Gerhard Richter

GERHARD RICHTER wurde am 9. Februar 1932 in Dresden geboren und verbrachte die Kindheit in Reichenau, einem Dorf in der Oberlausitz. Nach der mittleren Reife arbeitete er zunächst als Bühnen-, Werbe- und Plakatmaler in Zittau.

1952 bestand er die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Bildenden Künste in Dresden und wählte für das Studium den Schwerpunkt Malerei. Nach bestandener Abschlussprüfung 1957 war er für drei weitere Jahre als Meisterschüler an der Dresdener Akademie. Kurz vor dem Bau der Berliner Mauer 1961 verließ er die DDR und siedelte in die Bundesrepublik Deutschland über.

In Düsseldorf studierte er an der Kunstakademie bei KARL OTTO GÖTZ, einem der Mitbegründer der informellen Malerei. An der Akademie befreundete sich RICHTER mit SIGMAR POLKE, BLINKY PALERMO (eigentlich PETER HEISTERKAMP), einem Schüler von JOSEPH BEUYS, und mit KONRAD LUEG, dem späteren Galeristen KONRAD FISCHER.

Mit LUEG wird er 1963 die viel beachtete Aktion „Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“ veranstalten. Seit 1964 hatte RICHTER Einzelausstellungen in deutschen Galerien. 1967 war GERHARD RICHTER Gastdozent an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, im Jahr darauf Kunstlehrer an einem Düsseldorfer Gymnasium.

1971 übernahm er eine Professur an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf, die er bis Mitte der 1990er-Jahre innehatte. 1978 erhielt er eine Gastprofessur am Nova Scotia College of Art in Halifax in Kanada an.

1982 heiratete er in zweiter Ehe die Bildhauerin ISA GENZKEN. 1983 zog RICHTER nach Köln, wo er bis heute lebt und arbeitet. 1988 hatte RICHTER eine Gastprofessur an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste, der Städelschule, in Frankfurt am Main inne.

RICHTER, der zahlreiche internationale Kunstpreise erhielt – 1981 den Arnold-Bode-Preis der Stadt Kassel, 1985 den Oskar-Kokoschka-Preis der Stadt Wien, 1988 den Kaiserring der Stadt Goslar, 1995 den Wolf-Preis in Jerusalem, 1997 den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig und den Praemium-Imperiale-Preis in Tokio – gilt international als einer der bedeutendsten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

„Vielseitig, vielgesichtig und vielschichtig“

So charakterisierte KARL RUHRBERG das künstlerische Werk RICHTERs, das wie kaum ein anderes einem Wechsel und Wandel der Stile, Methoden und Ausdrucksmittel der Malerei unterworfen ist und sich jeder Einordnung entzieht.

Begonnen worden war es im Zeichen der Pop-Art: 1963 veranstaltete RICHTER gemeinsam mit KONRAD LUEG die Aktion „Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“ im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop“, die immer wieder als deutsche Variante der internationalen Pop-Art hervorgehoben wird. Dabei „präsentierten“ die beiden Künstler den gesamten Inhalt des Möbelhauses zusammen mit eigenen Arbeiten und sich selbst auf weiße Sockel gestellt als Kunstobjekte in einer Wohnzimmereinrichtung dem Betrachter. Dieser frühe Ausflug in die Welt des Happenings sollte für RICHTER eine Ausnahme sein, von nun widmete er sich ausschließlich dem Medium des Tafelbildes.

Eine große Rolle in der künstlerischen Arbeit RICHTERs spielte und spielt die Fotografie. Reproduktionen aus Zeitschriften sowie selbst angefertigte Fotos dienten ihm immer wieder als Vorlagen für seine Gemälde. Mit den nach Fotografien angefertigten Bildern amerikanischer Flugzeugstaffeln mischte er sich 1964 – inhaltlich und motivisch – auch in die Diskussionen um die Wiederaufrüstung in der Bundesrepublik Deutschland ein. Daneben wurden alltägliche Schnappschüsse – wie aus einem Familienalbum stammend – „koloriert“ auf die Leinwand gebracht, wie in „Schwimmerinnen“ (1965; Sammlung Froehlich).

Auf die ersten, um 1966 entstanden „Farbtafel-Bilder“, die nach Farbmusterkarten gemalt sind, wie sie von der Industrie zur Präsentation ihrer Farb- und Produktpalette verwendet werden, folgten seit Ende der 1960er-Jahre – wiederum nach Fotovorlagen – Serien mit Stadt- und Landschaftsmotiven.

