Konzert

Begriff und Bezeichnung

Der Begriff bzw. die Bezeichnung „Konzert“ (italienisch „Concerto“) ist doppeldeutig. Gemein sein kann die um 1600 sich herausbildende Gattung, bei der in der Regel Solist und (größeres oder kleineres) Ensemble miteinander spielen. Gemeint sein kann aber auch das Konzert als Institution, als einzelnes Ereignis innerhalb des Konzertwesens. Beiden Verwendungen der Bezeichnung haben eine gemeinsame Wurzel: das lateinische Wort „concertare“. Es heißt sowohl „wetteifern, kämpfen, streiten, disputieren“ als auch „mit jemandem zusammenwirken“. Das daraus abgeleitete italienische „concertare“ (Concerto) erhielt die Bedeutung „etwas miteinander in Übereinstimmung bringen, vereinigen“.

Bei Gattung wie Institution ist das Miteinander verschiedener Partner im Ensemble gemeint. Grundlegend für das konzertante Musizieren ist ein Gegenüber

  • von mehreren (oder einem) Einzelnen und einer (größeren) Gruppe, konkret z.B. von Concerto und Tutti,
  • von einigen wenigen (in der Regel maximal vier) Solisten bis zu einem einzigen Solisten auf der einen Seite und Orchester auf der anderen.

Dabei geht es um Mit-, aber auch um Gegeneinander. Die Solisten wollen und müssen sich hervortun, nötigenfalls auf Kosten des Ensembles. Im Musizieren ist allerdings im Unterschied zum Wettkampf in anderen Bereichen eine übergreifende Gemeinsamkeit bewahrt.

Das vergleichbare „Consort“ war denn auch eine englische Bezeichnung für instrumentale Kammermusik-Ensembles von vier bis sechs Mitwirkenden im ausgehenden 16. und im 17. Jh. sowie für die hier zu spielende Musik. Die Bezeichnung stammt wahrscheinlich von lateinisch „consortium“ = „Gemeinschaft, die das gleiche Los teilt“. Man unterscheidet

  • „Whole consort“ mit Instrumenten der gleichen Familie, z.B. Violen von Sopran bis Basslage, und
  • „Broken consort“ mit Instrumenten verschiedener Familien, z.B. Streicher und Bläser, manchmal sogar mit Singstimme.

Strukturprinzip

Strukturprinzip des Konzerts ist ein Gegenüber von mehreren (oder einem) Einzelnen und einer (größeren) Gruppe. Konkret ist das die Beziehung

  • von Concerto bzw. Concertino (italienisch = „kleines Konzertensemble“ und Tutti („alle“),
  • von einigen wenigen (in der Regel maximal vier) Solisten bis zu einem einzigen Solisten auf der einen Seite und Orchester verschiedener Größe auf der andern.

Dabei sind im Verhältnis von Solisten und Gruppe zwei universale Prinzipien der Musik zunächst polar auseinandergelegt:

  • die Wiederholung ist dem Kollektiv,
  • das Variieren dem Einzelnen zugeordnet.

Das gleicht bei Vokalmusik dem responsorialen („antwortenden“) Verhältnis von Vorsänger und Chor, speziell der Beziehung von (ursprünglich chorischem) Refrain mit gleichbleibendem und Couplet (des Vorsängers) mit wechselndem Text, der auch improvisatorisch aus dem Stegreif erfunden werden kann.

Concerto (grosso)

Sach- und begriffsgeschichtlicher Ausgangspunkt ist vokal-instrumentale Ensemblemusik im Übergang zwischen Renaissance und Barock. Dabei kommen verschiedene Gattungen zusammen: so besonders bei den Venezianern

  • ANDREA GABRIELI (ca. 1510–1586) und
  • GIOVANNI GABRIELI (1557–1612) ein- und mehrchörige Motetten und Madrigale (Concerti, 1587),
  • bei LODOVICO VIADANA (um 1560–1627) 1–4stimmige Solomotetten mit Basso continuo (Cento concerti ecclesiastici I, 1602).

Der Kontrast der vor allem venezianischen Mehrchörigkeit differenziert sich zwischen 1660 und 1690 aus. Es entsteht das deutliche Gegenüber von Concertino (kleine, solistische Gruppe) und Concerto (ganzes Orchester; auch Tutti, Ripieno).

Daraus gingen dann um 1680

  • das Concerto grosso (v.a. ARCANGELO CORELLI, 1653–1713) und
  • das Solo-Concerto hervor.

