Ästhetik

Den Begriff Ästhetik warf innerhalb der Philosophie ALEXANDER GOTTLIEB BAUMGARTEN (1714–1762, „Aestetica“) um die Mitte des 18. Jahrhunderts erstmals auf.

BAUMGARTEN bezeichnete die Ästhetik als Wissenschaft sinnlicher Erkenntnis und rechnete sie als dem der Vernunft analogen Denken zu. Er behauptete, dass die ungeordneten Sinneseindrücke durch die Ästhetik zur Wahrheit würden und erst die Vervollkommnung der sinnlichen Erkenntnis wäre Schönheit. Dazu müssten die Ordnung der Dinge und die Ordnung der Zeichen (in den Gedanken) übereinstimmen.

BAUMGARTEN unterschied deshalb zwischen

  • angeborener Ästhetik (Sinneswahrnehmungen, Phantasievermögen, natürliche Veranlagung Gedächtnis, dichterische Anlage, Veranlagung zum guten Geschmack, seherische Fähigkeiten)
  • erworbener Ästhetik (Training der angeborenen Fähigkeiten).

BAUMGARTEN hat bei seinen Zeitgenossen einen bleibenden Eindruck hinterlassen JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM widmete ihm sogar ein Gedicht:

An Herrn Professor A.G. Baumgarten in Frankfurth.
Lehrer, den die Gottheit lehrte,
Lehrer, den die Weisheit liebet,
Lehrer, der mit Licht und Leben,
Und mit freundlichen Beweisen,
Tugend, Witz und Warheit stiftet.
Sieh, wie stark sind deine Lehren!
Sieh, sie überwinden Zweifler;
Sie entwafnen Warheitsfeinde;
Sie gewinnen Weisheitsspötter!
Seelen, nein, ich will sie nennen:
Todte, schlafende Monaden,
Wekken sie aus tiefem Schlummer.
Zwanzig fromme Hauspostillen
Leiten nicht so schnell zur Tugend,
Als wenn du mit schönen Worten,
Und mit freundlichen Beweisen,
Einmal nur die Tugend lehrest.
Denk einmal an deine Siege,
An den Seegen deiner Lehren.
Sieh, wie der die Tugend liebet,
Der, als du die Laster schaltest,
Plötzlich schwur: ich will sie hassen.
Durch die Kräfte deiner Lehren,
Zwangst du ihn zur Tugendliebe.
O wie schaft man seinen Lehren
Solche Kräfte, solchen Seegen?
Lehrer, wenn du mich es lehrest,
O so will ich Mädchen zwingen,
Daß sie plötzlich schweren müssen,
Mich zu lieben, wenn ich liebe.

(Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Versuch in scherzhaften Liedern und Lieder, Herausgegeben von Alfred Anger,Tübingen: Niemeyer, 1964, S. 94-95.)

BAUMGARTEN verstand unter Ästhetik das Schöne, Vollkommene:

Das Ziel der Ästhetik ist die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher. Entsprechend ist die Unvollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis, gemeint ist die Häßlichkeit zu meiden.
(Brecht, Bertolt: Über Film. In: Gesammelte Werke 18. Schriften zur Literatur und Kunst I, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1967, 1990, S. 156).

Über Schönheit und vor allem über den „guten Geschmack“ äußerte sich JOHANN JOACHIM WINCKELMANN ausführlich in den „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ (siehe PDF "Johann Joachim Winckelmann - Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst"). Darin stellte er fest:

„Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten ...“
(WINCKELMANN: „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, siehe PDF "Johann Joachim Winckelmann - Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst", S. 1)

Auch GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL hatte in seinen „Vorlesungen über die Ästhetik“ (1835–1838) keine Zweifel über den gegenstand der Ästhetik als

das weite Reich des Schönen, und näher ist die Kunst, und zwar die schöne Kunst ihr Gebiet.
(HEGEL: „Vorlesungen über die Ästhetik“, siehe PDF "Georg Wilhelm Friedrich Hegel - Vorlesungen über die Ästhetik")

Allerdings fand er, man könne auch den Terminus Kallistik verwenden von dem griechischen Wort kallistos = sehr schön. HEGEL war sich bereits darüber klar, dass Ästhetik mehr meinen musste, als nur das Schöne in der Kunst. Er fand den Begriff „Philosophie der schönen Kunst“.

