Zwischen Nationalismus und Moderne 1871–1918

Bereits mit Gründung des „Deutschen Reichs“ 1871 erhält die Sinfonie neue Impulse und bewegt sich häufig zwischen Historismus und Monumentalismus. Im Bereich der Oper hingegen wird das deutsche Musikdrama den zuvor führenden italienischen und französischen Operntypen ebenbürtig. Daneben entfaltet sich die französische, englische und deutsche Operette, die besonders in ihrer Entstehungszeit satirisch-kritische Sujets behandelt.

Seit den 1880er-Jahren tritt eine naturalistische Grundströmung hervor, die nicht zufällig mit der Erfindung des Phonographen (1877) einhergeht. Erstmals gelingt es dem Amerikaner THOMAS ALVA EDISON (1847–1931), Klang als akustische „Fotografie“ und als ein „naturgetreues“ Abbild abzubilden.

Die musikalische Moderne zwischen 1890–1908 einschließlich der italienischen und französischen veristischen Oper bildet den Übergang zur „Neuen Musik”, die sich durch einen radikalen Sprach- und Stilbruch auszeichnet.

Mit dem Impressionismus und Symbolismus des französischen Komponisten CLAUDE DEBUSSY (1862–1918) werden die Bindungen an Taktrhythmik und Funktionsharmonik gelockert und exotische Einflüsse in das Komponieren integriert. Insbesondere an der europäischen Peripherie, in Mähren und Ungarn, entstehen neue Stufen nationaler Musik mit internationaler Ausstrahlung und innovativem Gehalt. Der Rückgriff auf das Archaische führt hier im Verbund mit hochentwickelten modernen Techniken zu einschneidenden musikalischen Fortschritten. Ebenfalls eher von der Peripherie kommen seit etwa 1900 die Experimente mit der Mikrotonalität (Teilung der Oktave in mehr als 12 Intervalle).

Besonders radikal wirkt die Zweite Wiener Schule, die ARNOLD SCHÖNBERG (1874–1951) 1904 ins Leben ruft und in deren Werken sich ab 1907/1908 der systemsprengende Übergang zur freien Atonalität vollzieht. Ebenso einflussreich wird die zwischen 1916 und 1923 entwickelte Zwölftontechnik als systematische Neuordnung des Tonmaterials.

Durch Montage- und Collage-Verfahren sowie die Stilisierung und Verfremdung vorhandener Musikelemente etablieren sich letztendlich Kompositionstechniken, die nach 1918 im Neoklassizismus fortgeführt werden.

1871–1873

Die Oper „Aida“ von GIUSEPPE VERDI (1813–1901) wird 1871 in Kairo uraufgeführt und leitet den Beginn von VERDIs herausragendem Spätwerk ein. 1887 folgt die Tragödie „Otello“ und 1893 die Komödie „Falstaff“. Beide Bühnenwerke folgen den Dramen WILLIAM SHAKESPEAREs (1564–1616) und feiern 1893 an der Scala in Mailand Premiere.

GIUSEPPE VERDIs (1813–1901) „Messa da Requiem“ wird 1873 in Gedenken an den Dichter ALESSANDRO MANZONI (1785–1873) uraufgeführt. Den Finalsatz „Libra me“ komponierte VERDI bereits 1868 im Kollektiv als Teil der Totenmesse für GIOACHINO ROSSINI (1792–1868).

Die 2. Sinfonie in c-moll von ANTON BRUCKNER (1824–1896) wird 1873 in Wien uraufgeführt und verursacht Kontroversen aufgrund der gesamtsinfonischen Architektur und ihrem Hang zum Monumentalen.

1874

JOHANN STRAUSS (Sohn, 1825–1899) komponiert mit „Die Fledermaus“, eine prototypische Wiener Operette im karnevalesken Stil JACQUES OFFENBACHs (1819–1880).

Der Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ von MODEST MUSSORGSKI (1839–1881) entsteht, angeregt durch die Ausstellung seines Freundes VIKTOR HARTMANN (1834–1873). Herausragende Kennzeichen sind die raffinierte rondoartige Formanlage, die musikalische Umsetzung der Bilder sowie die ungewöhnlicher Rhythmik (russische 5/4-Takte). 1922 wird der Zyklus von MAURICE RAVEL (1875–1937) erfolgreich orchestriert.