Die erwähnte responsoriale Struktur (Vorsänger-Chor, Solist-Kollektiv) beginnt über die antiphonale (Chor–Gegenchor) zu dominieren.

Solo-Konzert

Eine weitergehende Neuerung ist die Konzentration und Reduktion auf die Struktur Solist gegen Orchester. Nun ist wirklich ein „Einzelner“ (Solo), ein Individuum herausgestellt, als musikalischer Virtuose. Vor allem ANTONIO LUCIO VIVALDI (1678–1741) schuf dann zwischen 1700 und 1710 die zur Norm werdende, knappe dreisätzige Form des Solo-Konzerts: schnelle Ecksätze rahmen einen langsamen Mittelsatz. Die Ecksätze verwenden die großräumige Ritornellform: ein regelmäßiger Wechsel von

  • (im Prinzip als Refrain gleichbleibendem) Orchester-Ritornell und
  • variativ angelegten solistischen Couplets.

Immer noch bleibt also zumindest im Formbau etwas von dem Grundverhältnis Vorsänger-Chor erhalten.

Leitinstrument des Konzerts ist die Violine – VIVALDI war selbst Geiger. Seine Konzerte zeichnen sich durch eine Fülle stofflich-programmatischer Anregungen aus. Sie sind genau und oft „malerisch“ auskomponiert. Den berühmten „Jahreszeiten“ von VIVALDI liegen sogar von ihm selbst gedichtete Programm-Sonette zugrunde.

Eine letzte für den Formbau grundlegende Neuerung ist die Einführung der modernen Sonatensatzform in die Gattung. Der Violinvirtuose und Komponist GIUSEPPE TARTINI (1692–1770) führte das um 1726 ein. Und selbst hier überlebt etwas vom konzertanten Grundprinzip in der nunmehrigen Sonatensatzform des 1. Satzes: die noch im 19. Jh. standardmäßige doppelte Exposition des Konzert-Satzes, nämlich als Tutti- und Solo-Exposition, erinnert an das ursprüngliche 1. Ritornell des Concerto und das 1. Couplet des Solisten.

Besetzungs-Varianten

Mit diesem Fundus an Formen und Gestaltungsprinzipien kommen die Komponisten in immer neuen Varianten und Kombinationen bis ins 20. Jh. hinein aus. Nach Zahl und Bedeutung überwiegen fortan die Besetzungen als Violinkonzert und Klavierkonzert. Die ältere Struktur mit einem Kollektiv-Solisten lebt weiter im sogenannten „Gruppenkonzert“:

  • Doppelkonzert,
  • Tripelkonzert,
  • Quadrupelkonzert,
  • Symphonie concertante.

Der barocke konzertierende Stil kann auch auf einem solistischen Instrument realisiert werden. Bei diesem Typus wird das Konzertieren, das Verhältnis von Solo und Tutti in Tonsatz und Faktur hineingenommen. Am leichtesten ist die Übertragung auf das solistische, problemlos mehrstimmige Tasteninstrument, so z.B. in JOHANN SEBASTIAN BACHs (1685–1750) „Concerto nach italienischem Gusto vorzugsweise für Cembalo“ BWV 971.

Besonders im 18. Jh. haben zwar Violine und Tasteninstrument als Solisten Vorrang. Doch auch Flöte oder Klarinette können sich behaupten. Trotz der Tendenz zur standardisierenden Einengung ist die Besetzung oft bunt. Die (reisenden) Virtuosen müssen sich für ihre Konzerte auch mit Besonderheiten des Instrumentariums hervortun. Die Verwendung ungewöhnlicher Soloinstrumente umfasst daher ziemlich alles zwischen Maultrommel und Mandoline; Horn oder Harfe oder gar Violoncello sind dabei relativ gewöhnliche Soloinstrumente. Generell regen immer wieder herausragende Virtuosen auch zu entsprechenden Kompositionen für ihr Instrument an. Das gilt dann auch und gerade für die Neue Musik.

Klassik, Romantik, „Konzertstück“

Besonders WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791) und LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770–1827) führen die Gattung Konzert zu einem weiteren Höhepunkt nach VIVALDI. Im 19. Jh. stehen dann zwei Tendenzen einander gegenüber: die zum virtuosen und zum „sinfonischen“ Konzert.

