Martin Opitz „Buch von der Deutschen Poeterey“

MARTIN OPITZ „Buch von der Deutschen Poeterey“

MARTIN OPITZ versuchte in seinem „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624, siehe PDF "Martin Opitz - Buch von der deutschen Poeterey"), die deutsche Sprache neben dem damals ausschließlich gebrauchten Französischen und Italienischen als Kunstsprache zu etablieren. Er stützte sich auf ARISTOTELES und HORAZ.
Die Tragödie schätzte er als die höchste Kunstform ein:

„Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen Getichte gemeße / ohne das sie selten leidet / das man geringen Standes personen vnd schlechte sachen einführe: weil sie nur von Königlichem willen / Todtschlägen / verzweiffelungen / Kinder- vnd Vatermorden / brande / blutschanden / kriege vnd auffruhr / klagen / heulen / seuffzen vnd dergleichen handelt. Vor derer zugehör schreibet vornehmlich Aristoteles (...).“

Die Komödie spielt bei OPITZ eine untergeordnete Rolle:

„Die Comedie bestehet in schlechtem wesen vnnd personen: redet von hochzeiten / gastgeboten / spielen / betrug vnd schalckheit der knechte / ruhmrätigen Landtsknechten / buhlersachen / leichtfertigkeit der Jugend / geitze des alters / kupplerey vnd solchen sachen / die täglich vnter gemeinen Leuten vorlauffen. Haben derowegen die / welche heutiges tages Comedien geschrieben / weit geirret / die Keyser vnd Potentaten eingeführet; weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuewieder laufft.“

Diese Auffassungen blieben bis ins 18. Jahrhundert bestehen. Auch die Ständeklausel, die noch in der Aufklärung von JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED zum obersten Prinzip erhoben wird, findet sich in seiner Poetik.

GOTTSCHED „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“

JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED war das Theater, wie es sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts präsentierte, zuwider. Seine Erfahrungen mit dem Theater beschreibt er folgendermaßen:

„Lauter schwülstige und mit Harlekinslustbarkeiten untermengte Haupt- und Staatsaktionen, lauter unnatürliche Romanstreiche und Liebesverwirrungen, lauter pöbelhafte Fratzen und Zoten waren dasjenige, so man daselbst zu sehen bekam.“
(siehe PDF "Johann Christoph Gottsched - Versuch einer Critischen Dichtkunst")

Als Aufklärer dem Vernunftprinzip und der Moral verpflichtet, vermisste er in diesen Verwilderungen den positiven Einfluss auf das Publikum.
Dichtung müsse den Menschen erziehen und moralische Grundsätze vermitteln. Das literarische Vorbild glaubt GOTTSCHED im französischen Klassizismus und der Antike zu finden. Er schreibt seine Poetik („Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“, 1729),

„darinnen erstlich die allgemeinen Regeln der Poesie, hernach alle besonderen Gattungen der Gedichte, abgehandelt und mit Exempeln erläutert werden: Überall aber gezeigt wird, dass das innere Wesen der Poesie in einer Nachahmung der Natur bestehe.“

GOTTSCHED bemühte sich, grundsätzlich erlernbare Grundregeln für alle literarischen Gattungen zu bestimmen, nach denen der Dichter ein lyrisches, dramatisches oder episches Werk kunstvoll erschaffen kann. Das Wesen der Kunst, die Aufgabe des Künstlers, bleibt in erster Linie die Nachahmung der Natur.
Aus GOTTSCHEDs Sicht sollten die Regeln der Alten befolgt werden, weil die Vernunft es gebiete. Die Natur der Dinge und des Menschen ist unwandelbar, deswegen kann die Welt mithilfe von überzeitlichen Regeln kunstvoll ausgedrückt werden. In seinen Überlegungen gibt es noch kein Bewusstsein von historischen Veränderungen, keine aktuellen Probleme, die von der Kunst eine neue Form des Ausdrucks verlangen.
Auf der gleichen Vorstellung basiert GOTTSCHEDs 1736 erschienene „Ausführliche Redekunst“. Auch hier bezieht er sich auf die überlieferten Regeln der Rhetorik, die aus der „unveränderlichen Natur des Menschen“ resultieren.

