Von Fotografien kennt man ERNEST HEMINGWAY als braungebrannten, athletischen, weißbärtigen Mann, der eine enorme Vitalität und Virilität ausstrahlt. Dieser Eindruck wird nicht nur von seinen Büchern gestützt, die Männer in harten Bewährungssituationen zeigen, Bücher, die keine Sentimentalitäten und kein überflüssiges Wort enthalten. Auch die Betätigungen, denen der Autor, neben dem Schreiben, in seinem Leben nachging, prägen das Bild nachhaltig: HEMINGWAY zog
HEMINGWAY hat männliche Tugenden wie Mut, Willensstärke, Unabhängigkeit, Risikobereitschaft und das tapfere Ertragen von Leid und Schmerz geschätzt und an den Helden seiner Romane und Short Stories vielfach gestaltet. Doch hinter dem immer wieder beschworenen Männlichkeitsideal verbirgt sich offensichtlich ein tieferer Antrieb. HEMINGWAY beging im Alter von 62 Jahren Selbstmord. Die nach außen zur Schau getragene Hülle des harten Naturburschen hat augenscheinlich eine innere Versehrtheit und Todessehnsucht verborgen.
ERNEST HEMINGWAY wurde am 21.07.1899 in Oak Park, einem eleganten Vorort von Chicago, geboren. Er war das zweite von sechs Geschwistern. Sein Vater war ein angesehener Arzt, seine Mutter eine tief gläubige Katholikin. Sie sang im Kirchenchor und versuchte vergeblich, den Jungen für die Musik und ihr naives gottgläubiges Weltbild zu begeistern. Der Junge teilte vielmehr die Interessen des Vaters fürs Fischen, Jagen und Zelten in den urwüchsigen Wäldern des amerikanischen Mittleren Westens. Den intelligenten und sensiblen Jungen bedrückte nicht nur die geistige Enge der Schule, sondern auch die kaum glücklich zu nennende Ehe seiner Eltern. Er lief zwischenzeitlich von zu Hause fort. Nicht allzu lange allerdings, denn er beendete in Oak Park die Schule, wenn auch ohne großes Engagement. Sein Hauptinteresse galt früh dem Schreiben, insbesondere dem Journalismus. Schon als Siebzehnjähriger veröffentlichte er kleine Reportagen und literarische Skizzen und war Mitherausgeber der Schülerzeitschrift „Trapez“.
Der Einspruch des Vaters und eine beim Boxen erworbene Augenverletzung vereitelten seinen Plan, wie andere kriegsbegeisterte junge amerikanische Männer in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Er hatte allerdings berufliches Glück und bekam eine Anstellung beim „Star“ in Kansas City, einer der angesehensten Zeitungen im Mittleren Westen, und erwarb wichtiges journalistisches Rüstzeug. Hier lernte er, auf überflüssige Ausschmückungen zu verzichten, ganz seiner Beobachtungsgabe zu vertrauen und das Gesehene sprachlich zu verdichten.
Doch der Traum vom Krieg und seinen Abenteuern ließ HEMINGWAY nicht los. Im Mai 1918 gelang es ihm als Ambulanzfahrer des Roten Kreuzes nach Norditalien entsandt zu werden. Er versuchte so dicht als möglich an die Kampflinien heranzukommen und wurde schwer verwundet. Lange Zeit verbrachte er im Lazarett. Nach seiner Genesung erhielt er eine Auszeichnung und kehrte nach Michigan zurück.
1920 begab er sich nach Kanada, wo er in Toronto für den „Daily Star“ und den „Star Weekly“ satirische Artikel über mehr oder weniger belanglose Themen des amerikanischen Alltags schrieb. An Spannung gewann sein Leben wieder, als ihn 1921 der „Star Weekly“ als Korrespondenten nach Europa schickte, von wo er über die Kriegsfolgen berichten sollte. Er bereiste weite Teile Europas und berichtete aus dem deutschen Schwarzwald ebenso wie aus Griechenland, Spanien und der Schweiz, er führte ein Interview mit MUSSOLINI, dem italienischen Faschistenführer, und durchstreifte den Montmatre, das Pariser Künstler- und Intellektuellenviertel.
