Geschichtsschreibung in alten Kulturen

Wie die Geschichte als Prozess sind auch Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung einem steten Wandel unterworfen. Sie haben ihre eigene Geschichte, die Ausdruck eines fortschreitenden Bewusstwerdens der Menschheit über ihre Entwicklung und damit auch des Prozesses der Selbsterkenntnis, Selbstverständigung und Identitätsfindung der Menschen ist.

Geschichtsschreibung in alten Kulturen

Die moderne geschichtswissenschaftliche Forschung entstand erst in der Neuzeit, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Jedoch sind Aufzeichnungen mit dem Ziel, die Mitwelt über bedeutsame Ereignisse zu informieren oder Kenntnisse vom geschichtlichen Geschehen an nachfolgende Generationen zu übermitteln, bereits in allen alten Kulturen anzutreffen. Die weit in der Vergangenheit beginnende Geschichtsschreibung ist heute eine Disziplin der Geschichtswissenschaft, die wiederum darum bemüht ist, durch kritische Analyse der verfügbaren Quellen die Darstellung der Geschichte zu überprüfen und einzuordnen. Gleichzeitig war und ist sie – damals mehr als heute – ein Teilbereich der Literatur.

Viele der aus einer fernen Vergangenheit überkommenen Darstellungen geschichtlicher Verhältnisse, Ereignisse und Persönlichkeiten sind noch heute wertvolle Quellen für das Verständnis lange zurückliegender Zeiten. In ihnen sind auch, mehr oder weniger ausgeprägt, einige bis heute anzutreffende Tendenzen der Geschichtsschreibung erkennbar. Ihre Inhalte reichen von der Verherrlichung von Herrschern und Herrschaftsverhältnissen bis zur kritischen Auseinandersetzung mit politischen und sozialen Zuständen der jeweils beschriebenen Zeit.

Bei Ägyptern, Babyloniern, Assyrern und anderen alten Kulturvölkern wurden vor allem die Taten der Herrscher in Inschriften gerühmt. Ein Beispiel dafür ist die Bauinschrift KÖNIG SCHAMSCHI-ADADS I. (1808–1776 v. Chr.), die auf einer Alabastertafel aus Assur entziffert wurde:

„Schamschi-Adad, König des Alls, Erbauer des Tempels des Assur [assyrischer Reichsgott, mit dem sumerisch-babylonischen Gott Enlil gleichgesetzt], der das Land zwischen Tigris und Euphrat auf Geheiss des Assur, der ihn liebt, befriedete...
Den Tempel des Enlil, meines Herrn, das ehrfurchtgebietende Heiligtum, die große Cella, die Wohnung des Enlil, meines Herrn, die durch das Werk weiser Baumeisterschaft kunstfertig ausgeführt war, baute ich inmitten meiner Stadt Assur. Ich bedachte den Tempel mit Zedernholz. An den Räumen stellte ich Türen aus Zedernholz mit Sternen aus Silber und Gold auf. Die Wände des Tempels übergoß ich mit Silber, Gold, Lapislazuli, Karneol, Zedernöl, Feinöl, Honig und Butter als Verputz. Den Tempel Enlils, meines Herrn, führte ich kunstfertig aus ... inmitten meiner Stadt Assur...“

Aber auch in Annalen (Jahrbüchern) sind Aufzeichnungen über historische Begebenheiten und Zeitumstände niedergelegt worden.
Ansätze zu einer historischen Kritik und der Frage nach geschichtlicher Wahrheit finden sich bei den Hethitern. Ähnliches gilt auch für die Israeliten, die ihre eigene Geschichte als Heilsgeschichte verstanden.
Aus den frühen Kulturen Ostasiens, insbesondere Chinas, dem alten Indien und aus den späteren, vom Islam geprägten Kulturen – vor allem den arabischen – sind historische Aufzeichnungen überliefert. Die zum Teil kritische Beschäftigung mit der Geschichte und die nicht selten kunstvolle Art und Weise der Darstellung ihrer Ergebnisse haben hier eine lange Tradition.

Geschichtsschreibung in der Antike

Die Ursprünge der modernen Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung liegen im Griechenland der Antike. Die Vorgaben der griechischen Historiografen haben die abendländische Geschichtsschreibung Jahrhunderte lang beeinflusst. Um Erfahrungen weiterzugeben, gingen die Griechen als erste darüber hinaus, lediglich Kenntnisse über Tatsachen zu übermitteln. Auf wahre Darstellung bedacht zeigten sie auch Gründe und Zusammenhänge historischer Vorgänge auf.

