Willy Brandt

Kindheit und Jugend

WILLY BRANDT wurde am 18. Dezember 1913 in Lübeck geboren. Die Kindheit verbrachte WILLY BRANDT, eigentlich HERBERT ERNST KARL FRAHM, bei seinem Großvater. Seine Mutter, MARTHA FRAHM, arbeitete als Verkäuferin und konnte sich um ihren Sohn nicht kümmern. Den Vater, JOHN MÖLLER, lernte WILLY BRANDT nicht kennen.
Nach aktiver Mitarbeit in der Sozialistischen Arbeiterjugend wurde er 1930 Mitglied der SPD. 1931 trat er zur SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) über, einer Linksabspaltung der SPD.
Nach dem Abitur und einem Volontariat musste er vor nationalsozialistischer Verfolgung aus Deutschland ins Exil fliehen.

Die Jahre im Exil

Über Dänemark gelangte er nach Norwegen, wo er den Namen WILLY BRANDT annahm. In Oslo studierte er Geschichte und 1936 reorganisierte er in Berlin, getarnt als norwegischer Student, die Untergrundgruppe der SAP.
Als politischer Beobachter und Journalist berichtete er 1937 auf Seiten der Republikaner über den Spanischen Bürgerkrieg.
Wieder in Oslo, inzwischen war BRANDT durch die Nazis ausgebürgert, d. h. staatenlos, wurde am 10. April 1940 Norwegen von den Truppen der deutschen Wehrmacht überfallen. Auch jetzt musste BRANDT fliehen. Sein französischer Freund, PAUL GAUGUIN, ein Enkel des berühmten Malers, verschaffte ihm eine norwegische Uniform. Unerkannt geriet BRANDT so in deutsche Kriegsgefangenschaft. Bereits im Juni 1940 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen und flüchtete im August in das neutrale Schweden. Nachdem er die norwegische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, kehrte er im Winter 1940/41 illegal nach Norwegen zurück. Er schloss sich dem norwegischen Widerstand an. 1941 heiratete er die Norwegerin CARLOTA THORKIDSEN, mit der er Tochter NINJA hat.
Von 1942 bis 1945 war BRANDT in der „Kleinen Internationale“ tätig, nachdem er wieder in die SPD eingetreten war.
1945/46 berichtete er als Korrespondent skandinavischer Zeitungen über den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. 1947 wurde BRANDT zum Presseattaché der norwegischen Militärmission in Berlin ernannt.

Jahre des Aufbaus

WILLY BRANDT hatte 1948 die deutsche Staatsbürgerschaft wieder erhalten. Nach seiner Scheidung von CARLOTA heiratete er in diesem Jahr die Norwegerin RUT HANSEN. Aus dieser Ehe gingen die Kinder PETER (1948), LARS (1951) und MATHIAS (1961) hervor. Sein Pseudonym „Brandt“ führte er nun als amtlichen Namen weiter.
Während der Berlin-Blockade arbeitete er besonders eng mit dem Regierenden Bürgermeister ERNST REUTER zusammen.

  • Von 1949 bis 1957 war er Mitglied des Deutschen Bundestages,
  • von 1955 bis 1957 Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses und
  • von 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister von West-Berlin.
  • Während dieser Amtszeit war er von 1957 bis 1958 Vorsitzender des Bundesrates.

Im Jahre 1958 wurde BRANDT sowohl Landesvorsitzender der Berliner SPD als auch Mitglied des Bundesvorstands der SPD. Im westlichen Ausland gewann er aufgrund seiner Politik große Sympathien. In ihm wurde vor allem mit dem Ausbruch der Berlin-Krise 1961 ein „standfester Vorkämpfer demokratischer Freiheit“ gesehen.
1961 wurde er von der SPD als Kanzlerkandidat gegen KONRAD ADENAUER aufgestellt.
Stark beeindruckt wurde BRANDT durch die Politik des 35. US-Präsidenten JOHN F. KENNEDY. Seine Eindrücke und Bewunderung beschrieb er später in seinem Buch „Begegnungen mit Kennedy“.