Die Hauptaufgabe des Dramas sieht GOTTSCHED in der sittlich-moralischen Erziehung der Deutschen. Deshalb fordert er den Dichter auf, zunächst die von ihm gewünschte Aussage festzulegen:

„Zuallererst wähle man sich einen moralischen Satz, der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen soll, nach Beschaffenheit der Absichten, die man sich zu erlangen vorgenommen. Hierzu ersinne man sich eine ganz allgemeine Begebenheit, worin eine Handlung vorkommt, daran dieser erwählte Lehrsatz sehr augenscheinlich in die Sinne fällt“.

Mit seiner Auffassung, die Handlung müsse nach dem Vorbild der Wirklichkeit, der Natur dargestellt werden, die Darstellung dürfe das Wahrscheinliche keinesfalls überschreiten, berief er sich auf die „Ars poetica“ des HORAZ.
Götter, die in das Geschehen im Drama eingriffen, seien völlig unglaubwürdig und sollten von der Bühne verbannt werden.

Bei der Unterscheidung der beiden dramatischen Grundformen – Tragödie und Komödie – bleibt GOTTSCHED ganz der bekannten Ständeklausel verhaftet:

„Die Tragödie ist von der Komödie nur in der besondern Absicht unterschieden, dass sie anstatt des Gelächters die Verwunderung, das Schrecken und Mitleiden zu erwecken sucht. Daher pflegt sie sich lauter vornehmer Personen zu bedienen, die durch ihren Stand, Namen und Aufzug mehr in die Augen fallen und durch große Laster und traurige Unglücks-Fälle solche heftige Gemüts-Bewegungen erwecken können. (...) Die Personen, die zur Comödie gehören, sind ordentliche Bürger, oder doch Leute von mäßigem Stand: Nicht, als wenn die Großen dieser Welt etwa keine Torheiten zu begehen pflegten, die lächerlich wären; nein, weil es wider die Ehrerbiethung läuft, die man ihnen schuldig ist, sie als auslachenswürdig vorzustellen.“

Auch mit der Festschreibung der drei Einheiten (Handlung, Zeit, Ort) als Grundprinzipien des Dramas berief er sich auf die Poetiken von ARISTOTELES und HORAZ:

„Die ganze Fabel hat nur eine Haupt-Absicht: nämlich einen moralischen Satz; also muss sie auch nur eine Haupt-Handlung haben, um derentwegen alles übrige vorgehet. Die Neben-Handlungen aber, die zur Ausführung der Haupt-Handlung gehören, können gar wohl andre moralische Wahrheiten in sich schließen (...). Alle Stücke sind also tadelhaft und verwerflich, die aus zwoen Handlungen bestehen, davon keine die vornehmste ist. ... Die Einheit der Zeit ist das andre, so in der Tragödie unentbehrlich ist. Die Fabel eines Helden-Gedichtes kann viel Monate dauren [...]: das macht, sie wird nur gelesen: Aber die Fabel eines Schau-Spieles, die mit lebendigen Personen in etlichen Stunden lebendig vorgestellet wird, kann nur einen Umlauf der Sonnen, wie Aristoteles spricht, das ist einen Tag dauren. [...] Die besten Fabeln sind also diejenigen, die nicht mehr Zeit nötig gehabt, wirklich zu geschehen, als sie zur Vorstellung brauchen; das ist etwa drei oder vier Stunden: Und so sind die meisten griechischen Tragödien. Kommt es hoch, so bedörfen sie sechs, acht oder zum höchsten zehn Stunden zu ihrem ganzen Verlauf: Und höher muß es ein Poet nicht treiben, wenn er nicht wider die Wahrscheinlichkeit handeln will. …. Zum dritten gehört zur Tragödie die Einigkeit des Ortes. Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sitzen, folglich müssen auch die spielenden Personen alle auf einem Platze bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern [...]. Es ist also in einer regelmäßigen Tragödie nicht erlaubt, den Schau-Platz zu ändern. Wo man ist, da muß man bleiben; und daher auch nicht in der ersten Handlung im Walde, in der andern in der Stadt, in der dritten im Kriege und in der vierten in einem Garten oder gar auf der See sein. Das sind lauter Fehler wider die Wahrscheinlichkeit: Eine Fabel aber, die nicht wahrscheinlich ist, taugt nichts: weil dieses ihre vornehmste Eigenschaft ist.“

