Die phänomenologische Betrachtungsweise
In der Thermodynamik oder Wärmelehre ist es üblich, zur Beschreibung der Zustände oder Vorgänge in einem thermodynamischen System unterschiedliche Betrachtungsweisen anzuwenden. Neben der kinetisch-statistischen Betrachtungsweise wird die phänomenologische Betrachtungsweise genutzt. Sie ist an Erscheinungen (Phänomenen) orientiert und dadurch gekennzeichnet, dass zur Beschreibung von Sachverhalten und Vorgängen solche makroskopischen Zustands- und Prozessgrößen wie Druck, Volumen, Temperatur, Wärme und Arbeit genutzt werden.
Es ist eine Beschreibungsweise, die gut geeignet ist, um z.B. die Wirkungsweise von Wärmekraftmaschinen (Bild 1) oder das thermische Verhalten von Körpern bei Temperaturänderung zu beschreiben. Sie ist auch die historisch ältere Betrachtungsweise.
Das Wesen der phänomenologischen Betrachtungsweise
Wie bereits der aus dem Griechischen hergeleitete Name (phainomenon = Erscheinung, Phänomen) sagt, ist die phänomenologische Betrachtungsweise dadurch gekennzeichnet, dass Zustände und Prozesse von ihrer Erscheinung her beschrieben werden. Die phänomenologische Betrachtungsweise lässt sich dann folgendermaßen charakterisieren:
- Es wird von äußeren Erscheinungen ausgegangen, die bei thermodynamischen Systemen zu beobachten sind.
- Erfasst werden dabei stets die Eigenschaften von thermodynamischen Systemen als Ganzes, die man durch makroskopisch messbare Zustands- oder Prozessgrößen beschreiben kann. Wichtige thermodynamische Zustandsgrößen, also Größen, die den Zustand eines thermodynamischen Systems kennzeichnen, sind die Temperatur, der Druck, das Volumen und die innere Energie, aber auch solche Größen wie die Dichte, die Masse, die Länge oder die Gesamtenergie. Wichtige Prozessgrößen, also Größen, mit denen Vorgänge im System oder Austauschvorgänge zwischen System und Umgebung beschrieben werden, sind die Wärme (auch Wärmemenge genannt) und die Arbeit.
- Zusammenhänge werden in Form dynamischer Gesetze erfasst. Dynamische Gesetze ermöglichen im Unterschied zu statistischen (stochastischen) Gesetzen eindeutige Aussagen über das Verhalten oder die Eigenschaften des betrachteten Körpers oder Systems.
Zusammenfassend kann man formulieren:
Die Beschreibung thermodynamischer Systeme mithilfe makroskopischer Zustands- und Prozessgrößen und ihre Charakterisierung durch dynamische Gesetze wird als phänomenologische Betrachtungsweise bezeichnet.
Nicht betrachtet werden dabei die elementaren Vorgänge, die in einem thermodynamischen System existieren oder vor sich gehen, z.B. die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Teilchen oder statistische Schwankungen der Dichte.
Beispiel 1: Will man die Längenänderung einer Brücke (Bild 2) berechnen, so muss man neben dem Stoff, aus dem die Brücke besteht, die Länge der Brücke bei bestimmter Temperatur und die Temperaturänderung kennen. Dann kann man eindeutig die Längenänderung vorhersagen. Das betreffende dynamische Gesetz lautet:
Beispiel 2: Die Druckänderung des Gases in einer Gasflasche lässt sich eindeutig bestimmen, wenn man den Druck bei einer bestimmten Temperatur und die Temperaturänderung kennt. Sie lässt sich dann mithilfe der Gasgesetze berechnen. Für ein konstantes Volumen, das man bei einer Gasflasche voraussetzen kann, gilt dann:
Anwendungsbereich der phänomenologischen Betrachtungsweise
Grundsätzlich gilt, dass man eine bestimmte Erscheinung sowohl kinetisch-statistisch als auch phänomenologisch beschreiben kann. So kann man z.B. den thermischen Zustand phänomenologisch durch die Temperatur, kinetisch-statistisch durch die mittlere kinetische Energie aller Teilchen kennzeichnen. Der Druck in einem Gas lässt sich als Zahlenwert angeben oder als Stöße von Teilchen interpretieren.
In den meisten Fällen ist es eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Zielstellung, welche Beschreibungsweise man nutzt.
Die phänomenologische Beschreibungsweise wird vor allem in folgenden Bereichen angewendet:
- Beschreibung des thermischen Verhaltens von Körpern (Volumenänderung, Längenänderung, Temperaturänderung von Festkörpern und Flüssigkeiten)
- Beschreibung des Verhaltens von Gasen mit den Größen Druck, Volumen und Temperatur (Gasgesetze);
- Beschreibung der Wirkungsweise von Wärmekraftmaschinen.
Grundsätzlich gilt: Phänomenologische und kinetisch-statistische Betrachtungsweise ergänzen einander. Sie können auf ein- und dieselben Prozesse und Erscheinungen angewendet werden. Welche der Betrachtungsweise man jeweils nutzt, hängt von den gegebenen Bedingungen und Zielen ab.
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Lothar Meyer, Potsdam