Wandel durch Annäherung

Die zunehmende Verständigungsbereitschaft KENNEDYs und die Respektierung der Interessensphären der Supermächte auf der Basis des Status quo wurden von BRANDT unterstützt. Seine Unterstützung der neuen Politik des amerikanischen Präsidenten band aber die Forderung mit ein, „dass sich die Amerikaner nicht schrittweise aus Berlin vertreiben lassen“. So forderte BRANDT mit einem Schreiben vom 16. August 1961 KENNEDY auf, politische Initiative zu ergreifen gegen den Mauerbau. Er schlug dem Präsidenten vor, die Vereinten Nationen anzurufen und die Proklamation eines zusätzlichen „Drei-Mächte-Status“ für West-Berlin mit dem Ziel, die Freiheit und Lebensfähigkeit der Stadt zu garantieren.
Im Juni 1963 besuchte der amerikanische Präsident den Regierenden Bürgermeister BRANDT. Er teilte die Politik BRANDTs und bekundete seine Unterstützung für die geteilte Stadt mit seinem legendären Bekenntnis: „Ich bin ein Berliner“.

Seit 1961 verband BRANDT eine enge Zusammenarbeit mit EGON BAHR, dem Leiter des Berliner Presse- und Informationsamtes. Mit ihm entwickelte BRANDT von 1961 bis 1963 seine außenpolitischen Leitgedanken, die später die Grundlage für seine Neue Ostpolitik bildeten. Unter den Titeln „Politik der kleinen Schritte“ und „Wandel durch Annäherung“ veröffentlichte er diese Ideen. Erste Ergebnisse erzielte seine Politik der kleinen Schritte, als der Berliner Senat mit der DDR-Regierung am 18. Dezember 1963 das so genannte Passierscheinabkommen unterzeichnete. Damit konnten – zeitlich begrenzt – die Westberliner Besuche im Ostteil wahrnehmen. Diese Vergünstigung konnte später auch den anderen Bürgern der Bundesrepublik zugute kommen.

Von 1964 bis 1987 war BRANDT Parteivorsitzender der SPD und von 1965 bis 1992 wieder Mitglied des Deutschen Bundestages. Wiederum kandidierte er 1965 gegen LUDWIG ERHARD als Kanzlerkandidat. Zum Bundeskanzler gewählt wurde KURT GEORG KIESINGER (CDU).
BRANDT amtierte in der Großen Koalition von 1966 bis 1969 als Bundesminister des Auswärtigen und war Vizekanzler. In dieser Zeit fanden vor allem seine Bemühungen um normale Beziehungen zu den Ostblockländern Anerkennung. Er lehnte die Hallstein-Doktrin ab und setzte sich für diplomatische Beziehungen mit Rumänien und Jugoslawien ein. In Polen, der Tschechoslowakei und in Ungarn wurden Handelsvertretungen eingerichtet. Größte internationale Anerkennung erfuhr er durch seine strikte Absage an Gewalt und Drohung als Mittel der Politik, die er auf der Genfer Konferenz der nichtnuklearen Mächte am 3. September 1968 und der UNESCO-Generalkonferenz am 6. November 1968 in Paris unterstrich.

Der Bundeskanzler WILLY BRANDT

Im Ergebnis der Bundestagswahl 1969 schlossen SPD und FDP eine sozialliberale Koalition, in der BRANDT Bundeskanzler und WALTER SCHEEL Vizekanzler und Außenminister waren. Das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen wurde in das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen umgewandelt.
In seiner Regierungserklärung hatte BRANDT darauf hingewiesen, dass zwei deutsche Staaten existieren, die „füreinander aber nicht Ausland seien“. In dieser Regierungserklärung setzte sich BRANDT vor allem folgende Ziele:

  • den Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates,
  • die Verbesserung der Lebenssituation der Arbeitnehmer,
  • die Aussöhnung mit Polen, der UdSSR und der Tschechoslowakei und
  • das Knüpfen von offiziellen Kontakten mit der DDR.