Im 5. Jahrhundert v. Chr. verfasste der griechische Geschichtsschreiber HERODOT (etwa 484 v. Chr. bis 425 v. Chr.) seinen berühmten Bericht über die Perserkriege (zusammenfassende Bezeichnung für die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den antiken Griechen und dem persischen Reich 490 bis 448 v. Chr.). Der römische Schriftsteller, Politiker und Jurist CICERO (106 v. Chr. bis 43 v. Chr.) bezeichnete HERODOT als „Vater der Geschichtsschreibung“. Die Zuverlässigkeit der Berichte HERODOTS ist durch die neuere Forschung vielfach bestätigt worden.

Wenig später schrieb der athenische Geschichtsschreiber und Politiker THUKYDIDES (etwa 460 v. Chr. bis nach 400 v. Chr.) ein klassisches Werk über den Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta, der von 431 bis 404 v. Chr. dauerte. Dieses Werk gilt als die erste historische Monografie. THUKYDIDES erörterte bereits die Zuverlässigkeit seiner Quellen und versuchte, die Motive seiner Handelnden durch eingeschobene (erfundene) Reden deutlich zu machen. Die Schilderung der Ereignisse ist knapp und stets auf Tatsachen bedacht.

THUKYDIDES gilt als Begründer der politischen Geschichtsschreibung. Er ging davon aus, dass nicht die Götter, sondern die menschliche Natur, besonders das Streben nach Macht, und der Zufall den Gang der Geschichte bestimmten. Die von THUKYDIDES getroffene analytische Unterscheidung zwischen Anlässen und wirklichen Ursachen historischer Geschehnisse wurde zu einer Grundkategorie der Geschichtswissenschaft bis heute. HERODOT und THUKYDIDES galten bereits bei ihren Zeitgenossen als objektive Beobachter des Zeitgeschehens und Meister der literarischen Darstellung.

Aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. stammt der erste militärische Tatsachenbericht von XENOPHON (etwa 434 v. Chr. bis 355 v. Chr.), einem athenischen Philosophen, Historiker und Feldherrn. Das große Ansehen des Griechischen als Sprache der Kunst und der Wissenschaft bewirkte, dass sich die römische Geschichtsschreibung in ihren Anfängen auch noch dieser Sprache bediente.

Der römische Politiker und Schriftsteller CATO DER ÄLTERE (224 v. Chr. bis 149 v. Chr.) schrieb im 2. Jahrhundert v. Chr. als Erster in lateinischer Sprache, und zwar eine Gründungsgeschichte Roms. Das hatte eine Vorbildwirkung auf andere römische Geschichtsschreiber.

Grundform der ältesten römischen Geschichtsschreibung war die Annalistik (lat.: Jahrweise Geschichtsschreibung größeren Umfangs).Neben sie traten später durch den römischen Geschichtsschreiber SALLUST (87 v. Chr. bis 35 v. Chr.) die historische Monografie und durch PLUTARCH und SUETON die literarisch-historische Biografie. PLUTARCH (46 n. Chr. bis 125 n. Chr.), gebürtiger Grieche, war Geschichtsschreiber. SUETON (75 n. Chr. bis um 140 n. Chr.) war römischer Geschichtsschreiber.

Ihren Höhepunkt erfuhr die römische Geschichtsschreibung durch TACITUS (etwa 55 n. Chr. bis etwa 120 n. Chr.). Sein bekanntestes Werk ist die „Germania“. Diese Schrift gilt als die früheste und zuverlässige geografische und ethnografische Beschreibung Germaniens.

Wesentliche Elemente der antiken Geschichtsschreibung waren:

  • die künstlerische Form der Darstellung,
  • die Lehrhaftigkeit des Inhalts und
  • sehr oft als empirische Grundlage die eigenen Erfahrungen der Geschichtsschreiber in öffentlichen Funktionen.

Was Inhalte und Standpunkte betraf, war die griechische und römische Geschichtsschreibung vornehmlich weltlich geprägt. Insbesondere die römische Geschichtsschreibung war hauptsächlich eine Darstellung römischer Machtgeschichte. Über das konkrete Geschehen hinausgehendes Sinnieren über Schicksal und Moral hielten Griechen und Römer für Aufgaben der Philosophen und nicht der Historiker.