„Die Philosophie der Kunst bemüht sich nicht um Vorschriften für die Künstler, sondern sie hat auszumachen, was das Schöne überhaupt ist und wie es sich im Vorhandenen, in Kunstwerken gezeigt hat, ohne dergleichen Regeln geben zu wollen.“
(HEGEL, siehe PDF "Georg Wilhelm Friedrich Hegel - Vorlesungen über die Ästhetik", S. 15)

Dabei spricht er von der Kunst als von der „Satisfaktion des geistigen Hervorbringens“: .

„Gegenstände ergötzen uns nicht, weil sie so natürlich, sondern weil sie so natürlich gemacht sind“
(S. 124)

Kunst soll also nicht Nachahmung der Natur sein , sondern „Produktion des Geistes“ und besitzt somit den „Charakter der Allgemeinheit“. In diesem Sinne ist für HEGEL Kunst auch an das „klassische Ideal“ gebunden. „Im Vergleich mit der klassischen Schönheit“ könne also „das Unschöne [nur] als notwendiges Moment“ auftreten (siehe S. 403).

Nach BAUMGARTEN und noch vor HEGEL führten die Romantiker dieÄsthetik des Hässlichen ein.

FRIEDRICH SCHLEGEL plädierte in der frühromantischen Zeitschrift „Athenäum“ gegen die klassische Formel vom „Guten, Wahren, Schönen“ und schrieb, wenn die Kunst die „absolute Anschauung“ vermittle, dann könne ihr Feld nicht nur die Schönheit sein, denn das Absolute schließe auch den Gegenentwurf ein, das Böse, das Schlechte, das Unvollkommene, Torsohafte, Ruinöse, mit einem Wort: das Hässliche. Er trat für eine „Ästhetik der Ehrlichkeit“ ein. Die „Interessantheit“ und die „interessant machende“ Hässlichkeit wurden so zu wichtigen ästhetischen Leitideen neben der Phantasie.
In diesem Sinne kann man die Frühromantik avantgardistisch nennen und ihre Ästhetik modern.

HEGEL griff in seinen „Vorlesungen ...“ die Kategorie des Hässlichen auf und führte aus, „dass mit dem Prinzip des Charakteristischen auch das Hässliche und die Darstellung des Hässlichen als Grundbestimmung angenommen sei“ (S. 15) und dass allein der „subjektive Geschmack“ des Einzelnen über Schönheit und Hässlichkeit entscheide. Er fand den Begriff des Lächelns durch Tränen (S. 120) für die romantische Kunst.

Lediglich der Poesie gestattet HEGEL die Ausnahme:

„Die Poesie hat [...] das Recht, nach innen fast bis zur äußersten Qual der Verzweiflung und im Äußeren bis zur Hässlichkeit als solcher fortzugehen“
(S. 156).

Auch spätere Theoretiker und Schriftsteller beschäftigten sich mit diesen avantgardistischen Haltungen.

Der HEGEL-Schüler KARL ROSENKRANZ begründete die „Ästhetik des Hässlichen“ in seiner gleichnamigen Arbeit von 1853:

„Das Unvollkommene im positiven Sinn entbehrt nur der weiteren Gestaltung, sich ganz als das zu zeigen, was es an sich schon ist.“ Aufgabe der Kunst sei es: „... uns das Hässliche in der ganzen Schärfe seines Unwesens vorzuführen,...“
(KARL ROSENKRANZ: „Ästhetik des Hässlichen“, S. 43, siehe auch in PDF "Karl Rosenkranz - Aesthetik des Häßlichen")

Die Gattungen der Kunst werden von ROSENKRANZ in einer Art Werteskala betrachtet: Die Poesie wird von ihm zur höchsten Gattung gerechnet:

„In der Poesie kann am leichtesten und unmerklichsten gesündigt werden und in ihr wird gewiß die größte Masse des Häßlichen producirt."
(KARL ROSENKRANZ, „Ästhetik des Hässlichen“, S. 53, siehe auch in PDF "Karl Rosenkranz - Aesthetik des Häßlichen")

Die restlichen Gattungen sind Musik, Malerei, Skulptur und zuletzt Architektur.

