Formschemata und Formungsprinzipien

Historische Wurzeln und Begriff

Das Wort „Form“ wurde in mittelhochdeutscher Zeit aus dem lateinischen forma entlehnt. Es bedeutete zunächst „äußere Gestalt, Umriss“. Später wurde es außerdem im Sinne von „Muster, Modell“ gebraucht.

Auch die musikalische Form beschreibt die äußere Gestalt bzw. die Gliederungsprinzipien, nach denen Kompositionen aufgebaut sind. Doch diese Form ist nicht ein bloßes „Muster“ sondern „Ausdruck“ dafür, was ein Musikwerk ausmacht. Dazu gehört das gesamte Beziehungsgeflecht der einzelnen Kompositionsabschnitte: das Zusammenwirken vom kleinsten musikalischen Detail bis zum großen Zusammenhang, die genau geordnete Abfolge der einzelnen Bausteine einer Komposition, bestimmte Übergänge, die Beziehungen der Abschnitte untereinander und schließlich die Funktionen, die den jeweiligen musikalischen Teilen zugrunde liegen.

Diese zusammenhängenden Verbindungen entstehen nicht unbewusst, sondern als Ergebnis bewussten künstlerischen Gestaltens und Formens.

Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein war es der Text der vokalen Kompositionen, an dem sich die Form der Musik orientierte. Mit dem Aufstieg der Instrumentalmusik ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden nun Werke ohne eine derartige textliche Grundlage. Die Musik musste aus sich selbst heraus Einheit und Zusammenhang finden. Es erwuchsen also Anforderungen an ein künstliches Formen einzelner musikalischer Zusammenhänge, die sich nicht auf gesungene Worte stützen konnten. Aus diesem Erfordernis heraus entstand die Musikalische Formenlehre als ein Teilgebiet der Musiktheorie.

Musikalische Mittel der Formbildung

Beim Komponieren eines Musikstücks kommt dem gerichteten Zeitablauf eine zentrale Rolle zu. Der Komponist muss sich bewusst sein, dass der spätere Zuhörer seinem Werk nur in einer Richtung folgen kann: von Beginn an bis zum Schluss. Er wird daher genau abwägen, wie er bestimmte Zusammenhänge formt. Um ein Beziehungsgeflecht zu erreichen, dass den Hörer trotz der unterschiedlichsten musikalischen Ideen innerhalb eines Werkes nicht verwirrt, bedient sich der Komponist deshalb Mitteln der „Erinnerung“ sowie der „Erwartung“.

  • Zu den Mitteln der „Erinnerung“ zählen: Wiederholung und Variante,
  • zu denen der „Erwartung“ gehören: Verschiedenheit, Kontrast und Beziehungslosigkeit.

Bei der Wiederholung werden Gedanken und Teile, wie zum Beispiel Motive oder Themen, im Werkverlauf unverändert wieder aufgegriffen. Sie sind einander gleich. Gerade die wiederkehrende Übereinstimmung solcher Teile hilft, diese Abschnitte von anderen abzugrenzen. Durch eine Analyse von wiederholten Gedanken können Elemente ermittelt werden, die für die Komposition von formtragender Bedeutung sind.

Mit Variante beschreibt man das abgewandelte Wiederauftreten einzelner Gedanken und Teile. Diese Umwandlungen zeigen, wie die drei Grundelemente der Musik: Melodie, Harmonie und Rhythmus variiert werden können. Dieser Variierung sind aber Grenzen gesetzt, um die einander ähnlichen Formteile nicht beziehungslos nebeneinander zu stellen.

Setzen sich Gedanken und Teile voneinander ab, ohne identisch zu sein (Wiederholung) oder ausgesprochen zu kontrastieren (Kontrast), spricht man von Verschiedenheit. Die Andersartigkeit, die sich im unterschiedlichen Charakter oder im Ausdruck zeigen kann, grenzt verschiedene Formteile voneinander ab.

