Manfred von Ardenne

Der deutsche Erfinder, Physiker, Techniker und Krebsforscher MANFRED VON ARDENNE kann als eine der schillerndsten Figuren der deutschen Forschungswelt gelten. Der 1907 in Hamburg geborene junge Mann brach nach kurzer Zeit sein Studium ab, machte wichtige Erfindungen zum Fernsehen und zur Elektronenmikroskopie und leistete Atomforschungen für die Nationalsozialisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er 10 Jahre lang an der sowjetischen Atombombe mit und richtete sich dann in der DDR ein privates Forschungsinstitut ein, in dem er sich zunächst mit Kernphysik und Elektronenmikroskopie, später vor allem mit Fragen der Krebstherapie beschäftigte.

Manfred von Ardenne (1907 bis 1997)

Manfred von Ardenne (1907 bis 1997)

Kindheit und Jugend

MANFRED BARON VON ARDENNE wurde am 20. Januar 1907 in Hamburg geboren. Sein Vater, der Oberregierungsrat EGMONT VON ARDENNE, entstammte einer großbürgerlichen Offiziers- und Beamtenfamilie, die aus Lothringen über Belgien nach Deutschland gekommen war. Das 1857 verliehene belgische Baronat war 1871 auf die gesamte Familie ausgedehnt worden. Die Mutter kam aus einer Hamburger Patrizierfamilie.
Als VON ARDENNEs Vater kurz vor dem Ersten Weltkrieg in das Reichskriegsministerium versetzt wurde, zog die Familie mit den fünf Kindern nach Berlin um.

Schon der elfjährige Knabe hatte ein ausgesprochenes technisches Geschick und Verständnis. Er bastelte Fernrohre, baute Fotoapparate und konstruierte Alarmanlagen. In seiner Autobiografie schreibt er selbst darüber:

„Während meiner Schulzeit habe ich, angeregt durch die damals weitverbreiteten Bastelbücher, aber auch direkt durch den Unterricht, sehr viel gebastelt und experimentiert. ... Aus Brillengläsern, Gardinenstangen und Kistenholz entstanden mehrere bis zu zwei Meter lange Fernrohre, durch die man Mondkrater, Sonnenflecken, Venusphasen und den Jupiter mit seinen vier größten, von Nacht zu Nacht ihre Stellung ändernden Monden betrachten konnte...
Bald hatte ich ... eine Dauer-Versuchsvorrichtung aufgebaut, die das Angenehme mit dem Nützlichen verband. Die Anlage war einfach und sehr ergiebig: Sie destillierte aus unbesteuertem, daher billig in der Drogerie erhältlichem Ameisenspiritus reinen Alkohol. Der wurde mit gutem Gewinn verkauft. Diese recht erheblichen Summen dienten dem weiteren Ausbau der chemischen Abteilung...“

MANFRED VON ARDENNE im Jahre 1923: In dieser Zeit beschäftigte er sich u.a. mit Lichtmikroskopen.

MANFRED VON ARDENNE im Jahre 1923: In dieser Zeit beschäftigte er sich u.a. mit Lichtmikroskopen.

In der elterlichen Wohnung richtete er sich sein eigenes kleines Labor ein, in dem er auch gefährliche chemische Versuche durchführte, wandte sich aber auf Wunsch seiner Eltern der drahtlosen Telegrafie zu. ARDENNE besuchte in Berlin das Friedrich-Real-Gymnasium, das er aber bereits 1923, im Alter von 16 Jahren, mit der Primarreife verlassen konnte. Bereits als 16-Jähriger erhielt er das erste seiner insgesamt rund 600 Patente.

Seine außergewöhnliche technisch-erfinderische Begabung wurde nun durch praktische Ausbildung in einer feinmechanischen Werkstatt weiter gefördert. 1925 schrieb er sich an der Universität Berlin ein; die nötige Sonderzulassung wegen seines fehlenden Abiturs hatte der Physikochemiker WALTER NERNST erwirkt. Sein Studium der Physik, Chemie und Mathematik brach er aber schon 1926 wieder ab und bildete sich autodidaktisch weiter.
Seine erste weitreichende Erfindung war 1925/26 die millionenfach hergestellte Dreifach-Radioröhre, der erste integrierte Schaltkreis der Elektronik. Er verkaufte seine Rechte dem Fabrikanten SIEGMUND LOEWE, der die Röhre ab 1926 in seine Loewe-Opta-Rundfunkempfänger einbaute.

