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- Nordirlandkonflikt, Verlauf
Angesichts dieser Entwicklung drängten sich radikale Gruppen auf nationalistischer wie auch pro-britischer Seite in den Vordergrund. Die katholisch-nationalistische Partei Sinn Féin und die IRA hielten kompromisslos am Ziel der Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland fest. Extremistische protestantische Kräfte bekämpften die gesellschaftliche und politische Integration der katholischen Minderheit in Nordirland. Der Angriff militanter unionistischer Gruppen auf katholische Wohnviertel in Londonderry (heute Derry) und Belfast im August 1969 führte zu blutigen Zusammenstößen. Daraufhin verlegte die britische Regierung Truppen nach Nordirland, um die Eskalation der Gewalt zu stoppen. Das britische Militär wurde jedoch zunehmend selbst in die Auseinandersetzungen verwickelt.
Trotz des Verbots der Regierung setzte sich am Sonntag, dem 30. Januar 1972 ein großer Protestmarsch in Derry in Bewegung, um gegen die Internierungspolitik zu demonstrieren. Soldaten eröffneten das Feuer auf die Demonstranten und erschossen vierzehn Personen. Als Reaktion auf den Bloody Sunday versammelten sich drei Tage später 30 000 Menschen in Dublin. Im Verlauf dieser Demonstration wurde die britische Botschaft in Brand gesetzt.
Angesichts der wachsenden Gewalt übernahm die britische Regierung unter Premierminister TED HEATH die Kontrolle in Nordirland. Das nordirische Parlament wurde für ein Jahr suspendiert, die nordirische Polizei dem britischen Innenministerium unterstellt, und die Regierung FAULKNER erklärte ihren Rücktritt.
Im Juni 1973 wurde eine neue nordirische Volksversammlung gewählt. Protestanten und Katholiken sollten - entsprechend ihres Bevölkerungsanteils - an der politischen Macht durch power-sharing beteiligt werden. Anfang 1974 nahm die nordirische Regierung mit FAULKNER an der Spitze ihre Amtsgeschäfte auf. Zuvor hatten sich die Konfliktparteien - mit Ausnahme des Ulster Union Council - im Abkommen von Sunningdale auf die Politik des power-sharing geeinigt. Doch auch diesmal kam es zum Scheitern, sodass gemäß der direct rule wieder von London aus regiert wurde.
Die nordirische Friedensaktivistin BETTY WILLIAMS gründete 1976 die Bewegung Community of Peace People, die Demonstrationen für den Frieden an verschiedenen Orten in ganz Großbritannien organisierte. Für ihr Engagement erhielt BETTY WILLIAMS zusammen mit MAIREAD CORRIGAN noch im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis.
Die IRA weitete die Terrorakte auch auf England aus. In der nordirischen Bevölkerung wuchs die Zustimmung dazu. Die sogenannte troops out-Kampagne forderte den Abzug der britischen Truppen aus Nordirland. Bombenanschläge, bei denen auch Zivilisten umkamen, erschütterte ab Mitte der 70er Jahre die Region. Die radikale Sinn Féin fand immer mehr Rückhalt unter den nordirischen Katholiken und konnte vermehrt Wahlerfolge verbuchen. Die Wahlerfolge der Sinn Féin alarmierten die Regierungen in London und Dublin. Auch die Serie von Anschlägen riss nicht ab. Im Oktober 1984 detonierte eine Bombe auf dem Parteitag der englischen Conservative Party in Brighton.
Nach massiven Anschlägen Anfang der 1990er Jahre luden die Premierminister Irlands und Großbritanniens, ALBERT REYNOLDS und JOHN MAJOR, die Sinn Féin im Dezember 1993 zur Teilnahme an Friedensgesprächen ein, sofern sich die IRA sich zum Gewaltverzicht bekenne. Sie kam der Bedingung nach.