HUGO RIEMANNs (1849–1919) Dissertation „Über das musikalische Hören“ erscheint in Göttingen unter dem Titel „Musikalische Logik“. RIEMANN ist einer der wichtigsten Musikforscher seiner Zeit und veröffentlicht seitdem wegweisende Schriften zur Harmonik, Musikgeschichte, Geschichte der Musiktheorie, musikalischen Rhythmik, Interpretationslehre etc.

Der norwegische Komponist EDVARD GRIEG (1843–1907) komponiert nach einem Text von HENRIK IBSEN (1828–1906) die 24 Musiknummern des fünfaktigen Dramas „Peer Gynt“.

Der tschechische Komponist BEDŘICH SMETANA (1824–1884) beginnt die Arbeit an der Sinfonischen Dichtung „Die Moldau“, die zum patriotischen Zyklus „Má vlast“ („Mein Vaterland“, 1874–1879) gehört. Weitere zum Zyklus zählende Sinfonische Dichtungen sind u.a. die Kompositionen „Sárka, Z ceských luhu a háju“, („Aus Böhmens Hain und Flur“) und „Prazký karneval“ („Prager Carneval“), die SMETANA 1883 fertigstellt.

1875–1878

Die vieraktige Oper „Carmen“ von GEORGE BIZET (1838–1875) wird als Tragödie mit exotisch gefärbter sozialer Thematik uraufgeführt. Mit der Figur des Zigeunermädchens Carmen entsteht der Prototyp einer amoralischen Heldin und der Typus einer komischen Oper mit tödlichem Ausgang.

JOHANNES BRAHMS (1833–1897) vollendet 1876 die 1. Sinfonie in c-moll op. 68 und eröffnet eine neue Phase der Sinfonik. Im Gegensatz zur Neudeutschen Schule, einer Komponistengeneration um RICHARD WAGNER (1813–1883), HECTOR BERLIOZ (1803–1869) und FRANZ LISZT (1811–1886), repräsentiert die Musik von BRAHMS die Erhaltung bewährter Kompositionstechniken sowie den Willen, die musikalischen Traditionen mit neuen Inhalten zu füllen.

Die Bayreuther Festspiele werden mit RICHARD WAGNERs (1813–1883) Tetralogie (vier Teile) „Der Ring des Nibelungen“ im neuerbauten Bayreuther Festspielhaus 1876 eröffnet. Das Monumentalwerk mit seinen einzelnen Werken

  • „Das Rheingold“,
  • „Die Wallküre“,
  • „Siegfried“ und
  • „Götterdämmerung“

komponiert WAGNER mit vielen Unterbrechungen zwischen 1848 und 1874. Die Aufführung dauert einen „Vorabend“ und drei Tage.

1877 entsteht RICHARD WAGNERs (1813–1883) „Bühnenweihfestspiel“ „Parsifal“. Die Erlösungsoper um den jugendlichen Helden Parsifal auf der Suche nach dem heiligen Gral wird 1882 uraufgeführt und darf nach dem Willen des „Wagner-Clans“ per Gesetz bis 1914 nur in Bayreuth aufgeführt werden.

Der englische Komponist ARTHUR SULLIVAN (1842–1900) und der Librettist WILLIAM SCHWENCK GILBERT (1836–1911, Libretto) schreiben die satirische Operette „H. M. S. Pinafore“ (1878) als englisches Pendant zu den Werken JACQUES OFFENBACHs (1819–1880). Fortgesetzt wird der Erfolg dieses Teams mit den Operetten „The Pirates of Penzance“ (1879) und „The Mikado“ (1885).

1881/1882

JACQUES OFFENBACH (1819-1880) vertont 1877–1880 die Erzählungen ERNST THEODOR AMADEUS HOFFMANNs (1776–1822) zu der Opéra fantastique „Les contes d’Hoffmann“ („Hoffmanns Erzählungen“), die 1881 uraufgeführt wird.

Der deutsche Komponist MAX BRUCH (1838–1920) schreibt mit dem Violinkonzert g-moll „Kol nidrei“ für Violoncello und Orchester eine überaus populäre instrumentale Umsetzung eines jüdischen Gebets.

Die Mitglieder der Kapelle des Königlichen Hof-Musik-Direktors BENJAMIN BILSE (1816–1902) gründen 1882 das Berliner Philharmonische Orchester.

