NGO und zivile Bearbeitung internationaler Konflikte

Unterstützt durch die deutsche NGO medico international betreibt die afghanische Nichtregierungsorganisation OMAR (Organisation for Mineclearance and Afghan Rehabilitation) seit den 1990er-Jahren in Afghanistan mit der Zivilbevölkerung Aufklärungsprogramme zum Thema Landminen, von denen es sehr viele in diesem durch einen langen Bürgerkrieg zerstörten Land gibt. Viele Menschen werden dabei bis heute Opfer solcher versteckter Minen. Solche Aufklärung erweitert ganz wortwörtlich die Bewegungsfreiheit der einheimischen Bevölkerung.

Ein ganz anderes Beispiel ist eine Initiative des Forum Ziviler Friedensdienst (ZFD), in dem staatliche und nichtstaatliche Organisationen zusammenwirken, in Bosnien, wo Mitte der 1990er-Jahre ein blutiger Bürgerkrieg tobte und in dem die Beziehungen zwischen den Angehörigen serbischer und bosniakischer Bevölkerungsteile noch heute sehr gespannt sind. Fachkräfte von ZFD versuchen hier, als ehrliche Makler Dialogstrukturen aufzubauen, beispielsweise durch Seminare zum Abbau gegenseitiger Vorurteile.

Solche kaum bekannten Projekte wirken auf den ersten Blick wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie gibt es aber, meistens kaum beachtet, in großer Anzahl und sie stehen für eine vor Ort häufig nicht unwichtige Dimension konkreter Friedensarbeit von NGOs, die sie alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen oder im Rahmen größerer Programme durchführen. Bei einigen NGOs kann man sich auch für eine gewisse Zeit als Freiwilliger an ausgewählten Projekten beteiligen.

Frieden als gesellschaftliche Aufgabe

Der weltweite Frieden und die internationale Sicherheit sind heute längst nicht mehr nur durch zwischenstaatliche Krisen und Kriege, sondern vielfach durch innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege, durch gewaltsame Auseinandersetzungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gefährdet. Besonders häufig liegt ihr Grund dabei in ethnisch und/oder religiös motivierten Gegensätzlichkeiten oder Streitigkeiten verschiedener Bevölkerungsteile.

In einer solchen Situation muss auch die Konfliktlösung stärker als früher an den verursachenden gesellschaftlichen Problemen ansetzen. Internationale Friedensstrategien orientieren daher häufig

  • auf Versuche der Beseitigung von Konfliktursachen,
     
  • auf die Schaffung von Möglichkeiten der gewaltfreien Austragung von Konflikten sowie insgesamt
     
  • auf die Herstellung friedensfördernder und -erhaltender stabiler Verhältnisse.

Dazu gehört etwa die Förderung von Aussöhnung und Dialog zwischen den Konfliktparteien oder die Unterstützung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

NGOs und zivile Konfliktbewältigung

Im Rahmen einer solchen, nicht auf militärische Mittel zurückgreifenden zivilen Konfliktbewältigung übernehmen heute neben und ergänzend zu Staaten und zwischenstaatlichen internationalen Organisationen auch viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wichtige Aufgaben. Entsprechend ihres zivilgesellschaftlichen Selbstverständnisses und ihrer allgemeinen Ausrichtung auf Strukturen der nationalen und transnationalen Zivilgesellschaft(en) zielen ihre Ansätze dabei weniger auf staatliche Akteure oder politische Parteien, sondern mehr auf die Arbeit mit gesellschaftlichen Gruppen und die Stärkung von Strukturen der Zivilgesellschaft.
Gegenüber staatlichen Akteuren haben sie dabei verschiedene Vorteile, z. B.

  • Erfahrung und Kenntnisse: bei Initiierung und Förderung zivilgesellschaftlicher Prozesse, z. B. durch das Training gewaltfreier Konfliktaustragung oder friedenspädagogische Maßnahmen;
     
  • Glaubwürdigkeit: NGOs wird vielfach aufgrund ihrer Distanz zu staatlichen Akteuren und Regierungen, denen oft nationale Eigeninteressen unterstellt werden, von den Konfliktparteien mehr Vertrauen entgegengebracht;
     
  • Verbindung zu Gruppen der Zivilgesellschaft: Da sie selbst gesellschaftlich agierende Gruppen sind, finden NGOs häufig einen besseren Zugang zu gesellschaftlichen Akteuren auf beiden Konfliktseiten, manchmal besteht er sogar schon (z. B. im Falle internationaler NGOs zu den entsprechenden nationalen Partnerorganisationen);
     
  • Neutralität: Während die Einmischung staatlicher Akteure nicht selten auch aufgrund des Vorwurfs der Einmischung in innere Angelegenheiten und der Verletzung der staatlichen Souveränität mit Skepsis betrachtet wird, gelten NGOs als eher überparteilich.

