Friedenskonzepte von Kant bis Galtung
Die Reihe der modernen Friedenskonzepte beginnt mit der Schrift „Zum ewigen Frieden“ von IMMANUEL KANT. Hier wurden zum ersten Mal die Prinzipien der Demokratie und des internationalen Staatenbundes verknüpft. Pazifisten haben diese Friedenskonzepte im 19. Jh. weiterentwickelt, in Friedensgesellschaften, die in den USA und Europa – in Österreich und in Deutschland – entstanden.
Zur Beendigung des Ersten Weltkrieges wurde ein konkretes Programm der Friedenssicherung aufgestellt, das in der Gründung des Völkerbundes gipfelte. Es geht auf den amerikanischen Präsidenten WOODROW WILSON zurück.
Auch in der Gegenwart wird das Nachdenken über Friedenskonzepte als die „größte geistige Herausforderung unserer Zeit“ bezeichnet. JOHAN GALTUNG, der das formulierte, orientiert seine Forschungen auf zwei Ziele: auf die Ausschaltung von Gewalt und auf die Sicherung der Würde des Menschen sowie die Integrität seiner Kultur.
Das Friedenskonzept von IMMANUEL KANT
IMMANUEL KANT (1724–1804), der bedeutendste deutsche Philosoph der Aufklärung, veröffentlichte seine Schrift „Zum ewigen Frieden“ 1795. Es ist eine Abhandlung in der Form allgemeiner Vertragsbestimmungen, die einen dauerhaften Frieden zwischen Staaten nach Vernunftsprizipien garantieren sollen. Damit hat KANT eine Diskussion ausgelöst, die in der Politikwissenschaft bis heute anhält, weil er zwei entscheidende Bedingungen des internationalen Friedens zuerst formuliert hat.
Die erste Bedingung liegt im Zusammenhang von Demokratie und Frieden:
„Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch (= demokratisch) sein“.
Demokratien seien zum Frieden geneigt, weil die politische Vernunft ihrer Bürger die Kriegslasten und Kriegsfolgen ablehnen muss. Keine Kriegsbegründung kann der demokratischen Kontrolle durch die Staatsbürger standhalten.
Die zweite Bedingung liegt in einem „Föderalismus freier Staaten“, d. h. in einer internationalen Organisation als Friedensbund. Nur eine internationale Organisation kann garantieren, dass sich alle Staaten an den Kriegsverzicht halten. Sie bietet als freiwillige Rechtsgemeinschaft, was kein Staat für sich allein erzeugen kann: Sicherheit und gegenseitiges Vertrauen.
KANTs Leistung bestand darin, dass er die beiden Friedenskonzepte,
- das der Demokratisierung und
- das der internationalen Organisation,
zusammengefügt hat. Obwohl die Welt von heute komplexer geworden ist, hat KANT die beiden Grundprobleme richtig benannt und die beiden wichtigsten Friedensursachen zutreffend beschrieben.
Friedenskonzepte des Pazifismus
Mit Pazifismus wird zweierlei bezeichnet: zum einen eine menschliche Haltung und Einstellung, zum anderen eine politische Bewegung.
- Pazifistische Haltung und Gesinnung von Menschen erwächst aus religiöser, ethischer oder politischer Überzeugung, jede Gewaltanwendung abzulehnen. Pazifisten zeigen bedingungslose Friedensbereitschaft (u. a. Ablehnung jeden Waffengebrauchs) und fordern das auch von allen anderen Menschen.
- Als Pazifisten wurden im 19. Jh. die sich in den USA und Europa herausbildenden Friedensgesellschaften bezeichnet. Dazu gehörten z. B. die „Peace Societies“ der Quäker (christliche Religionsgemeinschaft) in den USA und Großbritannien oder die „Österreichische Friedensgesellschaft“ (gegründet 1891 von BERTHA VON SUTTNER, 1843–1914) sowie die „Deutsche Friedensgesellschaft“ (gegründet 1892).
Pazifismus ist keine einheitliche Lehre. Es gibt:
- religiös orientierten Pazifismus,
- ethisch-humanitär begründeten Pazifismus und
- einen für Weltwirtschaft und Welthandel engagierten Pazifismus.
Allen Richtungen geht es in Publikationen und Kongressen (Erster Weltfriedenskongress 1889 in Paris) um das Problem der Friedenssicherung durch
- internationale Schiedsgerichtsbarkeit bei Streitfällen;
- allgemeine Abrüstung, Verbot militärischer Kriegsvorbereitung;
- Umlenken der Rüstungsausgaben in produktive Bereiche, internationale Handels- und Verkehrprojekte;
- Kampf gegen übertriebenen Nationalismus („Chauvinismus“), für Schulbildung ohne Feindschaft gegen andere Völker;
- Verbot militaristischer Propaganda;
- Achtung nationaler Minderheiten, Förderung einer Weltsprache (Esperanto) zur Völkerverständigung.