HUGO RIEMANN (1849–1919) veröffentlicht das „Musik-Lexikon“, das bis heute in immer wieder erneuerter und überarbeiteter Auflage unter dem Markenzeichen „Riemann“ erscheint.

1883–1885

Die „Metropolitan Opera“ in New York wird mit CHARLES FRANÇOIS GOUNODs (1818–1893) Drame lyrique „Faust“ von 1859 in italienischer Sprache eröffnet. Obwohl das Opernhaus später zu einer repräsentativen und erfolgreichen Institution heranwächst, ist die erste Saison ein finanzielles Fiasko.

GUSTAV MAHLER (1860–1911) komponiert 1883/1884 die vier Orchesterlieder „Lieder eines fahrenden Gesellen“ nach dem Liederzyklus „Des Knaben Wunderhorn“, die u.a. auch in seiner 1. Sinfonie (1888/1889) zitiert werden.

Das Opernhaus in Pest wird 1884 als selbstständiges Unternehmen und Monument des bürgerlich-nationalen Selbstbewusstseins gebaut.

1884–1885 komponiert JOHANNES BRAHMS (1833–1897) die 4. Sinfonie e-moll op. 98, in deren Finalsatz er die Passacaglia (Bezeichnung für ein musikalisches Formprinzip einer variierender Reihung) mit der dynamischen Sonatenhauptsatzform verbindet.

FRANZ LISZT (1811–1886) schreibt 1885 die „Bagatelle sans tonalité“ („Bagatelle ohne Tonart”) für Klavier als letztes der sogenannten „Mephisto-Walzer“-Stücke und führt die Komposition an die Grenzen der Tonalität.

GUIDO ADLER (1855–1941) verfasst 1885 die Schrift „Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft“ als Eröffnungsaufsatz der „Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft“ und gliedert die Musikwissenschaft in die drei noch heute gültigen Fachgebiete:

  1. historische Musikwissenschaft (Musikgeschichte),
  2. systematische Musikwissenschaft (Musikästhetik, Musiksoziologie),
  3. vergleichende Musikwissenschaft (Musikethnologie, Musikanthropologie).

Der Terminus „Musik-Wissenschaft” lässt sich schon 1827 bei JOHANN BERNHARD LOGIER (1777–1846) und dessen Abhandlung „System der Musik-Wissenschaft und der praktischen Komposition“ finden.

1888

Der französische Komponist CÉSAR FRANCK (1822–1890) vollendet seine Sinfonie d-moll, die sich durch extreme thematisch-motivische Verdichtung auszeichnet.

Der russische Komponist NIKOLAJ RIMSKIJ-KORSAKOV (1844–1908) folgt in der viersätzigen Sinfonischen Dichtung „Schéhérazade“ Motiven der orientalischen Sammlung „Tausendundeine Nacht“. Das Werk gilt als Musterbeispiel des russischen orientalisierenden Exotismus.

Der französische Komponist ERIK SATIE (1866–1925) entwickelt in seinen Klavierstücken „Trois Gymnopédies“ einen antikisierenden und radikal vereinfachten Stil.

PJOTR TSCHAIKOWSKY (1840–1893) komponiert die 5. Sinfonie e-moll mit ihrem düsteren „Schicksalsthema“.

Der „Don Juan“ op. 20 von RICHARD STRAUSS (1864–1949) und nach einer Dichtung von NIKOLAUS LENAU (1802–1850) eröffnet eine Reihe populärer Sinfonischer Dichtungen. Es folgen u.a.:

  • „Macbeth“ op. 23 (1886),
  • „Tod und Verklärung“ op. 24 (1889),
  • „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ op. 28 (1895) und
  • „Also sprach Zarathustra“ op. 30 (1896).

1889/1890

Die Pariser Weltausstellung macht europäische Komponisten und Bevölkerung mit außereuropäischer und vor allem ostasiatischer und nordamerikanischer Musik bekannt.

Die einaktige Oper „Cavalleria rusticana“ von PIETRO MASCAGNI (1863–1945) wird zum Prototyp des Verismus oder Verismo, einer naturalistischen Strömung mit effektvoller Musik und einer Dramaturgie, die auf die Unterteilung in Akte verzichtet.