Sind Gedanken und Teile zueinander gegensätzlich, das heißt streben diese auseinander und gegeneinander, spricht man von Kontrast. Eine solcher Gegensatz zwischen unterschiedlichen Formteilen zieht einen noch stärkeren Ausdruckswechsel nach sich als das Mittel der Verschiedenheit. Dadurch können klare Gliederungseinschnitte zwischen den kontrastierenden Abschnitten gezogen werden.

Haben Gedanken und Teile einer Komposition nichts miteinander gemeinsam, sind sie einander fremd. Dafür steht der Begriff Beziehungslosigkeit. Während die Verschiedenheit und der Kontrast neue kontrastierende Stimmungen hervorbringen, wird bei der Beziehungslosigkeit von der Idee des Ungleichartigen ausgegangen und auf jegliche Vermittlung verzichtet.

Welches dieser musikalischen Mittel dominiert, ist entscheidend für den Ablauf eines Werks und gleichzeitig für die Ausbildung der verschiedenen Formtypen.

Als weitere Mittel musikalischer Formbildung gelten die musikalischen Parameter: Melodie, Harmonik, Rhythmus, Dynamik, Klangfarbe und Setzweise getragen.
So beendet beispielsweise meistens eine fallende Melodie oder Dynamik einen formtragenden Abschnitt.

Weiterhin entscheiden harmonische Schlussbildung über das Ende von Formabschnitten.

Motiv und Thema

Die Bezeichnungen „Motiv“ und „Thema“ stehen in engem Zusammenhang. Während unter „Motiv“ die musikalische Keimzelle einer Komposition aus wenigstens zwei Tönen zu verstehen ist, steht das „Thema“ für einen deutlich hervortretenden, fest umrissenen Hauptgedanken eines Musikwerks. Ein Thema ist meist aus einzelnen Motiven zusammengesetzt. Durch die Möglichkeiten der motivisch-thematischen Verarbeitung sind beide Formen innerhalb einer Komposition entwicklungsfähig.

Satz und Periode

In der seit dem 18. Jahrhundert homophon orientierten Musik ist eine starke Tendenz zur Symmetrie zu bemerken, so im Volkslied und besonders im Tanz. Es herrscht eine Gruppierung nach Zwei-, Vier, und Achttaktgruppen vor. In dieser Reihenfolge sind auch Einschnitte im melodisch-rhythmischen und harmonischen Verlauf festzustellen.

Während eine Zweitaktgruppe oft mit einem „Motiv“ identisch ist, ergibt sich zumeist im Zusammenwirken von zwei Taktgruppen eine erste größere formale Einheit, die zueinander im Verhältnis von Spannung und Lösung oder Frage und Antwort stehen. Diesen abgerundeten formal geschlossenenen musikalischen Gedanken bezeichnet man als „Satz“, seine beiden Taktgruppen als Halbsätze bzw. als Vordersatz und Nachsatz. Wie in der Sprache wird hier von zwei Teilsätzen gesprochen, die sich aufeinander beziehen und erst im Zusammenhang den vollständigen Sinn wiedergeben.

Das Verhältnis von Spannung und Lösung beider Halbsätze zeigt sich insbesondere in harmonischer Hinsicht. Während der Vordersatz in der Regel auf der spannungsreichen Dominante endet, schließt der Nachsatz auf der beruhigenden Tonika. Das Ende des Vordersatzes, das nach einer Weiterführung verlangt, wird als Halbschluss bezeichnet. Das Ende eines Nachsatzes, das sich mit dem Schluss einem Aussagesatz vergleichen lässt, erhält den Namen Ganzschluss.

Um die Einheitlichkeit eines achttaktigen Satzes zu betonen sind die beiden Halbsätze meist einander ähnlich. Diese regelmäßige Wiederkehr ähnlicher Viertakter findet in der Bezeichnung „Periode“ Ausdruck. Perioden besitzen miteinander korrespondierende Halbsätze, wobei die Ähnlichkeit bis zur vollständigen Übereinstimmung reichen kann oder nur angedeutet zu sein braucht.

