Katharina II.– Herrschaft gegen den eigenen Ehemann

Nach den pompösen Hochzeitsfeierlichkeiten in Sankt Petersburg liegt die 16jährige Braut grübelnd in dem prunkvollen Himmelbett. Anstatt die Hochzeitsnacht mit ihr zu verbringen, feiert ihr Bräutigam mit seinen Offizieren. Was soll sie tun? Sie ist ratlos, andererseits aber auch erleichtert, denn sehr anziehend wirkt der junge Mann nicht: Er ist pockennarbig, schwächlich und bleich, dazu heftig und kindisch. Am liebsten beschäftigt er sich mit seinen Spielsachen und lässt in kunstvoll gebastelten Festungen Scharen von Spielzeugsoldaten aufmarschieren.

Doch noch ist die politisch begabte und ehrgeizige Sophie Friederike Auguste Prinzessin von Anhalt-Zerbst bereit, diese Schwächen ihres Gatten, des zukünftigen Zaren PETER, zu übersehen, denn sie hofft, an seiner Seite als KATHARINA ALEXEJEWNA Einfluss und Macht zu gewinnen. Der Traum von einem Leben als mächtigste Frau im Land dauert 17 Jahre. Dann wird Sie das Schicksal herausfordern und ihren Gatten, Zar PETER III., stürzen, um selbst zu herrschen. Und als PETER kurz darauf stirbt, glaubt alle Welt, dass sie auch bei seinem Tod die Hand im Spiel hat.

Infantilität contra Intelligenz im Schlafzimmer

Die Heirat der hübschen Prinzessin KATHARINA mit dem nur ein Jahr älteren PETER geschah 1745 auf Initiative von ELISABETH, zweite Tochter PETERS DES GROSSEN. Die damalige Zarin über Russland hatte dazu ihren Neffen KARL PETER ULRICH HERZOG VON HOLSTEIN-GOTTORF nach Russland geholt. Vergeblich bemühte sie sich, den geistig und seelisch zurückgebliebenen Jungen mithilfe guter Lehrer zu einem würdigen Nachfolger auf dem Zarenthron zu erziehen.
Vor allem wartete ELISABETH sehnlich auf die Geburt eines Thronerben.
KATHARINA und PETER gelang es jedoch nicht einander näherzukommen. Das deutlich zur Schau getragene Desinteresse ihres Mannes verletzte KATHARINA tief. In Jagdpartien und ausgedehnten Reitausflüge versuchte sie, ihre Enttäuschung und die Eintönigkeit des streng reglementierten Hoflebens zu kompensieren. Sie las eifrig und interessierte sich für die geistigen Strömungen ihrer Zeit, vor allem für die Gedanken der Aufklärung. PETER dagegen vergnügte sich weiter mit seinen Spielereien – heimlich, denn die Zarin hatte ihm diese Kindereien verboten. Im ehelichen Schlafzimmer hielt er eine Hundemeute, die er mit der Peitsche durch den Raum hetzte, während seine Gattin nebenan versuchte, sich trotz des Gebells auf die philosophischen Schriften eines PLATON oder MONTESQUIEU zu konzentrieren. Schlimmer noch aber war, dass er KATHARINA öffentlich beschimpfte und ständig anderen Frauen nachstellte, wobei ihn besonders üppige Hässlichkeit faszinierte.
KATHARINA sollte später für die stattliche Anzahl ihrer Liebhaber bekannt werden. Im Sommer 1752 nahm sie sich erstmals einen Galan, den jungen Kämmerer SERGEJ SALTYKOW. Zwei Jahre später gebar sie einen Sohn, den ersehnten Thronfolger PAUL. Das Rätseln um den leiblichen Vater, PETER oder SALTYKOW, beantwortete KATHARINA mit Schweigen. PETER erkannte PAUL als seinen Sohn an. Auch Zarin ELISABETH fand die Zweifel müßig und schenkte ihnen keinerlei Beachtung. KATHARINA hätte nach Erfüllung ihrer wichtigsten Aufgabe nach Meinung ELISABETHS ein zurückgezogenes Leben führen sollen. Obwohl ihr jegliche politische Aktivität verboten war, galt die junge Mutter bald als „diejenige Person, welche im Falle gewisser Zufälle hier herrschen wird“ (der britische Gesandte in Russland über sie).