Die „3 Stücke in Birnenform“ von ERIK SATIE (1866–1925) werden zwischen 1890 und 1903 zum Vorbild vieler grotesker und musiksprachlich reduzierter Stücke des Neoklassizismus. Weitere neoklassizistische Werke SATIEs sind u.a. „Vertrocknete Embryos“ (1913) oder die „Sonatine bureaucratique“ (1917).

1892

RUGGIERO LEONCAVALLO (1857–1919) komponiert mit „I Pagliacci“ („Der Bajazzo“) das zweite Standardwerk des Verismus.

CLAUDE DEBUSSYs (1862–1918) „Prélude à l’après-midi d’un faune“ („Präludium zum Nachmittag eines Fauns“) entsteht nach einem Gedicht des symbolistischen Literaten STÉPHANE MALLARMÉ (1842–1898) und ist durch eine a-funktionale, aber noch tonale Harmonik charakterisiert.

„After the Ball“ von CHARLES K. HARRIS (1867–1930) wird zum ersten Millionen-Hit in der Musikgeschichte. Das im Selbstverlag des Komponisten als Loseblatt-Ausgabe veröffentlichte „Walzerlied“ verkauft sich binnen weniger Monate in mehr als zwei Millionen Exemplaren.

1893

In seiner 9. Sinfonie e-moll „Aus der Neuen Welt“ verbindet ANTONÍN DVOŘÁK (1841–1904) US-amerikanische Musik mit böhmischen Modellen. Hervorhebenswert sind u.a. die an Spirituals und amerikanische Songs gelehnten Melodien.

JEAN SIBELIUS (1899–1924) komponiert die Sinfonische Dichtung „Vier Legenden aus der Kalevala“, in der SIBELIUS Stoffe des finnischen Nationalepos „Kalevala“ vertont. Weitere nationalromantische Kompositionen folgen, darunter auch die Tondichtung „Finnlandia“, die zum Symbol nationaler Musik und finnischen Unabhängigkeitsstrebens während der russischen Besatzung avanciert.

PJOTR TSCHAIKOWSKY (1840–1893) schreibt die letzte seiner insgesamt sechs Sinfonien, die Sinfonie h-moll („Pathetique“).

Die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ von ENGELBERT HUMPERDINCK (1854–1921) zeichnet sich durch „wagnerschen“ Orchestersatz sowie volkstümliche Melodien aus und gehört bis heute in das Repertoire der Weihnachtszeit.

1895

WILHELM KIENZL (1857–1941) vollendet das Schauspiel „Der Evangelimann“, eine sentimentale Mischung aus deutscher Spieloper, wagnerscher Melodik und Verismus.

1899/1900

SCOTT JOPLIN (1868–1917) schreibt 1899 mit seinem Klavierstück „Maple Leaf Rag“ eine der bekanntesten Kompositionen des afroamerikanischen Ragtime.

GUSTAVE CHARPENTIERs (1860–1956) naturalistische Oper „Louise“ wird 1900 uraufgeführt und erlebt bis 1950 etwa 1 000 Aufführungen.

GIACOMO PUCCINI (1858–1929) komponiert die dreiaktige veristische Erfolgsoper „Tosca“, deren herrschaftskritische Thematik er u.a. mit der „Madame Butterfly“ (1904) fortsetzt.

1901/1902

EDWARD ELGAR (1857–1934) schreibt die fünf „Militärmärsche“ für Sinfonieorchester „Pomp and Circumstance“.

GUSTAV MAHLER (1860–1911) vollendet 1902 seine 5. Sinfonie cis-moll. Das „Adagietto“ im 4. Satz wird vor allem durch die Verwendung als Filmmusik in LUCCHINO VISCONTIs (1906–1976) „Tod in Venedig“ (nach der Novelle von THOMAS MANN, 1875–1955) populär.

CLAUDE DEBUSSYs (1862–1918) Drama „Pelléas et Mélisande“ wird nach dem symbolistischem Drama von MAURICE MAETERLINCK (1862–1949) 1902 uraufgeführt.

PAUL LINCKE (1866–1946) wird zum wichtigen Vertreter der Berliner Operette. In Berliner Lokalkolorit schreibt er die bekannte Operette „Berliner Luft“, die 1904 uraufgeführt wird.

1903/1904

JEAN SIBELIUS (1899–1924) komponiert im Rahmen der Schauspielmusik „Kuolema“ den bekannten Kunst-Walzer „Valse triste“.

