Spätmittelalter in Europa – Überblick

Des Weiteren kam es zur Schwächung der Zentralgewalt und zur Stärkung der Partikulargewalten. Im Spätmittelalter machte sich eine allgemeine Krisenstimmung breit.

Pestepidemien (besonders in den Jahren 1347–1351, 1361/62, 1371, 1385 und 1457/58), Missernten und Hungersnöte führten zu weiteren gesellschaftlichen Veränderungen. Durch Bevölkerunsrückgang kam es zu Verödungen ganzer Landstriche. Es kam zum (zum Teil fluchtartigen) Abzug ländlicher
Bevölkerung in die Städte.
Preisverfall für Getreide steigerte die Not der armen Bevölkerung. Man wich auf Viehhaltung aus, wo die Böden zu schlecht für die Getreideproduktion waren.
Die soziale Lage der Bauern verschlechterte sich, es begann der Weg in die Gutsherrschaft.
Durch erste große Bauernaufstände (1348: Bauernaufstand in Frankreich [„Jacquerie“]); 1381: Unruhen in England) versuchte die ländliche Bevölkerung auf ihre Not aufmerksam zu machen.
Die zunehmende Verschuldung des Fürsten und die Schaffung von Söldnerheeren führte zu Raubrittertum. Krankheit wurde als Strafe Gottes für begangene Sünden verstanden. Es kam zu extremen Bußhaltungen: Flagellanten- (=
Selbstgeißler)gruppen zogen durch die Lande und riefen zu erhöhter Bußfertigkeit auf.
Insgesamt machte sich eine allgemeine Krisenstimmung breit.

Aufstieg des Bürgertums

Um eine Stadt gründen zu können, brauchte es herrschaftlichen Schutz, der durch einen Adligen (Grafen, Herzöge, Bischöfe, aber auch Könige) geleistet wurde. Er war es auch, der den Bürgern den Platz für eine neue Stadt anwies und ihnen damit seinen Grund und Boden überließ. Dieser Adlige war der Herr über die Stadt und ihre Bürger und wurde Stadtherr genannt. Die Bürger - also diejenigen, die als Burgleute im Schutz seiner Burg lebten - waren ihm gegenüber als Gegenleistung zur Zahlung von Steuern und Abgaben verpflichtet. Darüber hinaus erließ der Stadtherr ein Stadtrecht, in dem das Zusammenleben der Bürger geregelt wurde: Es legte fest,

  • nach welchen Regeln der Handel auf dem Markt betrieben werden durfte,
  • legte Zölle und Marktabgaben fest,
  • bestimmte Maße und Gewichte, die in der Stadt gültig waren,
  • legte fest, welche Münze galt.
  • Auch die Gerichtsbarkeit lag in den Händen des Stadtherren, d.h. er bestimmte die Strafen bei Vergehen gegen das Stadtrecht und erhielt ein Teil der Bußgelder, die dafür zu zahlen waren.

Städte waren eine Schatzgrube für die Adligen. Da die meisten Städte auch Handelszentren waren, konnten sich die Adligen als Stadtherren durch die Zölle und Abgaben, die ihnen zustanden, bereichern. Dies führte zu einer Welle von Städtegründungen seit dem 12. Jh. (Freiburg im Breisgau durch die Zähringer, München und Lübeck durch Herzog HEINRICH DEN LÖWEN Leipzig durch die Staufer), für die in Stadtrechtsurkunden die Stadtrechte verliehen wurden.

Die Städte erstreiten sich die Unabhängigkeit

Aufstieg des Städtewesens: Seit der Mitte des 11. Jh. begannen die Bürger der Städte ihr gewachsenes Ansehen und Selbstbewusstsein zur Geltung zu bringen. Sie widersetzten sich in wichtigen Fragen ihren Stadtherren. Dies geschah in Deutschland erstmalig 1073 in Worms und 1074, als sich die Kölner Bürger gegen den Stadtherren, Bischof ANNO von Köln wegen der Beschlagnahmung eines Handelsschiffes, erhoben. Auch wenn der Stadtherr in diesem Fall den Aufstand niederschlug, so hatten doch in der Mitte des 13. Jh. die meisten großen Städte die Unabhängigkeit von ihrem Stadtherren erreicht.

Städtebünde

Auch die Städte gingen bei der Wahrnehmung ihrer Interessen eigene Wege, indem sie Städtebünde gründeten. Der erste dieser Städtebünde war der Rheinische Städtebund (1254–1257), der die zunehmende Unsicherheit nach dem Zusammenbruch der Stauferherrschaft erkannte und die Auswirkungen auf die Städt e verringern wollte.

