Francois Villon

Frankreich war im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts von Kriegen, Hungersnöten und Seuchen heimgesucht. Das Volk litt unsagbare Not, während der französische Königshof in Saus und Braus schwelgte und sich in widersinnige Kriege verstrickte. Gesetzlosigkeit, Gewalt und Sterben waren an der Tagesordnung und ganz alltägliche Erscheinungen. Im ausgehenden Mittelalter galt ein Menschenleben nicht viel. Dies ist die Zeit, in die FRANCOIS VILLON hineingeboren wurde. Die Überlieferungen aus seinem Leben sind dürftig. Urkundlich belegt sind vor allem etliche Verbrechen, in die er verwickelt war und wiederholte Gefängnisstrafen, die er abzubüßen hatte.

Sein Leben – seine Dichtung

Um sein Leben zu rekonstruieren, ist man vor allem auf seine Dichtung – ein nicht eben umfangreiches lyrisches Werk – verwiesen. Geboren wurde er wahrscheinlich 1431 in Paris, im selben Jahr, als die Bäuerin JEANNE D'ARC als Hexe auf dem Scheiterhaufen in Rouen verbrannt wurde. Sie hatte sich im Kampf gegen die englischen Belagerer an die Spitze des französischen Heeres gestellt und vor allem das leidende Volk mobilisiert. Sie hatte den feigen König KARL VII. zum Sieg verholfen und ihn zur Krönung nach Reims geführt, doch er und sein intriganter Hofstaat ließen sie in die Hände des englischen Feindes fallen. VILLONs eigentlicher Name war FRANCOIS DE MONTCORBIER, er zeichnete auch als FRANCOIS DE LOGES. Er war das Kind armer Eltern, deren Identität nicht überliefert ist:

„Mein Stammbaum ist nicht grad erlesen.
Die Eltern sind nur kleine Leute.
Arm wie mein Ohm Horaz gewesen.“
(Testament)

Der kleine FRANCOIS wurde von dem Kaplan GUILLAUME DE VILLON, dem Kanonikus der Kirche Saint Benôit-le Bientourné, erzogen. Etwa 1443 schickte der Kaplan den Zwölfjährigen auf die Sorbonne, die renommierte Pariser Universität. Dort studierte er die Freien Künste und erlangte 1449 seinen Bakkalaureus und 1452 den Titel Magister artium. Die Pariser Studenten jener Zeit führten ein wildes Leben. Unter ihren groben Streichen, Schlägereien und wüsten Gelagen hatte die gesamte Anwohnerschaft des linken Seine-Ufers zu leiden. Immer wieder kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen, doch die Ordnungshüter waren in vielerlei Hinsicht machtlos.

In Spelunken und Bordellen

VILLON, soviel geht aus seinen Gedichten hervor, trieb sich gern und oft in den Spelunken und Bordellen herum. Dort fand er seine Zechbrüder und Kumpanen und hielt sich an die leichten Mädchen.
Die Studenten gehörten zu den ärmsten Bevölkerungsschichten, das Stehlen und Rauben betrieben viele zu ihrer Existenzsicherung. Und längst nicht alle erwartete nach dem Studium ein ehrwürdiges und einträgliches Amt.

„Wo ist die lustige Kumpanei,
Die einst mit mir herumgehetzt,
Die Burschen, die so frank und frei
Mit mir getollt, gegrölt, geschwätzt?
Vermodert schon sind viele jetzt.…
Doch manche kann man - Gott sei Dank! -
Als reiche Herrn, Magister sehn.
Und während andre, arm und krank,
Vor Bäckerläden hungernd stehen, sieht schwelgen
man im Wohlergehen Kartäuser, Zölestiner - groß
Wie Perlenfischer sich aufblähen!
So ungleich ist der Menschen Los.“
(Testament)

VILLON in der Diebesbande

VILLON stieß zu den Coquillards, einer straff organisierten Diebesbande, die die Straßen von ganz Frankreich unsicher machte. Er erlebte es mehr als einmal, dass seine Kumpane gefasst und grausam hingerichtet wurden, auch davon berichten seine Balladen. Ihm zum Verhängnis wurden allerdings im Jahre 1455 Händel um ein käufliches Mädchen. Vor der Kirche seines väterlichen Gönners geriet er in Streit mit einem Priester, der sich von ihm verspottet fühlte und ihn im Gesicht verletzte. Darauf stieß VILLON ihm seinen Dolch in den Leib, der Priester starb wenige Tage später. VILLON war, wenn auch nicht vorsätzlich, zum Mörder geworden und hielt es für angebracht, aus Paris zu fliehen. Aus der Ferne richtete er zwei Gnadengesuche an das zuständige Pariser Gericht, denen auch stattgegeben wurde. Ende des Jahres befand er sich wieder in Paris, verübte allerdings 1456 mit mehreren Kumpanen einen schweren Einbruch ins Collège de Navarre, in die theologische Fakultät. Wieder erschien es ihm besser, Paris den Rücken zu kehren.