Durch den Waffenstillstand hatten sich die Chancen auf eine friedliche Lösung des Nordirlandkonflikts erheblich erhöht. Zudem schaltete sich der amerikanische Präsident BILL CLINTON, der im November 1995 Nordirland besuchte, in den Friedensprozess ein. Obwohl der erklärte Gewaltverzicht der militanten Organisationen nicht eingehalten wurde, gingen die von britischer und irischer Regierung moderierten Gespräche zwischen Vertretern der Unionisten und der katholischen Nationalisten ungebrochen weiter. Sie führten schließlich Good Friday Agreement, das am Karfreitag 1998 unterzeichnet wurde. Diese Vereinbarung sicherte den politischen Gruppierungen der verfeindeten Bevölkerungsgruppen die Beteilung an der Regierung Nordirlands zu (eine Neuauflage des power-sharing). Die Regierungsbeteiligung hing jedoch von der Einhaltung des Gewaltverzichts und der Aushändigung der Waffen ab. Jeder Haushalt Nordirlands erhielt eine Kopie des Agreements zugeschickt, das durch die Volksentscheide vom Mai 1998 bestätigt wurde. Die beiden Architekten des Friedensabkommens, DAVID TRIMBLE und JOHN HUME, erhielten 1998 den Friedensnobelpreis.
Obwohl das Abkommen die Unterstützung der nordirischen Bevölkerung fand und ein neues nordirisches Parlament gewählt wurde, schwelte der Konflikt zwischen den militanten Gruppen weiter. Die IRA widersetzte sich ihrer Entwaffnung, während sich die radikalen Unionisten erst dann an der Regierung beteiligen wollten, wenn die IRA mit der Aushändigung ihrer Waffen begänne.
Am 28. Juli 2005 erklärte die IRA den bewaffneten Kampf für beendet. Nur zwei kleine radikale Splittergruppen, die Real IRA und die Continuity IRA, sind jedoch nach wie vor gewaltbereit und halten bis heute am Kriegszustand fest. Bei Ausschreitungen in Dublin, die mit dem Nordirlandkonflikt in Zusammenhang standen, wurden 25 Menschen am letzten Februarwochenende 2006 verletzt, gefolgt von einer anschließenden Entschuldigung des Sinn-Féin-Chefs. Immer wieder kommt es zu Vorfällen, die direkt oder indirekt mit paramilitärischen Organisationen zu tun haben. Auch die Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen enden nicht nur bei den Paraden des Öfteren in Gewaltakten. Anfang des Jahres 2007 entwaffnete sich die IRA offiziell.
Danach erkannte die Sinn Féin am 28. Januar 2007 auf einem Sonderparteitag in Dublin in einer historischen Abstimmung von 2000 Delegierten die nordirische Polizei an. Damit räumte sie ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zur Wiederherstellung einer nordirischen Regionalregierung aus dem Weg. In Folge dessen hat sich die britisch-protestantische Democratic Unionist Party am 26. März 2007 (Vereinbarung von St. Andrews) auf ein Machtteilungsabkommen mit Sinn Féin geeinigt.
Am 3. Mai 2007 erklärte die Führung der Ulster Volunteer Force (UVF) endgültig der Anwendung von Gewalt abzuschwören, jedoch ohne sich dabei zu entwaffnen.
Im Juni 2007 gründete die britische Regierung eine parteiübergreifende Gruppe namens Consultative Group on the Past, die Vorschläge zur gesamtgesellschaftlichen Aussöhnung in Nordirland erarbeiten sollte. Ihr Abschlussbericht löste bei seiner Veröffentlichung im Januar 2009 eine öffentliche Debatte im Vereinigten Königreich aus, da er vorschlug, allen Angehörigen eines durch politisch motivierte Gewalt Umgekommenen eine Anerkennungspauschale zu zahlen, unabhängig davon, ob diese zivile Opfer oder Paramilitärs gewesen seien.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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