Paris sollte für den jungen Journalisten folgenreich werden, denn hier begegnete er der kritischen jungen intellektuellen Elite Europas. Der Schriftsteller SHERWOOD ANDERSON (1876–1941), dessen Bekanntschaft HEMINGWAY bereits in Amerika gemacht hatte, empfahl ihn an GETRUDE STEIN (1874–1946). Die in Paris lebende amerikanische Schriftstellerin hatte ihr Appartement zu einer Begegnungsstätte für diese jungen Künstler und Intellektuellen gemacht. Sie gab dem jungen Reporter, der eine Schriftstellerkarriere anstrebte, Ermutigung für literarische Arbeiten und wichtige Anregungen, um seinen Stil zu verfeinern. Mit Blick auf HEMINGWAY prägte sie für diese zwischen den Weltkriegen heimatlos in Europa umhergetriebene Generation junger Männer das berühmte Wort von der „lost generation“. In Paris führte HEMINGWAY allerdings keinesfalls das Leben eines Bohemiens, der sein Künstlertum herausstellte und zum Zentrum seines Lebens machte. Er genoss in den Cafés und Bars zwar die anregenden Gespräche mit Gleichgesinnten, aber lieber ging er in Österreich Ski laufen und arbeitete ehrgeizig daran, ein ernst zu nehmender Schriftsteller zu werden. Zu Hilfe kam ihm dabei auch seine Bekanntschaft mit wichtigen, in Paris lebenden amerikanischen Schriftstellern wie JOHN RODERIGO DOS PASSOS (1896–1970), FRANCIS SCOTT FITZGERALD (1896–1940), FORD MADOX FORD (1873–1939). Sie legten für ihn bei amerikanischen Verlegern ein Wort ein. 1925 erschien seine erste Kurzgeschichtensammlung „In unserer Zeit“. Ein Jahr darauf sein erster Roman „Ströme des Frühlings“, in dem er sich über einige seiner Förderer auf unschöne Weise lustig machte. Internationale Beachtung als Literat verschafften ihm der Roman „Fiesta“ (1926) und der Kurzgeschichtenband „Männer ohne Frauen“ (1927).
Obwohl HEMINGWAY das Leben in Europa sehr genoss - das Skilaufen in Österreich, das Forellenfischen in den Dolomiten, den Stierkampf in Pamplona und das bunte Leben in Paris - zog es ihn wieder zurück nach Amerika, wo er sich im vornehmen Key West (Florida) niederließ. Auch hier ging er seinen Leidenschaften, dem Tiefseefischen und der Jagd, nach, er heiratete zum zweiten Mal und vollendete den Roman „In einem anderen Land“ (1929), der ihn endgültig in der literarischen Welt bekannt machte.
Seine materiellen Verhältnisse erlaubten es ihm, weiter um die Welt zu reisen, zu jagen, zu fischen, Sport zu treiben und das Abenteuer zu suchen. Er befuhr mit seiner Jacht den Golf von Mexiko, studierte wiederum in Spanien den Stierkampf und jagte in Afrika Großwild. Diese Abenteuer haben ihren Niederschlag in „Tod am Nachmittag“, einem Buch über den Stierkampf, in den Kurzgeschichten „Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber“ und „Schnee auf dem Kilimandscharo“ (1948) aus dem Band „Die Ersten und die Letzten“ und dem Tatsachenbericht „Die grünen Hügel Afrikas“ (1935) gefunden.
Die Erzählung „Schnee auf dem Kilimandscharo“ beschreibt die letzten Stunden eines weißen Schriftstellers in Afrika, der sich bei der Großwildjagd als Folge einer kleinen Verletzung den Wundbrand zugezogen hat. Er weiß, dass er sterben wird und letztlich nimmt der Tod Gestalt an. In knappen Dialogen entfaltet sich zuvor das unterkühlte Verhältnis zu seiner reichen Ehefrau, in Rückblenden erinnert er Episoden aus seinem Leben, die wie eine Essenz autobiografischer Reminiszenzen des Autors anmuten. Gegenstand der inneren Rechenschaftslegung ist vor allem das Verhältnis des Mannes zu seinem Künstlertum.
Während HEMINGWAY seinen kostspieligen Leidenschaften frönte, wurde Amerika von der Weltwirtschaftskrise geschüttelt, die ganze Bevölkerungsteile in Armut stürzte. Viele amerikanische Autoren wandten sich in realistischen Werken sozialen Fragestellungen zu. HEMINGWAY hielt sich von politischen Themen fern, seine Politisierung begann erst Mitte der Dreißigerjahre mit dem Aufkommen und Erstarken des Faschismus. In Italien hatte er die faschistische Bewegung und ihren Anführer MUSSOLINI kennengelernt, den er allerdings als aufgeblasenen Popanz unterschätzte.
