Begriff Grafik
Der Begriff Grafik umfasst im weitesten Sinne zunächst alle künstlerisch technischen Vorgänge, bei denen mithilfe grafischer Gestaltungsmittel künstlerisch gestaltete Blätter entstehen. Grafik ist eine Gattung der bildenden Kunst. Die Teilgebiete der Grafik sind Handzeichnung und Druckgrafik.
Handzeichnung
Als Handzeichnung bezeichnet man die grafische Gestaltung auf der Fläche durch Linien, Schraffuren u. a. Das Wort „Hand“ im Begriff „Handzeichnung“ verweist eindeutig auf Charakter und Entstehung, denn die Hand führt beim Zeichnen den Stift übers Papier, gesteuert von Auge und Hirn.
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Albrecht Dürer - © 2003 The Yorck Project
Die künstlerische Zeichnung kann
- als vorbereitende Arbeit (Studie, Skizze, Entwurf, Vorzeichnung) im Dienst der anderen Kunstgattungen stehen oder
- ein um seiner selbst willen geschaffenes Kunstwerk sein.
Die Zeichnung versteht sich in vielen Perioden der Kunstgeschichte als unmittelbare Formulierung dessen, was der Künstler wahrnimmt oder sich vorstellt; ihr spezifisches Kriterium ist dann die Spontaneität. Als knappe Verkürzung auf das Wesentliche kann sich ihre Aussage zur Chiffre verdichten. Durch Reduktion der Form mitunter bis zum Andeuten einiger weniger Striche ist der Zeichnung das Fragmentarische eigen. Wie bei der Handschrift spielt die Individualität des Duktus eine große Rolle.
Die Handzeichnung bedient sich „einfacher“ Mittel und ist leicht handhabbar: Der Bildträger ist gewöhnlich Papier und das Zeichenmaterial der Stift.
Der Mensch ist direkt beteiligt an der Entstehung der Zeichnung, nämlich als „Handwerker“. Anders als bei programmierten Systemen oder gesteuerten Maschinen ist das „Handzeichnen“ eine unmittelbare, ja persönliche, zuweilen sogar intime Tätigkeit.
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Albrecht Dürer - © 2003 The Yorck Project
Die Linie
Die Dominanz in der Handzeichnung besitzt die Linie. Ihre Spur auf dem Zeichengrund umreißt Silhouetten und Konturen des Darzustellenden, sie schafft Abgrenzungen, teilt Flächen, verdichtet sich zu Flecken, Kringeln und Ornamenten. Der Charakter der Linie – dünn oder stark, kurz oder lang, gerade oder schwingend – bestimmt wesentlich den Charakter der Aussage und unterstützt den emotionalen Eindruck, den eine Handzeichnung beim Betrachter hinterlassen kann. Gerade der sparsame und konzentrierte Einsatz von Linien im Beschreiben eines Sachverhaltes, eines Motivs, zeugt von einem hohen Abstraktionsvermögen des Zeichners. Auch oder gerade beim Zeichnen ist es durchaus als eine hohe künstlerische Leistung zu bewerten, mit wenigen Mitteln Wesentliches zu notieren. Die Arbeiten bedeutender Künstler wie die von HENRI MATISSE (1869–1954), GUSTAV KLIMT (1867–1918) und EGON SCHIELE (1890–1918) bezeugen die Ausdruckskraft und die Faszination sparsamer linearer Zeichnungen.
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Egon Schiele - © 2003 The Yorck Project
Weitere Gestaltungsmittel
Die Zeichenkunst ist reich an weiteren vielfältigen Gestaltungsmitteln. Schraffuren, Flecken und Punkte, gewischte Flächen und Korrekturspuren steigern sich in ihrem Zusammenspiel über nuancenreiche Grautönungen bis hin zum tiefen Schwarz. Sie können vom Zeichner beabsichtigte Raumillusionen auf der zweidimensionalen Fläche erzeugen, stützen und wesentlich mitgestalten. Zur Intensivierung der Aussage einer Zeichnung verwenden viele Künstler auch farbige Kreiden, Buntstifte, Aquarellfarben oder Tuschen, sogar Papiere werden eingeklebt (collagieren – Collage). Keineswegs sind also die Zeichenmaterialien auf Bleistifte reduziert.
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© 2003 The Yorck Project
Zeichengründe sind oft Papiere in verschiedenen Qualitäten und Farbnuancen, Leinen und andere Materialien. Man spricht dann in Weiterführung der klassischen Kohle- oder Bleistiftzeichnungen von Mischtechniken. Den Kombinationsmöglichkeiten der Mittel sind keine Grenzen gesetzt, die Übergänge zur Malerei sind oft fließend.
Druckgrafik
Der Begriff Grafik im engeren Sinne wird oft synonym mit dem Begriff Druckgrafik verwendet und meint im Gegensatz zur Handzeichnung die in drucktechnischen Verfahren entstandenen und vervielfältigten Bildwerke. Die Druckgrafik kann in Gebrauchsgrafik und Künstlergrafik unterschieden werden. Für die bildende Kunst ist nur die Künstlergrafik interessant.
Originalgrafik
Diese Originalgrafiken sind eigenständig entstandene Kunstwerke und nutzen lediglich die grafischen Drucktechniken und den Vorgang des Druckens zur Erreichung eines bestimmten künstlerischen Ausdrucks.
Während in der Malerei und in der Plastik die einmalig geschaffenen Kunstwerke als Original bezeichnet werden, stellt sich im Bereich der Grafik die Frage nach dem Original anders. Die Einmaligkeit besteht hier in der Ausarbeitung einer eigenständigen künstlerischen Idee, die nur mithilfe drucktechnischer Verfahren umgesetzt werden kann. Als Original-Druckgrafiken gelten deshalb alle Werke, deren Druckform bzw. Druckvorlage vom Künstler selbst geschaffen wurde. Jedes Blatt muss die Signatur des Künstlers tragen. Die Gesamtauflage und Seriennummer sind mit Bleistift notiert.
