Legende

Begriff und Entstehung

Legenden (lat.: legenda = das zu Lesende) sind ursprünglich Geschichten aus dem Leben von Märtyrern (Christen, die für ihren Glauben Leid auf sich nahmen) und Heiligen. Sie wurden in den Klöstern in gemeinsamen Lesungen vorgetragen. Neben diesen schriftlich niedergelegten Heiligenbiografien bezeichnete man seit dem 15. Jahrhundert auch außerhalb der Kirche überlieferte, historisch nicht belegte Berichte von wunderbaren Begebenheiten als Legenden. Insofern, als das in Legenden geschilderte Geschehen das rational Fassbare übersteigt, weisen sie Ähnlichkeiten mit Märchen, Sagen und Mythen auf und lassen sich von diesen volkstümlichen Überlieferungen nicht immer klar abgrenzen. Legenden stellen herausragende Personen oder denkwürdige Geschehnisse vor und verfolgen damit oft eine moralisch-didaktische beispielgebende Absicht.

Christentum

Im Christentum waren Legenden eine beliebte literarische Form und durch ihre einfache Struktur und Sprache bestens geeignet, auf exemplarische Weise das gottgefällige Leben der Heiligen massenwirksam darzubieten. Die allgegenwärtige kultische Verehrung der Heiligen bewirkte die große Verbreitung von Legenden in allen Volksschichten, zumal sie im Mittelalter auch Hauptgegenstand bildlicher Darstellungen waren.

Eine frühe Legendensammlung sind

  • die „Dialogi de miraculis patrum Italicorum“ (590/604) von PAPST GREGOR.
  • Als Sammlung von Heiligenlegenden ist 1643 die „Acta Sanctuorum“ von den Jesuiten JOHANNES BOLLAND und HERIBERT ROSWEYDE begonnen worden, die bis heute fortgeführt wird.

Die ersten deutschsprachigen Legendenbearbeitungen waren

  • das „Georgslied“ (siehe PDF) ,
  • das „Petruslied“ (um 900) sowie
  • das „Annolied“ (um 1050, siehe PDF).

Mittelalter

Legenden lösten sich im Laufe des Mittelalters aus dem rein liturgischen Gebrauch und der Darbietung in mittellateinischer Sprache und verbanden sich mit Stoffen der feudalhöfischen Epik und der Volkssprache:

  • HEINRICH VON VELDEKE, „Servatius“, um 1170;
  • HARTMANN VON AUE, „Gregorius“, um 1190; „Der arme Heinrich“, um 1190;
  • KONRAD VON WÜRZBURG, „Alexius“-Legende, um 1273–1287;
  • WOLFRAM VON ESCHENBACH, „Willehalm“, um 1212–1217; „Parzifal“, um 1210).
  • Legenden enthält auch die um 1150 beendete „Kaiserchronik“.

Eine besonders verbreitete Form waren die Marienlegenden:

  • WERNHER DER GARTENAERE, „Driu Liet von der Maget“, 1172;
  • WALTER VON RHEINAU, „Marienleben“, um 1275;
  • PHILIPP, „Marienleben“, vor 1316.

Reformation

Die auf das Rationale ausgerichtete Reformation nutzte die Legenden wegen der berichteten Wundertaten nicht zur Propagierung ihrer Ideen. MARTIN LUTHER nannte sie „Lügenden“ und lehnte sie als Volksverdummung ab. Die Gegenreformation belebte das Genre jedoch wieder und es diente zunehmend zur religiösen Erbauung der unteren Volksschichten und die Stoffe der Heiligenlegenden fanden Eingang in das Jesuitendrama. Seit HROSWITHA VON GANDERSHEIM (um 935–1000) sind Legendenspiele bezeugt. Anfänglich waren Legenden in Versform abgefasst, später setzte sich die Prosalegende durch. Mit dem aufkommenden Buchdruck fanden umfangreiche Prosalegendare wie „Der Heiligen Leben“ (um 1400) weite Verbreitung und gehörten gewissermaßen zur unverzichtbaren Gebrauchsliteratur in Klöstern und Pfarreien.
Legendenstoffe wurden auch in anderen Literaturgattungen immer wieder bearbeitet:

  • HANS SACHS, „Schwänke von St. Peter“, 1553/56/57;
  • MARTIN VON COCHEM, „Auserlesenes History-Buch“, 1648;
  • ANDREAS GRYPHIUS, „Catharina von Georgien“, 1657.

Aufklärung

Die Aufklärer, allen voran GOTTHOLD EPHRAIM LESSING und CHRISTOPH MARTIN WIELAND, lehnten die Wundergeschichten der Legenden als Aberglauben ab. Doch schon die Romantiker mit ihrem Interesse am katholischen Mittelalter und volkstümlichen Formen nutzten Legenden als Stoffquelle:

  • AUGUST WILHELM SCHLEGEL, „Der heilige Lukas“, 1798;
  • LUDWIG TIECK, „Leben und Tod der heiligen Genoveva“, 1800;
  • ACHIM VON ARNIM, „Christuslegenden“.

FRIEDRICH VON SCHILLER bediente sich eines legendären Stoffes in seinem Drama „Die Jungfrau von Orleans“ (1802), JOHANN WOLFGANG VON GOETHE in Balladen wie „Der Gott und die Bajadere“ (1797) und „Die Legende vom Hufeisen“ (1798). JOHANN KARL AUGUST MUSÄUS nahm in seine Sammlung von Volksmärchen (1782–1786) „Die Legenden vom Rübezahl“ auf.

Gegenwart

Die Legende ist bis in die Gegenwart ein häufig genutztes Genre mit relativ offenen Gestaltungsmöglichkeiten, insofern, als ihr Ton und die Struktur nachgeahmt werden sowie auf das Stoffreservoir zurückgegriffen wird.

  • GOTTFRIED KELLER legte 1872 „Sieben Legenden“ vor, die den naiv-frömmelnden Ton ihrer stofflichen Vorlage (GOTTHARD LUDWIG KOSEGARTEN, „Legenden“, 1804) in lebensbejahende, diesseitsfreudige Geschichten verwandelten.
  • Als epische Kleinform mit gleichnishaften Zügen gestaltete sie ANNA SEGHERS in „Die drei Bäume“, 1940.
  • Da, wo die Legende zur größeren Form wird und eine außergewöhnliche Begebenheit aufnimmt, steht sie der Novelle nahe (THOMAS MANN, „Die vertauschten Köpfe“, 1940; „Der Erwählte“, 1951) und bedient sich der großen Romanform bei JOSEPH ROTH, „Die Legende vom heiligen Trinker“ (1939) und ULRICH PLENZDORF, „Die Legende vom Glück ohne Ende“ (1979, siehe Bild 1; als Film „Die Legende von Paul und Paula“, 1974).
  • BERTOLT BRECHT persiflierte die Legendenform in seinem sarkastischen Gedicht „Die Legende vom toten Soldaten“ (1918).

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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