Carnivoren

Einige Pflanzenarten, die an nährstoffarmen, v. a. stickstoff- und phosphatarmen Standorten wachsen, ergänzen ihre sonst übliche Nahrung (autotrophe Ernährungsweise) durch die Aufnahme von tierischen Stoffen. Sie haben die Fähigkeit, tierische Abbauprodukte direkt als Nahrungsquelle zu verwenden. Zu den nährstoffarmen Gebieten gehören vor allem Moorgebiete, moorige Feuchtwiesen, Feuchtsavannen, Regenwälder sowie Binnengewässer. Die Böden dieser Gebiete weisen überwiegend einen stark sauren pH-Wert auf. Sie bieten damit ungünstige Lebensbedingungen für nitrifizierende Bakterien, die normalerweise Stickstoffverbindungen in das für Pflanzen verwertbare Nitrat umwandeln. Da die Bakterien und damit Nitrat fehlen, versorgen sich die Carnivora mit tierischem Eiweiß, welches ausreichend Nitrat enthält. Diese zusätzliche Nahrung beziehen sie aus kleinen Tieren, v. a. aus Insekten, die in ihrem Umfeld zu finden sind. Um ihre Beute zu fangen, haben sie unterschiedliche Anpassungen entwickelt.
Weltweit sind ca. 450 carnivore Pflanzen aus verschiedenen Verwandtschaftskreisen bekannt.

Carnivoren haben eine große Vielfalt von Fangmethoden entwickelt. Die Fangorgane sind mehr oder weniger stark umgewandelte Blätter. Die Reizung dieser Organe erfolgt entweder durch den Berührungsreiz des Beutetiers oder wird durch chemische Signale in Form von Stickstoff- und Phosphatverbindungen ausgelöst.

Die Venusfliegenfalle (Dioneae muscipula) ist die wohl bekannteste fleischfressende Pflanze. Sie stammt aus den Gebieten North und South Carolina in den USA. Ihre Blätter besitzen am Blattende den Fangapparat aus zwei Blatthälften, die sich bei viel Sonneneinstrahlung dunkelrot färben. Landet ein Insekt auf dem Fangblatt und berührt zweimal hintereinander die Tasthärchen, bewirkt ein elektrischer Impuls das Schließen der Blatthälften. Das Insekt ist in der Klappfalle gefangen und kann zersetzt werden. Unter günstigen Bedingungen und bei einer „ausgehungerten“ Pflanze kann dieser Vorgang in etwa einer zwanzigstel Sekunde ablaufen, was eine der schnellsten Bewegungen im Pflanzenreich darstellt.

Der Gemeine Wasserschlauch (Utricularia vulgaris) ist eine frei flutende, grasförmige Pflanze mit Fallen aus kleinen abgeflachten Blasen oder Schläuchen und gehört mit mehr als 220 Arten zur artenreichsten carnivoren Gattung. Jede der ca. 1 cm großen Blasen mit Unterdruck besitzt eine Öffnung mit einem falltürähnlichen Verschluss. Daran befinden sich Auslösungshärchen, die über Reiznerven mit der Klappe verbunden sind. Wenn diese durch Insektenlarven, Kleinkrebse oder Rädertiere berührt werden, öffnet sich die Klappe nach innen, das Opfer wird durch den Unterdruck eingesaugt und die Klappe schlägt hinter dem Tier zu. Diese Bewegung ist mit einer Dauer von Sekundenbruchteilen die schnellste im Pflanzenreich überhaupt und übertrifft sogar das Zuschlagen der Blatthälften bei der Venusfliegenfalle. Bei Erkennung des Beutetiers in der Blase werden sofort Enzyme produziert und abgegeben, die das Tier verdauen. Die Blase wird so für einige Zeit (je nach Art Stunden oder Tage) zum Magen umfunktioniert. Der Verdauungssaft wird anschließend von der Blase aufgenommen, der Unterdruck wird neu aufgebaut. Die Blase funktioniert als Saugfalle (Saugblasenfalle).

