Minnesang

Die mittelhochdeutsche Sprachstufe, die etwa 1050 begann, wird unterteilt in die Perioden

  • Frühmittelhochdeutsch (1050–1170),
     
  • Klassisches Mittelhochdeutsch (1170–1250),
     
  • Spätmittelhochdeutsch (1250–1350.

Bestandteil der mittelalterlichen Klassik war eine höfische Literatur, die Heldenlieder und Minnelieder beinhaltete. Der Minnesang, eine ritterlich-höfische Liebeslyrik und Liedkunst, entwickelte sich als eine Form der literarischen Auseinandersetzung der mittelalterlichen Adelsgesellschaft mit Fragen der Liebe.
Die ersten Minnelieder entstanden um 1160 in Deutschland und vor allem auch in Österreich. Sie standen in der Tradition der heimischen volkssprachlichen Dichtung. Bis dahin wurde Lateinisch geschrieben und es wurden vornehmlich geistliche Themen behandelt. Nun wurden weltliche Themen aufgegriffen.

Phasen des Minnesangs

Man gliedert den Minnesang in bestimmte Entwicklungsphasen, wobei die Grenzen teilweise fließend sind:

1. Frühphase (1150–1170)

Die erste Phase wird auch als donauländischer Minnesang bezeichnet, da die meisten Minnesänger in dieser Zeit aus der Donauregion stammten:

  • MEINLOH VON SEVELINGEN,
  • BURGGRAF VON REGENSBURG sowie
  • DER VON KÜRENBERG.

Ein Beispiel für den donauländischen Minnesang ist das Falkenlied des KÜRENBERGERS (Audio 1):

Ich zôch mir einen valken

Ich zôch mir einen valken / mêre danne ein jâr.
dô ich in gezamete, / als ich in wolte hân,
und ich im sîn gevidere / mit golde wol bewant,
er huop sich ûf vil hôhe / und vlouc in ándèriu lant.

Sît sach ich den valken / schône vliegen,
er vuorte an sînem vuoze / sîdîne riemen,
und was im sîn gevidere / alrôt guldîn.
got sende sî zesamene, / die gelíeb wéllen gerne sîn!

Kennzeichnend für die Frühphase des Minnesangs waren vor allem:

  • überwiegend einstrophige Lieder,
     
  • Langzeilenstrophen, teilweise mit eingeschobener reimloser Kurzzeile (sogenannte Stegstrophen),
     
  • häufige Verwendung von Halbreimen (z. B. was – sach; hemede – edele); der Vollreim war noch nicht die Norm,
     
  • Grundthemen sind Werbung, Sehnsucht, Scheiden, Fremdsein und Verzicht,
     
  • zweipolige Werbelyrik, d. h., in den frühen Sängen fand ein Dialog zwischen dem Werbenden und der Umworbenen statt.
audio

2. Erste Hochphase (1170–1200)

Die erste Hochphase wird auch rheinischer Minnesang genannt. Hauptvertreter sind hier Dichter, die am Oberrhein ansässig waren und deren Dichtung durch die Trobador- und Trouvèrelyrik beeinflusst wurde. Besonders deutlich wird das bei FRIEDRICH VON HAUSEN, einem früheren Vertreter des rheinischen Minnesangs, aber auch bei BLIGGER VON STEINNACH, BERNGER VON HORHEIM sowie RUDOLF VON FENIS. Die meisten Dichter dieser Phase gehörten wahrscheinlich zum Kreis des Stauferhofes. Kennzeichen des rheinischen Minnesangs sind:

Mehrstrophigkeit (die Einstrophigkeit tritt zurück),

Stollenstrophe oder Kanzonenform, neben isometrischen Strophenformen (Die Grundstruktur der Stollenstrophe ist eine prinzipielle Zweiteilung in Aufgesang und Abgesang. Der Aufgesang besteht aus zwei metrisch gleich gebauten Teilen. Der Abgesang ist dagegen frei kombinierbar.)

