Heiner Müller

Lebensgeschichte und literarisches Schaffen

HEINER MÜLLER wurde am 11. August 1929 in Eppendorf als Sohn eines Angestellten und einer Arbeiterin geboren. Die Volksschule besuchte er zuerst in Bräunsdorf, dann in Waren. Ab 1939 war er Schüler der staatlichen Mittelschule und erhielt in allen Fächern, besonders aber in Deutsch, überdurchschnittlich gute Zensuren. Im Jahre 1941 wurde das zweite Kind der Familie, HEINERs Bruder WOLFGANG geboren. Das Kriegsende erlebte er als Sechzehnjähriger beim Volkssturm. Er geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er floh. Von den Russen aufgegriffen und wieder freigelassen, durchstreifte er tagelang das zerstörte Land. Er arbeitete in einem mecklenburgischen Landratsamt, da das Gymnasium erst Monate nach Kriegsende wieder eröffnet wurde.

Seine Arbeit in der Bibliothek bot ihm Zugang zur Weltliteratur. Er konnte dort auch solche Autoren lesen, die später in der DDR verboten wurden. Von seinem Verdienst kaufte er sich in den Westzonen Werke moderner Autoren. MÜLLER las ERNST JÜNGER, FRIEDRICH NIETZSCHE, GOTTFRIED BENN, THOMAS STEARNS ELIOT, FRANZ KAFKA, BERTOLT BRECHT, ANNA SEGHERS, aber auch russische Autoren des sozialistischen Realismus und antifaschistische Exilliteratur.

Da sein Vater zum Bürgermeister der Stadt Frankenberg gewählt wurde, zog die Familie wieder um und MÜLLER besuchte das dortige Gymnasium. 1949 legte er sein Abitur ab. Ungefähr zur selben Zeit stellte er den Eltern seine Freundin, die drei Jahre jüngere ROSEMARIE FRITSCHE, vor.
Sein Vater hatte einen schweren Stand als Bürgermeister und so kam es, dass er wegen seiner politischen Einstellung, die nicht mit der der sowjetischen Behörden übereinstimmte, 1950 aus dem Amt ausschied. Er setzte sich in den Westen ab, seine Frau sollte ihm mit den beiden Kindern folgen. Aber sie kam nur mit dem neunjährigen WOLFGANG, HEINER blieb in der sowjetischen Besatzungszone, nicht zuletzt deshalb, weil seine Freundin ein Kind von ihm erwartete. Zu Beginn der Fünfzigerjahre begann er, schriftstellerisch zu arbeiten. Sein Versuch, Meisterschüler bei BERTOLT BRECHT am Berliner Ensemble zu werden, scheiterte an der Eignungsprüfung. So arbeitete er als Journalist bei verschiedenen Zeitungen und schrieb überwiegend Rezensionen. Nebenbei veröffentlichte er aber auch eigene Arbeiten, die sich an BRECHT und WLADIMIR WLADIMIROWITSCH MAJAKOWSKI orientierten.

Am 31. August 1952 heiratete MÜLLER und am 25. Dezember wurde die Tochter geboren. Aber die Ehe währte nur kurz. Im Frühjahr 1953 trennte sich ROSEMARIE von ihrem Mann, da er sie betrogen hatte. Schon im November desselben Jahres heirateten beide erneut, um sich 1955 wieder scheiden zu lassen. MÜLLER hatte die Journalistin und Kinderbuchautorin INGEBORG SCHWENKNER kennengelernt. Sie heirateten 1955 und MÜLLER adoptierte ihren Sohn BERND.
Zusammen mit seiner Frau schrieb er kurze Dramen, die das Verhältnis von Vergangenheit (Nazizeit) und Zukunft (Aufbau des Sozialismus) anhand von Alltagskonflikten der Gegenwart zum Thema hatten. Seit 1959 arbeitete er als freier Schriftsteller. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter desSchriftstellerverbandes war MÜLLER mit den verbindlichen Kriterien der sozialistisch-realistischen Wirklichkeitsdarstellung vertraut. Sein erstes großes Drama über die Epochenumwälzung in der DDR, über Großgrundbesitzer und die Kollektivierung der Landwirtschaft „Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande" (1961) wurde nach der ersten Aufführung auf einer Studentenbühne sofort abgesetzt. Die Schauspieler und der Regisseur wurden strafversetzt und der Autor aus dem Schriftstellerverband mit der Begründung ausgeschlossen, dass das Stück sämtliche Vorurteile des Klassenfeindes der DDR enthielte. MÜLLER wurde „eine unzureichende Darstellung der Wirklichkeit“ vorgeworfen.