„Damit ich der Gefahr entgeh,
Ist's besser, ich geb Fersengeld
Und wandre nach Angers. Adieu!“
(Vermächtnis)

In seinem „Vermächtnis“ schiebt er allerdings eine Zurückweisung durch eine Angebetete als Grund vor. In der damals üblichen Dichtungsform des „Vermächtnisses“ und des „Testaments“, nimmt er auf ironische und witzige Weise Abschied von Freund und Feind und teilt jedem einen Anteil seiner „Hinterlassenschaften“ zu.

Wanderschaft

Von VILLONs anschließender Wanderschaft gibt es allenfalls unsichere Spuren. Es ist anzunehmen, dass er mitunter als Dichter die Gunst adeliger Herren genoss. So richtete er ein „Bittgesuch an den Herzog von Bourbon“ um sechs Taler. Auf Schloss Blois des HERZOGs VON ORLEANs hat er offensichtlich einen Preis erworben mit einem Gedicht, das folgendermaßen begann:

„Ich sterb verdurstend an des Brunnens Rande,
Ich glühe und die Kiefer klappern mir,
Als Fremdling fühl ich mich im eignen Lande...“

In Orleans kam er 1460 allerdings auch in den Kerker, erlangte aber bald durch eine Generalamnestie wieder die Freiheit, als der Herzog mit seiner Familie durch die Stadt zog. In der Doppelballade „Zueignung für Maria von Orleans“ dankt er in bewegten reuigen Worten der Prinzessin für seine Errettung:

„Drum dank ich Gott wie der Psalmist:
O Herr, du hast mich hoch erfreut
Mit deinem Werk! Gekommen ist
dies edle Kind zur rechten Zeit
Als Göttin der Barmherzigkeit
- wie Himmelsmanna -, voller Huld
Wohltat zu spenden weit und breit,
Uns zu befrein aus Not und Schuld.“

Schon ein Jahr später saß er in Meung-sur-Loire im Gefängnis. Doch auch hier wurde ihm, wie allen anderen Gefangenen, die Freiheit geschenkt, als der neue König, LUDWIG XI., durch die Stadt kam.

Im heimatlichen Paris: Todesurteil

VILLON wandte sich wieder dem heimatlichen Paris zu. Er spürte nun das herannahende Alter, den körperlichen Verfall, bedingt durch die harten Entbehrungen der Haft, und bedauerte das Vergehen seiner Jugend, die er so nutzlos vergeudet hatte. In seinem „Testament“ lässt er sein Leben bis zu diesem Punkt Revue passieren. Die Justiz war auf den Heimkehrenden nicht gut zu sprechen, seine Geldbuße stand noch aus. Er wurde festgesetzt wegen einer Messerstecherei, obgleich ihm die Beteiligung daran nicht zweifelsfrei nachzuweisen war. Er wurde zum Tod am Galgen verurteilt, legte aber Berufung gegen das Urteil ein. Ob seine Gegenwehr Erfolg hatte und das Todesurteil in eine zehnjährige Verbannung umgewandelt wurde oder ob das Urteil zur Vollstreckung kam, ist nicht überliefert. Seine Spur verliert sich 1463.

Bedeutendster französischer Dichter des Spätmittelalters

FRANCOIS VILLON ist der bedeutendste französische Dichter des Spätmittelalters. Dabei ist er beileibe kein Formerneuerer. Wie schon gesagt, die Gestalt des Testaments oder des Vermächtnisses war damals eine übliche Form für ein resümierendes Langgedicht. VILLON hat sich vor allem der volkstümlichen Ballade, des Tanzliedchens, bedient und sie mit verschiedenen Inhalten gefüllt. Was VILLON so außergewöhnlich macht, ist

  • die Vielfalt der Tonlagen und
  • die Wahl seiner Themen.

Sie reichen

  • von unbekümmert frivolen,
  • lebensfreudigen,
  • obszönen,
  • rüden und
  • derben Versen bis zu
  • reumütigem und
  • zutiefst frommem Flehen.

Angesichts seiner Verurteilung zum Tod am Galgen schlägt er beide Saiten an:

Vierzeiler:
Franzose bin ich - nicht zum Spaße! -,
Stamm aus Paris, nah bei Pontoise,
Werd ich am Galgen hochgezogen,
Weiß ich, wie schwer mein Arsch gewogen.

