Bollywood

Film als Kulturträger

Dem gemeinen West-Europäer mag ein Bollywood-Film auf den ersten Blick vor allem schrill anmuten. Bollywood-Filme sind extrem bunt, extrem emotionsgeladen und extrem lang - zweieinhalb Stunden sind Mindestlaufzeit, vier Stunden die Regel.

Übertrieben wirken die Filme für das westliche Empfinden. Nicht aber für das indische. Und so muss man sich mehr als in anderen Fällen mit dem Kulturkreis beschäftigen, aus dem dieser Film-Typ stammt, um der Bedeutung der Bollywood-Filme, vor allem aber ihre enorme Beliebtheit bei indischen Bürgern weltweit verstehen zu können.

Einer der Gründe für die durchschlagende Wirkung von Bollywood-Filmen ist ihre Position im indischen Kulturleben. Tatsächlich ist das Kino heute einer der wichtigsten Kulturträger überhaupt, bietet es doch für viele die einzige Möglichkeit kultureller Erfahrung. In Massen strömen die Leute tagtäglich in die Kinos oder vor die Wanderleinwände.
Das Filmerlebnis ist ein Familienerlebnis. Das heißt, mehrere Generationen müssen bedient werden. Und: Der Film ist das wichtigste Medium für den Austausch moralischer Werte. Man geht nicht nur um der Unterhaltung willen ins Kino, sondern auch der moralischen Inhalte wegen. Es geht um Identität und Verständigung auf gemeinsame Werte. Deshalb ist Bollywood auch so wichtig für fern der Heimat lebende Inder.

Die Bedeutung moralischer Werte erklärt sich vor dem Hintergrund des strengen Kastensystems, in dem die Inder leben. Grenzen, die Richtigkeit von Grenzen und richtiges Verhalten haben einen viel höheren Stellenwert, als im westlichen Europa.
Es verwundert deshalb nicht, dass Bollywood-Filme oft Liebesgeschichten schildern. Häufig ist etwa die Konstellation: reicher junger Mann verliebt sich in schönes, aber armes Mädchen. Dann wird tränenreich gelitten und gehofft, geschmachtet und gebangt.
Idealerweise durchläuft das Publikum dabei alle Stadien, von Bewunderung und Hingerissenheit, Liebe und Heldenverehrung, über Ekel und Gelächter, bis hin zu Schrecken, Erstaunen, Wut und Aussöhnung. Nach durchzitterten und durchseufzten Stunden gibt es am Schluss, das ist Pflicht, das ersehnte Happy End.

Charakteristika des Bollywood-Kinos

Kennzeichnend für Bollywood ist die Oppulenz und Farbenprächtigkeit der Bilder und Szenerien. Massenszenen sind beliebt, ebenso und das ist eine charakteristische Bollywood-Eigenheit, Singen und Tanzen. Tatsächlich ist die Musik, die meist schon vor Erstausstrahlung des Films im Radio gespielt wird, entscheidend für den Erfolg, macht sie das Publikum doch auf den bevorstehenden Film neugierig, oder schreckt es ab.
Gerade die heutzutage oft Videoclip ähnlichen Tanzszenen muten Bollywood unerfahrenen Zuschauern seltsam an. Getanzt wird unvermittelt und „unlogisch“. Rasche und unerklärte Kostümwechsel sind ebenso „normal“, wie plötzliche Ortswechsel.

Bollywood-Filme sind zwar emotionsgeladen, action- und tränenreich, jedoch sehr züchtig. Nackte Haut ist tabu, erotische Szenen mit sexuellen Anspielungen ebenfalls.
Seine größten Jahre hatte der Bollywood-Film in den 1960-er und 1970-er Jahren. Die gigantische Beliebtheit der Filme hält bis heute an. Wichtigste Identifikationsträger sind die Schauspieler, die geradezu verehrt werden und im indischen Alltag allgegenwärtig sind. Sehr beliebt sind auch Film-Paare, die gemeinsam mehrere Filme gestalten.
Bei dem Starkult geht es weniger um künstlerische Leistung, als um die Identifikation. So spielt es z. B. keine Rolle, dass die Stars zu Playback singen.

Bollywood in Europa

Seit einigen Jahren schwappt die Bollywood-Begeisterung auch aufs westliche Europa über. Zunächst wurden Europäer in Ländern mit hohem indischen Bevölkerungsanteil auf die Filme aufmerksam. Großbritannien etwa, dessen Bevölkerung sich geschichtsbedingt zu einem beträchtlichen Anteil aus Indern zusammensetzt, wurde früher auf Bollywood aufmerksam, als Deutschland. Wichtig für die Bollywood-Rezeption in Europa ist auch das erwachende Interesse an den Kulturen zugewanderter Mitbürger.

Bollywood selbst hat das mittlerweile erkannt und übersetzt jetzt mehr Filme als früher. Denn auch das war ein wichtiger Grund dafür, dass Bollywood-Filme in Europa lange Zeit unentdeckt blieben: Sie waren selten in mit Untertiteln versehenen Fassungen erhältlich und wenn, dann waren die Untertitel oft lückenhaft oder unvollständig.
Kommerzielle Bollywood-, bzw. Bollywood inspirierte Erfolge in Europa waren in jüngster Zeit MIRA NEIRs Monsoon Wedding (2001) oder ASHUTOSH GOWARIKERs Lagaan mit Indiens Superstar AAMIR KHAN in der Hauptrolle (2002). KHAN wurde daraufhin für den Auslandsoscar nominiert.
In Deutschland rückte Bollywood auch durch die Filmmusik in die öffentliche Aufmerksamkeit, Filmlieder wie von PANJABI MC - Mundian To Bach ke - wurden gern gehörte Charterfolge.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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