Geschichtsschreibung im Mittelalter

Nachdem das Christentum im 4. Jahrhundert n. Chr. unter dem römischen KAISER KONSTANTIN DEM GROSSEN (280 n. Chr. bis 337 n. Chr.) einen legalen Status erhalten und sich als herrschende Staatsreligion etabliert hatte, wurden auch die Beschäftigung mit der Geschichte und ihre Darstellung dadurch geprägt. Das heißt, die weltliche Geschichte wurde als eine von Gott oder durch die Wechselwirkung zwischen Gott und Menschen bestimmte interpretiert. Zeitweise dominierte in der christlichen Geschichtsschreibung des Mittelalters eine Verknüpfung von politischer und religiöser Geschichte mit moralischen Deutungen wie im Alten Testament. Sie war in der Hauptsache ein Werk von Geistlichen und in lateinischer Sprache geschrieben. Einige Werke der griechischen und römischen Historiker wurden in Klosterbibliotheken aufbewahrt und wirkten als Beispiele für eine auf weiterreichende Ziele orientierte Geschichtsschreibung.

Zum Teil auf antike Formen zurückgehend, entwickelten sich im Mittelalter für längere Zeit deutlich unterscheidbare Gattungen der Geschichtsschreibung:

Viele Klöster führten Chroniken oder Annalen, nicht selten über Jahre hinweg. In ihnen wurde oftmals und nicht immer zuverlässig nur über das berichtet, was der schreibende Mönch aus der näheren oder weiteren Umgebung erfuhr und für mitteilenswert hielt (Kämpfe, Todesfälle, Herrscherwechsel, Naturereignisse u. a.) Im Laufe des Mittelalters entfaltete sich die Annalistik zu einem bedeutsamen Genre. Besonders zuverlässig sind die im 8. und 9. Jahrhundert entstandenen Reichsannalen. Berühmtestes Beispiel sind die fränkischen Reichsannalen. Aus dem späten Mittelalter stammen die Landes-, Stadt- und Hauschroniken.

Eine weitere Form der mittelalterlichen Geschichtsschreibung waren die Gesta (Taten), Darstellungen von Bistums-, Kloster-, Kreuzzugs- und Landesgeschichten.

  • In der auf griechisch-römische Vorbilder zurück greifenden Form der Origines (Volksgeschichten) wurden Herkunft und Taten der germanischen Völker dargestellt (Geschichte der Goten, der Franken, der Langobarden, der Angelsachsen, der Sachsen und der Dänen).
  • Wichtig für das Verständnis der mittelalterlichen Geschichtsauffassung sind vor allem auch die Weltchroniken. Sie standen in der geistigen Tradition von AURELIUS AUGUSTINUS (354–430), der vor allem durch sein Werk über den Gottesstaat („De Civitate Dei“) als größter philosophisch-theologischer Denker und Kirchenlehrer des christlichen Altertums galt. Es war die unbestrittene oberste Autorität des abendländischen Geisteslebens bis ins hohe Mittelalter hinein. Die Weltchroniken waren als Universalgeschichten gedacht. Sie waren eine Darstellung der Geschichte des Volkes Gottes von der Schöpfung bis zum Jüngsten Tag.

Höhepunkt war hier der deutsche Chronist und BISCHOF OTTO VON FREISING (etwa 1111–1158) mit seinem geschichtsphilosophischen Opus „Chronicon sive historia de duabus civitatibus“ („Problem des Weltreiches und Gottesstaates in dualistischer Schau.“). Die Darstellungsart der Weltchroniken wurde im späten Mittelalter auch in den Volkssprachen fortgeführt, so in der um 1225/30 entstandenen „Sächsischen Weltchronik“, dem ersten deutschen Geschichtswerk in Prosa.

Die Verfasserschaft von EIKE VON REPGOW (von etwa 1180 bis nach 1233), der Rechtskundiger war und als Verfasser des „Sachsenspiegels“, eines deutsches mittelalterliches Rechtsbuchs galt, ist neuerdings umstritten.

In deutscher Sprache gab es Weltchroniken aus der Feder des 1370 gestorbenen HEINRICH VON HERFORD und von HARTMANN SCHEDEL (1440–1514), die berühmte SCHEDELSCHE Weltchronik.

Chroniken in französischer Sprache stammten von dem französischen Geschichtsschreiber und Dichter JEAN FROISSART (1337– etwa 1410) und von PHILLIPE DE COMMINES (1447–etwa 1511), einem französischen Diplomat und Geschichtsschreiber. Letzterer schuf auch die erste moderne politische Biografie.

Nach dem antiken Schema entwickelte die mittelalterliche Geschichtsschreibung die Biografie (Vita), vor allem die Lebensbeschreibungen von Fürsten sowie von Heiligen- und Märtyrern. Die erste große und für lange Zeit richtungweisende Herrscherbiografie war die von dem fränkischen Geschichtsschreiber EINHARD (etwa 770 bis 840) geschriebene Biografie KARLS DES GROSSEN.

