Angewandte Verhaltensforschung

Beim menschlichen Umgang mit Tieren gibt es viele Bereiche, wo die Kenntnis des Verhaltens notwendig ist, wenn es um die Lösung von bestehenden konkreten Problemen geht. Solche Bereiche sind z. B.

  • die Schädlingsbekämpfung,

  • der Umgang mit Haus- und Nutztieren: Auswahl der Nutztiere, Vorbereitung (Dressur) auf die Funktion für den Menschen, Produktion (Reproduktion, Wachstum),
  • der Umgang mit Wildtieren (jagen, fotografieren, filmen, Zootierhaltung; Erhaltung und kontrollierte Nutzung von Wildtierpopulationen; Erhaltung und Retten bedrohter Arten (sowohl in freier Wildbahn als auch in Gefangenschaft züchten und anschließend auswildern),
  • der Tierschutz (bei Tierhaltung, Tierproduktion und im Zoo),
  • Untersuchungen, die zum besseren Verständnis menschlichen Verhaltens führen.

Viele Tiere sind gefährliche Parasiten des Menschen oder aber schädigen seine begrenzten Ressourcen. Will der Mensch sich dieser Tiere entledigen, muss er ihre Gewohnheiten, ihre Bevorzugungen oder ihre Aversionen – ihr Verhalten – kennen.

Erfolgreiche Schädlingsbekämpfung wurde an der Dasselfliege (Cochliomyia hominivorax) ausgeübt:
Die Weibchen haben auf amerikanischen Rinderfarmen großen Schaden verursacht, indem sie ihre Eier in das Fell der Rinder ablegen und die schlüpfenden Maden sich durch die Haut in das Fleisch des Rindes bohren, dadurch werden die Tiere geschädigt und der Wert des aus der Haut hergestellten Leders gemindert. Da die Weibchen sich nur ein einziges Mal paaren, setzte man in dem Habitat der Weibchen massenhaft sterile Männchen aus, die man im Labor züchtete und dann mit Röntgenstrahlen zwar steril, aber nicht begattungsunfähig machte. Die begatteten Weibchen wurden ebenfalls unfruchtbar, und die Dasselfliegenplage wurde auf diese Weise erfolgreich eingeschränkt.

Wenn es um Maßnahmen zum Erhalten und Retten bedrohter Arten geht, so sind die Maßnahmen am erfolgreichsten, die bei gefährdeten Arten direkt im Freiland ansetzen. Die Ausbürgerung von in Gefangenschaft gezüchteten Tieren dagegen stößt auf vielerlei „hausgemachte“ Probleme (wie z. B. eine sexuelle Prägung auf den menschlichen Pfleger, die Fremdheit der neuen Umgebung, mangelnde Feinderkennung, fehlende Erfahrung bezüglich Nistplatzwahl oder Nahrungssuche oder aber die zu große Zahmheit Menschen und Raubtieren gegenüber), die den Erfolg nicht selten verhindern.

Bei Raubvögeln kommt es häufig vor, dass regelmäßig zwei Eier gelegt, aber nur ein Junges aufgezogen wird. Das zuerst geschlüpfte Junge tötet das zweitgeborene Geschwister, indem es das Ei zerstört. Die Eltern dulden dieses Verhalten, ohne einzugreifen. Sind die Nahrungsbedingungen günstig, wären die Eltern jedoch in der Lage, beide Junge aufzuziehen. Durch intensive Beobachtungen konnte man feststellen, dass die Aggression des Jungen nur direkt nach dem Schlüpfen sehr stark ist und mit der Zeit nachlässt. Diese Beobachtung machten sich Verhaltensforscher zunutze, die Aufzuchtrate des Schreiadlers (Aquila pomarina) zu verdoppeln, indem man das schwächere Küken aus dem Nest nahm, es anderen Raubvögeln unterschob und später, als man die Attacke des Geschwisterküken ausschließen konnte, den Eltern wieder ins Nest gesetzt hat.

HANS HASS (geb. 1919) und IRENÄUS EIBL-EIBESFELDT (geb. 1928) begründeten Ende der 60er Jahre des 20. Jh. die Humanethologie, indem sie die Methoden der objektiven Verhaltensbeobachtung auf das menschliche Verhalten anwandten. Anfangs wurden Filmaufnahmen sehr detailliert analysiert. Man begann den Menschen unter bisher nicht üblichen, biologischen Aspekten zu betrachten, die neue Fragen aufwarfen und schließlich zu neuen Antworten führten.

Kaspar-Hauser-Versuche belegten bei höheren Wirbeltieren das Vorhandensein von angeborenen Verhaltensweisen. Da diese Versuche aus ethischen Gründen beim Menschen nicht durchgeführt werden dürfen, bleiben bestimmte Verhaltensphänomene des Menschen, wie die Tendenz, auf fremde Artgenossen zunächst ängstlich oder sogar feindselig zu reagieren oder aber auf Kinder mit Brutpflegetendenzen zu reagieren, nur vermutete angeborene Verhaltensanteile. Das Lachen oder Lächeln oder aber andere mimische Bewegungen taub-blind geborener Kindern ist dagegen schon ein Beleg dafür, dass diese Verhaltensweisen offenbar angeboren sind.

  • IRENÄUS EIBL-EIBESFELDT (geb. 1928) hat unterschiedliche Kulturen, wie z B. die Buschleute in der Kalahari, die Yanomani in Venezuela, die Eipo in Neuguinea oder unseren Kulturkreis vergleichend untersucht. Vom Jäger und Sammler über den Pflanzer bis hin zum westlich „zivilisierten Menschen“ konnte er trotz unterschiedlicher Lebensbedingungen und Erziehungseinflüsse nachweisen, das Verhaltensweisen wie Lachen, Grüßen, Flirten oder aber der Ausdruck der Verachtung bei allen Kulturen in gleicher Weise vorhanden sind.
  • Als man das Ausdrucksverhalten taubblinder Kinder untersuchte, die bezüglich der Mimik nur sehr schwer Informationen aus ihrer Umwelt aufnehmen können, stellte man fest, dass diese Kinder sich in ihrer Mimik nicht von sehenden und hörenden Kindern unterscheiden.
  • Auch die Trinkbewegungen eines Neugeborenen an der Mutterbrust können sofort nach der Geburt beobachtet werden.

Die geschilderten Beispiele sind ein Beleg dafür, dass diese Verhaltensweisen mit hoher Wahrscheinlichkeit genetisch bedingt, also angeboren sind. Auch das Unterstützen von Verwandten als Evolutionsprodukt (ein indirekter Fitnessvorteil wird erreicht) ist bei vielen Tieren belegt und mithilfe DARWINS biologischer Selektionstheorie gut zu erklären. Dieses Verhaltensphänomen der Vetternwirtschaft (Nepotismus) könnte auch auf den Menschen angewendet werden, wenngleich auch kulturelle Mechanismen zu solchen Phänomenen führen können.

Aber die an Tieren gewonnenen Ergebnisse lassen immer wieder die Frage aufkommen, ob sich für den Menschen nicht vergleichbare Zusammenhänge finden lassen. Interessant ist, das nach Formulierung dieser Frage das menschliche Verhalten sich dem tierlichen in vielerlei Gesichtspunkten als erstaunlich ähnlich erwiesen hat.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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