Umsetzung der Agenda 21

1992 wurde in Rio de Janeiro auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) ein Handlungsprogramm für das 21. Jh. formuliert, die Agenda 21. Der Grundgedanke dieses Programms ist mit dem Begriff Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung (sustainable development) am besten beschrieben. Hinter diesem Wort steht die Leitidee eines ganzheitlichen Denkens im globalen Maßstab und des konkreten Handelns vor Ort. Mit dem Nachhaltigkeitskonzept soll den Bedürfnissen der heute lebenden Menschen Rechnung getragen werden, ohne die Lebenschancen zukünftiger Generationen einzuschränken. Die Regierungen haben sich 1992 in Rio de Janeiro verpflichtet, wenn auch nicht völkerrechtlich verbindlich, Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. Diese Strategie soll neben ökologischen auch soziale und ökonomische Aspekte umfassen. In der politischen Realität steckt dieser ganzheitliche Ansatz noch in seinen Anfängen. Es gibt zwar viele Konferenzen und Beschlüsse, jedoch ohne nennenswerte Konsequenzen in den beteiligten Ländern. Beispielsweise haben die Empfehlungen zur nachhaltigen Entwicklung bisher kaum die Verhandlungen und Beschlüsse der Welthandelsorganisation (WTO) beeinflusst. Der Aspekt Nachhaltigkeit wird als überlebenswichtiges Element der Globalisierung heute noch völlig unzureichend einbezogen.

Nationale Nachhaltigkeitsstrategie

Die Bundesregierung beschloss 2002 eine Nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit 21 Zielvorgaben (Indikatoren). Die ökologische Perspektive wird u. a. mit der Haushalts-, Bildungs- und Familienpolitik verknüpft. Bereits im April 2001 wurde ein Rat für Nachhaltige Entwicklung von der Bundesregierung berufen. Ihm gehören 18 Personen an. Sie vertreten zwar unterschiedliche gesellschaftliche Interessengruppen, handeln aber nicht unmittelbar im Auftrag ihrer jeweiligen Organisation. Der Rat soll

  • Beiträge für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie ausarbeiten,
  • konkrete Umsetzungsprojekte vorschlagen und
  • den gesellschaftlichen Dialog zur Nachhaltigkeit befördern.

Die 21 Indikatoren als Gradmesser für Nachhaltigkeit:

  1. Energie- und Rohstoffproduktivität
  2. Emissionen der sechs Treibhausgase des Kyoto-Protokolls
  3. Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch
  4. Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche
  5. Entwicklung der Bestände ausgewählter Tierarten
  6. Finanzierungssaldo des Staatssektors
  7. Investitionsquote
  8. Private und öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung
  9. Ausbildungsabschlüsse der 25-Jjährigen und Zahl der Studienanfänger
  10. Bruttoinlandsprodukt
  11. Transportintensität und Anteil der Bahn an der Güterverkehrsleistung
  12. Anteil des ökologischen Landbaus und Gesamtbilanz Stickstoffüberschuss
  13. Schadstoffbelastung der Luft
  14. Zufriedenheit mit der Gesundheit
  15. Zahl der Wohnungseinbruchsdiebstähle
  16. Erwerbstätigenquote
  17. Ganztagsbetreuungsangebote
  18. Verhältnis der Bruttojahresverdienste von Frauen und Männern
  19. Zahl der ausländischen Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss
  20. Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit
  21. Einfuhren der EU aus Entwicklungsländern

Die Nachhaltigkeitsstrategie erfordert, Grenzen heutiger Fach- und Ressortpolitik zu überwinden und langfristig zu handeln. Sie ist im Wesentlichen eine Ökonomie der Vermeidung. Dabei sind Interessenkonflikte unausweichlich. Elemente dieser Strategie sind beispielsweise:

  • Zuwachs der Siedlungsfläche soll von gegenwärtig 130 ha und Tag (2002) auf 30 ha und Tag (2010) begrenzt werden;
  • erneuerbare Energien sollen im Jahr 2050 etwa 50 % des Energieverbrauchs der Bundesrepublik decken;
  • die Forschungsausgaben sollen von gegenwärtig etwa 2,5 % (2002) auf 3 % (2010) des Bruttosozialprodukts (BSP) gesteigert werden;
  • die Quote der Studienanfänger eines Jahrgangs soll von gegenwärtig etwa 30 % (2002) auf 40 % (2010) erhöht werden.