Forscher und Unternehmer

Aus den Erträgen seiner ersten Erfindungen, aber auch mit Zuwendungen seiner Familie konnte ARDENNE 1928 in Berlin-Lichterfelde ein eigenes Laboratorium für Elektronenphysik einrichten, das sich rasch zu einem Institut ausweitete.
Die Grundlagen der Elektronik und der Funk- und Fernsehtechnik blieben in den folgenden Jahren der Schwerpunkt seines Interesses. Hier entwickelte ARDENNE 1930 den ersten Breitbandverstärker, eine verbesserte braunsche Elektronenstrahlröhre und, darauf aufbauend, einen Fernseh-Leuchtfleckabtaster (flying spot scanner), dessen Arbeitsprinzip noch heute in der elektronischen Technik verwendet wird und der auch den entscheidenden Durchbruch in der Fernsehtechnik bildete: Er konnte die damals genutzte mechanische Bildzerlegung und -zusammensetzung durch die erste vollständig elektronische Fernsehübertragung ablösen. Öffentlich vorstellt wurde diese Art der Fernsehübertragung auf der Deutschen Funkausstellung 1931.

Fernseh-Leuchtfleckabtaster (flying spot scanner), entwickelt von M. VON ARDENNE: Das Gerät ermöglichte im März 1931 erstmals die Übertragung von Filmen im Fersehen.

Fernseh-Leuchtfleckabtaster (flying spot scanner), entwickelt von M. VON ARDENNE: Das Gerät ermöglichte im März 1931 erstmals die Übertragung von Filmen im Fersehen.

1934 gelang ihm die Entwicklung eines elektronenoptischen Bildwandlers, mit dem die optische Wahrnehmung von Infrarotstrahlung und die Verstärkung von Röntgenbildern möglich wurden. In seinem Institut entstand auch das erste Raster-elektronenmikroskop zur Oberflächen- und zur Durchstrahlungsabbildung und 1939/40 das erste Stereo-Elektronenmikroskop. In Anerkennung seiner Leistungen auf dem Gebiet der „Übermikroskopie“ erhielt er 1941 die Silberne Leibniz-Medaille der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
ARDENNE schreibt zu seinen Arbeiten in den dreißiger Jahren in seiner Autobiografie:

„Ich habe nicht nur einmal in der Vorrundfunkzeit die aufregende Phase einer Technik miterlebt. Auf anderen Gebieten durfte ich ebenfalls in ihrem romantischen Stadium gestaltend mitmachen. Unvergeßliche Stunden dieser Art waren es, als es im Lichterfelder Laboratorium am 14. Dezember 1930 zum erstenmal gelang, Fernsehbilder mithilfe selbstentwickelter Elektronenstrahlröhren vom einen Ende des Arbeitszimmers zum anderen zu übertragen; als 1934 mit dem von mir erfundenen elektronenoptischen Bildwandler Sehen bei völliger Finsternis unter Infrarotbestrahlung möglich wurde; als 1938 in dem von mir konzipierten Raster-Elektronenmikroskop die Abbildung von Diatomeen (Kieselalgen - d. A.) mit einzigartiger Tiefenschärfe und guter Auflösung erfolgte, als im Winter 1939/40 mein Elektronen-Stereomikroskop von bisher unbekanten Welten Raumbilder mit höchster Auflösung lieferte ...“

1930 heiratete er DOROTHEA JAHN, die Ehe wurde allerdings 1938 geschieden. Aus seiner zweiten Ehe mit BETTINA BERGENGRUEN gingen die Tochter BEATRICE und die Söhne THOMAS, ALEXANDER und HUBERTUS hervor. Sie führen heute Institute der Unternehmensgruppe VON ARDENNE.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde ARDENNE für seine kriegswichtigen Arbeiten vom Frontdienst freigestellt. Er war u. a. an der Entwicklung der Radartechnik beteiligt. Ab 1940 wandte er sich der angewandten Kernphysik zu und konstruierte um 1943 einen Bandgenerator und ein Zyklotron für Atomversuche sowie einen Massenspektrografen. Noch 1945 wurde er von Reichsminister GÖRING in den Reichsforschungsrat berufen.

Zehn Jahre als Forscher in der Sowjetunion

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nahm ARDENNE das Angebot der Sowjetunion an, dort unter günstigeren Bedingungen zu arbeiten. Tätig war er dort im Bereich der Kernforschung. Das stand im Zusammenhang mit der Entwicklung der ersten Atombomben in der UdSSR. Sein mittlerweile als geringfügig eingestufter Anteil bestand darin, dass er ein Isotopentrennverfahren entwickelte, mit dem man im industriellen Maßstab das waffenfähige Uran-235 aus dem natürlichen Uran gewinnen konnte. Hierfür wurde ihm im kaukasischen Suchumi (heute Hauptstadt der Republik Abchasien innerhalb von Georgien) das Institut für industrielle Isotopentechnik mit besten Bedingungen eingerichtet.

