Anleitung für einen Designpoker nach Andreas Brandolini
Mitte der 1980er-Jahre erstellte ANDREAS BRANDOLINI eine experimentelle Methode gegen den klassischen Designprozess mit seinen logischen, wissenschaftlich fundierten Arbeitsschritten.
Das Spiel mit dem Zufall
Der Ansatz von ANDREAS BRANDOLINIs Überlegungen war, dass alle Produkte einer Produktgruppe, zum Beispiel Küchenstühle, die nach der klassischen Designmethode konzipiert werden, ein ähnliches Design erhalten. Logischer Weise kommen verschiedene Designer beim Ausloten der verschiedenen Faktoren: einfache Handhabung, Ergonomie, Ökonomie der Materialien usw. auf im Wesentlichen gleiche Lösungen.
BRANDOLINIs Methode propagiert das Spiel mit dem Zufall, um so den Entwurfsdogmen des klassischen Designprozesses zu entgehen und neue Kreativität freizusetzen. Der unvoreingenommene Umgang mit den Anforderungen soll Produkte entstehen lassen, die über den herrschenden Zweckrationalismus und das naturwissenschaftliche nüchterne Denken hinausgehen.
Methode des Designpokers
- Festlegen der wichtigsten Kriterien für das Entstehen eines Produktes;
- jedes Kriterium bekommt eine Kartei mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten, jede auf eine Karteikarte.
Kriterien:
1. | Material | – | jedes Material oder Materialkombination auf eine Karte (z.B. Holz, Papier, Stahl, Plastik, Leder...) |
2. | Technik | – | Verbindungen von Materialien (kleben, schweißen, nageln ...) |
3. | Materialbeschaffung | – | Wo finde ich das Material? (Baumarkt, Kaufhaus, Gartencenter ...) |
4. | Design-Motivation | – | Warum will ich etwas entwerfen? (Funktionalität, für die Eleganz, sexuelle Motive...) |
5. | kulturelle Beweggründe | – | Für wen entwerfe ich das Produkt? (Frauen, Raucher, Politiker, Busfahrer ...) |
6. | Ideenfindung | – | Woher bekomme ich die Ideen für den Entwurf? (Spaziergang, Restaurantbesuch, Studium von Fachliteratur...) |
Ziel des Designpoker
Die Einbeziehung spielerischer Zufallskomponenten in den Designprozess bietet als Ansatz der Entwurfsarbeit neue Motivationsmöglichkeiten neben der grundsätzlichen Orientierung auf den rationalistisch begründeten Gebrauchswert und die Ausrichtung auf den herrschenden Markt.
Das Aufbrechen von alten Gestaltungstheorien entlässt den Designer natürlich nicht aus der Verantwortung der zeichnerischen Entwicklung und den damit verbundenen planerischen Arbeiten.
Designpoker nach ANDREAS BRANDOLINI
Um beim Designprozess auf innovative (neuartige) Lösungen zu kommen, kann man sich einer Methode bedienen, die aus zufällig kombinierten Aspekten eine ungewöhnliche Zusammenstellung der Entwurfsbedingungen hervorbringt. Die entstehenden Bedingungen erscheinen oft nicht zusammenpassend und erfordern viel Kreativität und Fantasie und stellen somit eine echte Herausforderung dar.
Die Schritte im Einzelnen:
- Vorzubereiten sind sechs Kartons, die je nach Teilnehmern ca. 20 (oder mehr) Karteikärtchen in der Größe DIN A 7
(etwa 7,3 x 10,6 cm) fassen können.
- Die Kartons sind mit folgenden Begriffen zu kennzeichnen:
- Material
- Technik
- Materialbeschaffung
- Designmotivation
- kulturelle Beweggründe (Zielgruppe)
- Ideenfindung
- Beschriften und zuordnen der Karteikärtchen, wobei einige Materialien auch öfter auftauchen können.
(Mögliche) Materialien: Glas, Kunststoff, Aluminium, Latex, Stahlrohr, Haushaltsfolie, Naturstein, Styropor, Speckstein, Holz, Papier, Pappe, Eis, Hartgummi, Ton, Kunstpelz, Stoff, Beton, Modelliermasse, Gipsbinden, Linoleum, Leder, Gartenschlauch u. a.
(Mögliche) Techniken: nähen, klammern, nageln, verzapfen, nieten, stecken, schleifen, binden, schrauben, kleben, heften, schweißen, schrauben, sägen, falten u. a.
(Mögliche) Materialbeschaffung (wo): Wald, Trödelmarkt, Bauernhof, Natur, Baustelle, Großmarkt, Wohnung, Gartencenter, Supermarkt, Küche, Keller, Schrottplatz, Werkstatt, Strand, Heimweg, Park u. a.
(Mögliche) Designmotivation (warum): Langeweile, Repräsentation, Lebensfreude, Statussymbol, Stress, Eleganz, Armut, Geiz, Fantasie, Funktionalität, Liebe, Hass, Gleichgültigkeit, Toleranz, Poesie, Auseinandersetzung u. a.
(Mögliche) kulturelle Beweggründe (für wen): Gartenfreunde, Rentner, Studenten, übergroße Menschen, Multimillionäre, Kettenraucher, Arbeitslose, Polizisten, Kleinkinder, Politiker, Vegetarier, Magersüchtige, Kleintierzüchter, Motorradfahrer, Übergewichtige, Blinde, Analphabeten, u. a.
(Mögliche) Ideenfindung: Besuch einer Gemäldegalerie, das Betrachten einer Landschaft, Sternzeichen, ein Theaterbesuch, die Lieblingsserie im Fernseher, Musik hören, meditieren, eine Straßenbahnfahrt, ein Messebesuch, ein Feiertag, Spezialisten befragen, Gedichte lesen, Fachliteratur lesen, ein Spaziergang, aus dem Fenster schauen, eine Fernreise, Internet, u. a.
- Jetzt muss die Aufgabe gestellt werden, das heißt, einen Gegenstand festlegen, der entworfen und eventuell als Prototyp oder Modell hergestellt wird.
- Jeder „Designer“ zieht nun aus jedem Karton ein Kärtchen und versucht die Komponenten für seinen Entwurf zu benutzen. Falls es große Widersprüche gibt, darf man bis zu zwei Kärtchen neu ziehen.
- Nach einem festgelegten Zeitraum wird das Ergebnis präsentiert.
Der Designer ANDREAS BRANDOLINI
ANDREAS BRANDOLINI wurde 1957 in Taucha (Sachsen) geboren. Nach dem Studium der Architektur an der TU Berlin arbeitete er als Architekt und Designer, vor allem in Berlin. Dort gehörte er zu den Vordenkern des neuen Design. Zu seinen wichtigsten Ausstellungsprojekten gehört das Kaufhaus des Ostens,1984.
Neben verschiedenen Lehraufträgen an der HdK Berlin, der HfG Offenbach und der HBK Saar, Saarbrücken gründete er 1986 das „brandolini, büro für gestaltung“ und arbeitete in verschiedenen Gruppen, wie „utilism international“ und „rastlos“. Seit 1998 arbeitet er in Frankreich als künstlerischer Leiter im Centre International d'Art Verrier und als Prorektor der HBK Saas.