Das sind zunächst die grob gemalten Städteluftbilder wie „Stadtbild“, 1968 und dann die „Seestücke“ aus der Mitte der 1970er-Jahre: romantisch anmutende, in der Tradition CASPAR DAVID FRIEDRICHs („Der Mönch am Meer“, 1809/10; Berlin, Nationalgalerie) stehende, fast abstrakte Küstenstreifen in verschwommenem Licht bzw. verwischter zarter Farbigkeit.

Immer wird mit diesen Bildern nach fotografischen Vorlagen an das Überdenken unserer Sehgewohnheiten appelliert und Fotografie und Malerei als Abbild der Wirklichkeit infrage gestellt.

Etwa zeitgleich dazu entstehen die abstrakten und monochromen „Grauen Bilder“, wie „Zwei Grau nebeneinander“ (1966; Sammlung Froehlich). Seit den 1980er-Jahren gestaltete RICHTER mittels pastosem Farbauftrag starkfarbige abstrakte Kompositionen auf großen Leinwänden, die der informellen Malerei nahe stehen, wie „S. D. I.“ (1986; Napa CA., Hess Collection).

1988, elf Jahre nach dem Tod einiger Mitglieder der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe bzw. der Roten-Armee-Fraktion (RAF) in dem Gefängnis Stuttgart-Stammheim, sorgte RICHTER mit seiner aus 15 Gemälden bestehenden Werkgruppe „18. Oktober 1977“ (New York, Museum of Modern Art) für Diskussionen. Aufgrund des nach Presse- und Polizeifotos gemalten Bildzyklus wurden RICHTER Sympathien für den Terrorismus ebenso vorgeworfen wie die Erinnerung an einen Teil deutscher Geschichte darin als beachtenswert gesehen wurde.

GERHARD RICHTERs 1962 begonnener und 1972 erstmals ausgestellter „Atlas“, eine Dokumentation seiner Quellen, ein Archiv bestehend aus Bildern – fotografischen Schnappschüssen, Pressefotos, eigenhändig aufgenommenen Fotografien und aus Skizzen – umfasste zur Zeit seiner Ausstellung auf der documenta 10 1997 in Kassel etwa 5 000 Bilder.

Mit den Übermalungen von Fotografien aus Florenz, die im Frühjahr 2000 entstanden, und dem im Deutschen Guggenheim von Oktober 2002 bis Januar 2003 gezeigten Bildzyklus „Acht Grau“ verfolgt RICHTER konsequent das eigentliche Thema seiner Kunst: die Infragestellung der Wirklichkeit und die Infragestellung der Malerei – auch in ihrer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und mit der Fotografie.

„Ema – Akt auf einer Treppe“

1966 malte GERHARD RICHTER das nahezu lebensgroße Ölbild „Ema Akt auf einer Treppe“. Die Unschärfe des mit gesenktem Kopf die Treppe herunter- und direkt auf den Betrachter zuschreitenden nackten weiblichen Körpers erinnert an die verwischten Formen und Töne eines „verwackelten“ Farbfotos.

Kunsthistorisch wird RICHTERs Werk in jene Tradition der Malerei eingereiht, die Bewegung und zeitlichen Ablauf im statischen Medium des Gemäldes einzufangen sucht und die zeitliche und räumliche Dimension in die Zweidimensionalität der flächigen Darstellung überträgt. Dabei ist besonders zu denken an MARCEL DUCHAMPs „Akt, eine Treppe herabsteigend“ (1912; Philadelphia, Pennsylvania, Museum of Art).

Bereits DUCHAMP hatte mit seinem Gemälde konkurriert mit der Fotografie und war angeregt worden von den seit 1877 entstandenen Phasenfotografien schneller Bewegungsabläufe vornehmlich von Tieren des Amerikaners EADWEARD MUYBRIDGE und von den Fotosequenzen des Franzosen ÉTIENNE-JULES MAREYS der 1870er- und 1880er-Jahre.

DUCHAMP fixierte dabei die Spuren des in Bewegung befindlichen Aktes mit der Multiplikation und Überschneidung von Linien in der Art der Malerei der Futuristen. Der Abstraktion, die DUCHAMPs Bildformen aus seinem Vorgehen folgend eigen ist, steht RICHTERs Realismus der zarten Verwischungen entgegen, die eher den Charakter von Amateuraufnahmen annehmen und deren Alltäglichkeit persiflieren.

GERHARD RICHTER (Aufnahme von 2011)

GERHARD RICHTER (Aufnahme von 2011)

Gerhard Richter - GERHARD RICHTER (Aufnahme von 2011)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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