1947 erhielt er den Staatspreis der UdSSR und 1953 den nach eigener Aussage mit 300 000 Rubeln dotierten Stalin-Preis. In der Sowjetunion entstanden u. a. das Duoplasmatron, mit dem man Gase oder Dämpfe in Ionenstrahlen verwandeln konnte, ein magnetischer Isotopentrenner für hohe Massendurchsätze und ein Präzisions-Elektronenstrahloszillograf mit einem Fleckdurchmesser von nur 3 Mikrometern (dreitausendstel Millimetern).

Leiter eines privaten Forschungsinstituts

Nach zehnjährigem Aufenthalt kehrte ARDENNE im März 1955 aus der Sowjetunion zurück. Da er den Verlust seiner umfangreichen Laboreinrichtung befürchtete, ließ er sich in der DDR nieder. Er erwarb im Dresdner Stadtteil „Weißer Hirsch“ ein großes Anwesen und richtete dort erneut ein Institut ein, das als „Forschungsinstitut Manfred von Ardenne“ vorwiegend industrienahe angewandte Forschungen betrieb.

Arbeitsschwerpunkte waren zunächst vor allem die Gebiete der Elektronenphysik, Ionenphysik, Kernphysik und Elektronenmikroskopie, später die Bereiche der medizinischen Elektronik und Physik. Das Institut galt mit seinen bald rund 500 Mitarbeitern als größtes „Privatunternehmen der DDR“ und wurde staatlich großzügig gefördert.

1956 übernahm ARDENNE den Lehrstuhl für elektrotechnische Sonderprobleme der Kerntechnik an der Technischen Universität Dresden. In seinen Arbeitsschwerpunkten sowohl im Institut als auch an der Universität hatte ARDENNE weitgehend freie Hand. Ergebnisse der fünfziger und frühen sechziger Jahre waren u. a. ein Elektronenstrahl-Mehrkammerofen, mit dem sich durch Umschmelzen im Vakuum hochreine Sondermetalle und -stähle herstellen lassen, sowie ein Plasmafeinstrahlbrenner, Grundlage zahlreicher Beschichtungsverfahren.

ARDENNE war in der DDR auch in zahlreichen gesellschaftlichen Funktionen tätig. So war er ab 1957 Mitglied des Forschungsrates der DDR (ab 1979 Ehrenmitglied), ab 1958 Mitglied des DDR-Friedensrates, ab 1961 Vorsitzender der Gesellschaft für Medizinische Elektronik der DDR. 1963 wurde er Mitglied des Präsidialrates des DDR-Kulturbundes. In dieser Eigenschaft gehörte er bis 1989 auch der Volkskammer der DDR an.

Das Ende der DDR und der Wegfall der staatlichen Fördermittel bedeuteten für ARDENNEs Forschungsinstitut zwar nicht das Aus, wohl aber einen scharfen Einschnitt: 270 seiner Mitarbeiter mussten entlassen werden. 1991 wurde das Institut neu gegliedert und in verschiedene Gesellschaften im Familienbesitz aufgeteilt.

Beiträge zur medizinischen Forschung

Durch die Anwendung seiner Erfindungen in der Medizin war ARDENNE schon früher mit der Medizintechnik in Kontakt gekommen (1930 Entwicklung eines Spezialgeräts für die Lungendiagnostik) und wandte sich nun immer mehr der medizinischen Forschung zu. 1958 erfand er den verschluckbaren Intestinalsender (auch Endoradiosonde genannt) zur Registrierung von Druck, Temperatur und pH-Wert im Magen-Darm-Trakt. 1961 wurde er Gründungsvorsitzender der Gesellschaft für Medizinische Elektronik der DDR und richtete in seinem Institut eine kleine Abteilung für biomedizinische Grundlagenforschung ein.