Renaissance und Aufklärung

Die Rückbesinnung auf die griechische und römische Kultur der Antike prägte das geistige Leben im Italien des 15. Jahrhunderts. Sie wirkte sich auch auf die Geschichtsschreibung aus. Es erfolgte eine Wiederbelebung des weltlich-pragmatischen Ansatzes in der politischen Geschichtsschreibung als typisches Kennzeichen der Historiographie der Renaissance.

Als die Begründer der modernen Staatengeschichte mit einer lange Zeit geltenden Vorbildwirkung gelten der italienische Philosoph und Geschichtsschreiber NICCOLO MACCHIAVELLI (1469–1527) und der italienische Geschichtsschreiber FRANCESCO GUICCIARDINI (1483–1540) mit ihren Darstellungen der politischen Geschichte der italienischen Stadtstaaten.

Bereits im Vorfeld der Aufklärung, ab dem 16. Jahrhundert und stärker in der Zeit der Aufklärung selbst, im 17. und 18. Jahrhundert, widmeten sich die Historiker mehr und mehr der systematischen Sammlung und Erforschung der Quellen zur kritischen Untermauerung ihrer Kirchen- und späteren politischen Geschichtswerke. An dieser bedeutsamen Entwicklung zur Wissenschaft von der Geschichte waren vor allem französische, italienische, deutsche und englische Wissenschaftler beteiligt, die mit ihrer Arbeit an den geschichtlichen Quellen Zweige der Geschichtswissenschaft wie z. B. die Quellenkritik, die Urkundenlehre und andere historische Hilfswissenschaften begründeten.

Nach der wieder stärker kirchlich ausgerichteten Geschichtsschreibung in der Zeit der Reformation und der Glaubenskämpfe wurde in der Aufklärung die Historiografie einer grundlegenden und kritischen Revision unterzogen. Dabei orientierte man sich am Rationalismus dieser Zeit. Man wandte sich von der reinen Herrschaftsgeschichte ab und zumindest ansatzweise der Sozialgeschichte zu, indem man nicht mehr nur die Regierenden, sondern auch die Untertanen in die geschichtlichen Darstellungen einbezog.

Man verzichtete nunmehr auch völlig auf die Einbettung der weltlichen in die christliche Heilsgeschichte. Prominentester Vertreter dieser neuen Art der Geschichtsschreibung war der französische Schriftsteller und Philosoph FRANÇOIS MARIE VOLTAIRE (1694–1778). Seine historischen Werke sind Beispiele einer im Wesentlichen kritischen Methode und wegweisend für die moderne weltliche Geschichtsschreibung. Wie bei MONTESQUIEU (1689–1755), dem bedeutenden französischen Schriftsteller und Staatsphilosophen, werden ökonomische, politische, soziale und kulturelle Erscheinungen als Zusammenhängendes betrachtet.

Im deutschsprachigen Raum waren bedeutende Vertreter der aufgeklärten Historiografie und Staatsphilosophie der Völkerrechtler SAMUEL VON PUFENDORF (1632–1694) und der Historiker AUGUST LUDWIG VON SCHLÖZER (1735–1809).

Neuzeit und Neueste Zeit

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierten LEOPOLD VON RANKE (1795–1886) und andere, vor allem deutsche Historiker mit der „historischen Methode“ die Geschichtswissenschaft als eigenständige akademische Disziplin. Das heißt, sie begründeten die moderne, quellenkritische Geschichtswissenschaft. Ähnlich verlief die Entwicklung in anderen europäischen Ländern. Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung wurden zu akademischen Lehrberufen.

LEOPOLD VON RANKE

  • hielt leidenschaftslose Objektivität für den notwendigen korrekten Standpunkt des Historikers,
  • betrachtete die kritische Auseinandersetzung mit den Quellen als unerlässliche Grundlage der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsschreibung,
  • maß der Berücksichtigung des historischen Umfeldes, in dem eine Quelle entstand, eine große Bedeutung bei ihrer Bewertung zu und
  • verband die Forderung nach neutraler Herangehensweise mit der Einsicht, dass alle Beobachter und Berichterstatter des historischen Prozesses Produkte ihres Umfeldes und ihrer Zeit sind und daher als subjektive Informanten zu betrachten sind.
LEOPOLD VON RANKE (1795–1886)

LEOPOLD VON RANKE (1795–1886)

Die Beobachtung RANKES, dass die Geschichtsschreibung immer von den jeweiligen politischen Tendenzen der Zeit beeinflusst wird, bestätigte sich erneut und besonders augenscheinlich in Deutschland nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871.