Es gibt aber auch zahlreiche Abweichungen von diesem klassischen Modell. So erscheinen in selteneren Fällen Halbsätze, die aus Drei- oder Fünftaktgruppen bestehen. Ebenso lässt sich die zweiteilige Satzbildung durch die Einfügung eines zentralen Zwischensatzes erweitern (Vordersatz – Zwischensatz – Nachsatz). Bisweilen entstehen asymetrische Satzbildungen, in denen Vorder- und Nachsatz nicht dieselbe Länge aufweisen.

Entscheidend für einen Satzbau und dessen Bestimmung ist deshalb nicht die Taktzahl, sondern der melodische und harmonische Ablauf, der über Spannung und Lösung Auskunft gibt.

Liedformen

Die Gliederungprinzipien, die sich in den Liedformen finden, haben ihre Vorbilder in der Volksmusik. Im Gegensatz zum römisch-katholischen Kirchengesang des Mittelalters wiesen die Volkslieder und Volkstänze dieser Zeit symmetrische Bildungen auf. Dadurch wurde die Musik für das Volk einprägsamer. Aber auch die immer gleichen Vertonungen des Endreims in der lateinischen Dichtung seit dem 11. Jahrhundert trugen zu einer Symmetriebildung bei.

Die Liedformen entstehen auf der Grundlage des periodischen Satzbaus. Dabei entscheidet die Anzahl der Sätze über den Typ der Liedform.

Um den Begriff „Satz“ nicht zu sehr zu strapazieren (Bsp. dreisätzige Sinfonie, A-cappella-Satz, Tonsatz usw.), spricht man nicht von ein-, zwei- und dreisätzigen, sondern von ein-, zwei- und dreiteiligen Liedformen.

Liedformen kommen sowohl in der Vokal- als auch in der Instrumentalmusik vor. Das erklärt sich aus der jahrhundertelangen Abhängigkeit der Instrumentalmusik vom Vokalschaffen. Es werden vier einfache Liedformen unterschieden:

  • die einteilige,
  • die zweiteilige und
  • die dreiteilige Liedform sowie
  • die Barform.

Darüber hinaus gibt es speziellere Formen, wie die Reprisenbarform oder zahlreiche Varianten, Verkürzungen und Erweiterungen der ursprünglichen Grundformen.

Besteht ein Lied aus einem abgeschlossenen Satz oder einer Periode, so wird es der einteiligen Liedform zugerechnet. Diese einteilige Liedform stellt eine in sich geschlossene völlig selbständige kleine Komposition dar, die aus einem musikalischen Hauptgedanken geformt ist.

Es kann zwischen der periodischen Unterteilung (Vordersatz – Nachsatz) und der dreigliedrigen Satzunterteilung (Vordersatz – Zwischensatz – Nachsatz) differenziert werden.

Während z.B. das Volkslied „Kommt ein Vogel geflogen“ auf einer achttaktigen Periode beruht, weist das Lied „Kein schöner Land“ einen dreigliedrigen Satz auf.

Die zweiteilige Liedform basiert auf der Verbindung zweier Sätze oder Perioden. Die beiden Sätze sind entweder ähnlich (A – A`) oder gegensätzlich (A – B, zweiteilige Gegensatzform).

Sind die Nachsätze in beiden Sätzen gleich oder nahezu identisch, spricht man von zweiteiliger Reprisenform (frz. Reprise = Wiederaufnahme).

In der dreiteiligen Liedform folgen drei Sätze bzw. Perioden aufeinander.
Die kleine dreiteilige Liedform, die zumeist aus viertaktigen Sätzen oder Perioden besteht, tritt fast ausschließlich im Volks- und Kinderlied auf.