Mit Gelegenheitsarbeiten, u. a. beim Rundfunk, hielt MÜLLER sich über Wasser. Sein nächstes Stück „Der Bau“ (1963–1964) wurde, vermutlich wegen der ironischen Anspielung auf den 1961 erfolgten Mauerbau, ebenfalls von der SED scharf kritisiert. Nachdem seine Werke bisher grundsätzlich auf Ablehnung gestoßen waren, bediente sich MÜLLER, wie andere DDR-Dramatiker seiner Zeit auch, derParabel. Probleme des Sozialismus wurden nun anhand antiker Stoffe behandelt.
1966 nahm sich seine Frau das Leben, sie hatte schon längere Zeit unter Depressionen gelitten.

Mit der Bearbeitung des „Ödipus Tyrann“ von SOPHOKLES in der Übersetzung von FRIEDRICH HÖLDERLIN erreichte MÜLLER wieder die offizielle Anerkennung in der DDR (1967). 1968 wurde er auch im Westen durch die Uraufführung des „Philoktet“ in München bekannt. Von 1970 bis 1976 arbeitete MÜLLER als Dramaturg am Berliner Ensemble, später an der Volksbühne. Seine Regiearbeit zu „Macbeth“ erregte aber schon wieder die Fachwissenschaft. Aufgefallen war sein „Geschichtspessimismus“.

Die Stücke der nächsten Jahre, z. B.

  • „Mauser“ (1971),
  • „Leben Grundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei“ (1976) und
  • „Hamletmaschine“ (1977),

wurden nicht gespielt.

Seit Mitte der Siebzigerjahre wuchs das Interesse an MÜLLERs Werk. Der Westberliner Rotbuch-Verlag begann mit einer Werkausgabe. 1975 besuchte MÜLLER das erste Mal die USA. Er war Gastdozent in Austin/Texas.
Zunehmend zeigten andere Länder, wie Frankreich, Italien und einige Ostblockstaaten Interesse an MÜLLERs Werken und so genoss er als einer der wenigen das Privileg, reisen zu dürfen. Seine seit 1968 fast uneingeschränkte Reisefreiheit mag der Grund für seine Treue gegenüber der DDR gewesen sein. Er selbst sieht in BERTOLT BRECHT den Grund, nicht ausgereist zu sein: „BRECHTs wegen konnte man für die DDR sein.“
MÜLLER ist der einzige innovative Dramatiker, den die DDR hervorbrachte, der, obwohl er ein Außenseiter war, letztendlich von ihr akzeptiert wurde.
1988 wurde er wieder in den Schriftstellerverband aufgenommen. Nach der Wende verunsicherte MÜLLER allerdings mit dunklen Orakelsprüchen in zahlreichen Interviews. MÜLLER – ein Skeptiker – sah seine Aufgabe darin, Illusionen zu zerstören.

1990 wurde MÜLLER zum Präsidenten der Akademie der Künste (Ost) gewählt. 1992 wurde er einer der Direktoren des Berliner Ensembles, bis zu seinem Tode 1995 war er Intendant desselben. 1992 heiratete MÜLLER die Fotokünstlerin BRIGITTE MARIA MAYER. Noch im selben Jahr wurde Tochter ANNA geboren. Die Familie lebte in Berlin-Kreuzberg in einer Fabriketage, wo sich auch BRIGITTE MAYERs Atelier und im Geschoss darüber, MÜLLERs Arbeitsräume und Bibliothek befanden.
Am 30. Dezember 1995 starb MÜLLER in Berlin an den Folgen eines Krebsleidens.

Für sein Werk erhielt MÜLLER verschiedene Preise wie

  • den Georg-Büchner-Preis (1985),
  • den Nationalpreis der DDR (1986, was einer Art Rehabilitierung gleichkam),
  • den Kleist-Preis (1990),
  • den Europäischen Theaterpreis (1991) und
  • den Berliner Theaterpreis (1996).

Werke (Auswahl)

  • Der Lohndrücker (1956, Drama)
  • Die Korrektur (1957, Drama)
  • Klettwitzer Bericht (1958, Drama)
  • Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande (1961, Drama, Bild 2)
  • Traktor (1961, Theaterstück)
  • Der Bau (1963–1964, Drama)
  • Philoktet (1964, Drama)
  • Mauser (1971, Drama)
  • Zement (1972, Theaterstück)
  • Hamletmaschine (1977, Theaterstück)
  • Die Schlacht (1977, Theaterstück)
  • Germania Tod in Berlin (1977, Theaterstück)
  • Leben Grundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei (1976, Theaterstück)
  • Der Auftrag (1979, Theaterstück)
  • Quartett (1981, Theaterstück)
  • Medeamaterial (1982, Drama)
  • Bildbeschreibung (1984, Theaterstück)
  • Wolokolamsker Chaussee I–V (1988, Hörstücke)
  • Ein Gespenst verlässt Europa (1990, Gedichte)
  • Gesammelte Irrtümer, Zweite Folge (1990, Theaterstück)
  • Krieg ohne Schlacht (1992, Autobiografie, Bild 1)
  • Germania 3. Gespenster am toten Mann (1996, Theaterstück)
  • Ödipus Tyrann (1967, Drama)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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