Einerseits trat die an HEINRICH TREITSCHKE (1834–1896) orientierte, extrem nationalistisch und auch antisemitisch ausgerichtete Geschichtsschreibung in den Vordergrund und hatte verderbliche Auswirkungen bis weit in das 20. Jahrhundert.

THEODOR MOMMSEN (1817–1903) hingegen repräsentierte die liberal geprägte Historiografie. Und FRANZ MEHRING (1846–1919) schrieb aus marxistischer Sicht über die preußisch-deutsche Geschichte, über die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie und über Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung. Daneben gab es auch eine von den politischen Tendenzen der Zeit weitgehend losgelöste, die Kultur- und Ideengeschichte aufarbeitende Geschichtsschreibung, die beispielsweise durch den Schweizer JACOB BURCKHARDT (1818–1897) und den deutschen Dichter und Schriftsteller GUSTAV FREYTAG (1816–1895) vertreten wurde.

Eine politische Färbung der Geschichtsschreibung war auch in der Weimarer Republik anzutreffen. Im Nationalsozialismus mit seiner rassentheoretisch orientierten Geschichtsbetrachtung nahm sie geradezu groteske Formen an. In der Zeit des Kalten Krieges waren neben seriöser Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung eine den Interessen des jeweiligen politischen Lagers dienende, apologetische Sicht auf die Geschichte und eine entsprechende Darstellung besonders in der Geschichtspublizistik präsent. Auch deshalb – und im Interesse der inneren Einheit Deutschlands – ist es besonders wichtig, sich bei der Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen beiden deutschen Staaten vom Streben nach Objektivität leiten zu lassen.
Bei den meisten Historikern verbindet sich heute die Einmütigkeit in der Forderung nach Objektivität mit der Einsicht, dass eine abschließende Erkenntnis und völlig identische Rekonstruktion des Geschichtsprozesses unmöglich ist.

Die auf LEOPOLD VON RANKE und andere Vertreter der historischen Methode aufbauende Richtung der Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung des Historismus war vor allem in Deutschland bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts an den Universitäten und Akademien maßgebend. Für ihn war kennzeichnend:

  • die Betonung der Einmaligkeit des historischen Geschehens;
  • die Ablehnung von Gesetzen oder Tendenzen in der Geschichte;
  • die Konzentration auf politische Geschichte und auf die Ideengeschichte.

Kulturgeschichte sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte wurden eher außerhalb der akademischen Institutionen oder nur am Rande betrieben. In anderen Ländern und dann auch in Deutschland kam es besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Hinwendung auf die kulturhistorische und geschichtsphilosophische sowie wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aufarbeitung der Geschichte, verbunden mit einer Annäherung an deren Arbeitsweisen.

Prominenteste und einflussreichste Vertreter der neuen Orientierung waren die Historiker um die französische Zeitschrift Annales“. MARC BLOCH (1886–1944) gab diese Zeitschrift ab 1929 gemeinsam mit LUCIEN FEBVRE heraus. „Annales“ war dabei namensgebend für die neue Geschichtswissenschaft, die sich auf die Untersuchung der Kultur-, Mentalitäts- und Wirtschaftsgeschichte konzentrierte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine bemerkenswerte Verstärkung der sozialwissenschaftlichen Betrachtungsweise in der Geschichtswissenschaft. In zunehmendem Maße wurden auch in der Geschichtswissenschaft quantifizierende und vergleichende Methoden angewandt. Marxistische Ansätze und Erklärungsmuster fanden sich in Westeuropa vor allem in der französischen und englischen Geschichtswissenschaft, was nicht bedeutete, dass damit der historische Materialismus als System übernommen wurde. In den realsozialistischen Ländern diente er zumeist der Legitimation der gesellschaftlichen Verhältnisse und trug nicht selten zu einer vereinfachten Betrachtungsweise der Geschichte bei.

Es gab aber auch hier durchaus bemerkenswerte, international anerkannte wissenschaftliche Leistungen. Dazu zählt beispielsweise die 2-bändige BISMARCK-Biografie von ERNST ENGELBERG (1909 geboren).

Insgesamt sind die gegenwärtige Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung durch eine prinzipielle Offenheit in Bezug auf unterschiedliche Sichtweisen auf die Geschichte gekennzeichnet. Typisch ist ein breiter Methodenpluralismus bei der Erforschung der Geschichte.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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