Die pazifistische Bewegung konnte den Ersten Weltkrieg nicht verhindern und verlor danach an Bedeutung. Pazifistische Positionen wurden aber weiterhin von Schriftstellern wie KARL KRAUS, STEFAN ZWEIG, ROMAIN ROLLAND und ERICH MARIA REMARQUE vertreten sowie von den Publizisten CARL VON OSSIETZKY und KURT TUCHOLSKY u. a.
- KARL KRAUS schrieb das Weltkriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ (1922).
- Von REMARQUE stammt der Anti-Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ (1929).
- Der Franzose HENRI BARBUSSE schrieb das Kriegsbuch „Le Feu“ („Das Feuer“, 1916).
Pazifistische Grundsätze sind in die Charta der Vereinten Nationen (1945) sowie in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) eingegangen.
Die Anti-Atomwaffen-Bewegung nach 1945 wird auch als Nuklearpazifismus bezeichnet. Seine Ziele waren das Verbot aller Atomwaffenversuche und die völlige atomare Abrüstung als wichtigste Schritte zu internationalem Frieden. Für den Nuklearpazifismus haben sich u. a. der bedeutendste Physiker des 20. Jh., Nobelpreisträger ALBERT EINSTEIN, und der deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger HEINRICH BÖLL engagiert.
Das Friedenskonzept von WOODROW WILSON
Der damalige Präsident der USA WOODROW WILSON (1856–1926) hatte im Januar 1918 ein „14-Punkte-Friedensprogramm“ verkündet. Es sollte zur Beendigung des Ersten Weltkrieges führen und als Richtlinie für einen dauerhaften Weltfrieden dienen. Zu den Forderungen WILSONs gehörten:
- Öffentlichkeit aller internationalen Verhandlungen und Verträge;
- Freiheit der Meere in Krieg und Frieden;
- Freiheit des Welthandels, keine Handelsschranken;
- Internationale Regelung der kolonialen Fragen;
- internationale Abrüstung, generelle Rüstungsbeschränkungen;
- Gründung eines Völkerbundes.
WILSON vertrat weiterhin die Grundsätze einer Herrschaft des Rechts und eines „Bundes von Nationen mit demokratischen Verfassungen“ als Friedensorganisation. Die Errichtung des Völkerbundes 1920 war ein Erfolg des WILSONschen Friedenskonzeptes.
Das Friedenskonzept von GALTUNG
Der schwedische Friedensforscher JOHAN GALTUNG (geb. 1930) hat das Nachdenken über Friedenskonzepte als die
„größte geistige Herausforderung unserer Zeit“
bezeichnet. Er vertritt die Auffassung, dass Friedenskonzepte an zwei Zielen orientiert sein müssen:
- Ausschaltung von Gewalt und
- Sicherung der Würde des Menschen und der Integrität seiner Kultur.
Beide Ziele hat GALTUNG in einem Friedenskonzept verbunden, das er als Alternative zur militärischen Verteidigung eines Staates gegen einen militärischen Angriff entwickelt hat: das Konzept der gewaltlosen sozialen Verteidigung. Es besteht in der Strategie, jede Zusammenarbeit mit einer feindlichen Macht zu verweigern und die Institutionen und den Zusammenhalt der eigenen Gesellschaft trotz militärischer Besetzung durch solidarischen gewaltfreien Widerstand aufrecht zu erhalten. Nicht ein bestimmtes Territorium, sondern eine bestimmte Art zu leben und die Integrität einer Kultur werden so verteidigt.
Von GALTUNG stammt auch die grundlegende Unterscheidung von
- personaler oder direkter Gewalt und
- struktureller Gewalt.
Auf dieser Unterscheidung gründet sich sein erweiterter Friedensbegriff: Frieden ist definiert
- als Abwesenheit von personaler, direkter Gewalt (negativer Frieden) und
- als Abwesenheit von struktureller Gewalt (positiver Frieden).
Den Inhalt des positiven Friedens setzt GALTUNG mit sozialer Gerechtigkeit gleich. Das unterscheidet seine Friedenskonzeption von allen vorhergehenden. Er fordert nicht nur die Erforschung von Konflikten, um durch ihre Beilegung einen negativen Frieden zu sichern, sondern auch eine Entwicklungsforschung besonders für die Dritte Welt, um positiven Frieden durch größere soziale Gerechtigkeit zu erreichen.
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