- Lexikon
- Musik
- 2 Musik in Theorie und Praxis
- 2.3 Musiktheorie
- 2.3.2 Notenschrift
- Geschichte der Notenschrift
Der Begriff „Notation“ leitet sich aus dem lateinischen Verb notare (= kennzeichnen, bezeichnen) ab. Das Wort wurde bereits in mittelhochdeutscher Zeit mit der Sonderbedeutung „in musikalischen Noten aufschreiben“ belegt.
Doch bevor sich überhaupt eine erste Form der Notation ausgebildet hatte, konnten Melodien nur mündlich (also durch Vor-, Mit- und Nachsingen) oder durch das Spiel auf einem Instrument überliefert werden. Diese Art der Weitergabe bringt allerdings immer die Gefahr mit sich, dass eine ursprüngliche Melodie von Person zu Person bzw. von Generation zu Generation verändert wird. Erst eine schriftlich fixierte Musik ist in der Lage Zeit und Raum zu überbrücken. Durch die Entwicklung der Notenschrift wurde es möglich, Musik aufzubewahren, zu reproduzieren, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Mit Hilfe einer geeigneten Schrift können nicht nur bereits bekannte Melodien notiert werden, sondern auch neue Komposition geschaffen werden.
Das Aussehen der Notenschrift hat sich von den Anfängen bis heute mehrfach gewandelt. Die Geschichte der Notation brachte während dieser Zeit drei mögliche Systeme hervor, klingende Musik schriftlich zu erfassen:
Werden Töne mit Hilfe von Silben, Buchstaben oder Ziffern niedergeschrieben, nennt man dies phonische Notation (griech. = „auf die Stimme, den Laut bezüglich“). Sie ist mit unserer Sprachschrift vergleichbar.
Die grafische Notation (griech. graphiké = „die Kunst zu schreiben, zu zeichnen, zu malen“) versucht hingegen in geeigneten Zeichen die musikalischen Parameter Tonhöhe, Tondauer, Lautstärke und teilweise auch die Klangfarbe zu erfassen. Die seit dem 17. Jahrhundert gebräuchliche Standard-Notation beruht auf solchen grafischen Zeichen.
Die Tabulaturen-Notation entstand vor allem für Tasten- und Zupfinstrumente. Durch Zeichen, Ziffern und Buchstaben, die die Position der Finger auf den Saiten oder Tasten angeben, werden spieltechnische bzw. grifftechnische Anweisungen gegeben, die es dem Spieler ermöglichen, ein bestimmtes Klangziel des Komponisten zu erreichen.
In einigen antiken Quellen des alten Ägypten und Mesopotamien lässt sich nachweisen, dass bereits in dieser Zeit versucht wurde, Gesangs- und Spielanweisungen, Vortragsbezeichnungen oder Wiederholungszeichen in einer Art Notation festzuhalten. Doch erst die griechische Notation bot eine systematische und voll entwickelte Notation. Es handelt sich um eine phonische Notation.
Man unterscheidet zwischen:
Beide Systeme verwenden als Grundzeichen Buchstaben griechischer Alphabete, die gedreht oder mit kleinen Strichen ergänzt werden können. Die Töne werden dreifach in Zeilen beschrieben. Damit gab es die Möglichkeit, nicht nur Töne der diatonischen Leiter (1. Zeile), sondern auch Töne im chromatischen Abstand zur Grundreihe (2. Zeile) oder tonal weiter entfernte Töne (3. Zeile) zu notieren.
Die ersten Formen einer grafischen Notation waren die sogenannten Neumen. Es wird zwischen byzantinischen und lateinischen Neumen unterschieden. Im Bereich der abendländischen Kirchenmusik fanden vorrangig die lateinischen Neumen Anwendung. Es sind die Musikzeichen der einstimmigen liturgischen Gesänge der römischen Kirche („Gregorianische Choräle“).
Der Begriff leitet sich aus dem griechischen neuma (= „Wink, Gebärde“) ab. Die Herkunft des Wortes weist auf die musikalische Praxis der Zeit hin. Ein Kantor zeigte mit Handzeichen an (er „winkte“), wie zu singen sei.
Diese „Gebärden“ des Kantors wurden notiert. Aus den schriftlich fixierten Neumen kann bereits einiges gelesen werden:
Da die ersten Neumen aus dem 8. bis 9. Jahrhundert noch völlig ohne Notenlinien notiert wurden, konnte man mit ihnen nicht die exakte Tonhöhe angeben. Außerdem boten die ersten Neumen noch keine Unterscheidungsmöglichkeit in Bezug auf Tondauer und zeitliche Tonabstände.
Das war aber auch nicht nötig, denn die notierten Neumen boten nur eine gedankliche Stütze für bereits bekannten Lieder. Es handelt sich also um ein Übergangsstadium zwischen reiner mündlicher Überlieferung und einer nahezu vollständigen Notation eines musikalischen Ablaufs.