Während der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro wurden neben der Agenda 21 (PDF 1 und 2) auch verbindliche internationale Regelwerke

  • zum Klimaschutz (Kyoto-Prozess),
  • zur Wüstenbekämpfung,
  • zur Erhaltung der Artenvielfalt (Biodiversität)

beschlossen. Diese Beschlüsse sind damit völkerrechtlich bindende Vorgaben für Regierungshandeln auch in Deutschland.

Lokale Agenda 21: global denken – lokal handeln!

Im Kapitel 28 der Agenda 21 (PDF 3) wird die besondere Rolle der Kommunen bei der Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung betont. Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern sollen die Kommunen ein Handlungsprogramm, die so genannte Lokale Agenda 21, entwickeln. Die Bürgerbeteiligung ist das A und O dabei. Nirgendwo übt die Bevölkerung ihre Macht so unmittelbar aus wie in der Kommune. Gerade durch die Globalisierung erfolgt eine Stärkung des Lokalen – teilweise gewollt in der so genannten Standortdebatte, teilweise ungewollt als Widerstands- und Rückzugsort. Ein bis in jede Einzelheit standardisiertes Vorgehen beim Formulieren einer lokalen Agenda gibt es nicht. Die Struktur dieses Prozesses ähnelt am ehesten dem klassischen Projektmanagement und hat folgende typische Eigenschaften:

  • Beteiligung einer Kommunalverwaltung;
  • Beteiligung der Bevölkerung, insbesondere
    – von Frauen und Jugendlichen,
    – von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und
    – von Vertretern der Privatwirtschaft;
  • langfristiger Planungs- und Handlungsprozess, der
    – ökologische,
    – ökonomische und
    – soziale Aspekte
    integriert;
  • ein neues Politikverständnis, das auf Kooperation und Konsens orientiert;
  • kontinuierliche Überprüfung der Ziele mittels Indikatoren und Anpassung des Programms.

Der entscheidende Unterschied zur herkömmlichen Kommunalpolitik besteht in der Betonung der Langfristigkeit und der Integration aller Politikfelder. Veränderungspotenziale können so gebündelt und vielseitige Interessen berücksichtigt werden. Schwierigkeiten bei dem Agenda-Prozess bestehen u. a.

  • in der Überforderung der Beteiligten,
  • in fehlender Unterstützung durch die Politik,
  • in unzureichender Wahrnehmung von Bürgerinteressen und
  • in mangelnder Verbindlichkeit des Programms.

Der Prozess der lokalen Agenda 21 kam in der Bundesrepublik erst nach 1996 richtig in Gang. Bis 2002 haben 2 297 Gemeinden in Deutschland (etwa 16 % der Kommunen) einen Beschluss zur Lokalen Agenda 21 gefasst. Die Zahl sagt noch nichts über die Qualität aus. Qualitative Erhebungsmethoden müssen eingesetzt werden. Diese Qualitätsanalyse der einzelnen Vorhaben ist noch mit großen Schwierigkeiten verbunden.

Exkurs: Königsfeld im Schwarzwald
Die Gemeinde Königsfeld im Schwarzwald mit ihren 6 000 Einwohnern präsentiert sich im Internet wie folgt:

  • Die Grund- und Hauptschule hat auf dem Dach eine Solaranlage;
  • ein „Planetenweg“ verbindet die Schule mit dem solarbeheizten Schwimmbad, der Solartankstelle und der Sonnenuhr;
  • Schautafeln führen am Wegesrand in die Geheimnisse des Sonnensystems ein;
  • der Gemeindewald wird aus einer Fichtenmonokultur langfristig zu einem artenreicheren Mischwald umgewandelt;
  • den örtlichen Holzeinschlag verfeuert man in einer hochmodernen Hackschnitzelfeuerungsanlage;
  • ein Architekturbüro entwirft Niedrigenergie- und Passivhäuser;
  • ein mittelständisches Unternehmen baut Kornmühlen für Privathaushalte;
  • Kurgäste können in Eigenzeitworkshops einen gelasseneren Umgang mit der Zeit probieren und „Slowfood“ aus regionalen Produkten genießen;
  • ein „Forum für Information und Kommunikation“ über ALBERT SCHWEITZERs Ethik wurde eröffnet.

Hier verknüpfen sich lokale Traditionen mit von vielen Menschen geteilten Zukunftsvisionen, Image-Werbung mit nachhaltigen Veränderungen im Denken und Handeln der Einwohner, Irrtümer eingeschlossen. Es entsteht ein Netz durch das individuelle Handeln unterschiedlicher Menschen mit ihren Kompetenzen: des Schülers und des Bürgermeisters, des Waldarbeiters und des Unternehmers, der Architektin und der Mitarbeiterin aus dem Kurhaus.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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