Umsetzung der Agenda 21

Die Nachhaltigkeitsstrategie soll neben ökologischen auch soziale und ökonomische Aspekte umfassen. In der politischen Realität steckt dieser ganzheitliche Ansatz noch in seinen Anfängen. Es gibt zwar viele Konferenzen und Beschlüsse, jedoch ohne nennenswerte Konsequenzen in den beteiligten Ländern. Beispielsweise haben die Empfehlungen zur nachhaltigen Entwicklung bisher kaum die Verhandlungen und Beschlüsse der Welthandelsorganisation (WTO) beeinflusst. Der Aspekt Nachhaltigkeit wird als überlebenswichtiges Element der Globalisierung heute noch völlig unzureichend einbezogen.

Nationale Nachhaltigkeitsstrategie

Die Bundesregierung beschloss 2002 eine Nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit 21 Zielvorgaben (Indikatoren). Die ökologische Perspektive wird u. a. mit der Haushalts-, Bildungs- und Familienpolitik verknüpft. 2004 wurde von der Bundesregierung erstmals in einem Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie über die erreichten Ergebnisse informiert. Ein weiterer Bericht (Wegweiser Nachhaltigkeit) wurde 2005 veröffentlicht. Im Herbst 2008 soll der nächste Bericht folgen. Bereits im April 2001 wurde ein Rat für Nachhaltige Entwicklung von der Bundesregierung berufen. Ihm gehören 18 Personen an. VOLKER HAUFF ist gegenwärtig der Vorsitzende des Rates. Die Mitglieder vertreten zwar unterschiedliche gesellschaftliche Interessengruppen, handeln aber nicht unmittelbar im Auftrag ihrer jeweiligen Organisation. Der Rat soll

  • Beiträge für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie ausarbeiten,
  • konkrete Umsetzungsprojekte vorschlagen und
  • den gesellschaftlichen Dialog zur Nachhaltigkeit befördern.

Die 21 Indikatoren als Gradmesser für Nachhaltigkeit:

  1. Energie- und Rohstoffproduktivität
  2. Emissionen der sechs Treibhausgase des Kyoto-Protokolls
  3. Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch
  4. Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche
  5. Entwicklung der Bestände ausgewählter Tierarten
  6. Finanzierungssaldo des Staatssektors
  7. Investitionsquote
  8. Private und öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung
  9. Ausbildungsabschlüsse der 25-Jjährigen und Zahl der Studienanfänger
  10. Bruttoinlandsprodukt
  11. Transportintensität und Anteil der Bahn an der Güterverkehrsleistung
  12. Anteil des ökologischen Landbaus und Gesamtbilanz Stickstoffüberschuss
  13. Schadstoffbelastung der Luft
  14. Zufriedenheit mit der Gesundheit
  15. Zahl der Wohnungseinbruchsdiebstähle
  16. Erwerbstätigenquote
  17. Ganztagsbetreuungsangebote
  18. Verhältnis der Bruttojahresverdienste von Frauen und Männern
  19. Zahl der ausländischen Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss
  20. Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit
  21. Einfuhren der EU aus Entwicklungsländern

Die Nachhaltigkeitsstrategie erfordert, Grenzen heutiger Fach- und Ressortpolitik zu überwinden und langfristig zu handeln. Sie ist im Wesentlichen eine Ökonomie der Vermeidung. Dabei sind Interessenkonflikte unausweichlich. Elemente dieser Strategie sind beispielsweise:

  • Zuwachs der Siedlungsfläche soll von gegenwärtig 130 ha und Tag (2002) auf 30 ha und Tag (2010) begrenzt werden;
     
  • erneuerbare Energien sollen im Jahr 2050 etwa 50 % des Energieverbrauchs der Bundesrepublik decken;
     
  • die Forschungsausgaben sollen von gegenwärtig etwa 2,5 % (2002) auf 3 % (2010) des Bruttosozialprodukts (BSP) gesteigert werden;
     
  • die Quote der Studienanfänger eines Jahrgangs soll von gegenwärtig etwa 30 % (2002) auf 40 % (2010) erhöht werden.

Während der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro wurden neben der Agenda 21 (siehe PDF "Lokale Agenda 21 - Leitfaden" und PDF "Lokale Agenda 21 - Handbuch") auch verbindliche internationale Regelwerke

  • zum Klimaschutz (Kyoto-Prozess),
  • zur Wüstenbekämpfung,
  • zur Erhaltung der Artenvielfalt (Biodiversität)

beschlossen. Diese Beschlüsse sind damit völkerrechtlich bindende Vorgaben für Regierungshandeln auch in Deutschland.