Im Laufe der Neumen-Entwicklung wurden die jeweiligen Formen präziser und um 1000 führte GUIDO VON AREZZO (um 992–1050) das Liniensystems ein. Es gab zunächst nur eine Linie zur Orientierung. Doch bereits im Jahr 1027 gebrauchte er in einer Notenschrift vier Linien im Terzabstand (c-Linie = gelb; f-Linie = rot) und Schlüsselbuchstaben. Dadurch wurde die Notenschrift etwa um 1200 schließlich so genau, dass Tonhöhe und Tonabstände ablesbar waren, während aber die Angabe der Tondauer immer noch ungenau blieb. Neumen bestehen aus Strichen und/oder Punkten. Die Striche sind dabei oft kurvig und in einem Schriftzug ausgeführt. Solche festen Verbindungen von einzelnen Neumen bezeichnet man als Ligatur.
Da es mehrere Zentren der Neumenschreibkunst gab (Schreibschulen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten), entwickelten sich auch mehrere Möglichkeiten derartige Striche und Punkte zu notieren (Neumae simplices = einfache Neumen) bzw. miteinander zu verbinden (Neumae compositae = zusammengesetzte Neumen).
Etwa um 1200 entwickelte sich aus den Neumen die Quadratnotation, auf der die heutige Notenschrift beruht. Durch das Liniensystem samt Notenschlüssel war es möglich Tonhöhen und deren Relationen zueinander festzuhalten.
Doch erst die Modalnotation der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts ermöglichte die Notation von Rhythmen. Diese beruhen auf zwei verschiedenen Tondauern: einem langen Wert, der Longa, und einem kurzen Wert, der Brevis. Beide Werte treten in genau festgelegten Verbindungen auf, die man als Modus bezeichnet. Es werden sechs solcher rhythmischen Kombinationen unterschieden, bei denen die Takteinheit stets dreiteilig ist, denn die Zahl 3 stand als Symbol für die Dreieinigkeit Gottes. Die Dreiwertigkeit wurde als „richtig“ bzw. als „perfect“ empfunden.
Die Modi lassen sich miteinander kombinieren, weil Longa und Brevis wandelbar sind. Die Longa ist dreiwertig (Longa perfecta), wenn sich ihr eine weitere Longa oder zwei Breven anschließen. Sobald aber einer Longa eine Brevis vorausgeht oder folgt, erhält sie im dreitaktigen Metrum nur zwei Zählzeiten (Longa imperfecta). Ähnliches gilt für die Brevis. Erscheint sie nach einer Longa ist sie einwertig (Brevis recta). Folgt ihr aber eine weitere Brevis, so dauert die zweite Brevis zwei Zeiteinheiten (Brevis altera).
Durch die sechs Modi wurde die Musik somit rhythmisch messbar. Nach dem Vorbild des menschlichen Pulsschlags entwickelte sich die musikalische Zeiteinheit.
Nachdem FRANCO VON KÖLN (13. Jh.) in der nach ihm benannten Franconischen Notation (1230–1320) neben der Longa und der Brevis als kürzesten Notenwert die Semibrevis in die Notenschrift einführte, erweiterte der französische Musiktheoretiker PHILIPPE DE VITRY (1291–1361) den Notenvorrat um einen neuen kleinsten Notenwert, die Minima (M).
Um dreiwertige Noten-Gruppen voneinander abzugrenzen, wurde der punctus divisionis (Pausen/Teilungs-Punkt) eingeführt. Hingegen verlängerte ein punctus additionis (Punktierungs-Punkt) die jeweilige Note um die Hälfte ihres Wertes. Aus dieser Zeit stammen auch zwei heute noch gebräuchliche Zeichen. So steht ein Halbkreis als Taktangabe für den imperfekten 4/4-Takt sowie der senkrecht durchgestrichene Halbkreis für den 2/2-Takt, der auch als „alla breve“-Takt (in der Art der Brevis) bezeichnet wird.
Anfang des 14. Jahrhunderts mehrten sich die Abweichungen von der Dreiteilung (vor allem in Italien), was zu komplexeren Verhältnisse einzelner Notenzeichen untereinander führte. Es kam erschwerend hinzu, dass es bis zu diesem Zeitpunkt auch kein Taktschema mit entsprechenden Taktstrichen gab.
Im Gegensatz zur französischen Notation schrieben die italienischen Komponisten des Trecento ihre Stücke in ein System aus sechs Linien und nutzten zudem ein neues rhythmisches System.
Die vierte Phase der Modalnotation, die schwarze Mensuralnotation, ist gekennzeichnet durch eine übersteigerte Verfeinerung des Rhythmus (maniriert aus lat.-frz. = übertrieben, gekünstelt, unnatürlich). Es treten häufige Mensurwechsel auf, die nicht nur durch die üblichen Mensurzeichen oder durch Ziffern angezeigt werden, sondern auch durch rote und weiße Noten. Die Einführung der Synkope machte den Rhythmus noch komplizierter und verwirrender. Der Begriff „maniriert“ bezieht sich zugleich auf die künstlerische Gestaltung der notierten Musik. Es entstehen richtige Notenschrift-Kunstwerke.
