Mohenjo-Daro – „Manhattan der Bronzezeit“

Die Ruinen von Mohenjo-Daro

Erste Stadtbürger-Kultur der Welt

1922, als man nach Spuren des Alexander-Feldzuges (327–323 v. Chr.) suchte, entdeckten Archäologen unter der Leitung des englischen ArchäologenSIR JOHN MARSHALL im Indus-Tal in Pakistan Spuren einer längst vergangenen Zivilisation. Schon damals vermutete der Forscher, dass es sich um Reste einer Kultur handelte,

„welche eine weit zurückliegende Geschichte auf indischem Boden gehabt haben muß und uns in eine entlegene Epoche zurückführt, deren Datum nur vermutet werden kann“ (SIR JOHN MARSHALL, „Mohenjo-Daro and the Indus Civilization“, 1931).

Erst 1998 kamen jedoch die Archäologen RICHARD H. MEADOW (Harvard Universität) und J. MARK KENOYER (Universität Wisconsin, Madison) zu dem Schluss, dass es sich bei den Funden um eine eigenständige Kultur handeln müsse.
Bis in die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts waren lediglich die ägyptische und die mesopotamische Kultur bekannt gewesen. Während in der ägyptischen Kultur die Tempelbauten, Königsgräber und Pyramiden besonders auffallend sind, faszinieren in Mesopotamien die großen Tempel und Königspaläste. Im pakistanischen Mohenjo-Daro (= Hügel der Toten) in der Provinz Sind fand man dergleichen Reste nicht. Das Ausgrabungsgebiet gab stattdessen riesige Wohnanlagen frei. Palastanlagen und reich ausgestattete Gräber fehlten jedoch gänzlich. Man hatte es hier also mit der nachweislich ersten Stadtbürger-Kultur der Welt („erste bürgerliche Hochkultur“) zu tun. Sie wird nach der ersten entdeckten Stadt (1844) auch Harappa-Kultur bzw. nach dem Fluss, an dem die Städte gebaut wurden, auch Indus-Zivilisation bzw. Indus-Kultur genannt. Die Indus-Kultur war Bestandteil eines weitflächigen Wirtschafts- und Handelssystems, das bis ins Hochland von Iran und Afghanistan und zur Arabischen Halbinsel reichte. Nach JANSEN war sie sogar in

„ein großflächiges ökonomisches System ein(gebunden), das von Ostafrika über Yemen und Oman mit Mesopotamien als zentralem Verteiler bis nach Westasien reichte. ... (Childe) vermutete sogar, dass die Seefahrt als verbindendes Element der verschiedenen Zentren von eigenständigen Seefahrern, die in Oman wohnten, durchgeführt wurde, eine Hypothese, die in allerjüngster Zeit wieder an Bedeutung gewonnen hat.“

Mohenjo-Daros Lage in der Harappa-Kultur

Forscher vermuten, bei den Städten der Harappa-Kultur handele es sich um das in mesopotamischen Schriften erwähnte Land Meluhha, und es soll zweimal so groß wie das alte Reich Ägyptens und viermal so groß wie die Reiche von Sumer und Akkad gewesen sein.

Die älteste Siedlung im Indus-Tal

Die älteste Siedlung im Indus-Tal ist Mehrgarh in Pakistan im östlichen Gebiet des iranischen Hochlands. Sie war

„bereits 7000 v.Chr., also schon 1000 Jahre vor der mesopotamischen Stadtkultur ... ein stattliches Dorf mit einer Flächenausdehnung von rund sechs Hektar. Um 6000 v.Chr. war das Dorf zu einer zwölf Hektar großen und 3000 Einwohner umfassenden Kleinstadt angewachsen. Die Menschen lebten in Behausungen aus Lehmziegeln und errichteten mit diesem Material auch ihre Getreidespeicher“ (JANSEN).

Man betrieb Ackerbau und Tierhaltung, aber auch das Handwerk war schon ausgeprägt. Selbst Schmuck wurde bereits hergestellt. So verwendete man Lapislazuli für Halsketten. Die Mehrgarher verfügten über ein weitreichendes medizinisches Wissen. So wurden vom Anthropologen ANDREA CUCINA in Gebissen Bohrungen auf der Kaufläche von Backenzähnen entdeckt, die darauf hindeuten, dass die Bewohner der Stadt bereits Zahnbehandlungen kannten. Man vermutet, dass die Löcher mit Kräutern und anderen pflanzlichen Substanzen gestopft wurden. Das Verfahren, Löcher zu bohren, kannten die Mehrgarher von der Schmuckherstellung.

„Manhattan der Bronzezeit“
Die ausgegrabene Stadt Mohenjo-Daro ist aber wesentlich jünger. Sie war wohl zwischen 3000 bis 1300 v. Chr. bewohnt, erstreckte sich über ein Territorium von 60 ha und hatte ihre Blütezeit um 2500 v. Chr. Zu dieser Zeit sollen ungefähr 40 000 Menschen in der Stadt gelebt haben. Manche Forscher gehen sogar von einer Einwohnerzahl von 80 000 Menschen aus. Sie ist damit die größte der bisher bekannten Städte der Indus-Zivilisation.