Für eine zivile Konfliktbearbeitung durch NGOs gelten dabei zunächst einige allgemeine Ziele, Prinzipien und Arbeitsweisen:

  • Die zivile Konfliktbearbeitung zielt auf eine Stärkung friedensbereiter gesellschaftlicher Gruppen und friedensfördernder Strukturen.
     
  • Strikte Gewaltfreiheit ist Ziel und Prinzip.
     
  • Überparteilichkeit: Es geht nicht darum, eine Seite einseitig zu unterstützen. Vielmehr leisten NGOs als Vermittler „gute Dienste“. Seine Einschränkung hat dieses Prinzip nur dort, wo andere Grundsätze, etwa durch schwere Menschenrechtsverletzungen, betroffen sind.
     
  • Eingehende Analyse der Konfliktsituation: Das entspricht der Einsicht, dass eine langfristig wirksame Konfliktlösung nur dann möglich ist, wenn man nicht nur die gegensätzlichen Positionen der Konfliktparteien und ihre jeweiligen Vorurteile in Betracht zieht, sondern auch dahinter stehende politische, soziale, gesellschaftliche oder ökonomische Interessen kennt und in die konkrete Friedensstrategie einbezieht.
     
  • Dialog, Aussöhnung, Vermittlung und Verhandlung zur Verbesserung der Beziehungen der Konfliktparteien: Wichtig dabei ist auch, dass die Konfliktparteien die jeweilige Position des Konfliktgegners kennen und verstehen lernen, selbst wenn sie sie nicht billigen. Es geht also weniger um eine bloße Beseitigung, sondern um eine zivile Bearbeitung von Konflikten. Das setzt allerdings letztlich auch eine grundsätzliche Bereitschaft der Konfliktparteien zur Verständigung voraus – NGOs können nichts erzwingen und sind auf die Mitarbeit von Seiten der Streitparteien angewiesen.
     
  • Angestrebte Konfliktlösung nach dem Prinzip des gegenseitigen Nutzens und Vorteils für beide Seiten: Beide Seiten sollen von einem Frieden profitieren können; eine Lösung soll möglichst auf so genannte win-win (Sieg-Sieg)-Lösungen ausgerichtet sein.

Verschiedene Konfliktstufen

Hinsichtlich des konkreten Engagements der NGOs muss man zunächst zwischen verschiedenen Konfliktstufen differenzieren:

  • noch nicht offene, latent schwelende Konflikte;
  • konfrontative, aber noch nicht gewalttätige Konfliktaustragung;
  • gewaltsame Konfliktaustragung;
  • Nachkriegskonfliktbearbeitung.

Auf Grundlage dieser Differenzierung kann man drei unterschiedliche Ebenen benennen, auf denen sich NGOs mehr oder weniger stark engagieren:

  1. vorbeugende Konfliktprävention;
     
  2. Friedensschaffung im Falle offener Konflikte und Kriege;
     
  3. Friedenskonsolidierung (häufig nach Konflikten zur Umsetzung einer Friedensregelung).

Vorbeugende Konfliktprävention

Konfliktprävention setzt vor dem Ausbruch extrem konfrontativer oder gewalttätiger Auseinandersetzungen an ihren gesellschaftlichen und/oder politischen Ursachen an. Sie verfolgt mit den Mitteln der Dialogs und des Aufbaus gegenseitigen Verständnisses eine auf Nachhaltigkeit zielende Strategie ziviler Konfliktaustragung. Konkret gibt es unterschiedliche Ansätze.

  • Am Beginn steht beispielsweise häufig die Tatsachenermittlung („fact-finding“). Unter Einbeziehung der Konfliktparteien wird ein von möglichst allen Seiten akzeptierter Bericht über die Problemursachen erstellt, auf dessen Grundlage eine gemeinsame Interpretation der Situation und gemeinsame Lösungsvorschläge erarbeitet werden.
    NGOs führen solche fact-finding-Missionen entweder selbst oder etwa in Kooperation mit internationalen Organisationen aus. Manchmal stellen sie auch nur Informationen für ihre Durchführung zur Verfügung.
     