Thematisch wird die Dienstminne zur Hohen Minne ausgestaltet; die frouwe wird aufgrund ihrer vielbeschworenen guten Eigenschaften wie Schönheit, Klugheit, Güte zu einer ethisch dominierenden Person entrückt.

Minne- und Kreuzzugthematik werden kombiniert; typische Gattungen sind die Hohe-Minne-Klage sowie das Kreuzlied.

3. Zweite Hochphase (1190–1220)

Der nächste Zeitabschnitt, die zweite Hochphase des Minnesangs, wird repräsentiert durch HEINRICH VON MORUNGEN, REINMAR und HARTMANN VON AUE.

(Hörbeispiel von „Solde ich iemer vrowen Leit“ in Audio 2).

Solde ich iemer vrowen leit

Solde ich iemer vrowen leit
alder arc gesprechen, daz hât sî verschuldet wol,
diu daz hât von mir geseit,
daz ich singe owê von der ich iemer dienen sol.
Si ist des liehten meien schîn
und mîn ôsterlîcher tac.
swenne ich sî an sihe, sô lachet ir daz herze mîn.

Mîn vrowe ist s ô genaedic wol,
daz sî mich noch tuot von allen mînen sorgen vrî.
des bin ich v r ô reht als ich sol.
ich waene, nieman lebe, der in sô ganzen vröiden sî.
Wol ir hiute unde iemer mê!
alsô sprich ich und wünsche ir des,
diu mir hât benomen mit vröiden gar mîn alt owê.

Swaz ich s i n g e ald swaz ich sage,
sône wil si doch niht troesten mich vil senden man.
des muoz ich r i n g e n mit der klage
unde mit der nôt, die ich selbe mir geschaffet hân.
Sô ist siz doch diu vrowe mîn:
ich binz, der ir dienen sol,
unde wünsche ir des, dazs iemer saelic müeze sîn.

Sie hatten ebenfalls Beziehungen zum Stauferhof. Das mehr oder minder einheitliche Erscheinungsbild des Minnesangs spaltet sich immer mehr auf. Das Kennzeichen der zweiten Hochphase ist

  • eine individuell vielfältige Weiterentwicklung des im rheinischen Minnesangs erreichten Formstatus mit Stollenstrophe und reinem Reim (Vollreim) sowie
  • inhaltlich die Hohe Minne.

4. Höhepunkt und Überwindung (1190–1230)

Die vierte Phase kennzeichnet den Höhepunkt des Minnesangs. Sie wird dominiert von dem bedeutendsten deutschen Lyriker des Mittelalters, WALTHER VON DER VOGELWEIDE. Weitere Vertreter sind WOLFRAM VON ESCHENBACH (der bedeutendste Epiker jener Zeit) und wahrscheinlich GOTTFRIED VON STRASSBURG. Auch diese Dichter hatten Beziehungen zum Stauferhof. WALTHER VON DER VOGELWEIDE vollendete den Hohen Minnesang und unterzog ihn zugleich einer kritischen Reflexion. Er dichtete sowohl Hohen als auch Niederen Minnesang und schrieb parodistische Umdichtungen von Liedern REINMARS, HEINRICHS VON MORUNGEN und HARTMANNS VON AUE; außerdem Naturlieder und Minnesprüche. Naturlieder sind thematisch meist durch Jahreszeitenbezüge bestimmt und werden oft metaphorisch für den Gemütszustand des lyrischen Ichs eingesetzt. Minnesprüche sind einstrophige Spruchdichtungen mit Minnethematik.