Als weiße Mensuralnotation wird die Notation polyphoner Musik zwischen 1430 und 1600 bezeichnet. Zu dieser Zeit wurde das meiste Notenmaterial nur per Hand geschrieben und durch Abschrift vervielfältig. Da dies ein immenser Aufwand war, besaßen die meisten Chöre nur wenige Exemplare für die einzelnen Stimmgruppen. Als dann die Anzahl von Chorsängern anstieg, vergrößerte sich auch automatisch der Abstand jedes einzelnen Sängers zum Notenbuch. Somit mussten die Noten immer größer geschrieben werden. Aus Gründen der Bequemlichkeit fiel das Ausmalen der Noten weg und es blieben nur die Umrisse, wie man es in der heutigen Notation von den halben und ganzen Noten kennt. Diese Form der Mensuralnotation erhielt aufgrund ihres Aussehens den zugehörigen Namen.
Zusätzlich zu den bis dahin bekannten Notenwerten traten neue kleinere Werte hinzu, wodurch der Vorrat an Noten anstieg.
Bis ungefähr 1600 wurde die weiße Mensuralnotation verwendet. Danach setzte sich die „moderne“ Notation durch (Standard-Notation) die sich mit ihrem Taktschema bis heute erhalten hat. Im Hinblick auf die Entwicklungen nach 1950 nennt man die seit dem 17. Jahrhundert hauptsächlich verwendete Notationsform auch „traditionell“ oder „konventionell“.
Die Erweiterung des Tonmaterials durch Mikrointervalle machte in der Vierteltonmusik die Einführung von neuen Vorzeichen erforderlich. Tondauern wurden in einigen Kompositionen neuer Musik durch zeitliche Raster angegeben, deren Maßeinheit sich auf die Sekunde bezieht. Doch eine exakte Ausführung der vorgegeben Längen war kaum zu erreichen. Die Lautstärke wurde in manchen Kompositionen nicht mehr in zusätzlichen Zeichen angegeben, sondern in die Notation mit einbezogen. Ins Unermessliche stiegen die Angaben zu unterschiedlichen Spieltechniken und Klangeffekten. Die Komponisten wollten die gegebenen Möglichkeiten des jeweiligen Instruments in vollem Umfang ausnutzen und darstellen.
Die Komponisten der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts hatten häufig Klangvorstellungen, die sich mit der Standard-Notation nicht fixieren ließen. Ihre Ideen, die sich oft kaum in Worte fassen lassen, notierten sie ab den 1950er Jahren in der sogenannten Aktionsschrift.
Die Bezeichnung Aktionsschrift ist als ein Sammelbegriff für verschiedene Schriftzeichen und grafische Symbole zu sehen, die größtenteils keinem einheitlichen Maßstab folgen. Das Ziel dieser Notationen ist entweder die Ergänzung der Standardnotation (grafische Notation) oder sogar deren Ersetzung (musikalische Grafik).
Die grafische Notation, die teilweise wieder ohne Notenlinien auskommt, kann in Bezug auf Melodie und Rhythmus ganz konkrete Angaben machen als auch nur gewisse Andeutungen vermitteln. Da diese Notationsform nicht einheitlich geregelt ist, schafft sich jeder Komponist sein eigenes Notationsvokabular, das in zusätzlichen Erläuterungen (Legenden) dem Spieler erklärt werden muss.
Bei einer solchen uneindeutigen Notation, indem die zeichnerischen Darstellungen den musikalischen Ablauf teilweise nur noch andeuten („musikalische Grafik“), bleibt es letztlich der Kreativität des Spielers überlassen, was er aus dem Vorgegebenen macht.
Im Bereich der populären Musik bedient man sich häufig der Akkord-Schrift. Vorformen dieser Notation finden sich in der Generalbassschrift (1600–1750). Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstand für die Tanz- und Unterhaltungskapellen ein ähnliches Notationssystem. In die sogenannte „Direktionsstimme“ für den Kapellenleiter (Musikdirektor), in der Regel Geiger oder Pianist, war nur das Nötigste notiert – der Melodieverlauf mit Akkordsymbolen, die auf den Theoretiker GOTTFRIED WEBER (1779–1839) zurückgingen, sowie einige Hinweise zum Ablauf des Stücks.
Die Kapellenleiter, bei größeren Tanzorchestern oder den Big Bands damit beauftragte Arrangeure, schrieben aus diesen Vorgaben dann die einzelnen Stimmen für die Musiker und ließen so aus der „Musikskizze“ der Direktionsstimme wieder klingende Musik in einer den Möglichkeiten ihrer Besetzung angepassten Form entstehen. So konnte Notendrucke in Massenauflage hergestellt und verkauft werden, ohne an der nahezu unerschöpflichen Vielfalt der Ensembleformen und -größen eine Grenze zu finden.
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde mit der Vorherrschaft der Aufnahmetechnik im Umfeld von Jazz, Rock und Popmusik die Notation weitgehend zu einer individuellen Gedächtnisstütze, die jede beliebige Form annehmen kann.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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