Politische Ränkespiele

Im Jahr 1757 kämpfte Russland im Siebenjährigen Krieg an der Seite Österreichs und Frankreichs gegen Preußen. PETER, ein fanatischer Verehrer FRIEDRICHS DES GROSSEN, musste machtlos mit ansehen, wie die russischen Truppen gegen den Preußenkönig ausrückten. Nach dem russischen Sieg bei Groß Jägersdorf am 30. August beleidigte PETER alle Patrioten mit seiner offen zur Schau getragenen Trauer über die preußische Niederlage.
Nach einem Schlaganfall musste mit dem Tod der Zarin ELISABETH gerechnet werden. Die große Chance KATHARINAS bestand darin, im Fall von ELISABETHS Tod zur Mitregentin proklamiert zu werden. Viele Würdenträger, allen voran Kanzler BESTUSCHEW-RJUMIN, hielten PETER allein nicht für regierungsfähig. Da man überzeugt war, dass PETER als Zar mit Preußen sofort Frieden schließen würde, entschied die militärische Führung, die russischen Truppen trotz ihres Siegs nach Memel zurückzuziehen.
Auch PETERS Gattin und ihren Anhängern kam diese Entscheidung sehr gelegen, denn von dort aus konnten die Truppen gegebenenfalls rasch in Sankt Petersburg zugunsten KATHARINAS eingreifen. Doch was keiner erwartet hatte, trat ein: ELISABETH erholte sich. Sie ließ BESTUSCHEW-RJUMIN, der denunziert worden war, verhaften, doch glücklicherweise hatte dieser noch rechtzeitig alle belastenden Papiere verbrennen können.

PETER wird Zar

Erneute Pläne, PETERS Macht zu beschneiden, waren wohl noch nicht weit genug gediehen, als Zarin ELISABETH am 5. Januar 1762 tatsächlich starb. KATHARINAS Gatte bestieg den Thron ohne Widerstand. Seine Regierungszeit dauerte nur knapp sechs Monate – und vom ersten Tag an schuf er sich mutwillig mächtige Feinde. Er brüskierte die einflussreiche orthodoxe Kirche, indem er die Kirchengüter einziehen ließ, Heiligenbilder verbot und den Popen die Bärte stutzen lassen wollte. Schon bei den Trauerfeierlichkeiten für die verstorbene Zarin hatte er sich unziemlich benommen, mit den Damen gescherzt und sich über die Priester lustig gemacht. KATHARINA hatte im Gegensatz dazu täglich, solange der Leichnam aufgebahrt war, mit dem russischen Volk getrauert. PETER beendete den Krieg mit Preußen ohne Gegenleistung – ein weiteres Ärgernis für alle Patrioten. Und er verprellte das Militär, das nach preußischem Muster umgestaltet werden sollt. An seine Spitze wollte er einen ausländischen, nämlich holsteinischen Prinzen stellen.
KATHARINA hielt sich derweil, erneut schwanger, notgedrungen im Hintergrund. Die längere Liaison mit dem Gardeoffizier GRIGORIJ ORLOW war nicht folgenlos geblieben. In aller Heimlichkeit gebar sie am 11. April 1762 ORLOWS Sohn, um PETER, der sie nur zu gern verstoßen hätte, keinen Vorwand zu geben. Durch ihren Geliebten und dessen Bruder ALEXEJ, ebenfalls Gardeoffizier, war sie über die aufgeputschte und umstürzlerische Stimmung dieser Elitetruppe informiert. Klug wartete KATHARINA ab, bis PETER auch in der Öffentlichkeit keinen Hehl mehr daraus machte, sie loswerden zu wollen.
Als am 9. Juni 1762 der Friedensschluss mit Preußen gefeiert wurde, beschimpfte er sie vor allen Gästen als „dummes Weib“. Noch am selben Abend gab er den Befehl, sie zu verhaften. Zwar nahm er diesen Befehl wieder zurück, doch die Bedrohung war offenkundig, und man sprach allgemein davon, dass PETER KATHARINA in ein Kloster stecken wolle. Die Zeit war reif zu handeln.