Straßen
Auffällig sind die sorgfältig geplanten Straßen. Die Stadt war schachbrettartig angelegt und besaß rechtwinklige Straßen. Wegen der Ähnlichkeit mit einem Stadtteil von New York wird Mohenjo-Daro von Archäologen deshalb auch das „Manhattan der Bronzezeit“ genannt.

Wohnhäuser

Die Wohnhäuser waren mehrstöckig, aus Lehmziegeln oder gebrannten Ziegeln gefertigt, wobei die Ziegel alle ein Standardformat von 7 x 14 x 28 cm aufweisen.
Die Wohnungen hatten zur Hälfte je 50 –100 m² bzw. 100 –150 m² Wohnfläche. Nur wenige waren mit 210 –270 m² Wohnfläche um einiges größer. Hier, so vermutet man, wohnte die Führungsschicht. Allerdings befanden sich die großen Wohnungen nicht separat von den kleineren, sondern mitten in den Wohnvierteln. Sie wiesen einen erstaunlich hohen Komfort aus. So besaßen sie Bade- und Toilettenräume mit Sitzklosetts, die sich meist an der Straßenseite befanden, wo ein Kanal oder ein Sickerschacht das Brauchwasser aufnahm. Der Sammelkanal war mit Steinplatten abgedeckt und verlief meist in Straßenmitte. Die mit Ziegeln gemauerten Abwasserkanäle konnten unterirdisch mannshoch sein.

Frischwasser

Das Frischwasser kam aus Brunnen, die bis zu 20 m tief sein konnten. Sie befanden sich häufig innerhalb der Hofgrundstücke oder auch an öffentlichen Plätzen.
Das Wasser hatte auch eine stark rituelle Bedeutung. In altindischen Mythen und Sagen wird das Baden als heilige Handlung dargestellt. So heißt es beispielsweise in der Atharvaveda:

„Die Wasser heilen wahrhaftig, verjagen jede Krankheit und heilen alles Leid.“

Es kann davon ausgegangen werden, dass das im Mohenjo-Daro entdeckte öffentliche Bad möglicherweise rituellen Zwecken diente. Es war etwa 7 x 12 m groß und 2,5 m tief, war an der nördlichen und südlichen Schmalseite von jeweils einer Treppe begehbar und bestand aus jeweils zwei Ziegelmauern, deren Zwischenraum mit Bitumen gefüllt war. So wollte man das Versickern des Wassers verhindern.

Handwerksviertel

In Handwerksvierteln produzierten die Bewohner Keramik bereits auf der Töpferscheibe. Neben Töpfereien existierten Webereien, Färbereien, Betriebe der Holz- und Metallverarbeitung sowie Werkstätten zur Schmuckherstellung.
Handwerker produzierten

  • Geräte aus
    - Flint (Feuerstein),
    - Keramik,
    - Metall (Bronze),
  • Holzboote,
  • Kleidung (das älteste gesponnene Baumwollgarn fand man in Mohenjo-Daro),
  • hölzerne Karren,
  • Kunsthandwerk,
  • Schmuck aus
    - Karneol,
    - Lapislazuli,
    - Kristall,
    - Achat,
    - Perlen und anderen Rohstoffen.

Fast 2 000 Jahre vor den griechischen Stadtstaaten scheint sich im Indus-Tal eine von Bürgern geschaffene Demokratie entwickelt zu haben. Das ist daraus abzuleiten, dass man keinerlei Bauten fand, die für hierarchisch geordnete Gesellschaften typisch sind. Keines der Wohnhäuser war besonders opulent oder prachtvoll gebaut.

Landwirtschaft und Fischfang

In der Landwirtschaft kannte man bereits die künstliche Bewässerung. Die Bauern lebten in umliegenden kleineren Siedlungen. Sie produzierten:

  • Weizen,
  • Reis,
  • Baumwolle.

In Mohenjo-Daro fand man reliefartige Darstellungen von domestizierten Elefanten, die zu Waldrodungen und anderer schwerer Arbeit benötigt wurden. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Tiere schon um 3500 v. Chr. gezähmt wurden.
Eine weitere Erwerbsquelle der Bewohner war der Fischfang. Bei den Ausgrabungen fand man

  • kupferne Angelhaken,
  • Pfeil- und Speerspitzen sowie
  • Reste eines fast 5 000 Jahre alten Fischnetzes.

Der Fisch wurde durch Salzen und Trocknen haltbar gemacht und sogar exportiert.