Auf Anregung des Biochemikers und Nobelpreisträgers OTTO H. WARBURG widmete sich ARDENNE ab 1964 ganz der medizinischen Forschung. Erstes Ergebnis seiner Arbeiten war die „Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie“ (SMT), ein relativ einfaches Verfahren, das über eine Steigerung der zellulären Sauerstoffaufnahme (durch Atmen einer mit Sauerstoff angereicherten Luft, Einnahme von Wirkstoffen wie Vitamin B1 und Bewegungstraining) vor Alterung, Herzinfarkt und Hirnschlag schützen soll. Die behauptete Langzeitwirkung ist jedoch bisher nicht bewiesen und wegen der physiologischen Regulationsfähigkeit des menschlichen Organismus wohl auch nicht zu erreichen.
Schulmedizinisch nicht anerkannt sind auch die von ARDENNE entwickelte „Sauerstoff-Mehrschritt-Immunstimulation“, mit der die Leistungsfähigkeit der körpereigenen Krebsabwehr um bis zum Hunderttausendfachen gesteigert werden soll, sowie die systemische „Krebs-Mehrschritt-Therapie“ (sKMT), eine Kombination aus Überwärmung (Hyperthermie) des ganzen Körpers, Erhöhung des Blutzuckerspiegels und Sauerstoffanreicherung des Blutes. Diese Therapie verspricht eine höhere Ansprechrate als die klassische Chemotherapie, die Wirksamkeit ist jedoch klinisch nicht zweifelsfrei erwiesen.

Als nach dem Ende der DDR sein Forschungsinstitut radikal umgebaut wurde, blieb er Geschäftsführer des umorganisierten medizinischen Bereichs. Um die weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu sichern, gründete er eine gemeinnützige Forschungsfördergesellschaft.

Für seine wissenschaftlichen Leistungen ist MANFRED VON ARDENNE mehrfach ausgezeichnet worden. Neben der Leibniz-Medaille und dem Stalin-Preis erhielt er den Nationalpreis der DDR I. Klasse (1958), den Vaterländischen Verdienstorden in Gold (1977), die Richard-Theile-Goldmedaille (1985), die Hamburger Medaille für Kunst und Wissenschaft (1987), den Ehrentitel „Hervorragender Wissenschaftler des Volkes“ (1987), den Ernst-Krokowski-Preis der Gesellschaft für biologische Krebsabwehr (1987), die Diesel-Medaille in Gold (1988), den Friedrich-von-Schiller-Preis (1989) sowie mehrere Ehrendoktorate und die Ehrenbürgerschaft der Stadt Dresden (1989). Inzwischen sind auch mehrere Gymnasium nach ihm benannt.

Sein wissenschaftliches Werk

MANFRED VON ARDENNE war in seinem langen Leben wissenschaftlich und publizistisch außergewöhnlich fruchtbar. Er hat 32 wissenschaftliche Bücher geschrieben (unter anderem „Funk-Ruf-Buch“, 1924; „Verstärkermeßtechnik“, 1929; „Zur Physik der Elektronenstrahlröhren“, 1933; „Elektronen-Übermikroskopie“, 1940; „Tabellen der Elektronenphysik“, 1956; „Tabellen zur Angewandten Physik“ in drei Bänden, 1962, 1964, 1973; „Krebs-Mehrschritt-Therapie“, 1987) und 64 andere wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Ferner schrieb er rund 700 Aufsätze und Beiträge in technischen und wissenschaftlichen Zeitschriften sowie eine Autobiografie („Ein glückliches Leben für Technik und Forschung“, 1972; erweiterte Neuausgaben 1990 unter dem Titel „Die Erinnerungen“ und 1997 als „Erinnerungen“ fortgeschrieben).

MANFRED VON ARDENNE war noch bis in seine letzten Lebensjahre wissenschaftlich aktiv. Hoch geehrt starb er am 26. Mai 1997 in seiner Villa in Dresden.

An jüngere Leser gewandt, schreibt ARDENNE am Ende seiner 1987 erschienenen Autobiografie:

„... Entwickelt bei allen Dingen des Lebens einen unversiegbaren Optimismus ... Habt stets eine heitere Einstellung zum Leben und seinen Zwischenfällen! Sorgt für Harmonie in den engeren Lebensbezirken! ...
Verträumt nicht euer Leben, sondern gestaltet und erlebt eure Träume! Sucht euch große Vorbilder, studiert ihr Leben und versucht ihnen nachzueifern! ... Vergeßt nie, daß wegen der großen Aufnahmefähigkeit des jugendlichen Gehirns die Freizeit im jugendlichen Alter sehr viel kostbarer ist als im späteren Leben! Verschwendet eure Zeit nicht, sondern verwendet sie zum Lernen! Nutzt sie zum Lesen guter, belehrender und bildender Bücher, zum Anhören von Fachvorträgen, zum Basteln oder zum Experimentieren, wo sich nur Gelegenheit dazu ergibt. ... Verfolgt mit hartnäckigem Fleiß und zäher Ausdauer das einmal gesteckte Ziel, bis ihr es erreicht habt. ...“

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