5. Spätphase (1210–1300)

Die Spätphase des Minnesangs prägte der originelle Dichter NEIDHART VON REUENTAL (Erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) im Besonderen. Er schuf den antihöfischen Minnesang (auch Gegensang) und karikierte die höfische Hohe Minne in seiner „Dörper“-Lyrik, in welcher die Liebesgeschichte in einfache, dörfliche Umgebung getragen wird. Der Protagonist, ein Edelmann, wird nun von Frauen niederen Standes umworben und muss sich mit bäuerlichen Nebenbuhlern abplagen. Der edle Ritter wird so zu einer tragisch-komischen Figur. NEIDHARTS teilweise deftige Sprache sowie die offene Darstellung des Sexuellen verstärkten den Widerspruch zum Hohen Minnesang.
Nach NEIDHART gab es keine Weiterentwicklung mehr. Die Dichter nutzten vielmehr die in den früheren Phasen hervorgebrachten formalen und poetischen Mittel. Es werden etwa 90 Vertreter zur Spätphase gezählt, darunter

  • JOHANNES HADLOUB (gest. 1340) und
  • KONRAD VON WÜRZBURG (1220/1230–1287),
  • ZACHÄUS VON HIMMELBERG (um 1255),
  • HEINRICH VON LIENZ (um 1230),
  • KONRAD VON SUONECK (um 1220-37 bis vor 1255),
  • ULRICH VON SACHSENDORF (um 1250),
  • LEUTHOLD VON SÄBEN,
  • FRIEDRICH VON SONNENBURG (2. Hälfte des 13. Jh.),
  • REIMAR DER VIDELERE (2. Hälfte des 13. Jh.),
  • HARTMANN VON STARKENBERG (um 1250).


Mit REINMAR VON ZWETER (um 1200 bis nach 1248), Bruder WERNHER (etwa 1225 bis 1250 ) und dem MARNER (um 1250) vollzog sich der allmähliche Übergang zum Meistersang.

6. Nachphase (1350–1450)

Das Minnelied hat nach 1350 kaum noch eine Rolle gespielt. Motive und Formen lebten allerdings nach 1350 mit den Liedern der spätmittelalterlichen Sänger HUGO VON MONTFORT (1357–1423) und OSWALD VON WOLKENSTEIN (um 1377 bis 1445) noch einmal auf. Sprachlich hatte sich das Deutsche bereits in Richtung des Frühneuhochdeutschen entwickelt, man kann die beiden Autoren also nicht mehr als mittelhochdeutsche Sänger bezeichnen:.

OSWALD VON WOLKENSTEIN
Geluk vnd hail

Geluk vnd hail, ain michel schar,
wunsch ich dir, fraw, zum new iar.
mein stet gerechte trew fur war
in deinem dinst ich nymmer spar,
des solt du werden jnnen.
Das macht dein mundlin wol gevar
mit wenglin rot, ain lieblich par,
verglanczt von liechten euglin klar,
die orlein klain, darob das har
Raid, krispel, krumpel, krynnen,
krewß, gueldloch gel, durch flockelt,

Nas, zendlein, kin, kel. der hals czu tal
mit ganczer maß hat seinen fal
bis auff der weissen brustlin sal;
der sinkel hert geyt reichen schall.
ain yets glit durch messen:
Armm, finger lang, zway hendlin small,
das peuchlein hel, slecht vberall
vnd ein wolkomen reuch czu mall,
groß hindersechczt gedrolter zal,
mit herter mass besessn;
dye fuesslein klain geschockt.

Jr zarter leib nye mailes pein
verschart; zucht, tugent eytel rein,
jung, edel, adelicher schein
mit wandel sich probirt darein
noch maisterlichen siten,
an allen tadel ist sye fein.
zart trawt geselle, vergyß nicht mein!
seyt ich nu bin gehaissen dein,
so la dir, hercz lieb, ab erfreyn,
Des ich lang han gebiten
vnd das mich senlich locket!

Überlieferungen/Sammelhandschriften

Die Minnelieder sind meist in Sammelhandschriften überliefert. Die bedeutendsten sind:

  • die Große Heidelberger Handschrift (1. Hälfte 14. Jh.),
  • die Kleine Heidelberger Handschrift (13. Jh.),
  • die Weingartner Liederhandschrift (um 1300) und
  • die Jenaer Handschrift (mit Noten, um 1310).
audio

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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