Rheinischer StädtebundSchwäbischer Städtebund
70 Städte:
Mainz, Worms, Oppenheim, Bingen, Frankfurt, Speyer, Lübeck, Aachen, Zürich, Regensburg, Sinzig u.a.
14 Städte:
Ulm, Eßlingen, Rottweil, Heilbronn, Hall, Gmünd, Weil die Stzadt, Weinsberg, Augsburg, Biberach, Memmingen Konstanz u.a.

Auch wenn die Fürsten und der König in der Goldenen Bulle die Errichtung von Städtebünden kategorisch verboten hatten, kam es immer wieder zur Errichtung von solchen Vereinigungen, wie z.B. 1377 mit dem Schwäbischen Städtebund, der sich vor allem gegen die Finanzpraktiken von König und Fürsten richtete. Ziel war es u.a. zu verhindern, dass König und Fürsten sich durch Abgaben und andere Forderungen an den Städten bereicherten. Die Entstehung von Städtebünden konnte selbst im 15. Jh. nicht vollständig unterbunden werden.
Ein städtisches Bündnis, jedoch mit vordergründig wirtschaftlicher Zielsetzung, war die Hanse. Sie entstand bereits im 12. Jh. aus Gemeinschaften von Fernhändlern, die sich zu gemeinsamem Schutz zu Fahrerverbänden (Kaufmannshanse) für den Handel auf der Ost- und Nordsee zusammengeschlossen hatten. Seit dem 13. Jh. übernahmen die Städte die Wahrnehmung der Fernhandelsinteressen ihrer Kaufleute, was in der Mitte des 14. Jh. zu einem förmlichen Bündnis der am hansischen Handel beteiligten Städte - der Hansestädte - führte. Lübeck war lange Zeit die treibende Kraft in diesem Bündnis. Dieses Bündnis - die Städtehanse - schützte gemeinsam die Handelsinteressen seiner Mitglieder ohne königliche oder fürstliche Beteiligung. Es war der wichtigste wirtschaftliche Zusammenschluss des Mittelalters und der Neuzeit. Der Erfolg der Städtehanse basierte auf dem Zwischenfernhandel, d.h. Hansekaufleute vermittelten den Austausch von Produkten innerhalb eines bestimmten Handelsgebietes. Nahezu alles, was an den Königs- und Fürstenhöfen, aber auch von den einfachen Menschen benötigt wurde, ging durch die Hände des hansischen Kaufmanns und wurde über weite Entfernungen durch Ost- und Nordsee befördert. Dieses Gebiet beherrschten und kontrollieren sie, indem sie an den Eckpunkten ihres Handelsgebietes Niederlassungen errichteten, die Kontore

  • Novgorod,
  • Bergen,
  • London,
  • Brügge u.a.

Den Kontoren standen Alderleute vor, die die Verhandlungen mit den jeweiligen ausländischen Machthabern um die Handelsvergünstigungen der hansischen Kaufleute führten, Abgaben von den Kaufleuten eintrieben und das öffentliche Leben steuerten.
Die Hanse erlebte bis zum Ende des 15. Jh. eine enorme Blütephase. Dann, vor allem ausgelöst durch die Großen geografischen Entdeckungen und den Verfall der Zentralgewalt im deutschen Reich, aber auch an der eigenen inneren Schwäche, ging sie im 17. Jh. unter.

Aufstieg der Geldwirtschaft

Im Zuge der regen Handelstätigkeit über große Distanzen hinweg konnte der traditionelle Tauschhandel keine Handelsgrundlage mehr bilden. Bereits im 13. Jahrhundert übernahmen Kreditinstitute vor allem in Oberitalien (Florenz, Venedig) die Aufgabe, Waren vorzufinanzieren. Dazu bedienten sie sich u.a. des Wechsels.

Wechselbrief

„Verso: Enrico de Boldo, Deutscher, in Genf. Recto: Im Namen Gottes, Genua, den 30. März 1458. Lieber Bruder, zahle beim nächsten Ostermarkt mit diesem ersten Brief an Martino Illuminato 125 Ecus Savoyer Währung; sie sind für den Wert, der hier von Bartolomeo Illuminato erhalten wurde und zwar 42 Sous pro Ecu.“

Euer Battista de Sessino

In die Zeit des Spätmittelalters fällt das Aufkommen eines neuen Zahlungsmittels, des Schecks. Als Verwaltungstätigkeit dieses neuen Geldgeschäftes bediente man sich im Europa des Spätmittelalters der Buchführung.
Die Methode, Geld gegen Ware einzutauschen, galt zunächst nur für den Fernhandel. In den Städten setzte sich die Geldwirtschaft nur zögerlich durch. Im Buchhandel, zum Beispiel, wurde das Tauschgeschäft noch bis ins frühe 18. Jahrhundert fortgeführt.

