Entwicklung der Kunstkritik

Wurzeln der Kunstkritik

Bereits in der philosophischen Literatur der Antike gab es Vorläufer der Kunstkritik . In der italienischen Renaissance bildete sich erstmals eine Kunstdebatte heraus, die sich an ein breites interessiertes Publikum richtete. Diese Kunstkritik wurde in der Regel von Künstlern betrieben. Ein bekannter Kunstkritiker und -historiograf war der Niederländer CAREL VAN MANDER (1548– 1606). In seiner Schrift „Het schilderboeck“ beschrieb und beurteilte er Leben und Werk berühmter Künstler seiner Epoche und Umgebung.

Der einflussreichste „Kunstkritiker“ des 16. Jahrhunderts war PIETRO ARETINO (1492–1556). Er wurde auch als Skandalchronist bezeichnet. Seine Kunstkritiken beruhten vor allem auf persönlicher Kennerschaft. Am Hof des Papstes LEO X. führte er ein fürstliches Leben. ARETINO formulierte oft berüchtigte polemische Kritiken, die selbst die Mächtigen, wie Kaiser KARL V., fürchteten und ihm Schweigegeld boten. In seinen fünf satirischen Komödien gab er ein Sittenbild italienischer Renaissance wider und in seinem bekanntesten Werk „Kurtisanengespräche“ schilderte er offen die Skandalgeschichten seiner Zeit. Am Rande sei noch sein makabrer Tod zu nennen: ARETINO rutschte bei einem Lachkrampf aus und brach sich das Genick.

PIETRO ARETINO (1492–1556);Gemälde von TIZIAN;um 1548, Öl auf Leinwand, 99 × 82 cm;New York, Frick Collection.

PIETRO ARETINO (1492–1556);Gemälde von TIZIAN;um 1548, Öl auf Leinwand, 99 × 82 cm;New York, Frick Collection.

Entwicklung der Kunstkritik - Porträt

Der Weg zur professionellen Kunstkritik

Im späten 17. Jahrhundert kann man in der Kunstlehre, verfochten durch die französische Akademie, die Nachfolge ARETINOS erkennen. Diese Kunstlehre orientierte sich noch stark an den Vorbildern RAFFAEL (1483–1520) und POUSSIN (1594–1665). Erst ROGER DE PILES griff das „Geschmacksmonopol“ der Akademie an. Er stellte TIZIAN (um 1485–1576) neben RAFFAEL und später sogar PETER PAUL RUBENS (1577–1640) über POUSSINs Kunst. PILES forderte auch für den Nicht-Künstler das Recht, über Kunst zu urteilen.

Je mehr Künstler für einen freien Markt ihre Werke schufen, um so mehr bildete sich ein vom Bürgertum geprägter persönlicher, meist weniger akademischer Kunstgeschmack heraus.

Die Herausbildung der Autonomie des Kritikers

Bedeutend für die Herausbildung der Kunstkritik waren die Ausstellungen der Akademie und deren Gegenveranstaltungen. Gefördert durch die Herausgabe zahlreicher Fachmedien trat die Kunstkritik im 19. Jahrhundert weiter in den Vordergrund. Zwischen Publikum und Kunstwerk schob sich vermittelnd eine wachsende Journalistenschar, die „nicht selten in Streitereien untereinander verwickelt“ war und auch im Interesse einer Auflagenerhöhung ihre Kritiken schrieb.

LA FONTE DE SAINT-YENNE (1688–1771) verfasste 1746 die erste Kunstkritik im modernen Sinne: Er berichtete nicht nur rein Fachliches, sondern beurteilte auch – zur Empörung der Künstler – erstmals kritisch deren Werke als Nicht-Künstler.

Als Repräsentation des Publikumsurteils vermittelte LA FONTE das ihm einleuchtendste Urteil in seiner Kritik. Fortan setzte sich zunehmend die Autonomie des Kritikers als Literat/Journalist durch wie es auch GOTTHOLD EPHRAIM LESSING (1729–1781) propagierte:

„Der Rezensent braucht nicht besser zu machen, was er tadelt.“

Neben Fachmedien wurden die Kritiken zunehmend in Zeitungen veröffentlicht. Wegen der strengen Zensur wurden aber auch massenhaft anonym „Broschüren“ und „Korrespondenzen“ verfasst und an interessierte Leser versandt.

Im Rahmen einer solchen Korrespondenz erschienen zwischen 1759 und 1781 DENIS DIDEROTS (1713–1784) Berichte über die Ausstellungssalons. So entstand die Form des Kunstbriefes, der die früheste Form freier publizistischer Kunstkritik darstellt.

