Die deutsche komische Oper

Komische Elemente enthalten schon die deutschsprachigen Singspiele des 18. Jahrhunderts, besonders die Ausprägung des Singspiels in Wien. Von hier gibt es auch Übergänge zur Oper mit einem höheren quantitativen Anteil der Musik und einem höheren qualitativen Grad der Integration von Musik in den musikdramatischen Ablauf. Es blieben aber immer einzelne, allerdings oft überragende Werke wie die „Zauberflöte“ (1791) oder der „Fidelio“ (1805–1814). Nach 1800 gabelt sich dann die Entwicklung.

  • Die deutsche romantische Oper ist alles andere als komisch.
  • Aus der Tradition des Singspiels heraus entwickelt sich aber eine deutsche komische Oper.

Sie kehrt sich, manchmal sogar spöttisch-parodistisch, von den Hauptsträngen an Themen, Stoffen, Tendenzen der Romantik ab, wendet sich gegen die romantisch-rückwärtsgewandte Begeisterung

  • für die historische Ferne, d.h. vor allem das feudale Mittelalter mit Rittern und Burgfräuleins,
  • für den Exotismus der geografischen Ferne (Orient und Indien) oder
  • die Schwärmerei für Natur und Geister.

Ausgangspunkte und Merkmale

Ausgehend vor allem von der Produktion CARL MARIA VON WEBERs (1786–1826) entfaltet sich aber seit der Restaurationszeit ab 1815 ein relativ eigenständiger Strang einer komischen Oper. Eine komische Oper wie WEBERs Einakter „Abu Hassan“ (1811) war in dieser Zeit eine Seltenheit. Strukturell geht sie weiterhin vom Singspiel-Typus aus und verwendet also gesprochene Dialoge. Stofflich wie dramaturgisch und musikalisch ist vor allem die französische Opéra comique (ebenfalls mit gesprochenen Dialogen) das Vorbild. Die Musiknummern werden flexibel gehandhabt und integriert. Häufig gibt es größer angelegte Szenen und ausgedehnte Finali. Hier spielt der Einfluss der italienischen opera buffa eine Rolle.

Wendepunkt- und Schlüsselwerk ist WEBERs deutsche Oper Der Freischütz“ von 1817–1820; Uraufführung Berlin 1821.

  • Neben Elementen der Schauerromantik enthält das Werk auch
  • komische Szenen und Nummern, vor allem im Zusammenhang mit der Zofe ÄNNCHEN.

Umgekehrt enthält WEBERs komischer Einakter „Abu Hassan“ exotistisch-orientalistische Elemente mit einer gewissen Parallele zu romantischen Tendenzen, die in der späteren „Spieloper“ entfallen. WEBERs Komische Oper in 3 Aufzügen „Die drei Pintos“ von 1820 blieb unvollendet und wurde erst 1888 in Leipzig in einer Bearbeitung uraufgeführt.

Bei WEBER gibt es

  • Tendenzen zu einem romantischen Realismus und zugleich
  • Anknüpfungsmöglichkeiten fürs Gemütlich-Biedere.

Die Spieloper des „Vormärz“ bzw. des „Biedermeier“, der Zeit zwischen 1830 und der Revolution von 1848/49, entwickelt hier den Typus der deutschen komischen Oper. Deren wichtigste Komponisten waren ALBERT LORTZING (1801–1851) und OTTO NICOLAI (1810–1849).

„Biedermeier” und „Vormärz” bezeichnen zwei Seiten der Zeit zwischen Restauration und „März”-Revolution 1848. Den zeitlichen Rahmen bilden vor allem die Jahre nach der Juli-Revolution von 1830.

  • Vormärz weist auf das politisch Aktive hin;
  • Biedermeier dagegen auf das Unpolitische, Biedere, manchmal „Spießige”.

Das Wort „Biedermeier” stammt von A. KUßMAUL; es verbreitete sich durch L. EICHRODTs „Gedichte des schwäbischen Schulmeisters Gottlieb Biedermeier” in der Zeitschrift „Kladderadatsch” (1855). Um 1900 bezeichnete man damit den besonders schlichten, „gemütlichen” und zweckmäßigen Möbelstil. Allmählich weitete sich der Begriff auf die Künste aus.

Der Begriff „Biedermeier” hat einen leicht abwertenden Ton, vor allem dann, wenn er zur Abgrenzung gegen die als höherwertig geltende „Romantik” verwendet wird. Kompositorisch und musiksprachlich ist die dazu gehörende Musik

  • oft eher epigonal (vorhandene Stilmerkmale verwendend) als original (Neues schaffend).
  • Sie greift vor allem auf die frühe klassische Musiksprache zurück. Genau dieser leichte Ton war aber das Geeignete für eine komische Oper.

ALBERT LORTZING scheiterte mit einer romantischen Oper auf einen genuin romantischen Stoff vom Wassergeist, der „Undine“ 1845, die im Übrigen eine ganz unromantische anti-aristokratische Tendenz hatte. Mit „Rolands Knappen oder Das ersehnte Glück“ strebte er dann die Synthese einer „Komisch-romantischen“ Oper in 3 Akten an (1849). Eine etwas andere Synthese strebte LORTZING mit seiner komischen Oper „Hans Sachs“ 1840 an, die er „Festoper mit Tanz“ nannte. Die Hauptfigur ist dieselbe wie in RICHARD WAGNERs „Meistersingern“ (konzipiert 1845). Beide Werke beziehen sich auf das „Altdeutsche“, aber eben nicht die romantisch-„ritterliche“ sondern die bürgerliche Vergangenheit.