 

Villons Grabinschrift:
Wenn wir euch rufen, Brüder dürft ihr nicht
Missachten unser Flehn und Wehgeschrei,
Ob auch zu Recht uns strafte das Gericht!
Ach, keiner ist von Leidenschaften frei!
Fürbitte tut, damit uns gnädig sei
Mariens Sohn, dass, wenn der Leib versinkt,
Der Seele doch dereinst Erlösung winkt,
Dass wir der Hölle nicht zum Opfer fallen,
Der Jüngste Tag uns nicht zum Zittern bringt!
Kniet hin und betet: „Herr, vergib uns allen!“

Wie der in die Enge getriebene Vagabund mit sich und seinem vertanen Leben ins Gericht geht, zeigt ein in dialogischer Form geschriebenes Gedicht:

Der Wortstreit zwischen Villons Herzen und Leib:
Wer da? Wer klopft so zaghaft? - Ich bin's! - Wer? -
Dein Herz, das nur an einem Faden hängt.
Bin ohne Kraft und Mut, schlag matt und schwer,
Weil du so einsam bist, hilflos, gekränkt
Und in die Ecke wie ein Hund gedrängt.
- Warum? - Kannst dein Gelüsten nicht besiegen!
- Was geht's dich an? - Ich trag dein Missvergnügen! -
Lass mich in Ruh! - Wozu? Ich überlege!
- Wann wirst du klug? - Im Alter wird sich's fügen!
- Ich sag nichts mehr! - Und ich geh meiner Wege.

Es hat tatsächlich den Anschein, als schlügen zwei Herzen in VILLONs Brust. Seine Persönlichkeit ist zwiespältig und komplex. Einerseits ist er der gebildete, mit akademischen Graden ausgestatte Absolvent der Sorbonne, der die Worte wohl zu setzen weiß und mit den Versatzstücken seiner Bildung spielt, andererseits der Spießgeselle der übelsten Straßenräuber und Ganoven. Deren Milieu, das Leben der untersten plebejischen Volksschichten, hat VILLON in seinen Versen überliefert: lebendig, anschaulich, drastisch und witzig.

Die

„Hochstapler, Hehler, Ablasskrämer,/die Halunken, die's zum Glücksspiel zieht,/ob Zinker, ob Jetoneinnehmer … Reimeschmiede und Satirenschmierer …das Volk der Gaukler, Musizierer“,

die alle ihren Gewinn ausgeben

„Für Wein und Weiber in den Schenken“ (Ballade von der guten Lehre) -

sie alle hat er besungen. VILLON hat in sechs überlieferten Rotwelschballaden im Verbrecherjargon seinen Spießgesellen ein Denkmal gesetzt. Er hat die Liebe der leichten Mädchen besungen ebenso wie das Wehklagen der verblühten, einstmals schönen Helmschmiedswitwe. Sein wohl unverblümtetes Gedicht ist der dicken Margot gewidmet.

„… So gibt sie Ruhe, lässt ein Fürzchen bloß
Wie eine giftige Kröte, mit Geschnauf,
Verpasst mir lachend einen Stoß
Und sagt „Gogo!“ und knöpft den Latz mir auf.
Danach beginnt ein mächtiges Gesauf.
Wenn sie erwacht, treibt sie's er recht verrückt
Und steigt auf mich, dass sie die Frucht nicht drückt.
Ich stöhne, fast zerquetscht und platt gestaucht.
Zum Schluss schlepp ich mich weg, lahm und gebückt.
In unserm Puff kriegt jeder, was er braucht. …“

(Ballade von der dicken Margot)

FRANCOIS VILLONs Dichtungen

FRANCOIS VILLONs Dichtungen sind zunächst mündlich überliefert worden, sie wurden in den Kaschemmen gesungen, die seine Heimat waren, auf den Märkten und wo immer das Volk sich traf. Es kursierten Abschriften und ab 1489 VILLON-Drucke, die allerdings nicht als zuverlässig gelten können.
Der Hofdichter von FRANZ I., CLÉMENT MAROT, der VILLON schätzte und sorgfältig dessen Werke sammelte und edierte, gab 1532 eine Ausgabe heraus, die zehn Auflagen erlebte. Dann erlahmte das Interesse an den volkstümlichen, frischen, naiven und schamlosen Zeugnissen von VILLONs Kunst. Erst im 19./20. Jahrhundert begann man wieder seinem Werk und seinen Lebenspfaden nachzuspüren. VILLON hat auf spätere Dichter viel Einfluss ausgeübt, man denke an die Balladen von BERTOLT BRECHT und seine „Dreigroschenoper“ sowie an die respektlosen Lieder von WOLF BIERMANN.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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