Im Unterschied dazu ist die große dreiteilige Liedform, die in der Regel achttaktige Sätze bzw. Perioden miteinander verbindet, häufiger in der Instrumentalmusik anzutreffen.
Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten drei Sätzen miteinander zu verbinden:

  1. die Folge ähnlicher Sätze: A – A` – A``,
  2. die Aneinanderreihung von kontrastierenden Sätzen:
    A – B – C (Reihungsform),
  3. die Kombination von Ähnlichkeit und Kontrast:
    A – A` – B, A – B – B` oder A – B – A` (Adagio-Form).

Am gebräuchlichsten sind die unter 3. aufgelisteten Satzfolgen aus der Verbindung von ähnlichen und gegensätzlichen Sätzen.

Der Ursprung der Barform liegt im Mittelalter: im Lied der Troubadours, der Trouvères, der Minnesänger seit dem 12. Jahrhundert und im Meistergesang des 15. und 16. Jahrhunderts. Das Kennzeichen dieser Form sind zwei melodisch übereinstimmende Sätze: die „Stollen“ (mhd. stolle = Stütze, Gestell, Pfosten), denen ein längerer kontrastierender Abgesang: der „Bar“ (got./ahd. bairan bzw. beran = tragen, tragfähig) folgt.

Die zwei gleichen Stollen des Aufgesangs bilden gewissermaßen die stützenden Pfeiler, auf denen der längere Abgesang ruht. Die drei Teile der Barform: Stollen – Stollen – Abgesang stehen demnach im dreiteiligen Verhältnis: A – A(`) – B.
Meistens ist der Bar (B) doppelt so lang wie ein Stollen.

Eine Sonderform der Barform stellt die Reprisenbarform dar. Bei einer solchen Form kehrt nach dem Schluss-Bar noch einmal ein Anfangsstollen wieder (frz. reprise = Wiederkehr). Dadurch ergibt sich die Folge: A – A – B – A.

Diese ursprünglichen Liedformen können in ihren einzelnen Teilabschnitten erweitert werden. Das führt zu größeren musikalischen Formtypen, deren Gliederung sich nicht mehr vorrangig an Sätzen bzw. Perioden anlehnt. Vielmehr orientiert sich die Einteilung in einzelne Werkabschnitte nach den allgemeinen Bauprinzipien:

  1. Gleichheit der Teile,
  2. Ähnlichkeit der Teile oder
  3. Kontrast unterschiedlicher Formteile.

Durch diese über den Satz hinausgehende Ausdehnung einzelner Formteile lassen sich die Liedformen auf fast alle Gattungen der Musik anwenden. Daher können viele Musikwerke in ihrer Grobstruktur auf die einfachen Liedformen zurückgeführt werden. Beispiele dafür bieten größer angelegte Sololieder, Arien und Chorstücke, Sonaten- und Sinfoniesätze sowie besonders die zahlreichen Charakterstücke, Tanz- und Fantasieformen usw.

Rondo, Chorus und Variation

Das Rondo (lat. rotundellus; rondellus = Rundgesang) kann als erweiterte Liedform der Folge: A – B – A aufgefasst werden.

Die Ursprünge des Rondoprinzips liegen im kunstvoll gereimten Refrainlied des französischen Mittelalters (11.–14. Jahrhundert). In diesem mittelalterlichen Lied wechselte eine solistisch vorgetragene Vorderstrophe, das Couplet (B), mit einer chorisch gesungenen Nachstrophe, dem Refrain (A). Es entstand die musikalische Gliederung: B – A – B – A usw.

Da jede Vorderstrophe mit einen unterschiedlichen Text versehen wurde, ergab sich textlich die Folge: B – A – C – A – D – A.

In der durchkomponierten Rondoform bezieht sich die Änderung des Couplets sowohl auf den Text als auch auf die Melodie. So entwickelt sich das Kettenrondo, das mit einem starken chorisch vorgetragenen Refrainteil beginnt und schließt:
A – B – A – C – A – D – A.

Das instrumentale Kettenrondo entwickelte sich im 17. Jahrhundert und entspricht etwa der Ritornellform.