  • Ein weiteres Gebiet der Konfliktprävention ist das der Friedenserziehung. Im weitesten Sinne geht es dabei um die Förderung einer gesellschaftlichen „Kultur des Friedens“.
    In Seminaren mit Vertretern unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen soll etwa das gegenseitige Verständnis füreinander und der Abbau von Feindbildern gefördert sowie der gemeinsame Dialog eingeübt werden.
    Ähnliches gilt auch für die Entwicklung neuer Schulmaterialien oder Unterrichtskonzepte.
    Beispielsweise fand 1999 unter Vermittlung und Teilnahme der UNESCO und einiger NGOs auf der Insel Gotland eine Schulbuchkonferenz mit Vertretern verschiedener Bevölkerungsgruppen des durch Bürgerkriege zerfallenen ehemaligen Jugoslawien statt. An deren Ende einigte man sich darauf, aus Schulbüchern intolerante ethnische Überlegenheitsphantasien zu streichen, auf Chancen des Dialogs und der Zusammenarbeit hinzuweisen und zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses historische Ereignisse aus der Sicht von Siegern und Besiegten darzustellen.

In der Konfliktprävention sind sowohl lokale wie auch transnational arbeitende NGOs engagiert. Als zivilgesellschaftliche Akteure können sie hier oftmals wichtige Erfolge erzielen.

Friedensschaffung

Anders ist das im Bereich der Friedensschaffung nach schon ausgebrochenen Gewalttätigkeiten, bei der neben zivilen Instrumenten (z. B. Verhandlungen, Vermittlungsdiplomatie, Schiedssprüche oder auch wirtschaftliche und politische Sanktionen) manchmal auch militärische Mittel (z. B. Truppen zur Friedenserzwingung) durch Staaten oder internationale Organisationen wie die UNO angewendet werden.
Dass NGOs über keinerlei militärische Möglichkeiten verfügen, ist klar. Aber auch hinsichtlich der zivilen Variante ist ihre Bedeutung gegenüber den beiden genannten Akteuren hier bisher eher gering.

Allerdings gibt es aufgrund des heutigen Charakters vieler internationaler Krisen durchaus Überlegungen, sie auch hier stärker einzubeziehen. Bei Friedensverhandlungen könnte es etwa sinnvoll sein, neben der klassischen zwischenstaatlichen Verhandlungsdiplomatie auch weniger offizielle Vermittlungsansätze auf gesellschaftlicher Ebene zu suchen.
Allerdings sollte man berücksichtigen, dass diese manchmal auch track zwei genannte Variante der Diplomatie wahrscheinlich allenfalls eine Ergänzung zur traditionellen wird sein können. Denn gerade in einer hochexplosiven Konfliktlage verfügen Staaten und zwischenstaatliche Organisationen doch über die unmittelbar und kurzfristig wesentlich effektiveren Instrumente oder Druckmittel einer Friedensschaffung von außen.

Daneben gibt es zwei weitere Bereiche, in denen NGOs erfolgversprechend agieren könnten:

  • Zum einen könnten transnational agierende Organisationen als pressure groups die internationale Öffentlichkeit durch Protest und moralische Anklagen gegen Aggressoren und für Verhandlungslösungen mobilisieren. Diesbezügliche Erfahrungen gibt es aus anderen Bereichen. So wurden solche Mittel in der Vergangenheit von Gruppen wie Amnesty International häufig erfolgreich gegen Regime angewandt, die gravierend gegen allgemein anerkannte Menschenrechtsprinzipien verstießen.
    Ein Beispiel dafür sind die während der 1980er-Jahre durchgeführten internationalen Konsumentenboykotte gegen südafrikanische Produkte und weltweite, gegen die Politik der Rassentrennung in Südafrika gerichtete Kampagnen, die schließlich nicht unwesentlich zum Zusammenbruch des Apartheidregimes beitrugen.
     