Am 19. März 1970 kam es in Erfurt zu dem Treffen mit dem DDR-Ministerratsvorsitzenden WILLI STOPH und am 21. Mai gleichen Jahres zu einem Treffen der beiden in Kassel. BRANDTs neue Ostpolitik setzte sich fort mit der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages am 12. August 1970 und der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages zur Normalisierung wechselseitiger Beziehungen am 7. Dezember 1970. In den Verträgen verzichtete die Bundesrepublik Deutschland auf den Alleinvertretungsanspruch und erkannte die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens an.

Unvergessen bleibt die Kranzniederlegung am Mahnmal für die Toten des jüdischen Gettoaufstandes, als BRANDT für eine Gedenkminute niederkniete.
In dieser um die Welt gehenden Geste kam die Absicht der Bitte um Versöhnung zum Ausdruck, die im polnischen Volk mit großer Anteilnahme aufgenommen und gewürdigt wurde.
Für seine Entspannungs- und Ostpolitik erhielt BRANDT am 10. Dezember 1971 den Friedensnobelpreis.

Trotz hoher internationaler Würdigung blieb im Deutschen Bundestag die neue Ostpolitik Gegenstand massiver Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition. Das konstruktive Misstrauensvotum der CDU/CSU gegen BRANDT vom 27. April 1972 scheiterte allerdings im Bundestag.
Bei den Bundestagswahlen am 19. November 1972 erhielt die SPD erstmals die Mehrheit der Bundestagssitze (45,8 %). BRANDT blieb Bundeskanzler einer SPD/FDP-Koalition.

Am 21. Dezember 1972 wurde in Ost-Berlin der Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der BRD unterzeichnet. Sein wesentlicher Zweck und Inhalt erschließt sich schon aus seinem vollständigen Namen: „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“. In ihm erkannten sich die beiden deutschen Staaten gegenseitig als unterschiedliche Staaten an. Sie verpflichteten sich, auf der Grundlage ihrer Gleichberechtigung, gutnachbarliche und normale Beziehungen zueinander aufzubauen und zu pflegen. Diese Beziehungen sollten sich an den Prinzipien ausrichten, die in der Charta der Vereinten Nationen (UNO) festgelegt sind. Das hieß zum Beispiel, dass man gegenseitig auf die Androhung von Gewalt verzichten wollte, eine Formulierung, die sich ähnlich auch in den anderen Anfang der 1970er-Jahre geschlossenen Ostverträgen befand.

Als erster deutscher Bundeskanzler reiste BRANDT am 7. Juni 1973 nach Israel. Am 26. September 1973 sprach er vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York und am 11. Dezember 1973 unterzeichnete er mit der Tschechoslowakei den Vertrag über die Normalisierung wechselseitiger Beziehungen.
Aufgrund der Agentenaffäre um den DDR-Spion GÜNTER GUILLAUME (Guillaume-Affäre) trat BRANDT am 6. Mai 1974 als Kanzler zurück. Er blieb aber SPD-Vorsitzender.
In seinem Rücktrittsschreiben erklärte er, dass er die Verantwortung „für Fahrlässigkeiten“ im Zusammenhang mit der Guillaume-Affäre übernehme und betonte, dass ein Kanzler nicht erpressbar sein dürfe.

Arbeit und Wirken nach dem Rücktritt

Nach dem Rücktritt blieb die Arbeit WILLY BRANDTs nicht auf Deutschland beschränkt. Er war nicht erst als Präsident (1976) der Sozialistischen Internationale (SI) zum Berater für Spanien, Portugal und verschiedene Länder Lateinamerikas auf ihrem Weg zur Demokratie geworden.
Weitere Ereignisse, Funktionen und Aktivitäten seien als Stichpunkte genannt:

