Julien Offray de la Mettrie

In seiner Heimat Frankreich

JULIEN OFFRAY DE LA METTRIE wurde am 19. Dezember 1709 in der bretonischen Hafenstadt St. (Saint) Malo geboren. Nach dem Besuch mehrerer jansenistischer Schulen (Jansenismus: eine katholisch-theologische Richtung) studierte LA METTRIE ab 1725 in Paris. Er begann mit dem Studium der Philosophie und Naturwissenschaften, später widmete er sich dem Medizinstudium. Er promovierte 1733 in Reims zum Doktor der Medizin und verließ Frankreich, da er den Stand der Medizin in seiner Heimat unzureichend fand. Es verschlug ihn nach Leiden in Holland, wo er ein begeisterter Schüler von HERMAN BOERHAAVE (1668-1738) wurde, der damals zu den führenden Medizinern Europas gehörte. LA METTRIE übersetzte die wichtigen Arbeiten BOERHAAVES ins Französische und versuchte sich auch in eigenen medizinischen Abhandlungen. 1735 kehrte er schließlich wieder nach Frankreich zurück und ließ sich in seiner Geburtsstadt St. Malo als Arzt nieder. Er heiratete 1739 und 1741 wurde er Vater einer Tochter.

1742 verließ LA METTRIE aus nicht bekannten Gründen St. Malo, einschließlich seiner Familie und ging nach Paris. Er bekam eine Anstellung als Leibarzt des DUC DE GRAMMONT und war gleichzeitig Sanitätsoffizier in dessen Regiment der „Gardes Francaises“. In dieser Anstellung nahm er in der Zeit von 1743 bis 1745 an drei großen Militäroperationen des österreichischen Erbfolgekrieges teil und lebte zwischendurch immer mal wieder in Paris. Während seiner Anwesenheit in Paris muss er sich vor allem aus medizinischen Kreisen viele Feinde gemacht haben und als der DUC DE GRAMMONT im Jahr 1745 fiel, bedauerte LA METTRIE den Verlust eines sehr mächtigen Schutzherrn.

Schon bald nach dem Tod des DUC verlor er seine Stellung bei den „Gardes Francaises“. Ausschlaggebend für diese Kündigung war u. a. sein 1745 (vermutlich vergeblich unter einem Pseudonym veröffentlicht) erschienenes philosophisches Erstlingswerk: „Histoire naturelle de l´âme“ („Naturgeschichte der Seele“), das kurz darauf aufgrund seines ketzerischen Inhaltes vom Henker in Paris öffentlich verbrannt wurde. Auch seine im selben Jahr anonym erschienene Schrift „La Volupté“ („Die Wollust“) führte zur Ablehnung METTRIES. LA METTRIE, der bereits 1740 in einem Essay erste ironische Stacheln als Stilmittel verwendete, ließ sich von den aktuellen Entwicklungen nicht demoralisieren, sondern schrieb eine regelrechte „Stachelschrift“: „Politique du médecin de Machiavel“ (1746). In diesem Werk greift LA METTRIE all jene Ärzte an - und das waren zu dem Zeitpunkt die meisten Ärzte - die die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, auch hinsichtlich des Menschen, ignorierten, solange sie damit durchkamen und weiterhin ihr Geld verdienten. Trotz dieser Schrift gelang es LA METTRIE mit noch immer genügendem Schutz bzw. Reputation als medizinischer Inspekteur der Feldlazarette in Flandern eine Anstellung zu bekommen. Als sich aber ab April 1747 seine gefährdete Lage dramatisch zuspitzte, beschloss er, ins holländische Exil zu gehen.

Im holländischen Exil

Holland war damals schon fast traditionell ein liberales Land. RENÉ DESCARTES (1596-1650) z. B. hatte sich dort - ein Jh. zuvor - fast sein halbes Leben im Exil aufgehalten. Da es in Holland keine Vorzensur gab und die Nachzensur sehr oberflächlich durchgeführt wurde, wurden dort die verbotenen Bücher für ganz Europa gedruckt. LA METTRIE ging nach Leiden und seine satirische Kritik richtete sich weiterhin gegen die ärztliche Scharlatanerie. In der 1747 erschienenen Komödie „La faculté vengée“ in drei Bänden nimmt LA METTRIE die damalige medizinische Fakultät aus Paris unter die Lupe. Dann entstand in kurzer Zeit und vermutlich ohne besondere Mühe das kleine schmale Buch, das LA METTRIE berühmt gemacht hat: „L'homme machine“ („Der Mensch - eine Maschine“), auf 1748 datiert, aber bereits Ende 1747 erschienen. LA METTRIE behauptete u. a., es gibt keine zwei Substanzen, wie DESCARTES gelehrt hatte. Tote Materie existiert nicht, wir kennen Materie nur in Bewegung und in bestimmten Formen. Die Welt bewegt sich selbst, wir brauchen daher keinen Gott. Das Denken sei eine natürliche Funktion des Körpers wie andere Funktionen. Die Religion sei der eigentliche Störenfried im Leben des Einzelnen wie der Völker, schlimmer als alle Laster. Er meinte - wie später NIETZSCHE - Schuldgefühle und Reue seien nutzlose Selbstquälereien und er empfiehlt deshalb ungehemmtes Streben nach diesseitigem Glück, nach Sinnengenuss (da konnte ihm NIETZSCHE nicht mehr folgen).