Chorus“ ist ursprünglich die englische Bezeichnung für den Refrain einer Jazz-Komposition, der improvisatorisch verarbeitet wird (engl. chorus = Chor, Refrain).
In der Pop- und Rock-Musik hat sich der Ausdruck „Chorus“ zum Teil als Ersatz für den Begriff „Refrain“ eingebürgert und bezeichnet dort auch Instrumentalsoli über einer Strophen- oder Refrainunterlage.

Die Länge eines Chorus ist nicht einheitlich vorgegeben, doch sind symmetrische Bildungen deutlich erkennbar. So besteht beispielsweise ein Blues-Chorus aus 12 und ein Standardjazzchorus aus 32 Takten (A – A – B – A).

Der Aufbau eines Chorus folgt bestimmten Form- und Akkordschemen.

Ein Jazzstück enthält normalerweise mehrere Chorusse. Dieses Beispiel der populären Musik findet seine Wurzeln ebenfalls in den symmetrisch angelegten Liedformen. Es lässt sich mit alten klassischen Gestaltungsprinzipien vergleichen. Man kann Ähnlichkeiten zwischen dem Wechsel von Chorus und Solo des Big Band Jazz im Vergleich zur Ablösung von Solo und Tutti im barocken Konzert auffinden.

Variation

Das Variationsprinzip steht für die veränderte Wiederholung eines Ausgangsmotivs oder -themas. Dabei können: der Rhythmus, die Melodik, die Harmonik, die Dynamik, die Artikulation, die Tonfarbe, die Besetzung usw. geändert werden.

Werden größere Formteile, Sätze sowie Lied- und Instrumentalthemen variiert, entsteht der Formtyp Variation. Bei diesem Typus reihen sich mehre Abschnitte oder eigenständige Sätze aneinander, die auf nur einem Thema beruhen. Dabei werden in den einzelnen Variationsabschnitten Veränderungen des ursprünglichen Themas vorgenommen, die sich entweder direkt am Thema orientieren (strenge Variation oder Figural-Variation) oder die nur indirekt auf das Thema gestützt sind (freie Variation oder Melodie-Variation). Derartige Variationsreihen gibt es seit dem 16. Jahrhundert.

Die Formen der Variation erscheinen stets als Variationsfolgen, denen ein zu variierendes Ausgangsmodell vorangestellt ist. Als Modell kann entweder eine Melodie oder ein Bass bzw. dessen immanente Harmonik dienen.

Wird über ein Melodie-Modell variiert, ist die zugrunde liegende Melodie stets einfach geführt und klar periodisiert (2, 4, 8, 16 oder 32 Takte). Oft werden bekannte einprägsame Melodien verwendet, die sich besonders für kompliziertere Variationen eignen. Die Hauptformen dieses Variations-Modells sind:

  1. die Variationen-Suite (17. Jh.),
  2. das frz. Double (17./18. Jh.),
  3. die Choralvariation oder –partita (17./18. Jh.) und
  4. das Thema mit Variationen (18./ 19. Jh.).

Wird der Bass zur Grundlage der Umgestaltung, entsteht der Typ Variation über ein Bass-Modell. Die Bässe sind dabei meistens kurz (4 oder 8 Takte) und enthalten eine klar kadenzierende Harmonik. Sie wiederholen sich ständig, um größere Formen zu bilden. Deshalb wird auch vom Ostinato-Bass gesprochen (ital. ostinato = hartnäckig, beharrlich). Die Hauptformen dieser Ostinato-Technik sind:

  1. die ital. Strophen Bass-Arie (16./17. Jh.),
  2. die Variation über Lied- und Tanzbässe wie z.B. Romanesca und Folia u.a. (16./17. Jh.),
  3. die engl. Ground-Variation der Virginalisten (um 1600),
  4. die Chaconne sowie die Passacaglia, die im 16. Jh. nach Deutschland kamen.