1977BRANDT wird Vorsitzender der „Unabhängigen Kommission für internationale Entwicklungsfragen“, der so genannten Nord-Süd-Kommission.
Im Februar 1980 wird der Bericht „Das Leben sichern“ dieser Kommission in New York präsentiert. Das als Brandt-Bericht bekannt gewordene Abschlussdokument lieferte wichtige Beiträge zur Entwicklung des Konzeptes einer Global Governance. Auch der Bericht aus dem Jahre 1983 mit dem Titel „Hilfe in der Weltkrise“ widmete sich diesen Fragen. Die internationale Diskussion zur Globalpolitik setzte dann mit dem Bericht der Commission on Globale Governance „Nachbarn in Einer Welt“ im Jahre 1995 ein.
1978Als SI-Präsident (1976–1992) unterstützt er gemeinsam mit dem österreichischen Bundeskanzler BRUNO KREISKY die Lösung des Nahostkonflikts mit einem Friedensplan. Dieser Plan stellte einen Vermittlungsversuch zwischen dem israelischen Sicherheitsbedürfnis und den seitens der arabischen Länder von Israel geforderten Territorialzugeständnissen dar.
1979BRANDT nimmt am Gespräch zwischen KREISKY und dem PLO-Führer JASIR ARAFAT zur Lösung des Nahostkonflikts teil.
1979–
1983
BRANDT wird Mitglied des Europäischen Parlaments.
1981BRANDT trifft mit dem sowjetischen Partei- und Regierungschef LEONID BRESHNEW zusammen und erörtert Fragen der Rüstungskontrolle.
1983Nach seiner Scheidung von RUT HANSEN (1980) heiratet BRANDT seine langjährige Sekretärin BRIGITTE SEEBACHER
1984Auszeichnung mit dem Dritte-Welt-Preis in New York
1985Auszeichnung mit dem Albert-Einstein-Friedenspreis in Washington. Im gleichen Jahr trifft er erstmals mit MICHAIL GORBATSCHOW zusammen.
1986BRANDT gründet die Stiftung Entwicklung und Frieden“. Die überparteiliche und gemeinnützige Stiftung plädiert für eine politische Neuordnung in einer Welt, die zunehmend von wirtschaftlicher und technologischer Globalisierung geprägt ist und in der ein Verlust demokratisch fundierter Politik droht. Die Arbeit der Stiftung beruht auf drei Prinzipien: globale Verantwortung, interdisziplinäre Sicht und überparteilicher Dialog.
1987Wegen innerparteilicher Auseinandersetzungen tritt BRANDT nach 23-jähriger Amtszeit als Vorsitzender der SPD zurück. Er wird zum Ehrenvorsitzenden der SPD gewählt.
1989In der Nacht vom 9 zum 10. November kann BRANDT 76-jährig miterleben wie eines seiner wichtigsten Ziele verwirklicht wird: der Fall der Berliner Mauer. Am 10. November hält BRANDT auf einer Freudenkundgebung vor dem Schöneberger Rathaus eine Rede:
... „Die Zusammengehörigkeit der Berliner und der Deutschen überhaupt manifestiert sich auf eine bewegende, auf eine uns aufwühlende Weise, am bewegendsten dort, wo getrennte Familien endlich wieder ganz unverhofft und tränenvoll zusammenfinden. Mich hat auch das Bild angerührt von dem Polizisten auf unserer Seite, der rübergeht zu seinem Kollegen und sagt: Jetzt haben wir uns so viele Wochen vielleicht Monate auf Abstand gesehen, ich möchte Ihnen einmal die Hand geben. Das ist die richtige Art, sich dem jetzt anstehenden zu nähern: einander die Hand zu reichen, nachtragend nur dort zu sein, wo es unbedingt sein muss. Und, wo immer es geht, Bitterkeit zu überwinden. Das habe ich auch heute mittag am Brandenburger Tor gespürt.“
1990BRANDT eröffnet am 20. Dezember als Alterspräsident im Berliner Reichstagsgebäude die Sitzung des ersten gesamtdeutschen Bundestages. Hier fällt der bekannte Satz: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“.
1991Der Bundestag spricht sich auf Antrag BRANDTs am 20. Juni mit 338 zu 320 Stimmen für Berlin als neuen Regierungssitz aus.
1992Am 8. Oktober stirbt WILLY BRANDT im Alter von 78 Jahren in Unkel am Rhein an Krebs. Im Berliner Reichstagsgebäude wird er mit einem feierlichen Staatsakt geehrt und anschließend auf dem Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf beigesetzt.

 

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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