Goldene Bulle – König und Königswähler

Mit der Wahl KARLs IV. (1346) zum deutschen König zeichneten sich einschneidende Veränderungen innerhalb des deutschen Reiches ab. Vor allem das Verhältnis zwischen den Reichsfürsten wurde neu geregelt. Seit dem Ende des 12. Jh. hatte sich ein Kreis von Fürsten herausgebildet, der bei der Königswahl eine besondere Rolle spielte. Bereits 1257 war aus dem Kreis der Kurfürsten ein Kurfürstenkollegium geworden, das sich aus drei geistlichen und vier weltlichen Königswählern zusammensetzte:

  • den Erzbischöfen von Köln,
  • Mainz und
  • Trier sowie
  • dem König von Böhmen,
  • dem Pfalzgrafen bei Rhein,
  • dem Herzog von Sachsen und
  • dem Markgrafen von Brandenburg.

Bis zum Untergang des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ im Jahre 1806 wählten sie den deutschen König. Ihr Hauptinteresse bestand darin, eine starke Königsherrschaft und die Thronfolge innerhalb einzelner Familien zu verhindern, was ihnen allerdings nur teilweise gelang: KARL IV. konnte die Wahl seines Sohnes WENZEL durchsetzen.
Jedoch arbeiteten König und Kurfürsten auch zusammen, wenn es um die Schwächung der Machtposition des Papsttums und die Versuche des Papstes ging, die Königswahl im deutschen Reich mit zu bestimmen (Approbationsrecht). Dies gelang den Kurfürsten im Kurverein von Rhense (1338), der die Wahl des Königs ohne päpstliche Anerkennung geregelt. Endgültig regelte das Wahlverfahren dann die Goldene Bulle (1356), dem wichtigsten Verfassungsdokument der mittelalterlichen Geschichte:
Der deutsche König wurde von den Kurfürsten in einer festgelegten Reihenfolge und in einer Mehrheitswahl

  • in Frankfurt gewählt und
  • in Aachen gekrönt,

womit Doppelwahlen ausgeschlossen waren.
Eine päpstliche Mitwirkung an der Königswahl wurde nicht erwähnt; statt dessen legte die Goldene Bulle die Anwartschaft des deutschen Königs auf die Kaiserkrone fest.
Die Gebiete der Kurfürsten (die Kurlande) wurden zu unteilbaren Territorien erklärt, d.h. es wurde das immer währende Bestehen der Kurfürstentümer und ihre Funktion als Königswähler gesichert.
Der König gestand den Kurfürsten die Ausübung von Rechtsprechung, Zollrecht und Münzrecht in ihren Herrschaften zu, wodurch sie eine in ihren Herrschaften königgleiche Stellung erreichten.
Nachdem die Kurfürsten ihre Rechte und ihre Herrschaftsansprüche in der Goldenen Bulle abgesichert hatten, waren sie auch bereit, die Thronfolge innerhalb bestimmter Familien zuzulassen. Nach den Luxemburgern bestimmten die Habsburger für ca. 400 Jahre die Geschichte des deutschen Reiches. Allerdings blieben auch die Habsburger auf ihre Hausmacht beschränkt. Ebenso wie ihren Vorgängern gelang es ihnen nicht, die Macht der Fürsten zurückzudrängen. Die Interessen und Machtambitionen der Fürsten überwogen, wobei sie vielfach gegeneinander arbeiteten, was die Situation innerhalb des deutschen Reiches unüberschaubar machte.

Die Reichsreform

Die anarchischen Zustände im deutschen Reich führten immer mehr zu seiner Schwächung, sodass die Forderung nach einer Reichsreform laut wurde. Jedoch widerspiegelte sich auch in dieser Frage der Konflikt zwischen Zentralgewalt und Fürsten: Während das Königtum eine Stärkung der Zentralgewalt forderte, versuchten die Fürsten dies zu verhindern und ihre eigene Position zu stärken. Sie forderten deshalb eine stärkere Beteiligung der Reichsstände an der Machtausübung. Der Wormser Reichstag 1495 beschloss schließlich die Reichsreform. Zu ihren Festlegungen gehörten: ein Ewiger Landfrieden, mit dem die Fehden beendet werden sollten, die Schaffung eines vom König unabhängigen Gerichts, des Reichskammergerichts mit Sitz in Frankfurt die Einführung einer Reichssteuer, des Gemeinen Pfennigs, der Reichstag, der jährlich einberufen werden sollte, um wichtige Beschlüsse zu fassen.