  • virtuoses Konzert: der Solist steht im Vordergrund,
  • sinfonisches Konzert: der Solopart ist stärker in das Gesamtgewebe des Tonsatzes integriert. Das sinfonische Konzert genießt wegen der Geltung der Sinfonie innerhalb des bürgerlichen Konzertwesens das höhere ästhetische Prestige.

Beide Male ist jedoch instrumentale Virtuosität gefordert. Sie steigert sich im Verlauf des 19. Jh. Der Modellvirtuose ist FRANZ LISZT (1811–1886).

In Reduktion des kollektiv-allgemeinverbindlichen Anspruchs entsteht obendrein eine neue kleine Gattung: das Konzertstück als eine einsätzige Komposition für Solist und Orchester wie LISZTs „Totentanz“ (1849/1853/1859) oder auch als eine zur rein solistischen Darbietung im Konzert bestimmte Komposition, wie ROBERT SCHUMANNs (1810–1856) Sonate op. 14 „Concert sans orchestre“ (1835/36), strukturell vergleichbar dem erwähnten barocken „Konzertieren“ auf einem Soloinstrument.

Führend innerhalb des Konzertwesens bleibt aber neben der Sinfonie das „gewöhnliche“ Konzert. Kein Komponist im 19. Jh. verzichtet darauf, wenigstens ein Werk dieser Gattung abzuliefern. Ungewöhnlich ist eine Besetzung wie im „Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-moll op. 102“ (1887) von JOHANNES BRAHMS (1836–1897). Es entstand zu einem besonderen Anlass: Es gilt nämlich als Werk der Versöhnung von BRAHMS mit seinem Freund, dem berühmten Geiger JOSEPH JOACHIM (1831–1907). Es ist eine Art Oper ohne Worte und mit nur zwei handelnden Figuren. Dabei ist die Instrumenten-Kombination von Violine und Violoncello zugleich die von Weiblich-Männlich. Das ganze Werk selber erscheint insofern als eine Liebes-Musik. Ein Liebesbeweis ist im Übrigen die Anspielung auf die F-A-E-Chiffre des Freundeskreises um SCHUMANN („Frei, aber einsam“) und das Zitat aus einem von BRAHMS und JOACHIM hochgeschätzten früheren Violinkonzerts. Eine solche programmatische Aufladung des Konzerts ist nicht ungewöhnlich.

Neue Musik

Mit dem Übergang zur Neuen Musik kommt nach 1900 ein neuer Schub mit ungewöhnlichen Besetzungen. Nach dem Vorbild von LUDWIG VAN BEETHOVENs (1770–1827) „Fantasie c-Moll für Klavier, Chor und Orchester op. 80“ (1808) komponierte FERUCCIO BUSONI (1866–1924) ein monumentales „Klavierkonzert mit Männerchor op. 39“ (1903/1904). In den 1920ern folgen Konzerte mit Soloinstrumenten wie

  • Trautonium oder
  • Ondes Martenot (frühe elektroakustische Musikinstrumente),
  • seit 1945 mit Bandonion,
  • Basstuba,
  • Kontrabass usw.

Gleich zweimal beteiligt sich hier der gemäßigt modern schreibende ROLF LIEBERMANN (1910–1999) mit

  • einem „Concerto for Jazzband and Symphony Orchestra“ (1954), das Jazz und „Classics” zu fusionieren versucht, und
  • dem „Geigy Festival Concerto für Basler Trommel und Orchester“ (1958), das dem Sitz der Pharmafirma mit dem wesentlichen Instrument der bekannten Basler Fasnacht huldigt.

Das Ungewöhnliche wird aber zumal in der Neuen Musik seit 1945 immer mehr zum Gewöhnlichen. Die Standard-Besetzung des sinfonischen Orchesters ist als eine Art Folie vorausgesetzt, wird aber jeweils fallweise mehr oder minder stark verändert und erweitert. Ein Hauptansatzpunkt ist dabei u.a. das Schlagzeug, so etwa bei HANS WERNER HENZEs (* 1926) „Concertino für Klavier, Blasorchester und Schlagzeug“ (1947) oder KARL AMADEUS HARTMANNs (1905–1963) „Konzert für Klavier, Bläser und Schlagzeug“ (1953) und „Konzert für Bratsche mit Klavier, Bläser und Schlagzeug“ (1955).

Die wichtige, schon bei VIVALDI ausgeprägte Traditionslinie der programmatischen Aufladung der Musik setzt sich auch im 20. Jh. vielfach fort. So etwa u.a.