Diese Veröffentlichungen waren ein Wendepunkt von der kunsttheoretischen Anschauung hin zur aktuellen und direkten Auseinandersetzung mit dem Werk.

In Deutschland wurde die Kunstkritik des 18. Jahrhunderts vor allem von den kunsttheoretischen Arbeiten JOHANN JOACHIM WINCKELMANNs (1717–1768) und (in Verbindung zur Literatur) auch von JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749–1832) stark geprägt. In der Romantik wurden dann Kunsttheorie und -geschichte als Grundlage der Kunstkritik genommen (W. SCHLEGEL); erste bedeutende Kunstkritiken in Deutschland waren jedoch die französischen Salonberichte von HEINRICH HEINE 1831 und EDUARD KOLOFF (1834–1840).

AUGUST WILHELM SCHLEGEL (1767–1845) forderte 1801, nicht nur subjektiv die Werke zu beurteilen, sondern auf der Grundlage von Kunstgeschichte und Kunsttheorie jede Kunstkritik zu erarbeiten, um Einfluss auf das bewusste Erkennen durch das Bürgertum zu nehmen.

Die Rolle des Feuilletons für die Kunstkritik

Im 19. Jahrhundert wuchsen mit der Anzahl der Zeitungen und deren zunehmender Auflagenhöhe der Einfluss und die Bedeutung der Kunstkritik. Eine herausragende Rolle bildete das Feuilleton. Seit 1799 war die Kunstkritik fester Bestandteil des von JULIEN-LOUIS GEOFFROY herausgegebenen ersten Feuilletons in Frankreich. Vor allem die Kontroverse zwischen der akademischen Kunst und den avantgardistischen Strömungen Romantik, Realismus und Impressionismus förderte die Kritik. Die Kritik, aber auch die Adressaten, war sehr heterogen – einerseits versuchte sie die Massen von den Neuerungen fern zu halten, andererseits versuchte sie, die Massen von den Neuerungen zu überzeugen und die Künstler engagiert zu unterstützen.

Neben professionellen Publizisten und bekannten Schriftstellern wie CHARLES BAUDELAIRE (1821–1867), HEINRICH HEINE (1797–1856) und ÉMILE ZOLA (1840–1902) schalteten sich nun viele kurzlebige Stimmen in die oft sehr polemisch geführten Debatten ein.

ÉMILE ZOLA (1840–1902);Gemälde von EDOUARD MANET;1868, Öl auf Leinwand, 146 × 114 cm;Paris, Musée d'Orsay.

ÉMILE ZOLA (1840–1902);Gemälde von EDOUARD MANET;1868, Öl auf Leinwand, 146 × 114 cm;Paris, Musée d'Orsay.

Kunstkritik Entstehung - ÉMILE ZOLA

Eine neue Dimension erhielt die Kunstkritik auch durch die Erfindung der Lithografie. Sie ermöglichte eine schnelle und massenhafte Reproduktion bildlicher Darstellungen: Karikaturistische Salon- oder Kunstkritiken, etwa von HONORE DAUMIER (1808–1879) oder WILHELM BUSCH (1832–1908), erfreuten sich größter Beliebtheit.

HONORÉ DAUMIER: „Die Kunstliebhaber“;um 1862, Schwarze Kreide und Aquarell auf Papier, 324 x 311 mm;Baltimore (Maryland), The Walters Art Museum.

HONORÉ DAUMIER: „Die Kunstliebhaber“;um 1862, Schwarze Kreide und Aquarell auf Papier, 324 x 311 mm;Baltimore (Maryland), The Walters Art Museum.

Kunstkritik und ihre Entstehung - Die Kunstliebhaber

Im frühen 20. Jahrhundert erschienen neben den auflagenstarken Zeitungen und Fachzeitschriften immer häufiger kleinere Publikationen als Sprachrohre einzelner künstlerischer Bewegungen. Engagierte Kritiker unterstützten maßgeblich die Durchsetzung avantgardistischer Positionen. So machten etwa HERWARTH WALDEN (1878–1941) ab 1910 in seiner Zeitschrift „Der Sturm“ den Expressionismus bekannt, der italienische Kritiker GERMANO CELANT kreierte 1967 den Begriff „Arte povera“ (ärmliche Kunst, eine Form der Objektkunst) und förderte die so benannte Kunstrichtung ins öffentliche Bewusstsein.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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