Der amerikanische Komponist CHARLES EDWARD IVES (1874–1954) erprobt in seiner 3. Sinfonie („The Camp Meeting“) mehrere Zitat-, Collage- und Montageverfahren. Erst 1947 wird die Sinfonie uraufgeführt.

Die „Pagodes“ (1904) von CLAUDE DEBUSSY (1862–1918) sind drei Estampes (französische Tänze) für Klavier. Bei der Nr. 1 basiert die Tonleiterbildung auf der indonesischen Gamelan-Musik aus Java.

Die soziale Oper „Jenufa“ (tschechisch: „Ihre Ziehtochter“) von LEOŠ JANÁČEK (1854–1928) wird 1904 in Brno/Brünn uraufgeführt. Der internationale Durchbruch der Oper gelingt erst mit der deutschsprachigen Aufführung 1918 in Wien.

MANUEL DE FALLA (1876–1946) komponiert den Operneinakter „La vida breve“ („Das kurze Leben“) und verknüpft soziale Thematik mit andalusischer Folklore (Flamenco). Die Uraufführung ist 1913.

1905

Die Oper „Salome“ von RICHARD STRAUSS (1864–1949) entsteht nach dem gleichnamigen Stück von OSCAR WILDE (1854–1900). Satztechnisch, ideologisch und klanglich steht STRAUSS in der Wagner-Nachfolge und geht an die Grenzen der Tonalität. Dies gilt auch für die Tragödie „Elektra“ (Libretto HUGO VON HOFMANNSTHAL, 1874–1929) aus dem Jahre 1908. Eine Absage an den Materialfortschritt wird erst in „Der Rosenkavalier“ (1910) erkennbar.

FRANZ LÉHAR (1870–1948) schreibt die populäre Tanzoperette „Die lustige Witwe“ zum Libretto von HENRI MEILHAC (1830–1897).

MAURICE RAVELs (1875–1937) „Miroirs“ sind fünf freischwebende programmatische Klavierstücke in der für RAVEL charakteristischen impressionistischen Musiksprache.

ALEXANDER SKRJABIN (1871–1915) erweitert die Tonalität in seiner programmatischen Tondichtung für Klavier „Le poème de l’extase“.

1906

In CHARLES E. IVES’ (1874–1954) Kammermusikstück „The Unanswered Question“ überlagern sich verschiedene Zeit- und Klangschichten, d.h., atonale und tonale Klangschichten stehen nebeneinander oder durchkreuzen sich.

Der elsässische Theologe, Arzt und Musikforscher ALBERT SCHWEITZER (1875–1965) veröffentlicht unter dem Titel „J. S. Bach, le musicien poète“ seine Bach-Biografie, die 1908 in der deutschen Übersetzung erweitert wird und als „J. S. Bach“ erscheint. Mit dieser Schrift eröffnet SCHWEITZER mit Blick auf Textausdeutung und musikalische Rhetorik ein neues Bachbild.

CLAUDE DEBUSSYs (1862–1918) „Children’s Corner“ entsteht als Sammlung von Klavierstücken für seine kleine Tochter. In dem hier enthaltenen „Golliwoggs’ Cakewalk“ zitiert DEBUSSY einen afroamerikanischen Tanz (cakewalk) und verbindet ihn mit dem Zitat des sogenannten Tristan-Akkordes, eines speziellen Vierklangs, mit dem RICHARD WAGNER (1813–1883) „Tristan und Isolde“ eröffnet. In der Verwendung des Tristan-Akkordes klingt eine böse-ironische Kritik am Rassismus und speziell an RICHARD WAGNER an.

1907

GUSTAV MAHLER (1860–1911) komponiert die 8. Sinfonie in Es-Dur. Die sogenannte „Symphonie der 1000“ ist ein monumentales Werk in zwei Teilen und Höhepunkt im sinfonischen Schaffen MAHLERs. Der Uraufführung in München, die der Komponist selber leitet, wohnen THOMAS MANN (1875–1955), MAX REINHARDT (1873–1943) und HUGO VON HOFMANNSTHAL (1874–1929) bei.

In der Schrift „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ entwirft FERRUCCIO BUSONI (1866–1924) neue Tonsysteme und eine Ästhetik der Verfremdung.

1908

GUSTAV MAHLER (1860–1911) verbindet in der Komposition „Das Lied von der Erde“ für Tenor, Alt und Orchester Elemente der Kantate, des Orchesterliedes und der Sinfonie.