Nun war LA METTRIE auch bei den sonst so toleranten und liberalen Holländern zu weit gegangen: Auch bei diesem brisanten philosophisch-wissenschaftlichen Inhalt brachte die anonyme Veröffentlichung nur über kurze Zeit den so nötigen Schutz. LA METTRIEs Verleger, ÈLIE LUZAC, der LA METTRIE im Februar 1748 über die grüne Grenze aus Holland lotste, schrieb, dass er ihn nur so davor bewahren konnte, „wie ein gewöhnlicher Verbrecher auf dem Schafott zu enden.“

Am Hofe Friedrich des Großen im deutschen Exil

Ein Landsmann von LA METTRIE, ein bedeutender Naturwissenschaftler seiner Zeit, PIERRE LOUIS MOREAU DE MAUPERTUIS (1698-1759) vermittelte LA METTRIE direkt nach seiner Flucht aus Holland eine Einladung FRIEDRICH DES GROßEN nach Potsdam. Dort, im gerade neu erbauten Schloss SANSSOUCI lebte LA METTRIE noch knappe vier aufregende, schwierige Jahre bis zu seinem Tod. In dieser verbleibenden Zeit entstanden noch zwei weitere medizinische Fachschriften, einige satirische Pamphlete und diverse philosophische Schriften, die unter den Zeitgenossen Verlegenheit bis hin zu Hass herauf beschworen.

Das, was uns heute über den Menschen LA METTRIE überliefert ist, geht überwiegend auf diese Zeit am Hofe FRIEDERICHs zurück. Ein Zeitgenosse schreibt über ihn: „... er machte an der Tafel des Königs den Possenreißer......der König schraubte ihn oft, zuweilen nicht auf ganz feine Art, um ihn schwatzen zu machen, damit es etwas zu lachen gäbe;...da sagte er gemeiniglich viel Drolliges, und erlaubte sich denn auch vieles, was ein anderer nie würde gewagt haben, und es ging ihm durch.“

FRIEDRICH DER GROßE durchschaute die intellektuellen Fähigkeiten des Hofnarrs, und obwohl LA METTRIE der einzige Atheist bei Hofe war, versuchte ihn der „Philosoph auf dem Königsthron“ an sich zu binden, indem er ihn zu seinem persönlichen Arzt und Gesellschafter machte. MAUPERTUIS, der ebenfalls gut befreundet mit FRIEDRICH war, berief LA METTRIE als Präsident kurze Zeit später in die Königliche Akademie der Wissenschaften. FRIEDRICH bot LA METTRIE seinen Schutz an und forderte ihn auf, „...so zu schreiben, als wäre man allein auf der Welt und habe von den Vorurteilen und Gehässigkeiten der Menschen nichts zu fürchten.“ Natürlich wurde LA METTRIE schließlich von seinen „freundschaftlichen“ Beschützern zensiert.

Seine Schrift „Discours sur le bonheur“ („Rede vom Glück“), die in diesem neuen Exil entstand, tarnte er als Einleitung einer SENECA-Übersetzung, indem er eine längere Abwesenheit von MAUPERTUIS nutzte und auch die Zensur von FRIEDRICH mit einer List umging. Aufgrund des rein philosophischen Inhaltes konnte der Freigeist FRIEDRICH seinen Schützling nicht bestrafen, das persönliche Verhältnis der beiden zueinander litt jedoch unter dieser Aktion sehr. LA METTRIE versuchte sich mehr und mehr in seiner Rolle als Hofnarr und bestätigte so auch im Sinne seiner freundschaftlichen Beschützer seinen Ruf als „Verrückter“. LA METTRIE wurde von seinen Zeitgenossen mehr und mehr als Narr gesehen, der an dem aufgeklärten Hof eigentlich nichts zu suchen hatte. FRIEDRICH selbst sprach in einer Gedächtnisrede für LA METTRIEs von einer Krankheit, die dessen Gehirn in Besitz genommen habe. Diese Gedächtnisrede zu Ehren des Akademiemitgliedes LA METTRIE ist offensichtlich das einzige überlieferte Zeugnis, in dem LA METTRIE für seine herausragenden Fähigkeiten von FRIEDRICH gelobt wird.

