Staatsbürger, EU-Bürger, Weltbürger

Staatsbürger

Menschen leben in staatlich verfassten Gesellschaften. Ihre Mitgliedschaft (Staatsangehörigkeit, Staatsbürgerschaft) zu regeln, steht nicht im freien Ermessen der Staaten. Indem der verleihende Staat völkerrechtliche Kriterien beachtet, sichert er der Staatsbürgerschaft, auch von anderen Staaten anerkannt zu werden. Solche Kriterien erlauben, an die Geburt anzuknüpfen und sich dabei entweder

  • auf das Territorium (ius soli) oder
  • auf die Abstammung (ius sanguinis)

zu beziehen. Im Interesse von Einwanderungsländern liegt die schnelle Einbürgerung, während Auswanderungsländer ihre ausgewanderten Bürger länger an ihre alte Heimat binden wollen und – wie in Deutschland – zum Abstammungsprinzip neigen. Staatsangehörigkeit kann sich auch

  • aus Heirat,
  • aus der Staatennachfolge und
  • aus eigener Wahl ergeben.

In Deutschland ist die Staatsangehörigkeit nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 geregelt. Es bestimmt: „Deutscher ist, wer die ... unmittelbare Reichsangehörigkeit... besitzt“ (§ 1). Im Übrigen gilt das Grundgesetz, nach dem zu den Deutschen nicht nur die deutschen Staatsangehörigen zählen, sondern auch Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit:

„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat“ (Art. 116, Abs. 1).

Die Staatsbürgerschaft beeinflusst die Identität der Menschen. Sie bezieht sich auf einen Raum (Staatsgebiet) und die Kommunikation in einer Sprache. Sie trägt zur Unterscheidung nach kollektiven Merkmalen bei („wir und die anderen“). Nach dem für das moderne Verständnis einflussreichen Modell des Soziologen MAX WEBER (1864–1920) besteht Staatsbürgerschaft aus der Einheit von

  1. Wohnort,
  2. Verwaltung,
  3. kultureller Mitgliedschaft und
  4. demokratischer Teilhabe.

Nur die Staatsbürgerschaft vermittelt den Einwohnern Anteil an der Volkssouveränität. Dies äußert sich in dem Recht, an politischen Wahlen und Abstimmungen teilnehmen zu können. Staatsbürgerschaft gewährleistet eine minimale soziale Absicherung im Inland und diplomatischen Schutz im Ausland.

EU-Bürger

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verliert die Staatsbürgerschaft an praktischer Bedeutung. Die Einheit ihrer vier Dimensionen wird auseinandergerissen, wenn das lokale Wahlrecht oder soziale Rechte und Leistungen – etwa bei ausländischen Arbeitnehmern – nicht mehr direkt an die Nationalität gebunden sind. Entgrenzungen deutscher Politik und Regierungsgewalt erfolgen innerhalb der europäischen Integration, zunächst im gemeinsamen Binnenmarkt, dann auch in der Währungs- und der politischen Union. So erhielten die deutschen Staatsbürger das Recht, sich frei in den Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, gewannen im Lande ihres Wohnsitzes das aktive und passive Wahlrecht zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen und verfügen inzwischen innerhalb der EU über Petitions- und Auskunftsrechte.
Mit dem Vertrag der EU-Mitgliedsländer über die Verfassung für Europa (2004) wurden die einzelnen Rechte zu einer Unionsbürgerschaft (Art. 8) zusammengetragen. Sie tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, die sie ergänzt (doppelte Staatsbürgerschaft):

„Unionsbürgerin und Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ohne diese zu ersetzen“ (Abs. 1).

Eine „europäische Bürgerschaft“ ist schon früh von RICHARD GRAF VON COUDENHOVE-KALERGI (1894–1972) und seiner pan-europäischen Bewegung als ein Weg angesehen worden, den trennenden Nationalstolz europäischer Völker zu überwinden. Die wenigen Regelungen der Bürgerschaft von 2004 werden zu einer europäischen Identität beitragen können, die im Übrigen jedoch stark von der kulturellen Entwicklung innerhalb der EU und deren endgültiger politisch-staatlicher Form abhängen wird (Finalitätsdebatte). Noch haben sich die europäischen Mitgliedstaaten weder

  • für einen europäischen Großstaat als Einheitsstaat, der die Nationalstaaten ablöst, noch
  • für einen Bundesstaat als einem „Europa der Vaterländer“ noch
  • für ein Europa der Regionen, das die Nationalstaaten schwächt und die EU föderal organisiert, entschieden.

Die EU birgt Ansatzpunkte aller drei Modelle. Die EU-Institutionen des Verfassungsvertrags von 2004 sind sowohl in Richtung des Bundesstaats als auch der internationalen Organisationen deutbar.

Weltbürger

Die in der EU entwickelte doppelte Bürgerschaft inspiriert Projekte, die sich mit einer demokratischen Ordnung der Welt befassen. Auch wenn es einen Weltbürger als formalen Status und direkten Souverän einer demokratischen Weltordnung bislang nicht gibt, hat doch die weltbürgerliche Idee schon eine lange europäische Geschichte. Die griechische Antike versteht unter Kosmopolitismus (griech.: Kosmos = Welt, politis = Bürger) eine Haltung, die die menschliche Gemeinschaft betont. Christentum mit der Lehre der Gleichheit der Seelen vor Gott und die politisch-philosophischen Strömungen des Humanismus, der Aufklärung und der literarischen Klassik (JOHANN WOLFGANG VON GOETHE, 1749–1832) trugen die Idee weiter. Im 19. Jahrhundert beschritten der Internationalismus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegungen und der Pazifismus BERTHA VON SUTTNERs (1843–1914) eigene Wege. Die Gegenwart nimmt häufig Gedanken des Philosophen IMMANUEL KANT (1724–1804) auf, der im Weltbürgertum eine bestimmte Haltung auf der Handlungsgrundlage nationalstaatlicher Republiken geprägt sah.

Ähnlich dem Vorgang, der zu einer Verfassung für Europa führte, wird eine weltbürgerliche Verfassung am ehesten aus der Verdichtung internationalen Rechts erwartet. Im Zusammenwirken von internationalen Verträgen, internationalen und supranationalen Organisationen und Akteursnetzen werden die Weltgerichtshöfe eine überragende Rolle bei der Herausbildung von Elementen einer Weltverfassung spielen. Im Falle Europas war es maßgeblich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die die Lehre der Direktwirkung und den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vorantrieben. Wird das Recht in das Zentrum einer Weltordnung gerückt, wird die existierende Charta der Menschenrechte von zentraler Bedeutung sein.
Vorliegende Entwürfe zu einer globalen Demokratie – so des Tübinger Philosophen OTFRIED HÖFFE (* 1943) oder des britischen Politikwissenschaftlers DAVID HELD („Democracy and the Global Order“, 1995) – fordern, die internationalen Regulierungsinstitutionen auszuweiten und in einen aus den Nationalstaaten bekannten Prozess der liberalen, sozialen und partizipatorischen Demokratie einzubeziehen. Dies bedeutet, auch zivilgesellschaftliche Akteure der internationalen Politik, wie beispielsweise Nichtregierungsorganisationen an hoheitlichen Entscheidungen zu beteiligen. Die Autoren halten nicht am Einheitsmodell der Staatsangehörigkeit fest. Am Ende steht bei HÖFFE eine dreifache Staatsbürgerschaft:

  • „Erst Deutscher oder aber Franzose,
  • dann Bürger Europas oder Afrikas,
  • schließlich Weltbürger“.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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