Das „2. Streichquartett fis-moll op. 10 mit Gesang“ von ARNOLD SCHÖNBERG (1874–1951) markiert den epochalen Übergang von der Dur-Moll-Tonalität zur freien Atonalität. Weitere atonale Werke sind die „Fünfzehn Gedichte aus Das Buch der hängenden Gärten“ (1907/1909) von STEFAN GEORGE (1868–1933) und die „Drei Klavierstücke op. 11“ (1909).

Ebenfalls der freien Atonalität verpflichtet schreibt SCHÖNBERGs Kompositionsschüler ANTON WEBERN (1883–1945) die „Fünf Klavier-Lieder nach Stefan George op. 3“ und die „Fünf Klavier-Lieder nach Stefan George op. 4“ (1908/1909).

BÉLA BARTÓK (1881–1945) bearbeitet in den „14 Bagatellen für Klavier“ ungarische Bauernmusik in moderner Musiksprache. Die Hinwendung zum Volkslied kennzeichnet die gesamte Harmonik und Rhythmik seiner nachfolgenden Werke wie beispielsweise das „1. Streichquartett op. 7“.

CAMILLE SAINT-SAËNS (1835–1921) komponiert mit „L’assasinat du Duc de Guise“ („Die Ermordnung des Herzogs von Guise“) die erste kunstmusikalisch anspruchsvolle Stummfilmmusik.

1908–1910 arbeitet ALEXANDER SKRJABIN (1871–1915) an der Sinfonischen Dichtung „Prometheus“. In diesem „Tongedicht vom Feuer“ entwickelt er sein Gesamtkunstwerkkonzept von einer „Farb-Licht-Musik“ mit einem „mystischem Akkord“. Dieser auch „Prometheus-Akkord“ genannte Akkord besteht aus reinen, verminderten und übermäßigen Quarten.

Zwischen 1908 und 1913 schreibt ARNOLD SCHÖNBERG (1874–1951) das Drama mit Musik „Die glückliche Hand“, das ein Gesamtkunstwerk mit synästhetischen Ton-Bild-Kopplungen darstellt. 1909 entsteht das Monodram „Erwartung“ nach einem Libretto von MARIE PAPPENHEIM (1882–1966), das als eines der ersten expressionistischen Bühnenwerke gilt.

1909

ARNOLD SCHÖNBERG (1874–1951) unternimmt in der Nr. 3 der „Fünf Orchesterstücke op. 16“ den Versuch, eine „Klangfarbenmelodie“ zu realisieren.

CHARLES E. IVES (1874–1954) komponiert zwischen 1909 und 1915 die 2. Klaviersonate „Concord, Massachusetts, 1840–1860“. In den vier Sätzen zitiert IVES zahlreiche Werke, u. a. LUDWIG VAN BEETHOVENs (1770–1827) 5. Sinfonie.

In seiner 4. Sinfonie arbeitet CHARLES E. IVES (1874–1954) bis 1916 mit einer weit ausgreifenden Montage von Populär- bzw. Volksmusik. Vor allem religiöse Lieder, Militärmusik sowie Tanz- und Marschmusik werden integriert. Das Werk wird erst 1965 uraufgeführt.

1911

JEAN SIBELIUS (1899–1924) komponiert die 4. Sinfonie in a-moll op. 63.

BÉLA BARTÓKs (1881–1945) Klavierkomposition „Allegro barbaro“ zeichnet sich durch „programmatische Rohheit“ und vor allem „motorische“ Rhythmik aus.

ARNOLD SCHÖNBERG (1874–1951) rekapituliert die Entwicklungen der Dur-Moll-Tonalität zur Atonalität in seiner „Harmonielehre“, die in Wien erscheint.

FRANCESCO BALILLA PRATELLA (1880–1955) verfasst das „Manifest der futuristischen Musik“ und begründet damit den Futurismus, der eine Bewegung italienischer Künstler bezeichnet, die sich im Zuge der Technisierung der Welt gegen tradierte ästhetische Vorstellungen wenden.

1912

ALBAN BERG (1885-1935) komponiert die „Fünf Orchesterlieder nach Ansichtskarten-Texten von Peter Altenberg (1859–1919) op. 4“, die einen großen Skandal bei der Uraufführung 1913 in Wien auslösen. Beanstandet wird neben den erotischen Texten auch die Diskrepanz zwischen Kürze der Stücke und Größe des dafür aufgewandten Orchesterapparats.