Mit seiner „Ästhetik des Hässlichen“ und vor allem den daraus entstandenen Kontroversen half ROSENKRANZ mit, einen erweitertenm Ästhetik-Begriff zu finden. Heute ist sein Werk jedoch nahezu vergessen, hat sich innerhalb der Begrifflichkeiten ein von HEGEL ausgehendes Definitionsgebilde durchgesetzt.

Die Ästhetik ist die Theorie der sinnlichen Wahrnehmung und befasst sich mit dem subjektiven Geschmacksurteil. Sie ist somit die Theorie u.a.

  • des Schönen,
  • des Erhabenen und
  • des Hässlichen.

Die Ästhetik untersucht, wie Kunstwerke entstehen, wie sie wahrgenommen werden, welche Strukturen sie haben, und fragt nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Danach kann man die Ästhetik einteilen in

  • normative Ästhetik (Gesetze, die erfahrungsunabhängig sind)
  • deskriptive Ästhetik (Ableiten von Gesetzen aus den Kunstwerken selbst)
  • Objektästhetik (das Kunstwerk und seine Strukturen)
  • Subjektästhetik (Wirkung des Kunstwerkes auf den Betrachter, Bedingungen der Kunstwahrnehmung).

Hinsichtlich der immer weiter wachsenden Bedeutung der (elektronischen) Medien hat sich eine Theorie der Medienästhetik herausgebildet.

Bereits FRIEDRICH NIETZSCHE äußerte:

Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“.
(NIEZSCHE, 1882 an HEINRICH KÖSELITZ, zitiert nach: Friedrich Nietzsche. Chronik in Bildern und Texten. Carl Hanser Verlag: München · Wien, 2000, S. 505.)

Wie sehr die Medienwelt Einzug in unsere Gedankenwelt gehalten hat, wird erst deutlich, wenn man sich dieser audiovisuellen Wahrnehmung als einer spezifischen Form ästhetischer Wahrnehmung bewusst entzieht:

  • Radio
  • Fernsehen
  • Internet
  • virtuelle Computerwelt
  • Computerkunst
  • Computerspiele
  • Telefon (Handy: SMS, Handy-Spiele)
  • Musik (Compact Disc, Live-Konzert, Videoclip)
  • Kino (Film)

Das Buch wird immer stärker durch audiovisuelle Medien verdrängt. BERTOLT BRECHT konstatierte:

Die alten Formen der Übermittlung nämlich bleiben durch neu auftauchende nicht unverändert und nicht neben ihnen bestehen [...]. Die Technifizierung der literarischen Produktion ist nicht mehr rückgängig zu machen“.
(Brecht: Bertolt: Der Dreigroschenprozeß, in: ders., Versuche 1-12, Heft 1-4, S. 243-300, S. 256.)

Zudem spielen Werbung und Produktdesign eine immer größere Rolle. Neue Codes und Subcodes werden in audiovisuellen Medien verarbeitet. Codes aus Werbung / Gameshow / Boulevardmagazin gelangen in Spielfilme, Satiren (Maren Giltzer, „Naddel“, Verona Feldbusch als Codes für einen bestimmten Frauentyp) und bis hinein in den Alltagsbereich. Kunst verändert sich (Code: Sladko, Big Brother), wird zu etwas, was scheinbar alle können. Es wird über die Medien eine neuartige Ästhetik des Alltags (Ästhetik der Belanglosigkeit) geschaffen, in der nur bestimmte Generationen existieren. Das Schöne wird idealisiert, das Hässliche in seinen Extremvarianten akzeptiert (Horror, Science-Fiction, Zeichentrick) und ebenso idealisiert. Der Alltag gerät außerhalb der Betrachtungsweise („Spaßgesellschaft“). Letzten Endes läuft diese neuartige Ästhetik lediglich auf Konsum hinaus: Die Werbung zeigt, was „angesagt“ (Kleidung, fast food, Musik, life style) ist.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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