LORTZING musste wegen der Verarmung seiner Familie bereits als Kind auf der Bühne arbeiten, sammelte aber dadurch eine immense Bühnenerfahrung, die ihm bei seiner sehr umfangreichen Opernproduktion zu Hilfe kam. Seine Libretti gehen meist auf französische Vorbilder zurück. Er schrieb sie selber, musikbezogen und wirkungssicher. Er hatte darüber hinaus von seiner eigenen schauspielerischen und sängerischen Tätigkeit her einen ausgesprochenen Sinn für wirkungsvolle Rollen.

„Rollen... heißt das Zauberwort, welches dem dramatischen Dichter wie dem Componisten die Pforten der Bühne öffnet“,

meinte er selber.

Ab 1820 trat er eigenständig als „jugendlicher Liebhaber“ auf. Bei seinem Engagement in Köln entstand 1824 LORTZINGs erstes Singspiel „Ali Pascha von Janina“, ein in der Handlung der „Entführung“ verwandtes Werk, ebenfalls mit exotistisch-orientalistischen Elementen, das erst 1828 in Münster uraufgeführt wurde. 1835 in Leipzig schrieb er seine erste komische Oper „Die beiden Schützen“, die 1837 erfolgreich uraufgeführt wurde. Bekannt wurden auch

  • „Der Waffenschmied“ (1846) und
  • „Die Opernprobe oder Die vornehmen Dilettanten“ (1850)

Einen Tag nach der Uraufführung 1851 starb LORTZING.
Bleibende Erfolge wurden LORTZINGs Opern

  • „Zar und Zimmermann” (1837) und
  • die noch dichter durchgearbeitete „Der Wildschütz, oder Die Stimme der Natur” (1842).

Sie gehören noch heute zum Standardrepertoire des deutschen Musiktheaters – allerdings praktisch ausschließlich des deutschen. Internationale Verbreitung erlangte die deutsche komische Oper nicht.

Musikalisch ist LORTZING in seinem Bühnenschaffen, in dem er den Weg vom Sing- und Liederspiel zur komischen Oper geht, der Wiener Klassik verpflichtet;

  • er knüpft an deren Umfeld an und
  • steht in der Nachfolge vor allem von WEBER.

Seine besondere Stärke liegt ganz offensichtlich in der kleinen Form wie dem im 18. Jahrhundert besonders in Wien entwickelten „Komödienlied“ bzw. dem Opernlied, das er zu seinem künstlerischen Höhepunkt geführt hat (z.B. Zarenlied „Sonst spielt ich mit Zepter, mit Krone und Stern“ aus „Zar und Zimmermann“). In einigen Szenen des „Zar und Zimmermann“ (die grotesk-komische Singschule) und des „Wildschütz“ (Billardszene mit einem komplexen fünfstimmigen Ensemble) erhebt sich seine Sprache zu einer satztechnisch beachtlichen Höhe. Nicht zu vergessen und zu überhören sind auch die kritischen Untertöne gegen adligen Dünkel und bürgerliche Untertanengesinnung.

OTTO NICOLAI (1810–1849) ist stärker der italienischen Tradition verpflichtet. Er bildete sich, zunächst als Kirchenmusikkomponist, vor allem in Italien aus, komponierte dort dann aber vorwiegend italienische Opern. Dazu zählen unter anderem

  • „Il templario“ (nach „Ivanhoe“ von WALTER SCOTT, Turin 1840),
  • „Teodosia“ (Neapel 1843),
  • „Der Tempelritter“ (Wien 1845).

1841 wurde NICOLAI Hofkapellmeister in Wien. Dort gründete er die philharmonischen Konzerte. 1847 ging er als Dirigent des Domchors und Kapellmeister der Königlichen Oper nach Berlin. Dort vollendete er sein bleibendes Hauptwerk, die Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“, die er seit 1845 in Arbeit hatte (nach SHAKESPEAREs Stück). Uraufgeführt wurde die Oper in Berlin am 9. März 1849. Vor allem bei der nächtlichen Szene im Forst von Windsor spielen

  • romantische Elemente und
  • eine geradezu südländische Eleganz mit.

„Deutsche Schule muss sein, das ist die erste Bedingung, aber italienische Leichtigkeit muss dazukommen“,

meinte NICOLAI selbst. Auch NICOLAI schuf bemerkenswerte Ensemblesätze.

Während der Revolution komponierte ALBERT LORTZING 1848 in Wien seine Revolutionsoper „Regina“. Ihre Uraufführung erfolgte erst nach LORTZINGs Tod. Der Klassenkonflikt löst sich hier letztlich friedlich. Dennoch ist die Nähe zu den bewegenden Problemen der Zeit bemerkenswert – hier zu der „sozialen Frage“, also der Frage nach den Lebens- und Arbeitsbedingungen des nach 1830 mit der Durchindustrialisierung Deutschlands sich herausbildenden Proletariats. Die Nähe zum Publikum, die eigene prekäre Lage LORTZINGs schärften hier das soziale Bewusstsein und Gefühl.

Populär war und blieb allerdings der Typus der leichtgewichtigen „Spieloper“. Erst mit RICHARD WAGNER (1813–1883) entwickelte sich dann nach der kleinformatigen komischen deutschen Oper ein deutscher Operntyp von internationaler Ausstrahlung: als romantische Oper und dann als „Musikdrama“, jedoch auch mit einer exemplarischen musikalischen Komödie auf ein eigenes Libretto „Die Meistersinger von Nürnberg“ (Entwurf schon 1845; Komposition ab 1861; Uraufführung 1868).

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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