ARNOLD SCHÖNBERGs (1874–1951) Komposition „Pierrot lunaire op. 21“ nach einem Text von ALBERT GIRAUDS (1860–1929) ist ein Melodram für eine rhythmisch-melodisch notierte Sprechstimme mit Kammerensemble und wird sehr einflussreich für künftige Ensemblemusik. Die Uraufführung findet 1912 in Berlin statt.

1913

Der deutsche Pädagoge AUGUST OTTO HALM (1869–1929) verfasst die Schrift „Von zwei Kulturen der Musik“, die für die Entwicklung der Jugendbewegung bedeutsam wird.

Mit dem Soloflötenstück „Syrinx“ schreibt CLAUDE DEBUSSY (1862–1918) eine melismatisch-freischweifende orientalistische Komposition, die als Prototyp für Solostücke in der Neuen Musik gilt.

In den „6 Bagatellen für Streichquartett op. 9“ von ANTON WEBERN (1883–1945) entsteht ein expressionistischer Ansatz mit Lyrik in kurzen, konzentrierten Formen und extrem verdichtetem Ausdruck.

ARNOLD SCHÖNBERGs (1874–1951) „Gurrelieder“ werden uraufgeführt. Dieses dreiteilige Oratorium für 5 Solostimmen, 3 Männerchöre, 8-stimmigen gemischten Chor und großes Orchester ist ein spätromantisch-modernes Monumentalwerk nach einer Vorlage des dänischen Dichters JENS PETER JACOBSEN (1847–1885), das SCHÖNBERG bereits 1900/1901 komponiert, jedoch erst 1911 instrumentiert hat.

In der „Petruschka“ bezieht IGOR STRAWINSKI (1882–1971) Musik-Elemente verschiedener Herkunft, vor allem russische Volks- und Populärmusik, ein.

Die Pariser Uraufführung des Balletts „Le Sacre du Printemps“ („Frühlingsopfer“) von IGOR STRAWINSKI (1882–1971) führt zu einem Skandal. Kritisiert werden insbesondere die „unerhörte Musik“ sowie die schlechte Choreografie.

LUIGI RUSSOLO (1885–1947) schreibt das futuristische Manifest „L’Arte die rumori“ („Die Geräuschkunst“) und rückt die Emanzipation des Geräuschs in das Zentrum der Materialentwicklung in der Neuen Musik. Ab 1916 führt RUSSOLO in skandalumwitterten Konzerten selbstkonstruierte mechanische und elektrische Geräuschinstrumente vor, die er „intonarumori“ („Lärmtöner“) nennt.

1914

JEFIM GOLISCHEW (1897–1970) komponiert ein Streichtrio, in dem sich Ansätze zur Zwölftönigkeit erkennen lassen.

Variationen und Fuge über ein Thema von W. A. Mozart op. 132“ von MAX REGER (1873–1916) entstehen nach WOLFGANG AMADEUS MOZARTs (1756–1791) Klaviersonate A-Dur KV 331, die ihrerseits das Thema schon variierte.

LILI BOULANGER (1893–1918) vertont in „Clairières dans le ciel“ die 13 Liebesgedichte des Symbolisten FRANCIS JAMMES (1868–1938).

1914–1916 arbeitet der englische Komponist GUSTAV HOLST (1874–1934) an der sinfonischen Suite „The Planets“, deren 7 Sätze die Planeten darstellen.

KAROL SZYMANOWSKIs (1882–1937) Sinfonie op. 27 („Das Lied der Nacht“) wird mit einer hohen Stimme, gemischtem Chor und Orchester ausgeführt. Die Texte stammen aus dem „Sufismus“, einer islamischen Mystik, deren Harmonik die Komposition prägt.

In der römischen Trilogie „Fontane di Roma“/„Pini di Roma“/„Feste romane“ verwendet der italienische Komponist OTTORINO RESPIGHI (1879–1936) eine historisierend-archaisierende Musiksprache und instrumentale Farbigkeit. Der Vogelsang im Finalsatz der „Pinien von Rom“ stammt von einer Schallplattenaufnahme und entspricht der monumentalen Vorliebe des italienischen Faschismus.