Form in der Musik verschiedener Stile und Epochen

Die Form eines Musikstücks wird nicht willkürlich festgelegt. Sie steht im Zusammenhang mit allen Komponenten, die ein Werk bestimmen. Demnach ist die Form abhängig 1. von der Aussage und vom Inhalt der Komposition sowie 2. von der angewandten Kompositionstechnik, die sich im Kompositionsstil äußert. Deshalb weisen die zwei großen gegensätzlichen Kompositionsweisen Homophonie und Polyphonie unterschiedliche Formen auf.

Die Motive und Themen der polyphonen Musik bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts beruhen auf dem Prinzip der Fortspinnung. Das bedeutet, dass der Übergang von formalen Bausteinen zumeist ohne größere Unterbrechungen vollzogen wird. Dadurch fällt es oft schwer das eigentliche Motiv bzw. Thema abzugrenzen. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zur homophonen Satzweise fast nie symmetrische Abläufe im formalen Aufbau entstehen. In der gliedernden Symmetriebildung (Satz und Periode) liegt der große Unterschied zwischen polyphoner Musik und homophon orientierter Musik (18. und 19. Jahrhunderts).

Auch der weitere Verlauf der Musikgeschichte zeigt, dass die Formen der Musik einem stetigem Wandel unterliegen. Im Zusammenhang mit neu entwickelten künstlerischen Absichten entstehen neue Formungs- und Gestaltungsmittel. So kommt es um 1900 zu einem gewichtigen Einschnitt. Es entsteht die atonale Musik, die sich nicht mehr auf ein konkretes tonales Zentrum beziehen lässt. Die formstützende Kraft der Harmonik verlor an Bedeutung und damit auch die klassische Periode.

Als ein Höhepunkt der atonalen Musik gilt die Zwölftonmusik ARNOLD SCHÖNBERGs (1874–1951). Diese Anfang der 1920er-Jahre entwickelte Methode behandelt alle zwölf Halbtöne gleichberechtigt. Grundlage zwölftöniger Kompositionen waren die sogenannten Reihen. Sie legen genau fest, in welcher Abfolge alle 12 Halbtöne im Musikstück erklingen sollten und geben dem konventionellen Themen-Begriff eine neue Bedeutung. Nachdem die Tonalität preisgegeben war, gab die Anlehnung an eine Reihe wieder Halt. Durch die Mittel der freien Imitation (Krebs, Umkehrung, Spiegelung, Augmentation, Diminution) wurde auch wieder motivisch-thematische Arbeit möglich, ein tragendes Prinzip großer Formen.

Die serielle Musik ab den 1950er-Jahren ist eine Weiterführung der Zwölftonmusik. Die seriellen Reihen gaben nicht nur die Reihenfolge der Tonhöhen vor, sondern legten zusätzlich die Tondauer, die Dynamik, die Artikulation und ggf. die Klangfarbe der Einzeltöne fest. Durch die stärker organisierte Ursprungsreihe verlor die Möglichkeit motivisch-thematischer Entwicklung innerhalb eines Werkes an Bedeutung. Dennoch wurden dynamische und rhythmische Ruhepunkte erreicht, die eine Abschnittsgliederung möglich machten.

Als Reaktion auf die völlig durchorganisierte Reihe entwickelte sich Ende der 1950er-Jahre die aleatorische Musik (von lat. alea, aleatorisch = vom Zufall abhängig). Dieser „gelenkte Zufall“ gab den ausführenden Musikern eine gewisse Aktionsreiheit. Die Möglichkeiten der Aleatorik reichen von bloßen Wiederholungen einer Figur bis zur fantasievollen improvisierten Weiterführung eines Gedankens, von der freien Wahl und Austauschbarkeit vorgegebener Formglieder bis hin zur Kombination von ursprünglich unabhängigen Klangereignissen. Es entstanden Klanggeräuschpartituren, die die aleatorischen Klangereignisse teilweise mit Hilfe von grafischen Formen, Zeichen, geometrischen Figuren usw. darstellen. Dadurch erscheint ein optisch formal gegliedertes Notenbild, das klangliche Assoziationen hervorruft.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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