Am Beginn der Druckgrafik in der Zeit der Renaissance schuf der Künstler oft lediglich die künstlerische Idee als „entwerfender Künstler“, der „ausführende Künstler“ schnitt diese ins Holz bzw. stach sie ins Metall. So schuf ALBRECHT DÜRER für seine ersten Holzschnitte nur die Zeichnungen, die ein anderer dann ins Holz schnitt. Seine Kupferstiche und Radierungen führte er jedoch selbst aus sowohl in der zeichnerischen Vorlage als auch in der drucktechnischen Umsetzung.
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Albrecht Dürer - © 2003 The Yorck Project
Auch PAUL CÉZANNE schuf seine Grafiken selbst als „entwerfender Künstler“ und „ausführende Künstler“.
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Paul Cézanne - © 2003 The Yorck Project
Frühe Formen der Vervielfältigung
Ausgehend vom Wesen des Druckvorgangs unterscheiden sich die Vorgänge vor allem in
- den verwendeten Materialien für die Druckform,
- den Bedruckstoff und
- die Verwendung bzw. Nichtverwendung von Farbe.
Die ältesten Funde, die einem Druckvorgang zugerechnet werden können, sind die Handabdrücke aus steinzeitlichen Höhlen (Höhle von Gargas – 25 000 Jahre alt, Höhle in Pech Merle – 20 000 Jahre alt, Frankreich). Hier wurden die Hände direkt eingefärbt und abgedruckt, oder sie wurden mithilfe von Knochenröhrchen mit Farbe umsprüht, sodass ein Negativbild entsteht. In der Höhle von Gargas finden sich über 150 Handabdrücke. Sie werden als mystische Zeichen der Besitzergreifung des Ortes gedeutet.
Die wahrscheinlich ältesten speziell hergestellten Druckformen waren in Steine geschnittene Ornamente und bildhafte Zeichen, die als
- Amulettsteine,
- Stempelsteine oder
- Rollsiegel
gearbeitet wurden. Aus dem 4. Jahrtausend vor Christus stammen die ältesten Funde von Stempelsteinen. Die Bildformen wurden positiv eingeschnitten (die aufgezeichnete Linie oder Form wird aus dem Material herausgeholt) und erzeugen beim Eindrücken in weiches Tonmaterial einen Negativabdruck. Der Abdruck hatte neben seiner kultischen und magischen Bedeutung vor allem die Funktion der Besitzanzeige von privatem Eigentum. Die ursprünglich nur als Bildform existierenden Siegel entwickelten sich mit der Schrift zu einer Form, die beides in sich vereinte.
In den Jahrhunderten nach Christi Geburt veränderte sich die Ringform des Siegels zu einer kleinen Metallplatte, die von Goldschmieden aus Bronze, Messing, Silber, Eisen oder aus Mineralien hergestellt wurde. Diese Platten hatten zum Teil ein Relief bis zu fünf Millimeter Tiefe und konnten mittels einer Druckvorrichtung vervielfältigt werden.
Die Münzpressung ist eine Vervielfältigungsart mithilfe von Metalldruckformen. Von besonderer Bedeutung war die Gleichartigkeit der Abdrücke und die schon seitenverkehrte Ausarbeitung des Entwurfs. In allen diesen Druckvorgängen entstanden zunächst plastische, reliefartige Abformungen.
Steinabreibung
Das aus China stammende Verfahren der Steinabreibung ist das wahrscheinlich erste farbverwendende Druckverfahren, welches den Bedruckstoff Papier benutzte. Ähnlich wie die Farbübertragung von Tontafeln auf Seide erfolgte, wurde vermutlich dieses Verfahren in der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) entwickelt.
In eine Steinplatte wurde die Zeichnung als Relief herausgearbeitet. Das angefeuchtete und präparierte Papier wurde mit verschiedenen Hilfsmitteln, z. B. harten Pinseln, solange in das Relief gedrückt, bis es genau die eingeschnittenen Formen wiedergab. Das getrocknete Papier wird auf der Rückseite auf den hervortretenden Teilen mit Farbe überzogen und macht so die geschnittenen Formen sichtbar. Der Vorteil des Verfahrens lag vor allem darin, dass es keine Seitenverkehrung gab. Mithilfe des Steinabriebs konnten bildhafte und schriftliche Informationen in größeren Mengen ohne Inhaltsverlust oder Verfälschungen verbreitet werden. Bis in das 6. Jh. war das Abreiben von Bildern und Texten ein geläufiges Druckverfahren. So wurden später auch die Porträts von hohen Staatsbeamten in Stein geschnitten und durch das Abriebverfahren verbreitet.
Drucktechniken
Allen Drucktechniken ist gemeinsam, dass das Bild spiegelverkehrt in die Druckstöcke eingearbeitet wird. Die klassischen Techniken werden seit ihrer Entstehung bereits miteinander vermischt, kombiniert.
- Beim Hochdruck schneidet man die nicht zu druckenden Flächen aus dem Druckstock heraus. Es werden nur erhabene Linien und Flächen gedruckt.
- Beim Tiefdruck drucken alle Vertiefungen in einem Druckstock. In diese wird Farbe eingebracht, indem man die Platte einschwärzt und dann die glatten Flächen säubert (MARY CASSATT: Unter dem Kastanienbaum).
- Beim Flachdruck liegen zu druckende und nicht zu druckende Teile auf einer Ebene.
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Mary Cassatt - © 2003 The Yorck Project