VOLTAIRE, der zur selben Zeit am Hofe FRIEDRICHS lebte, sprach bzw. schrieb in der Regel von dem „fou“ (franz.: verrückt) bzw. „folie“ (franz.: Wahnsinn) LA METTRIE. VOLTAIRE ging sogar noch weiter, er hielt LA METTRIE für nicht zurechnungsfähig und die Schriften, die er verfasste, seien in vielerlei Hinsicht gefährlich. Um sicher zu gehen, dass niemand das Gedankengut LA METTRIES ernst nahm, brachte VOLTAIRE in Umlauf, LA METTRIE habe oft betrunken geschrieben. JEAN-BAPTISTE DÁRGENS, ein weiterer Zeitgenosse am Hof bezeichnete LA METTRIE als „Narren, im vollsten Sinne des Wortes“.

MAUPERTUIS schämte sich dafür LA METTRIE an den Hof geholt zu haben und entschuldigte sich in einem Brief an den Naturforscher ALBRECHT VON HALLER (1708-1777, der sich aufgrund einer politischen Fehde absolut nicht mit LA METTRIE verstand) für LA METTRIE: „Ich mache mir beständig den Vorwurf, dass ich an derjenigen Schrift schuld bin, die vor seiner Übersetzung des SENECA steht. Ich kannte seine Wuth zu schreiben, und fürchtete die Folgen derselben. Er hatte mir versprechen müssen, sich bloß an Übersetzungen zu begnügen, weil ich ihn dazu für fähiger hielte, und dadurch seine gefährliche Einbildungskraft einzuschränken glaubte .... Er hat mir mehr als hundertmal geschworen, dass er nichts schreiben würde, was wider die Religion und Sitten liefe ... Er schrieb seine Bücher ohne Vorsatz, ohne sich um ihr Schicksal zu kümmern und öfters ohne zu wissen, was sie enthielten.“

Harte Worte über LA METTRIE von seinen aufklärerischen Zeitgenossen und vermeintlichen Freunden, die sicherlich auch dazu führten, dass seine Schriften weder von den Aufklärern seiner Zeit als auch von den späteren so genannten Materialisten inhaltlich diskutiert wurden.

FRIEDRICH veranlasste die Konfiszierung der Erstauflage des „Discours sur le bonheur“. Er zwang LA METTRIE zur Herausgabe von „Œuvres philosophique“, in denen die Schriften, die LA METTRIE am wichtigsten fand und die MAUPERTUIS als verabscheuungswürdig bezeichnete, komplett fehlten. Allerdings wurde der Verkauf dieser Schrift sofort nach dem Erscheinen verboten, weil es LA METTRIE mal wieder gelungen war einen unzensierten Diskurs in das Werk zu schmuggeln.

LA METTRIE lebte also in einer sehr angespannten Atmosphäre am Hof. Seine Possenreißer- und Hofnarrrolle verschaffte ihm nur vordergründig Auflockerung. Nicht selten wies er direkt in seinen Schriften darauf hin, wie wenig ihm das Leben am Hofe lag. Seine ausufernden Lobeshymnen bezüglich FRIEDRICHS kann man nach Kenntnis seines sonstigen Stils nur ironisch interpretieren. Er setzte daher viel Energie in eine Erlaubnis in seine Heimat Frankreich straffrei zurückkehren zu können. Er bat sogar VOLTAIRE, dass er seine guten Beziehungen dafür einsetzte. Aber diese Erlaubnis wurde ihm nicht gewährt.

LA METTRIE fühlte sich zunehmend schlechter, seine Lage war bedrückend und entwürdigend, ja, sogar sehr gefährlich, denn er wusste, dass er einfach nicht in der Lage war sich selbst in seinen Schriften zu verleugnen. In seiner zweiten Auflage der SENECA-Übersetzung formulierte er die rhetorische Frage, ob nicht auch er eines Tages den Schierlingsbecher als Lohn seiner gedanklichen Kühnheit gereicht bekomme. Eine von ihm anonym satirisch verfasste Schrift dieser Zeit trägt den Titel: „Glaubwürdige Nachricht von dem Leben und sonderbaren Ende des berühmten Arztes LA METTRIE.“

1751 formulierte er in Antwortschreiben an Kritiker seiner Schrift „L´homme machine“ seine Furcht vor der „Wut der Frommen“.

Am 11.11.1751 starb LA METTRIE dann tatsächlich in Potsdam. Über den Umstand seines Todes wird berichtet, der haltlose Narr habe seine Genussfähigkeit unter Beweis stellen wollen und eine riesengroße Pastete gegessen, woran er später, nach eigensinniger Selbsttherapie, gestorben sei. Diese Geschichte, die sehr unwahrscheinlich klingt, wurde später immer wieder gerne aufgegriffen und erzählt. Zum Teil wird auch hinzugefügt LA METTRIE sei auf dem Totenbett reumütig in die Arme der Kirche zurückgekehrt. Ursache und Umstand seines Todes wurden jedoch nie geklärt. Sein letzter Wille, auf dem Grundstück der französischen Gesandtschaft in Berlin beerdigt zu werden, wurde ignoriert. Seine Korrespondenz verschwand spurlos, seine Bibliothek wurde versteigert, nur seine veröffentlichten Schriften blieben der Nachwelt erhalten.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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