  • Eine weitere Möglichkeit der Betätigung von NGOs in der Friedensschaffung wird auch in ihrer Beteiligung an so genannten Friedensallianzen gesehen. Dieser Begriff steht für die Idee eines in Krisengebieten zu schaffenden weit verzweigten Netzes friedensbereiter Kräfte. Solche Bündnisse, die aus gesellschaftlichen Akteuren (z. B. Medien oder Kirchen), politischen und staatlichen Personen, Gruppen oder Parteien bestehen können, sollen helfen, die schroffe und gegensätzliche Lagerbildung in einem Konfliktgebiet aufzubrechen und die Kriegsallianzen (jene Gruppen und politischen Kräfte, die aktiv den Krieg befürworten oder von ihm profitieren) innenpolitisch und international zu delegitimieren. Sie sollen also die Chancen der Friedensschaffung durch innergesellschaftliche Prozesse verstärken. Solche Friedensallianzen spielen daneben auch in der Friedenskonsolidierung eine wichtige Rolle.

Friedenskonsolidierung

Die Friedenskonsolidierung setzt nach der Beendigung einer schweren Krise oder eines gewaltsamen Konflikts an. Ihr geht es um eine Entspannung der Lage, die Umsetzung einer umfassenden Friedensregelung und die langfristige Sicherung des Friedens durch den Abbau von Konfliktursachen und den Aufbau gesellschaftlicher und politischer Strukturen, die eine gewaltlose Austragung von Gegensätzen und Streitigkeiten ermöglichen.
Auch hier sind viele NGOs tätig, die dabei oftmals auf lang bewährte und klassische Formen ihrer Arbeit zurückgreifen können.

  • So ist etwa die humanitäre Hilfe für notleidende Menschen schon lange Aufgabe von Organisationen wie dem Internationalen Roten Kreuz. Solches Engagement ist häufig gerade unmittelbar nach der Beendigung von Konflikten nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern vielfach eine Bedingung dafür, dass sie nicht wieder aufflackern.
    – So müssen beispielsweise Kriegsflüchtlinge nicht nur untergebracht und versorgt werden; die Aufgabe ihrer gesellschaftlichen Wiedereingliederung ist oftmals auch Voraussetzung für eine allmähliche Stabilisierung der Lage.
    – Andere Betätigungsfelder finden NGOs nach Bürgerkriegen z. B. in der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs (häufig unterstützt durch Spendenkampagnen in den entwickelten Ländern), in der eher technischen Hilfe (z. B. Wasserversorgung oder Aufbau von Flüchtlingscamps) oder in der medizinischen Versorgung.
     
  • Neben solchen Maßnahmen der ersten Hilfe engagieren sich NGOs auch langfristig beim Wiederaufbau einer gesellschaftlichen, politischen, sozialen und ökonomischen Infrastruktur. Wichtig ist hier insbesondere die Schaffung und Förderung demokratischer Strukturen.
    Beispielsweise initiierten einige NGOs im seit 1990 durch Bürgerkriege zerfallenden ehemaligen Jugoslawien ein inzwischen auch vom Europarat gefördertes Konzept so genannter lokaler „Botschaften“. In solchen Zentren arbeiten örtliche Behörden und Bürgerinitiativen im Sinne des Demokratieaufbaus, des Dialogs und des Interessenausgleichs für Menschen und Gruppen verschiedener (ethnischer) Bevölkerungsteile vor Ort zusammen. Gleichzeitig sollen Kontakte zu ausländischen Partnern (Kommunen und Organisationen) die Umsetzung dieser Ziele von außen befördern.

Zusammenarbeit der NGOs mit anderen Akteuren

Gerade dieses Beispiel zeigt aber auch, dass NGOs in der zivilen Konfliktbearbeitung vielfach auf die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren angewiesen sind.
Alleine wären sie mit dieser Aufgabe sicher oftmals überfordert. Besonders nach militärischen Konflikten müssen internationale Helfer beispielsweise zunächst häufig auch militärisch geschützt werden. Man sollte ihre Möglichkeiten also nicht überschätzen. Allerdings leisten sie in vielen Bereichen, von denen hier nur einige beispielhaft angeführt werden konnten, heute auch unverzichtbare Dienste.

Lexikon Share
Noten verbessern?
 

Kostenlos bei Duden Learnattack registrieren und ALLES 48 Stunden testen.

Kein Vertrag. Keine Kosten.

  • 40.000 Lern-Inhalte in Mathe, Deutsch und 7 weiteren Fächern
  • Hausaufgabenhilfe per WhatsApp
  • Original Klassenarbeiten mit Lösungen
  • Deine eigene Lern-Statistik
  • Kostenfreie Basismitgliedschaft

Einloggen