Der Prozess der Demokratisierung Südafrikas
Die ersten Schritte zur Abschaffung der Apartheid und zum Aufbau eines demokratischen Südafrika wurden 1990 unternommen, als sich die regierende National Party (NP) unter großem innenpolitischen und internationalen Druck erstmals bereit erklärte, Gespräche mit dem African National Congress (ANC) zu führen. Diese Verhandlungen ebneten den Weg zu freien und gleichen Wahlen und zu einer neuen Verfassung, die am 4. Februar 1997 in Kraft trat.
Erste Schritte
Im Mai und August 1990 saßen sich erstmals Regierungsvertreter der National Party (NP) und Delegierte des African National Congress (ANC) gleichberechtigt gegenüber, um in Sondierungsgesprächen die Möglichkeiten zur friedlichen Demokratisierung Südafrikas auszuloten. Diese Verhandlungen führen zu folgenden Zugeständnissen der Apartheid-Regierung:
- Freilassung der politischen Gefangenen
- Rückkehrrecht für ins Exil geflohene Südafrikaner
- Aufhebung der Apartheid-Gesetze
Der ANC erklärte sich im Gegenzug zum Gewaltverzicht bereit.
Die CODESA
Damit waren die Voraussetzungen für die Mehrparteien-Verhandlungen gegeben, an denen neben der National Party und dem ANC auch die Inkatha-Freiheitsbewegung, die Democratic Party (DP) und die zehn Homelandvertreter teilnahmen. In diesen – unter dem Kürzel CODESA CODESA I und II (Convention for a democratic South Africa) bekannten – Verhandlungen einigten sich die Teilnehmer auf
- die Einführung staatlicher Gewaltenteilung (Legislative, Judikative und Exekutive) und
- den Aufbau eines föderalen Staatswesens mit neun Provinzen.
Der ANC zog seine Forderung nach der Verstaatlichung der Industrie zurück. Die CODESA-Beschlüsse fanden Eingang in die Ende 1993 verabschiedete provisorische Verfassung.
Die Abschaffung der Apartheid: Rückschläge und Fortschritte
Trotz diese Fortschritte wurde der Demokratisierungsprozess weiterhin von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen und Weißen, aber auch zwischen konkurrierenden schwarzen Gruppierungen überschattet. In der schwarzen Bevölkerung wuchs die Enttäuschung über das Ausbleiben politischer und sozialer Reformen.
Im April 1993 ermordeten rechtsextremistische Weiße CHRIS HANI, den populären Generalsekretär der kommunistischen Partei Südafrikas, vor seinem Haus.
Freie und gleiche Wahlen
Um einer weiteren Zuspitzung der Situation vorzubeugen, fiel die Entscheidung, möglichst bald freie und gleiche Wahlen abzuhalten. Der Wahltermin wurde auf den 27. April 1994 gelegt.
Zwei neue Behörden – der Transitional Executive Council (TEC), in dem nichts ohne den ANC beschlossen werden durfte, und die Independent Electoral Commission (IEC) – wurden geschaffen.
- Die eine Behörde sollte während der Übergangsphase die Regierungsgeschäfte leiten,
- die andere binnen vier Monaten den Wahlprozess (von der Registrierung der Parteien über die Durchführung der Wahlen bis hin zur Auszählung und der Entscheidung, ob ein freier und fairer Verlauf vorlag) organisieren.
Entgegen der im Vorfeld gehegten Befürchtungen verliefen die Wahlen ohne nennenswerte gewalttätige Zwischenfälle. Der ANC errang mit 62,7 % die Stimmenmehrheit, gefolgt von der NP mit knapp 20 % und der Inkatha mit knapp 10 %.
Im neuen südafrikanischen Parlament tagen 350 nach dem Verhältniswahlrecht gewählte Abgeordnete. Der Senat wurde durch einen, dem deutschen Bundesrat nachgebildeten Nationalrat der Provinzen ersetzt. Die Mehrheitspartei stellt die Regierung; die Wahl des Präsidenten erfolgt durch das Parlament. Zum ersten Präsidenten des demokratischen Südafrika wurde am 10. Mai 1994 NELSON MANDELA gewählt.
Verfassungsdiskussion: strittige Punkte
Nach der Regierungsbildung bestand die Hauptaufgabe in der Ausarbeitung einer endgültigen Verfassung, die innerhalb von zwei Jahren beschlossen werden sollte. Bis zum Schluss der Verfassungsdiskussion blieben drei Punkte strittig:
- die Aufnahme eines Passus, der den Schutz des Eigentums garantiert:
Dafür votierte die National Party, während der ANC darin ein Hindernis für die geplante Landreform sah. Letztlich einigten sich die Parteien auf eine Formulierung, die bestehendes Grundeigentum schützt, aber dem Staat die Möglichkeit einräumt, eine Landreform durchzuführen. - das Recht auf Aussperrung bei Streiks:
Hier konnte sich der ANC mit seiner gewerkschaftsfreundlichen Position durchsetzen, sodass es kein in der südafrikanischen Verfassung verbrieftes Recht der Unternehmer gibt, streikende Arbeiter auszusperren. - Unterricht in Afrikaans:
Die National Party scheiterte mit ihrem Anliegen, Schulen das Recht einzuräumen, ihren Unterricht ausschließlich in Afrikaans – der dem Niederländischen entsprungenen Sprache der Buren - abzuhalten.
Die neue Verfassung wurde am 10. Dezember 1996, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, von NELSON MANDELA in Sharpeville unterzeichnet, wo 36 Jahre zuvor der Protestmarsch gegen die Passgesetze brutal niedergeschlagen worden und der Befreiungskampf in seine entscheidende Phase getreten war. Sie trat am 4. Februar 1997 in Kraft.
Im ganzen Land wurden Millionen von Exemplaren der neuen Verfassung verteilt, auch als Comic, um auch die zahlreichen Analphabeten zu informieren.