Sprache und Schrift

Die Bürger Mohenjo-Daros sprachen wahrscheinlich eine drawidische Sprache, wie sie heute noch im Süden Indiens gesprochen wird. Als die Arier (Arya) 1000 v. Chr., aus dem Norden kommend, das Indus-Tal besiedelten, wird ein Teil der Drawiden nach Süden abgedrängt worden sein, im eroberten Gebiet begann man eine Frühform des Sanskrits zu sprechen.
Die Drawiden besaßen auch eine hoch entwickelte Bilderschrift. Man konnte bisher rund 250 verschiedene Zeichen identifizieren. Die Schrift gilt jedoch, trotz vieler Versuche, bisher als noch nicht entziffert.
KURT SCHILDMANN behauptet neuerdings, die Indus-Schrift habe ihm ihr Geheimnis verraten, er

„lese reines Sanskrit in dieser Indus-Schrift aus Fundstätten, die mehrheitlich heute, hinduistisch gesehen, in Feindgebiet, im moslemischen Pakistan liegen“.

Auf ähnliche Ergebnisse kommen hinduistische Forscher Indiens.
Diese Theorie geht davon aus, dass die Arier die bereits höher entwickelte Indus-Kultur für sich nutzten. Demnach übernahmen sie das Wirtschaftssystem, die Schrift und das Glaubensgerüst (Veden) von den Einheimischen, übersetzten die (oft mündlich überlieferten) heiligen Schriften der Veden lediglich in ihre Sprache. Indische Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Veden um 3500 v. Chr. entstanden sind, also bevor die Arier in Nordindien einfielen. Für diese Theorie spricht auch, dass für halbnomadisch lebende Völker keine Notwendigkeit besteht, sich einer Schrift zu bedienen. Erst wenn

  • gezielter Bewässerungsbau,
  • eine extensiv betriebene Wirtschaft und
  • florierender Handel

ausgeprägt sind, ist eine Schrift vonnöten. Bis in die spätvedische Zeit lebten die Stämme jedoch in Dörfern und betrieben Ackerbau und Rinderzucht.
Städte waren in vedischer Zeit unbekannt, Fernhandel unwahrscheinlich. Als Zahlungsmittel dienten Rinder. Wozu hätten Arier die Schrift gebraucht?

Ob diese Theorie haltbar ist, wird die Zukunft beweisen müssen. Andere Wissenschaftler entdeckten eine große Ähnlichkeit zwischen den Schriftzeichen auf den Rongo-Rongo-Tafeln der Osterinsel und den Schriftzeichen aus Altchina und der Indus-Kultur. Auch diese Zusammenhänge sind bis heute nicht geklärt. Jedoch ebenso wenig wie die Schrift der Indus-Kultur konnte bisher die Schrift der Ureinwohner der Osterinsel dechiffriert werden.
In Harappa fand man 1999 die ältesten Schriftdenkmäler der Welt: Es handelt sich um etwa 5 500 Jahre alte Tonscherben mit pflanzenähnlichen und dreizackartigen Einritzungen.

Kultur und Religion in Mohenjo-Daro

In Mohenjo-Daro fehlen monumentale religiöse Bauten völlig. Forscher gehen von einer ursprünglich matriarchalischen Religion aus. Auch die Ursprünge der vedischen Kultur werden hier angenommen. Man fand Bildnisse von mütterlichen Gottheiten („Erdmutter“, oder „Muttergöttin“), das Bildnis eines von Tieren umgebenen gehörnten Gottes im Yogasitz (Shiva, auch: Pashupati, der Herr der Tiere), Phallussymbole und Abbildungen von Tieren und heiligen Zeichen. Außerdem wurden die Himmelsgestirne verehrt. Insbesondere die Sonne wurde immer wieder in Form der Swastika abgebildet. Man kann also annehmen, dass die Religion sich durch Bilderverehrung auszeichnete.

Mohenjo-Daros Ende

„Sonderbar genug, die untersten Schichten dieser Überreste weisen eine höher entwickelte Kunst auf als die oberen - als ob die ältesten Lager von einer bereits Hunderte, vielleicht Tausende von Jahren alten Kultur herrührten .... Nach der Hausarchitektur, dem Siegelschnitt und der Anmut der Tonwaren zu schließen, war die Induskultur zu Beginn des dritten Jahrtausends v. Chr. der babylonischen überlegen. Aber das war eine späte Phase der indischen Kultur; sie könnte auch schon früher führend gewesen sein“ (WILL DURANT).

Auf welche Weise Mohenjo-Daros Ende kam, ist nicht eindeutig geklärt. Manche Forscher vermuten, dass diese frühe Hochkultur durch den Einfall der Arier in Indien zerstört wurde. DAVID W. DAVENPORT und ETTORE VINCENTI machten 1979 gar einen Atombombenkrieg, von Außerirdischen ausgelöst, für das Verschwinden von Mohenjo-Daro verantwortlich. Sie benutzten eine ältere Theorie ERICH VON DÄNIKENS, wonach das biblische Sodom einer Atombombenexplosion zum Opfer gefallen sein soll. Inzwischen hat sich die Ansicht in der seriösen Archäologie etabliert, dass wohl eine Trockenperiode Anlass für den Untergang von Mohenjo-Daro war.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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