GOTTSCHED ging es um

  • Wahrscheinlichkeit,
  • Illustration eines moralischen Satzes und
  • Nachahmung der Wirklichkeit.

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING „Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie“ (1766) und „Hamburgische Dramaturgie“

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE sagte 1825:

„Ein Mann, wie Lessing täte uns not. Denn wodurch ist dieser so groß, als durch seinen Charakter, sein Festhalten!“ (Gespräche mit ECKERMANN, 15.10.1825)

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING kritisierte das bestehende deutsche Theater und schuf eine neuartige Form des Theaters, das bürgerliche Trauerspiel.
Er verfolgte damit das Ziel, den Bürger mittels des Schauspiels moralisch zu erziehen. Hier zeigte er sich mit GOTTSCHED einig, es ging um die Vermittlung einer aufgeklärten, vernünftigen Moral. Auch von der Vorschrift, das dramatische Geschehen müsse wahrscheinlich sein, müsse sich also an den Möglichkeitsvorgaben der Wirklichkeit messen lassen, wich er nicht ab.
Obwohl im 17. Jahrhundert bereits ANDREAS GRYPHIUS mit „Cardenio und Celinde“ mit der Ständeklausel brach, darf LESSING als derjenige bezeichnet werden, der sie endgültig zu Fall brachte. Nach gültigem ARISTOTELES-Verständnis sollte die Tragödie „Jammern“ (éleos) und „Schaudern“ (phobos) hervorrufen, um dadurch eine Katharsis zu erreichen. LESSING übersetzte diese Begriffe als „Furcht“ und „Mitleid“. In einem Brief an FRIEDRICH NICOLAI im November 1756 schreibt er über die Wirkungen von Tragödie und Komödie:

„Wenn es also wahr ist, daß die ganze Kunst des tragischen Dichtens auf die sichere Erregung und Dauer des einigen Mitleidens geht, so sage ich nunmehr, die Fähigkeit der Tragödie ist diese: sie soll unsere Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern. Sie soll uns nicht blos lehren, gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen, sondern sie soll uns so weit fühlbar machen, daß uns der Unglückliche zu allen Zeiten, und unter allen Gestalten, rühren und für sich einnehmen muß. Und nun berufe ich mich auf einen Satz, den Ihnen Herr Moses vorläufig demonstriren mag, wenn Sie, Ihrem eignen Gefühl zum Trotz, daran zweifeln wollen. Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter, und das Trauerspiel, das jenes thut, thut auch dieses, oder – es thut jenes, um dieses thun zu können. Bitten Sie es dem Aristoteles ab, oder widerlegen Sie mich. Auf gleiche Weise verfahre ich mit der Komödie. Sie soll uns zur Fertigkeit verhelfen, alle Arten des Lächerlichen leicht wahrzunehmen. Wer diese Fertigkeit besitzt, wird in seinem Betragen alle Arten des Lächerlichen zu vermeiden suchen, und eben dadurch der wohlerzogenste und gesittetste Mensch werden. Und so ist auch die Nützlichkeit der Komödie gerettet.“ (siehe PDF "Gotthold Ephraim Lessing – Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie)

Und in einem Brief an NICOLAI vom 16. Februar 1759 formulierte LESSING:

„Das Schrecken in der Tragödie ist weiter nichts als die plötzliche Überraschung des Mitleides, ich mag den Gegenstand meines Mitleids kennen oder nicht. ... dieses überraschte Mitleid heißt Schrecken. Belehren Sie mich eines Besseren, wenn ich Unrecht habe.“