Lokale Agenda 21: global denken – lokal handeln!

Im Kapitel 28 der Agenda 21 (siehe PDF "Lokale Agenda 21 im europäischen Vergleich") wird die besondere Rolle der Kommunen bei der Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung betont. Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern sollen die Kommunen ein Handlungsprogramm, die so genannte Lokale Agenda 21, entwickeln. Die Bürgerbeteiligung ist das A und O dabei. Nirgendwo übt die Bevölkerung ihre Macht so unmittelbar aus wie in der Kommune. Gerade durch die Globalisierung erfolgt eine Stärkung des Lokalen – teilweise gewollt in der so genannten Standortdebatte, teilweise ungewollt als Widerstands- und Rückzugsort. Ein bis in jede Einzelheit standardisiertes Vorgehen beim Formulieren einer lokalen Agenda gibt es nicht. Die Struktur dieses Prozesses ähnelt am ehesten dem klassischen Projektmanagement und hat folgende typische Eigenschaften:

  • Beteiligung einer Kommunalverwaltung;
     
  • Beteiligung der Bevölkerung, insbesondere
    – von Frauen und Jugendlichen,
    – von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und
    – von Vertretern der Privatwirtschaft;
     
  • langfristiger Planungs- und Handlungsprozess, der
    – ökologische,
    – ökonomische und
    – soziale Aspekte
    integriert;
     
  • ein neues Politikverständnis, das auf Kooperation und Konsens orientiert;
     
  • kontinuierliche Überprüfung der Ziele mittels Indikatoren und Anpassung des Programms.

Der entscheidende Unterschied zur herkömmlichen Kommunalpolitik besteht in der Betonung der Langfristigkeit und der Integration aller Politikfelder. Veränderungspotenziale können so gebündelt und vielseitige Interessen berücksichtigt werden. Schwierigkeiten bei dem Agenda-Prozess bestehen u. a.

  • in der Überforderung der Beteiligten,
  • in fehlender Unterstützung durch die Politik,
  • in unzureichender Wahrnehmung von Bürgerinteressen und
  • in mangelnder Verbindlichkeit des Programms.

Der Prozess der Lokalen Agenda 21 kam in der Bundesrepublik erst nach 1996 richtig in Gang. Bis 2002 haben 2 297 Gemeinden in Deutschland (etwa 16 % der Kommunen) einen Beschluss zur Lokalen Agenda 21 gefasst, 2006 gab es 2 610 kommunale Beschlüsse. Die Zahl sagt noch nichts über die Qualität aus. Qualitative Erhebungsmethoden müssen eingesetzt werden. Diese Qualitätsanalyse der einzelnen Vorhaben ist noch mit großen Schwierigkeiten verbunden.

Lokale Agenda 21 – das Beispiel Tübingen

Im Juli 2001 fiel bei einer Marktplatzveranstaltung der Startschuss für den Tübinger Leitlinienprozess. In den darauf folgenden zwei Jahren entwickelten Bürgerinnen und Bürger, Gemeinderat und Verwaltung in zahlreichen Diskussionen, Workshops und Foren die Tübinger Leitlinien 2030.
Diese Leitlinien sollen Ausgangspunkt für die zukünftige Entwicklung der Stadt sein: ökologisch verträglich, sozial gerecht und ökonomisch erfolgreich – im echten Wortsinn „nachhaltig“. Am 21. Juli 2003 beschloss der Tübinger Gemeinderat, „den finanziellen Möglichkeiten der Universitätsstadt Tübingen entsprechend die Fragestellungen der Leitlinien aufzugreifen, zusammen mit Verwaltung und Bürgern fortzuentwickeln und bei der Abwägung von grundsätzlichen Entscheidungen zu berücksichtigen“.
Die „Leitlinien für eine nachhaltige Stadtentwicklung“ gliedern sich in vier Abschnitte:

  1. „Grundsatz zur bürgerschaftlichen Mitwirkung“
     
  2.  „Übergreifenden Prinzipien der nachhaltigen Stadtentwicklung in Tübingen“
     
  3. „Thematischen Leitlinien“: Soziales, Frauen, Umwelt, Wohnen und Verkehr, Altstadt und Stadtzentrum, öffentlicher Raum, Wirtschaft und Universität, Sport, Gesundheit, Jugend, Integration und Migration, Bildung, Kultur.
     
  4. „Sieben Thesen zur künftigen Entwicklung der Universitätsstadt Tübingen“: Aufgaben und Chancen Tübingens als Wissenschaftsstandort vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung.

(Quelle: http://www.tuebingen.de/formulardownload/leitlinien_endfassung.pdf)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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