Bei den Gleitfallen der Kobralilie (Darlingtonia) werden Insekten von der roten Farbenpracht des umgebildeten Blatts angelockt. Es sieht aus wie eine Blüte. Geformt ist das Blatt ebenfalls wie ein Schlauch, an dessen Ende sich eine Verdickung mit einem einzigen Loch befindet. Nach oben besitzt das Blatt an dieser Verdickung kleine Fenster, die dem Insekt vortäuschen, nach oben wegfliegen zu können. Nach mehreren Flugversuchen in die falsche Richtung fällt das Opfer schließlich erschöpft in den Schlund, ist gefangen und wird verdaut. Die Bezeichnung Kobralilie stammt vom Aussehen des ca. 70 cm großen Strauchs. Wiegt er sich mit seinen ganzen verdickten Blattenden im Wind, erscheint er wie eine tanzende Kobra.
Bei der Gleitfalle der Kannenpflanze (Nepenthes) landet das Insekt auf dem Rand des zu einer bedeckelten Kanne umgebildeten Blattes, welcher eine sehr glatte wachsbeschichtete Oberfläche aufweist. Unter dem Rand wird Nektar abgesondert, um das Insekt anzulocken. Das Beutetier rutscht schließlich ab und wird an der flüssigkeitsgefüllten Blattbasis verdaut. Der Tod tritt durch Ertrinken ein. Die Blattspreite wurde hier vollständig zu einem Schlauch umgestaltet, welcher an einer Art Ranke befestigt ist. Der Deckel der Kanne dient ausschließlich dem Regenschutz, um die produzierten Verdauungssäfte nicht zu verdünnen. Neben Insekten haben sich auch schon kleinere Echsen, Vögel und Nagetiere in die Kannen verirrt. Der dann sehr langwierige Verdauungsprozess hat im Einzelfall zum Absterben der Kanne geführt. Alle Nepenthes stehen mittlerweile auf der Washingtoner Artenschutzliste.

Mit einer Klebfalle ist unser heimischer Sonnentau (Drosera rotundifolia) aus gestattet. An den Laubblättern der Pflanze befinden sich rötliche Drüsenhaare (Tentakeln), deren Drüsen klebrige Tropfen absondern, die in der Sonne glitzern und Insekten anlocken. Die Sekrettröpfchen bestehen aus einer klebrigen Zuckerlösung und duften nach Nektar. Wird ein Insekt angelockt, bleibt es am Blatt haften. Bei seinen Befreiungsversuchen berührt es immer mehr der klebrigen Tropfen. Die Pflanze reagiert auf die Eiweiße, indem sie ihre Tentakel zum Opfer hin bewegt und dieses fest auf das Blatt drückt. Zuletzt umwickelt das Blatt die Beute vollständig. Durch Verdauungsenzyme werden die Nährstoffe des Insekts herausgelöst und absorbiert. Nur der Chitinpanzer bleibt übrig. Wenn die Beute aufgelöst ist, entrollt sich das Blatt wieder.

Die Verdauung bei Carnivora erfolgt mithilfe von Exoenzymen, z. B. Proteasen, Esterasen und Phosphatasen, die über Drüsen ausgeschieden werden. Die Bildung von Enzymen wird durch das Auftreten neuer Beutetiere induziert. Ein bis zwei Wochen nach Beginn der Verdauung wird die Herstellung der Enzyme von der Pflanze eingestellt und erst bei Eintreffen eines neuen Beutetiers wird die Produktion wieder aufgenommen. Als Auslöser für die erneute Enzymproduktion dienen beim Todeskampf der Insekten abgegebene Proteine, Nucleinsäuren und Amoniumionen. Die Verdauungsprodukte (Aminosäuren, Kohlenhydrate u. a.) werden durch spezielle Absorptionsgewebe aufgenommen. Meist handelt es sich dabei um Absorptionshaare. Lediglich der Chitinpanzer vieler Insekten kann nicht abgebaut werden und bleibt als leeres Außenskelett zurück.
Sehr wahrscheinlich haben sich die Carnivora aus „normalen“ Pflanzen entwickelt (daher ihre ursprünglich autotrophe Lebensweise), welche bereits bestehende Fähigkeiten wie Bewegung, Sekretabgabe, Nährstoffaufnahme über die Blätter und Festhalten von Insekten (zur Bestäubung) verstärkten und weiterentwickelten.

Die Tiere fangenden Pflanzen besitzen stets Chlorophyll, sind zur Fotosynthese befähigt und lassen sich bei ausreichender Mineralsalzzufuhr leicht ohne tierische Nahrung aufziehen. Eine Anpassung an bestimmte Tierarten besteht nur insoweit, als dass diese von den Lockapparaten angezogen werden, von den Fangorganen festgehalten werden und sich im Lebensraum dieser Pflanzen aufhalten müssen.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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