Der Zuschauer soll sich in die Figuren einfühlen, soll erleben, dass ihm Ähnliches widerfahren kann; er wird vom Schicksal der Protagonisten gerührt, und die auf der Bühne dargestellten Leidenschaften verwandeln sich durch dieses dramatische Erlebnis in der Seele des Einzelnen in „tugendhafte Fertigkeiten“, eine typisch aufklärerisch-mechanistische Vorstellung.
Für den Aufklärer LESSING zählten die Fähigkeit des Mitleidens – also die Wirkung der Tragödie – und die Fähigkeit, das Lächerliche zu erkennen – die Wirkung der Komödie – zu den wichtigsten bürgerlichen Tugenden. Somit verschaffte er sowohl der Tragödie als auch der Komödie moralische Rechtfertigung.

In seiner Abhandlung über die Dramentheorie „Hamburgische Dramaturgie“ (1767–1769, siehe PDF "Gotthold Ephraim Lessing -Hamburgische Dramaturgie") setzt LESSING seine Gedanken aus dem Briefwechsel über das Trauerspiel fort. Mitleid kann nur derjenige empfinden, der sich in die handelnden Figuren einfühlen kann, eine Ähnlichkeit mit dem eigenen Leben festzustellen vermag. Die Figuren der Bühnenhandlung treten als Stellvertreter auf, die ein Schicksal verkörpern, welches auch dem Zuschauer zustoßen kann. Hier erklärt sich auch die Ablehnung der Ständeklausel. Das Bürgertum kann sich natürlich leichter in handelnde Bürger einfühlen als in König oder Fürsten. Dementsprechend muss die Tragödie für das Bürgertum geöffnet werden, müssen Bürgerschicksale dargestellt werden.
LESSING berief sich dabei auf ARISTOTELES, den er von seinen Vorgängern falsch verstanden sah.

„Denn er, Aristoteles, ist es gewiss nicht, der die mit Recht getadelte Einteilung der tragischen Leidenschaften in Mitleid und Schrecken gemacht hat. Man hat ihn falsch verstanden, falsch übersetzt. Er spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines anderen, für diesen andern, erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, dass die Unglücksfälle, die wir über diese verhängt sehen, uns selbst betreffen können; es ist die Furcht, dass wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden können. Mit anderen Worten: Diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid. (...) Es beruhet aber alles auf dem Begriffe, den sich Aristoteles von dem Mitleiden gemacht hat. Er glaubte nämlich, daß das Übel, welches der Gegenstand unsers Mitleidens werden solle, notwendig von der Beschaffenheit sein müsse, daß wir es auch für uns selbst, oder für eines von den Unsrigen, zu befürchten hätten. Wo diese Furcht nicht sei, könne auch kein Mitleiden statt finden. Denn weder der, den das Unglück so tief herabgedrückt habe, daß er weiter nichts für sich zu fürchten sähe, noch der, welcher sich so vollkommen glücklich glaube, daß er gar nicht begreife, woher ihm ein Unglück zustoßen könne, weder der Verzweifelnde noch der Übermütige pflege mit andern Mitleid zu haben.“

Im Unterschied zu seinen dramentheoretischen Vorgängern erhob LESSING die drei Einheiten nicht mehr zu Dogmen dramatischer Dichtung. Ein Stück, das „rühren“ soll, das „Furcht und Mitleid“ erzeugen soll, muss sich gerade aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht zwangsläufig auf einen Ort und auf die Darstellung eines Tages begrenzen. Wenn die Einheit der Handlung gewährleistet ist, die ja die Nachvollziehbarkeit einer Darstellung bedingt, dann wird die Einheit des Ortes und der Zeit zur rein schematischen Gesetzmäßigkeit:

„Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicherweise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so haben wir es mit ihnen als Menschen, und nicht als mit Königen. Macht ihr Stand schon öfters ihre Unfälle wichtiger, so macht er sie darum nicht interessanter. Immerhin mögen ganze Völker darein verwickelt werden; unsere Sympathie erfordert einen einzelnen Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstrakter Begriff für unsere Empfindungen.“
(Hamburgische Dramaturgie 14. Stück)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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