Es gibt seit Ende der 1960er-Jahre wohl kaum eine Debatte von gesellschaftspolitischer Bedeutung, in die der Philosoph und Soziologe JÜRGEN HABERMAS (* 1929) nicht aktiv eingegriffen hat. Sein öffentliches Eintreten für die demokratischen Grundwerte verbindet sich eng mit den Grundsätzen seiner Philosophie, die er 1981 in seinem zweibändigen Hauptwerk – der „Theorie des kommunikativen Handelns“ - entwickelt hat.
HABERMAS übernimmt in seiner Philosophie zwar die von der Frankfurter Schule (ADORNO, HORKHEIMER) geübte Kritik am instrumentell verkürzten, auf die Naturbeherrschung ausgerichteten Vernunftbegriff. Doch er stellt diesem Vernunftbegriff einen anderen, grundlegenderen Typus von Rationalität gegenüber, der im sprachlichen Austausch zum Ausdruck kommt. Für HABERMAS ist die Sprache kein bloßes Werkzeug zur Durchsetzung eigener Interessen, sondern primär verständigungsorientiert. Jeder Sprecher vertritt mit seinen Äußerungen Geltungsansprüche, die im kommunikativen Handeln von den Gesprächspartnern anerkannt werden sollen. Auf der Grundlage dieser intersubjektiven Anerkennung können sich die einzelnen Akteure über strittige Fragen verständigen und einen vernünftigen gesellschaftlichen Konsens erzielen.
Geboren wurde JÜRGEN HABERMAS am 18. Juni 1929 in Düsseldorf. Er studierte zwischen 1949 und 1954 die Fächer Philosophie, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie in Göttingen, Zürich und an der Universität Bonn, wo er auch promovierte. 1955 heiratete er UTE WESSELHOEFT, mit der er drei Kinder hat. Nach einigen Jahren der freien Mitarbeit bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und dem „Merkur“ wird er im Jahre 1956 von dem 1949 aus dem Exil zurückgekehrten ADORNO zur Mitarbeit am wiedereröffneten Institut für Sozialforschung eingeladen. Es ist diese Wendung in seiner intellektuellen Entwicklung, die HABERMAS mit der empirischen Sozialforschung in Kontakt bringt und ihm damit den Weg zur kritischen Gesellschaftstheorie bahnt. Während seiner Tätigkeit am Institut wirkt er an verschiedenen Forschungsprojekten mit, darunter an der 1961 veröffentlichen Studie über die Bewusstseinslage der westdeutschen Studenten mit dem Titel „Student und Politik“.
Seine Habilitationsschrift „Strukturwandel in der Öffentlichkeit“ reichte er in Marburg beim Marxisten WOLFGANG ABENDROTH ein. Von 1961 bis 1964 war er außerordentlicher Professor in Heidelberg. Dann trat er die Nachfolge HORKHEIMERs an der Universität Frankfurt/M. an, wo er bis 1971 die Professur für Philosophie und Soziologie inne hatte. Mit seinem 1968 veröffentlichten Buch „Erkenntnis und Interesse“ erzielte HABERMAS internationale Aufmerksamkeit. HABERMAS sympathisierte mit den gemäßigten Vertretern der Studentenbewegung, deren Forderungen nach gesellschaftlichen Reformen er unterstützte. Andererseits griff er die radikalen Studentengruppen scharf an, indem er ihre revolutionär aufgeladenen Ansichten als „linken Faschismus“ brandmarkte.
1971 übernahm er die Position des Direktors am Starnberger Max-Planck-Institut und wechselte 1980 als Direktor zum Münchener Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften. Befreit von universitärer Lehrverpflichtung verfasste er in dieser Zeit weitere sozialphilosophische Schriften, u. a. die bereits erwähnte „Theorie des kommunikativen Handelns“. 1983 kehrte er als Professor für Philosophie an die Frankfurter Universität zurück, wo er bis zu seiner Emeritierung 1994 unterrichtete. 1992 erschien mit „Faktizität und Geltung“ sein zweites Hauptwerk, das den Entwurf einer normativen Theorie des Rechtsstaates beinhaltet. Den Kern dieser Schrift bildet die Vorstellung, dass staatsbürgerliche Rechte die Voraussetzungen sichern sollen, unter denen die Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt an der demokratischen Willensbildung teilhaben können.
Als profiliertester deutscher Philosoph wurde HABERMAS mit zahlreichen Preisen und Ehrendoktor-Titeln ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er den Hegel-Preis der Stadt Stuttgart (1974), den Sigmund-Freud-Preis in Darmstadt (1976) und den Adorno-Preis (1980). Zu den bedeutendsten Ehrungen zählt sicherlich der ihm 2001 verliehene „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“. Nicht nur seine Schriften, sondern auch die engagierte Beteiligung an vielen maßgeblichen Kontroversen haben HABERMAS in der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Er wandte sich als Hauptkontrahent gegen den von ERNST NOLTE 1986 angezettelten Historikerstreit, in dem es um die Frage einer geschichtlichen Relativierung des Holocausts ging. Mit dem Soziologen und Systemtheoretiker NIKLAS LUHMANN lieferte sich HABERMAS in einer längeren Artikelreihe eine Auseinandersetzung über das richtige Gesellschaftsverständnis („Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie“). In den Diskussionen der Wendezeit hat der von HABERMAS geprägte Begriff des Verfassungspatriotismus eine gewichtige Rolle gespielt. Weitere von HABERMAS mitbestimmte Debatten befassten sich mit ethischen Problemen im Zuge der Biotechnologie und den Herausforderungen des Fundamentalismus für demokratisch verfasste Gesellschaften.
Eine Auswahl seiner Schriften:
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