1915

ARTHUR LOURIÉ (1892–1966) widmet PABLO PICASSO (1881–173) das atonale und ungewöhnlich notierte Klavierstück „Formes en l’air“.

NIKOLAJ ROSLAVETS (1880–1944) artikuliert in seinen Werken (z. B. dem Klavierstück „Quasi Prélude“) ein neues System der Tonorganisation und bildet Tonkomplexe, die er als synthetische Akkorde bezeichnet.

In HENRY COWELLs (1897–1965) „New Musical Resources“ entstehen Ansätze zu serieller Musik. Unter serieller Musik versteht man eine Musik, deren Tonmaterial durch mehrere Tonreihen (Serien) oder durch Zahlenreihen strukturiert ist. In diesem Kontext benutzt COWELL Tonkomplexe von benachbarten Tönen, sogenannte Cluster („Tontrauben“), deren Gebrauch er auch theoretisch beschreibt. COWELLs Schaffen hat großen Einfluss auf die Entwicklung der zeitgenössischen Musik.

SERGEJ PROKOFIEW (1891–1953) verbindet in seiner 1. Sinfonie („Symphonie classique“) den Stil JOSEPH HAYDNs (1732–1809) mit moderner Tonsprache.

1916

IGOR STRAWINSKI (1882–1971) komponiert die Burleske („Posse, Komödie“) „Renard“ („Reinecke Fuchs“), deren Texte Motiven aus russischen Volksmärchen folgen. Zentrales Konzept ist die Trennung der Musiktheater-Elemente „Singen“, „Spielen“ und „Tanzen“. Während die Vokalsolisten (jeweils zwei Tenöre und Bässe) singen, wird das übrige Bühnengeschehen parallel dazu von Tänzern und Akrobaten dargeboten. 1922 wird das Werk in Paris in der Grand Opéra uraufgeführt.

1917

ERNST KURTH (1886–1946) veröffentlicht eine Einführung in Stil und Technik von JOHANN SEBASTIAN BACHs (1685–1750) melodischer Polyphonie unter dem Titel „Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Bachs melodische Polyphonie“. Die Schrift beeinflusst das zeitgenössische Musikverständnis ebenso wie seine Publikation „Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners Tristan“ von 1920.

FERRUCCIO BUSONIs (1866–1924) Antikriegs-Oper „Arlecchino“ basiert auf der Fabel und Figuren der „commedia dell'arte“.

Die erste bekannte Jazz-Schallplatte „Livery Stable Blues“ mit der weißen „Original Dixieland Jazz (Jass) Band“ erscheint. 1918 folgt die Platte „Tiger Rag“.

HANS PFITZNER (1869–1949) verfasst die Streitschrift „Futuristengefahr“ gegen FERRUCCIO BUSONIs (1866–1924) Ästhetik und gegen den Fortschrittsgedanken in der Musik überhaupt. 1920 verschärft sich seine Kritik mit der Veröffentlichung „Die neue Aesthetik der musikalischen Impotenz“.

CLAUDE DEBUSSY (1862–1918) veröffentlicht ein Auswahl von Feuilletons unter dem Titel „M. Croche, antidilettante“. Über die literarische Person „Monsieur Croche“ formuliert DEBUSSY musikästhetische Postulate und verteidigt gelegentlich Angriffe auf sein Schaffen.

1918

GIACOMO PUCCINI (1858–1929) komponiert die Einakter-Trilogie „Trittico“, die aus der Tragödie „Il Tabarro“, der satirischen Komödie „Suor Angelica“ und der komischen Oper „Gianni Schicchi“ besteht.

IWAN ALEXANDROWITSCH WYSCHNEGRADSKY (1893–1973) experimentiert in „Vier Fragmente für Klavier“ mit Vierteltönen und steht damit in der Tradition von JULIÁN CARILLO (1875–1965), der bereits um 1900 in Mexiko mit Sechzehnteltönen arbeitete.

IGOR STRAWINSKIs (1882–1971) „Geschichte vom Soldaten. Gelesen, gespielt, getanzt und in zwei Teilen“ ist eine zukunftsweisende verfremdende Montage von Bauernmusik, Jazz (Ragtime), Tanzmusik (Tango, Walzer), Choral und Marsch. Das Libretto stammt aus der Feder von CHARLES FERDINAND RAMUZ (1878–1947).

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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