Aufmerksam beobachtete er auch die politische Entwicklung auf der Iberischen Halbinsel. Als General FRANCO 1936 den SpanischenBürgerkrieg lostrat, gab es für HEMINGWAY kein Halten mehr. Er kaufte aus seinen privaten Mitteln Sanitätsfahrzeuge und Medikamente und weilte von 1937 bis 1939 mehrfach als Frontberichterstatter für die „North American Newspaper Alliance“ in Spanien auf Seiten der Republikaner. Er hatte Kontakt zu den Internationalen Brigaden, arbeitete an dem Dokumentarfilm „Spanische Erde“ mit und schrieb im belagerten Madrid das Schauspiel „Die fünfte Kolonne“ (1940). Noch während des Krieges begann er den Roman „Wem die Stunde schlägt“ (1940), der während des Spanischen Bürgerkrieges in der Sierra Guadaramas spielt. Robert Jordan, ein tapferer amerikanischer Antifaschist auf der Seite der Loyalisten, findet bei der Sprengung einer Brücke den Tod. Auf wenige Tage vor seinem Sterben zusammengedrängt zeigt der Roman seine Bewährung im Schlachtfeld. Jordan hat menschliche Begegnungen von fast mythischer Schicksalsschwere, so mit Pilar, der Hüterin des Feuers, und Maria, mit der er im Sterben erotische Erfüllung findet.
1941 ging HEMINGWAY nach China, um sich vor Ort über die japanische Invasion zu informieren. Als nach dem japanischen Flugzeugangriff auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbour Amerika in den Zweiten Weltkrieg eintrat, bot HEMINGWAY spontan seine eigenen und die Dienste seiner Jacht an, für das romantisch-naive Vorhaben, deutsche U-Boote zu jagen. Als Frontberichterstatter in England konnte er dann endlich die Kriegsschauplätze besuchen, und tatsächlich nahm er auch an Kriegshandlungen in der Normandie teil und marschierte an der Spitze einer Partisaneneinheit in Paris ein, was ihm als Journalisten jedoch nach der Genfer Konvention verboten war. All die blutigen Erlebnisse zweier Weltkriege haben HEMINGWAYs kriegsromantische Vorstellungen relativiert. Die Bilder vom massenhaften gewaltsamen Sterben auf den Schlachtfeldern Europas haben ihn nie mehr losgelassen.
Der Krieg hatte das alte Europa so verändert, dass HEMINGWAY sich hier nicht mehr wohl fühlte, auch Amerika war ihm immer weniger Zuhause und so wandte er sich endgültig seiner neuen Wahlheimat Kuba zu. Er ließ für sich und seine vierte Frau, die Schriftstellerin MARTHA GELLHORN, in der Nähe von Havanna eine Finca errichten. Hier konnte er ungestört schreiben, angeln und schwimmen. Hier verfasste er auch im Januar 1952 seine berühmte, nahezu mythische Erzählung „Der alte Mann und das Meer“, für die er 1953 den Pulitzerpreis und 1954 den Nobelpreis für Literatur bekam. Es ist die längste seiner Short Stories, man könnte gar von einem Kurzroman sprechen. Es ist die Geschichte des alten Fischers Santiago, der 84 Tage vergeblich auf das Meer hinausfährt, anfänglich noch mit dem Jungen Manolin, später ganz der Einsamkeit des Meeres ausgesetzt. Er gewinnt schließlich den Kampf gegen einen riesigen Schwertfisch, muss jedoch den Haien seinen Fang überlassen und bringt nur Gräten mit in den Hafen. Dennoch wird er wieder hinausfahren und dem Meer seinen Fang abtrotzen. HEMINGWAY hält sich bei der Gestaltung der Geschichte streng an die Wirklichkeit. In einem karg zu nennenden Realismus gibt er die Handlung und die Dialoge wieder. Ohne schmückende Adjektive, mit parataktisch gereihten Sätzen hat er einen Text von allegorischer Tiefe und dichter Motivik geschaffen.
In der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre suchte HEMINGWAY erneut das geliebte Spanien auf und begab sich wieder in die Stierkampfarenen von Madrid und Pamplona. Er schloss Freundschaft mit dem jungen Matador ANTONIO ORDONEZ. Wie am Krieg so faszinierte ihn am Stierkampf die Welt des Mutes und der Männlichkeit und der elementaren Dinge wie Kampf und Tod. Er fasste sie zusammen in dem Buch „Gefährlicher Sommer“ (1960).
