Schelmenliteratur

Neue literarische Impulse erfährt die deutsche Literatur in der frühneuhochdeutschen Zeit durch das durch LUTHER, ZWINGLI und andere Reformatoren beeinflusste protestantische Weltbild und das damit zusammenhängende bürgerliche Selbstbewusstsein der Autoren. Beispiele für satirisch-groteske Epik sind JOHANN FISCHARTs Bearbeitung des „Gargantua und Pantagruel“ von FRANÇOIS RABELAIS (das übersetzte Original vgl. PDF 1), die „Affentheuerlich Naupengeheurliche Geschichtsklitterung“ (1575, siehe PDF "Johann Fischart - Geschichtklitterung"), „Das Jesuiterhütlein“ (siehe PDF "Johann Fischart - Das Jesuiterhütlein") sowie das epische Gedicht „Das Glückhafft Schiff von Zürich“ (1576).

Die „Geschichtsklitterung“ (siehe PDF "Johann Fischart - Geschichtklitterung") sticht deshalb aus dem erstaunlichen Werk FISCHARTs heraus, weil hier zugleich eine sprachkritische Arbeit vorliegt. Grandios ist bereits „Das Parat oder Beraitschlag“, das dem ersten Kapitel vorangestellt ist und mit einer Schimpftirade an den Leser beginnt:

„Ihr meine Schlampampische gute Schlucker, kurtzweilige Stall und Tafelbrüder: ihr Schlaftrunckene wolbesoffene Kautzen und Schnautzhän, ihr Landkündige und Landschlindige Wein Verderber unnd Banckbuben: Ihr Schnargarkische Angsterträher, Kutterufstorcken, Birpausen, und meine Zeckvollzepfige Domini Winholdi von Holwin: Ertzvilfraß lappscheisige Scheißhaußfüller unnd Abteckerische Zäpfleinlüller: Freßschnaufige Maulprocker, Collatzbäuch, Gargurgulianer: Grosprockschlindige Zipfler und Schmärrotzer: O ihr Latzdeckige Bäuch, die mit eim Kind essen, das ein Rotzige Nasen hat: ja den Löffel wider holt, den man euch hinder die thür würfft“.
(Johann Fischart: Geschichtklitterung (Gargantua). Text der Ausgabe letzter Hand von 1590. Mit einem Glossar herausgegeben von Ute Nyssen. Nachwort von Hugo Sommerhalder. Illustrationen nach Holzschnitten aus den Songes drolastiques de Pantagruel von 1565, Düsseldorf: Karl Rauch, 1963, S. 19.)

SEBASTIAN BRANTs Stände- und Zeitsatire „Das Narrenschiff“ (siehe PDF "Sebastian Brant - Das Narrenschiff") löste eine Narrenliteraturflut aus. Dem 1494 erschienenen „Narrenschiff“ folgten zahlreiche Nachdrucke, Umarbeitungen, Übertragungen, 1497 JAKOB LOCHERs lateinische Übersetzung („Stultifera Navis“) sowie Übersetzungen ins Französische, Englische und Niederländische.

Till Eulenspiegel

Einen Höhepunkt in der Schwank- und Schelmenliteratur bildet die berühmteste mittelalterliche Schwanksammlung um die Gestalt des Schelms Till Eulenspiegel (siehe PDF "Hermann Bote - Ein kurzweiliges Buch von Till Eulenspiegel aus dem Lande Braunschweig"), für die es aller Wahrscheinlichkeit nach ein historisches Vorbild gab. Um 1478 wurde diese Schwanksammlung erstmals in niederdeutscher Sprache gedruckt. 1515 erfolgte der Druck in Hochdeutsch unter dem Titel „Ein kurzweilig Lesen von Dyl Ulenspiegel“.
Als Verfasser des Volksbuches „Ein kurzweiliges Buch von Till Eulenspiegel aus dem Lande Braunschweig“ gilt HERMANN BOTE (1467–1520).

Till wählt entgegen dem Rat seiner Mutter ein Leben als fahrender Gesell und schlägt sich mit kleinen Gaunereien durch. Er wandert umher und vollbringt seine Schelmenstreiche auf Kosten der Reichen, Geizigen und Überheblichen. Mit Schalkhaftigkeit erleichtert er einen Bauern um sein Brot, einen Pfaffen um sein Pferd, eine Bäuerin um ihr Mus und übertölpelt sogar König und Papst. Seine Gewitztheit und Welterfahrenheit machen ihn seinen mächtigeren Widersachern überlegen. Die witzigen Situationen führt der Schalk Till Eulenspiegel oft dadurch herbei, dass er wörtlich nimmt, was die anderen im übertragenen Sinne meinen.

„Till Eulenspiegel“ wurde in viele Sprachen übersetzt und im Laufe der Jahrhunderte vielfach nacherzählt und in anderen Kunstgattungen nachgestaltet.

Weit in die folgenden Jahrhunderte gewirkt hat auch das „Lalebuch. Wundersetzama, Abentheuerliche, vnerhörte, vnd bißher vnbeschribene Feschichten und Thaten der Lalen zu Laleburg“ (1509), besser bekannt unter dem Titel der Ausgabe von 1597 „Die Schildbürger“. Die Streiche der einfältigen Schildbürger sind wie die Historien des Till Eulenspiegel zu einem festen Bestandteil der Kinderliteratur geworden.

Weitere Werke pikarischer Dichtung schufen ERASMUS VON ROTTERDAM mit „Lob der Torheit“ (1511), PAMPHILUS GENGENBACH mit „Gäuch-matt“ (1516) und THOMAS MURNER mit „Doctor murners narrenbeschwerung“ (1509 –1512).

Die Tradition des Schelmenromans hat ein spanisches Vorbild: das „Leben des Lazarillo de Tormes“ (1554, siehe PDF "Anonym - Leben des Lazarillo von Tormes") von einem anonymen Verfasser.

Der Schelmenroman vermag mit seiner realistischen Darstellungsweise Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu üben. Das Strukturprinzip ist eine lockere Reihung von abenteuerlichen Episoden.

Einen frühen Höhepunkt pícaresken Erzählens, den ersten bedeutenden Roman überhaupt in der deutschen Literatur, stellt „Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ (1668, siehe PDF "Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen - Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch") von HANS JACOB CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN dar. Die äußerst lebendige Schilderung der Zeit des Dreißigjährigen Krieges aus der naiven Sicht des heranwachsenden Simplicius Simplicissimus fand zahlreiche simplicianische Nachahmungen.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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