnüren - den GOLGI-Apparat.
Heute weiß man, dass der GOLGI -Apparat sozusagen die zentrale Verarbeitungs-, Versand- und Lagerabteilung der Zelle ist, wo vor allem die im endoplasmatischen Retikulum (ER) hergestellten Makromoleküle (z. B. Lipide, Proteine) weiterverarbeitet werden. Auf der cis-Seite (proximale Seite, die zum ER zugewandt ist, Bildungsseite) der Dictyosomen verschmelzen Membranvesikel, die die Makromoleküle aus dem ER anliefern, auf der trans-Seite (distale Seite, zur Plasmamembran hin lokalisiert, Sekretionsseite) werden die umgewandelten Moleküle zum Weitertransport in Membranvesikeln wieder abgeschnürt.

Eine weitere von GOLGI entdeckte und beschriebene Struktur sind die Golgi-Mazzoni-Körperchen, druckempfindliche Lamellenkörperchen (meist kernfreie Plasmakörper mit baumartig verzweigter Nervenfaser), in verschiedenen Geweben vorkommende Rezeptorkörper, die wahrscheinlich auch als Kälterezeptoren fungieren.

Wenig bekannt sind GOLGIs Arbeiten in der Malariaforschung . Die Malariaerreger wurden erst 1880 von dem französischen Militärarzt ALPHONSE LAVERAN (1845-1922) während eines Einsatzes in Algerien entdeckt. Er fand im Blut Malariakranker kleine längliche Körperchen, die lebendig waren. Er behauptete, es seien Parasiten, die im menschlichen Blut lebten. Man schenkte ihm wenig Glauben, bis GOLGI die charakteristischen Phasen der gesamten Entwicklung des Parasiten unter dem Mikroskop darstellen und sogar fotografieren konnte. GOLGI hatte auch Anteil an der Entwicklung des fiebersenkenden Medikaments Quinin für Malariakranke. Er setzte sich auch stark für die sozialhygienischen Verbesserung in Italien ein, da er in der mangelnden Hygiene Ursachen für verschiedene Krankheiten sah.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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