Am 2. Juli 1961 hieß es offiziell, HEMINGWAY habe sich bei Jagdvorbereitungen tödlich verletzt. Aber mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass er, wie sein Vater, Selbstmord beging. Als das Altern ihm seine geliebten sportlichen und abenteuerlichen Aktivitäten zu versagen begann, schien ihm auch der wesentliche Schreibantrieb verloren gegangen zu sein und die Nähe zum Tod unabweisbar. Physische Stärke, die Suche nach intensiven Sinnesreizen in abenteuerlichen Extremerfahrungen und elementaren Bewährungssituationen, das Ausleben der Triebe und die Feier des Lebens in einfachen, naturverbundenen Aktivitäten hatte er in seinen Geschichten und Skizzen stets dem Tod entgegengesetzt. Immer ist er aber auch einer unheimlich zu nennenden Todessehnsucht gefolgt, wenn er sich im Krieg in die vordersten Linien begab oder in seinen sportlichen Abenteuern die Gefahr suchte. Wie sein Vater und andere Mitglieder der HEMINGWAY-Familie litt er an Depressionen, und der Todestrieb gewann schließlich die Oberhand über seinen Lebenswillen.
Berühmtheit hat HEMINGWAY weniger wegen seiner Romane erlangt, als vielmehr für seine Kurzgeschichten. In ihnen findet sich der unverwechselbare HEMINGWAY-Stil:
Doch was auf den ersten Blick banal, wie ein plattes Abziehbild der Wirklichkeit aussieht, enthüllt bei näherem Hinsehen seine Doppelbödigkeit und Dichte. Er hat Situationen und Stimmungen eindringlich geschildert, nur auf die emotionale Wirkung der Fakten, des Gangs der Ereignisse vertrauend.
HEMINGWAY schrieb wie als Reporter ausschließlich über Dinge, die er aus eigener Anschauung kannte. Fiktionales Fabulieren war nicht seine Sache. So ist in alle Bücher und Kurzgeschichten verdichtetes autobiografisches Material eingegangen. Zu einer literarischen Autobiografie lassen sich gleichsam seine Kurzgeschichten um Nick Adams zusammensetzen. Nick Adams ist ein junger Amerikaner der Mittelschicht, dessen Erwachsenwerden und Weg zur Reife über harte, desillusionierende Erlebnisse der Leser über verschiedene Stationen erfährt.
Die ersten Geschichten
beschreiben Nicks Kindheitserlebnisse beim Jagen mit dem Vater, in den Wäldern Michigans, Begegnungen mit Indianern. Von elementarer Wucht ist seine frühe Begegnung mit dem Tod, dargestellt in „ Indianerlager “. Der Junge wird Zeuge, wie sein Vater, (Arzt wie HEMINGWAYs Vater) eine Indianerin mit Kaiserschnitt ohne Narkose entbindet und deren Ehemann angesichts ihres Leids und ihrer unmenschlichen Schmerzen Selbstmord begeht. Die Stärke und Entschlossenheit des Arztes ist mit dem Versagen des verzweifelten Indianers kontrastiert.
Die Erzählung „Das Ende von Etwas“ zeigt Nicks ersten Liebesschmerz. In „Der Kämpfer“, „Die Killer“ und „Das Licht der Welt“ ist sein Tramperdasein beschrieben. Er durchstreift das Land, nachdem er von zu Hause weggelaufen ist, trifft auf Herumtreiber, Huren und Mörder und begegnet menschlicher Niedertracht, seelischer Verwahrlosung, Eigennutz und Verbrechen. Nick lernt das Leben von seiner schmutzigen Seite kennen, eine Welt, die ihm bislang verborgen war.
„So, wie du niemals sein wirst“ und „ In einem andern Land “ behandeln Nicks Kriegserlebnisse in Europa, seine Zeit im Lazarett, das Grauen des Krieges und das langsame Heilen der körperlichen und seelischen Wunden.
In „Müde bin ich, geh zur Ruh“ versucht Nick Adams Abstand von seinen Kriegserlebnissen zu gewinnen, indem er sich in die unberührte Natur zum Angeln und Skilaufen zurückzieht.
Die Geschichten um Nick Adams hat HEMINGWAY nicht in einem Kurzgeschichtenband zusammengefasst. Vielmehr sind sie über die Bände
verstreut.
HEMINGWAY hat die Milieus, in denen er sich auskannte, sprachlich sehr präzise zu erfassen vermocht. Ihm gelang es, Menschen in ihren lapidaren Äußerungen treffend zu charakterisieren und in den knappen Rahmen seiner Short Stories ganze Geschichten zu entfalten, die jeweils mehr bedeuten als das unmittelbar Gesagte. HEMINGWAY war einer der größten Stilschöpfer des 20. Jahrhunderts. Vielfach ist versucht worden, seinen Stil nachzuahmen, es waren nicht mehr als epigonale Versuche, stets dürftiger als das Original. In der deutschen Literatur der Nachkriegszeit, der sogenannten „Kahlschlagliteratur“ der jungen desillusionierten Kriegsheimkehrer fand HEMINGWAYs Stil produktive Anverwandlung.
HEMINGWAY starb am 02.07.1961 in Ketchum, Idaho.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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