Garderegimenter in Sankt Petersburg rufen KATHARINA zur Alleinherrscherin aus

„Alles ist bereit, Sie zu proklamieren.“ In der Morgendämmerung des 28. Juni 1762 weckt ALEXEJ ORLOW mit diesen Worten KATHARINA, die sich in Peterhof, 29 Kilometer westlich der Hauptstadt aufhält. In den Quartieren der Garderegimenter Sankt Petersburgs wird KATHARINA zur Zarin ausgerufen und die Soldaten huldigen ihr. In Begleitung der Truppen segnet sie der Metropolit in der Kathedrale der Muttergottes von Kasan. Anschließend zieht sie in den Winterpalast, empfängt den Treueid der Würdenträger und präsentiert sich mit ihrem Sohn PAUL dem Volk.
Inzwischen befindet sich PETER mit einer fröhlichen Schar auf dem Weg von der Sommerresidenz Oranienbaum nach Peterhof, wo er am nächsten Tag sein Namensfest feiern will. Entsetzt erfährt er dort vom Abfall der Garden und versucht, die Festung Kronstadt zu erreichen, um von dort aus seinen Thron zu verteidigen. Doch zu spät: Die Besatzung der Festung ist schon zu KATHARINA übergelaufen. Gebrochen kehrt PETER nach Oranienbaum zurück. Am nächsten Tag unterschreibt KATHARINAS Gatte widerstandslos die vorbereitete Abdankungsurkunde. Anschließend wird PETER verhaftet und auf dem kleinen Landgut Ropscha festgesetzt. Sein Wunsch: seine Geige, sein Lieblingsneger, sein französischer Diener, sein Mops und seine Mätresse sollen mit ihm gehen.

PETERS Tod – ein geplanter Mord?

„Mütterchen! Wir sind verloren, wenn Du nicht gnädig bist. Mütterchen, er weilt nicht mehr auf der Welt. Er kam bei Tisch mit Fürst FJODOR [BARATYNSKI] in Streit: Wir konnten sie nicht mehr auseinanderbringen, und er war nicht mehr...“

Die Mitteilung über den Tod ihres Mannes, von ALEXEI ORLOW offensichtlich in höchster Erregung niedergekritzelt, löste nach Aussagen von Zeitgenossen bei KATHARINA ehrliche Bestürzung aus. Sie ahnte wohl, dass man sie verdächtigen würde, dafür verantwortlich zu sein. PETER in die Obhut der ORLOWS gegeben zu haben bedeutete für KATHARINA ein Schuldgefühl, denn die Brüder hatten ebenso wie die Zarin alles zu verlieren, wenn PETER am Leben geblieben wäre. PETER hätte KATHARINAS Herrschaft ständig bedroht, nicht unbedingt aus eigener Kraft, aber als Werkzeug anderer. In gewisser Weise war der Mord die Folge davon, dass KATHARINA ihren Gatten vom Thron gefegt hatte. Der Brief ORLOWS verschwand in einer Schatulle der Zarin, die Verantwortlichen blieben unbestraft.
Den Leichnam, der deutliche Würgemale am Hals trug, ließ KATHARINA „auf Giftspuren“ untersuchen. Die Ärzte verstanden den Wink und stellten fest, dass PETER eines natürlichen Todes gestorben sei. Ein Risiko jedoch musste KATHARINA noch eingehen: Das Volk musste sehen, dass PETER nicht mehr lebte. Und so ließ sie den Toten trotz der verräterischen Schwarzfärbung des Gesichts öffentlich aufbahren.
34 Jahre später, nach dem Tod KATHARINAS 1796, fand ihr Sohn und Nachfolger PAUL im Schreibtisch den Brief ORLOWS, der bewies, dass seine Mutter an dem Tod PETERS III. unschuldig war. Doch der von ihm inszenierte Ablauf der Trauerfeierlichkeiten für KATHARINA spricht eher gegen ihre Unschuld: Paul ließ die Gebeine seines Vaters aus dem Alexander-Newski-Kloster in den Winterpalast überführen und beide Särge des Ehepaars nebeneinander aufstellen; die Zarenkrone jedoch schmückte nur den Sarg PETERS III.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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