Das große Sterben und die Agrarkrise

Das Königtum wurde seiner Aufgabe als zentraler Ordnungsmacht nicht mehr gerecht.

  • Fehdewesen,
  • Femegerichte und
  • Raubritterunwesen

waren an der Tagesordnung:
Adlige Familien führten ihre Privatkriege - Fehden - gegeneinander, wodurch sowohl Dörfer als auch Städte in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Sondergerichte - Femegerichte - fällten in geheimer Abstimmung Urteile gegen Rechts- und Friedensbrecher, da die königliche bzw. landesherrliche Gerichtsbarkeit ihre Aufgabe nicht mehr ausreichend wahrnahm.
Schließlich verdienten sich viele Angehörige des Ritterstandes ihren Lebensunterhalt als Raubritter, d.h. sie bereicherten sich auf Kosten der Städte und Kaufleute.
Die allgemeine Krise innerhalb des deutschen Reiches hinterließ ihre Spuren auch in der Wirtschaft und in der Bevölkerungsentwicklung. Zu Beginn des 14. Jh. herrschte im deutschen Reich eine Überbevölkerung, die zu Hungersnöten führte, die durch Missernten und Naturkatastrophen verschärft wurden. Seit dem Beginn des 14. Jh. kam es infolge dessen zu einer Abnahme der Bevölkerungszahlen. Viele dörfliche Siedlungen wurden aufgegeben und zu Wüstungen
Auch in der Landwirtschaft äußerte sich diese Krise. Es sanken die Preise für landwirtschaftliche Produkte, v.a. Getreide, während sich Handwerkserzeugnisse verteuerten, was dazu führte (Preisschere), dass viele Bauern ihr Land verließen (Landflucht) und ihre adligen Herren Einnahmeverluste hinnehmen mussten.
Für die drastische Verminderung der Bevölkerung war auch die Pest verantwortlich, die das deutsche Reich ca. 1349 erreichte. Regional unterschiedlich raffte die Pest bis zu 30% der Bevölkerung hin. In ganz Europa starben zwischen 1346 und 1352 ca. 25 Mio Menschen an dieser Seuche.

Die Reichsreform

Die Reichsreform

Während der Pest kam es in Deutschland zu verheerenden Judenverfolgungen (Pogrome), die sowohl religiöse als auch finanzielle Hintergründe hatten.

Judenpogrome- und Vertreibungen im mittelalterlichen Europa

1096/1097 Pogrom während des 1. Kreuzzuges
1146/1147 Pogrom während des 2. Kreuzzuge
1190 Pogrom in England
1236 Pogrom in Frankreich
1287 Pogrom am Mittelrhein
1290 Judenvertreibung aus England
1298 Pogrom in Süddeutschland
1306 Judenvertreibung aus Frankreich
1336-1339 Pogrom wegen der Pest in Europa

In Frankreich wurde den Juden vorgeworfen, in einer gemeinsamen Verschwörung die Vergiftung von Brunnen vorgenommen zu haben, wodurch man die Schuldigen für die unheimliche Seuche gefunden zu haben glaubte. Jedoch ging es offensichtlich vielmehr um Geldgier: Da Juden vor allem als Bankiers und Geldleiher arbeiteten, richtete sich der Hass vieler Menschen besonders gegen sie und ihren vermeintlichen ungeheuren Reichtum. Viele Familien, darunter auch Königsfamilien wie die Luxemburger, waren bei Juden verschuldet. Jetzt schien der Zeitpunkt geeignet, sich von den Schulden zu befreien. Oft waren die Pogrome geplant und vorbereitet. Man wollte sich gezielt an jüdischem Besitz bereichern. Auch KARL IV. profitierte von den Judenverfolgungen, in dem er nicht konsequent gegen diese einschritt, Städte, in denen es zu Pogromen gekommen war, nicht bestrafte und selbst Gewinn aus Erbschaften an jüdischem Besitz schlug.

Judenverfolgungen im Mittelalter – Die jüdische Bevölkerung der Städte war kenntlich an ihren spitzen Hüten. Diese zeitgenössische Darstellung zeigt die öffentliche Verbrennung der städtischen Juden, an der die ganze christliche Stadtbevölkerung teilnahm.

Judenverfolgungen im Mittelalter – Die jüdische Bevölkerung der Städte war kenntlich an ihren spitzen Hüten. Diese zeitgenössische Darstellung zeigt die öffentliche Verbrennung der städtischen Juden, an der die ganze christliche Stadtbevölkerung teilnahm.

Spätmittelalter in Europa – Überblick - Illustration zur Judenverfolgung
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