  • mit ALBAN BERGs Violinkonzert aus dem Jahr 1935 mit dem programmatischen Untertitel „Dem Andenken eines Engels“, vom Charakter her geradezu ein Requiem,
  • mit KARL AMADEUS HARTMANNs „Concerto funebre für Violine und Streichorchester“ (1939) als Reaktion auf den Kriegsbeginn mit Zitaten von Liedern der Arbeiterbewegung und dem tschechischen „Hussitenchoral“,
  • mit HANS WERNER HENZEs „Ode an den Westwind. Musik für Violoncello und Orchester nach englischen Gedichten von PERCY BYSSHE SHELLEY“ (1953) usw.

Kammerkonzert, Konzert für Orchester, Traditionen

Eine Konsequenz und Gegentendenz der Sinfonisierung und Monumentalisierung des Konzerts im 19. Jh. ist ähnlich wie bei der Sinfonik das Kammerkonzert mit Solist und Kammerorchester. Prototypisch sind etwa

  • ANTON WEBERNs (1883–1945) „Konzert op. 24 für neun Instrumente“ (das man auch ein Nonett nennen könnte) oder
  • BERGs „Kammerkonzert für Klavier, Violine und 13 Bläser“ (1923/1925), bei dem Klavier und Violine in Richtung eines Doppelkonzerts hervortreten.

Dieser Typus Kammerkonzert findet nach 1945 in der avancierten Musik von PIERRE BOULEZ (1925–2016) bis BRIAN FERNEYHOUGH (* 1943) zahlreiche Nachfolger u.a.:

  • LUIGI NONOs (1924–1990) „Varianti. Musica per Violine solo, archi e legni“, also „Musik für Solovioline, Streicher und Holzbläser“ (1957)
  • bei PIERRE BOULEZ (1925–2016) „Domaines für Klarinette und 6 Instrumentalgruppen“ (1968) gesellt sich der Solist jeweils zu einer der Gruppen.
PIERRE BOULEZ (1925–2016)

PIERRE BOULEZ (1925–2016)

Fast als Reflex darauf wiederum bildet sich seit den 1920er-Jahren der paradoxe Typus Konzert für Orchester. Hier wird kollektive Virtuosität betont ausgestellt, etwa in entsprechenden Werken von

  • PAUL HINDEMITH (1895–1963) – „Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser“ (1930),
  • BÉLA BARTÓK (1881–1945) – „Konzert für Orchester“ (1943) und
  • WITOLD LUTOSLAWSKI (1913–1994) – „Konzert für Orchester“ (1954).

Unabhängig davon lieferten nach wie vor fast alle Komponisten weiter Konzerte, vorzugsweise für die Hauptinstrumente Klavier oder Violine. Nur in der Phase besonders radikaler Innovationsbestrebungen zwischen 1949 und etwa 1973 trat das Konzert in den Hintergrund.

Wie die Sinfonie, so ist besonders seit den 1970ern mit der Krisenreaktion der „Postmoderne“ auch das Konzert eine nach wie vor in verschiedenen Varianten kompositorisch gepflegte Gattung; z.B. WOLFGANG RIHM (* 1952) „Gesungene Zeit. Musik für Violine und Orchester“ (1991/92). Dabei kommen

  • historisierende Stilmittel,
  • neue Methoden der Klangerzeugung und Virtuosität

zusammen. Mit den Strömungen der „Neo-Romantik“ und Postmoderne erlebt das Konzert eine Renaissance.

Dazu kommt allerdings auch die Auflösung von Tradiertem wie in JOHN CAGEs (1912–1992) „Klavierkonzert“ (1957/1958) mit offen-beliebiger Realisierung oder DIETER SCHNEBELs kritisch und ironisch reflektierendes „Concert sans orchestre“ (1964) für einen Pianisten und Publikum; statt einer Partitur gibt es bei diesem „Konzert ohne Orchester“ nur eine die Richtung skizzierende grafische Notation und einen „Aktionsplan“, der den Standardablauf eines Konzertereignisses vorsieht „Vom Begrüßungszeremoniell bis zur unvermeidlichen Zugabe“.

Bei MATTHIAS SPAHLINGERs (* 1944) „inter-mezzo. concertato non concertabile tra pianoforte e orchestra” (1986) ist schon der Titel ein Programm. Er lässt sich nur ungefähr übersetzen als „Zwischenspiel“, „Zwischen“ / „Mitte“. „Konzertiert aber nicht zur Übereinstimmung zu bringen zwischen Klavier und Orchester“.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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