- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 5 Internationale Politik und Friedenssicherung
- 5.4 Organisationen und Instrumente umfassender Sicherheit
- 5.4.1 Vereinte Nationen und Weltfriedensordnung
- Die UNO als Internationale Organisation (Theoriedebatte)
Die UNO (United Nations Organization – Organisation der Vereinten Nationen, manchmal auch nur Vereinte Nationen genannt) ist eine 1945 gegründete internationale Staatenverbindung. Heute gehören ihr weltweit fast alle Staaten der Erde an.
Die UNO ist eine internationale Organisation, die zunächst einmal auf der Zusammenarbeit unterschiedlicher Staaten und ihrer Regierungen beruht, die darüber hinaus aber über eigene Organe und viele Unter- und Sonderorganisationen verfügt, welche in verschiedenen Politikbereichen arbeiten – z. B. Schutz der Menschenrechte, Entwicklungshilfe, Umweltschutz oder Gesundheitspolitik. Manche dieser Gremien können relativ selbstständig arbeiten, in anderen haben die Staaten wichtige Einflüsse.
Der völkerrechtlich maßgebende Vertrag der Vereinten Nationen ist die UN-Charta, auf deren Inhalte, Regeln und Normen sich jeder Mitgliedstaat mit dem Beitritt zu dieser Organisation verpflichtet hat. In ihr sind auch die gemeinsamen Ziele und Grundsätze der Zusammenarbeit genannt. Die wichtigsten sind die der Sicherung des Weltfriedens und der freundschaftlichen Zusammenarbeit.
Doch welche Rolle spielt die UNO eigentlich in den internationalen Beziehungen? Welche Wirkungs- und Handlungsmöglichkeiten hat sie? Und welche sollte sie haben? Gerade die letzte Frage spielt heute auch praktisch in der Debatte um eine Reform der UNO wieder eine größere Rolle.
Die genannten Fragen sind aber auch Gegenstand verschiedener politikwissenschaftlicher Theorien über internationale Organisationen.
Man unterscheidet dabei im wesentlichen drei theoretische Schulen:
Auf Grundlage von allgemeinen Thesen über die Struktur des internationalen Systems, über die Rolle einzelner Akteure sowie deren Handlungsmöglichkeiten (Grund, Art und Weise und Ziel des Handelns) kommen die einzelnen Schulen zu unterschiedlichen Aussagen über die Bedeutung internationaler Organisationen.
Zur Charakterisierung internationaler Organisationen existieren drei gängige bildhafte Umschreibungen:
Manche sehen in ihnen einfach Instrumente der Diplomatie, die von ihren Mitgliedstaaten zur Festigung oder Durchsetzung eigener nationaler Interessen genutzt würden. Im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg 2003 wurde beispielsweise den USA oftmals vorgeworfen, die UNO derart instrumentalisieren zu wollen. Der politische Prozess innerhalb der Organisationen ist nach dieser Vorstellung wesentlich durch die Auseinandersetzung unterschiedlicher Staaten geprägt, die teils gemeinsame, häufig aber auch unterschiedliche außenpolitische Ziele verfolgten.
In einem anderen Verständnis dagegen ist eine internationale Organisation eher eine Art Arena der internationalen Politik, die die Regierungen der Mitgliedstaaten gleichsam als ständige Staatenkonferenz zum Zwecke vielfältiger Beratungen und Verhandlungen nutzen würden. Das kann vom reinen Informationsaustausch über die Klärung von Streitfragen bis hin zur Festlegung gemeinsamer Ziele gehen.
Betrachteten die beiden ersten Bilder internationale Organisationen als eher passive, von Staaten abhängige Institutionen, so betont eine dritte Umschreibung dagegen stärker ihre Rolle als eigenständige Akteure in internationalen Beziehungen, die besonders durch einige ihrer Organe (z. B. Sekretariat, Kommission oder internationaler Gerichtshof) ein dynamisches Eigenleben entwickeln und so aktiv den internationalen Politikprozess mitgestalten können. Gegenüber ihren Mitgliedstaaten träten internationale Organisationen dann als ein Dritter auf.
Die folgende Darstellung der drei verschieden Theorien stützt sich auf diese Bilder. Die Schulen selbst werden in ihrer grundlegenden, klassischen Form manchmal sehr vereinfacht vorgestellt. Kaum berücksichtigt werden kann dabei, dass es inzwischen jeweils viele interessante Variationen und Weiterentwicklungen gibt.
Die realistische Schule basiert auf der Annahme, dass Staaten die entscheidenden Akteure in der internationalen Politik seien.
sind in den Augen der Vertreter dieser Theorie, zu deren Begründern u. a. der amerikanische Politikwissenschaftler HANS J. MORGENTHAU (geb. 1903) gehört, die wesentlichen Kategorien für die internationale politische Praxis und begründeten zudem eine anarchische Ordnung des internationalen Systems, in der jeder Staat machtmäßig mit anderen Staaten konkurriere.
Anders als in innerstaatlichen Beziehungen, wo der Staat Inhaber des Gewaltmonopols ist, fehle eine solche Instanz in der internationalen Sphäre, was grundsätzlich die Gefahr der unkontrollierten Gewaltanwendung durch einzelne in sich berge. Für seine äußere Sicherheit müsse deshalb jeder Staat vornehmlich selbst sorgen. Freilich würden sich zu diesem Zwecke manchmal auch mehrere Staaten in Allianzen zum gegenseitigen Vorteil zusammenschließen.
Eine allgemein verstandene internationale Sicherheit beruht vor dem Hintergrund dieser Vorstellungen in erster Linie auf Instrumenten wie
Auf Grundlage dieser Vorannahmen haben internationale Organisationen nach Ansicht der Realisten nur eine untergeordnete Bedeutung. Sie könnten weder als Akteure den Staaten ein ausreichendes Gewicht entgegensetzen noch die anarchische Struktur des internationalen Systems grundsätzlich überwinden. Im Gegenteil würden insbesondere mächtige Nationen sie als machtpolitische Instrumente zur Durchsetzung und Sicherung ihres internationalen Einflusses instrumentalisieren.
Entsprechend der entscheidenden Bedeutung der Staaten und der Kategorie der Macht werden Gründung und politische Wirksamkeit internationaler Organisationen häufig auf einen alle anderen Staaten überragenden, machtvollen staatlichen Hegemon – z. B. eine Weltmacht – zurückgeführt. Nur er sei in der Lage, einer internationalen Organisation eine politische Ausrichtung zu geben.
Darüber hinaus beruhe auch der Politikprozess innerhalb internationaler Organisationen wesentlich auf der intergouvernementellen Zusammenarbeit der Regierungen der Mitgliedstaaten, die aus ihr gemeinsame oder je unterschiedliche Gewinne zu ziehen trachteten. Auch diese Kooperation habe aber wiederum ihre Grenzen, denn der Partner von heute könne im anarchischen Staatensystem der Gegner von morgen sein, weshalb die Zusammenarbeit letztlich auch wenig beständig sei.
Auch die institutionalistische Schule geht zunächst von ähnlichen Grundannahmen einer tendenziell anarchischen Grundstruktur des internationalen Systems aus, in der sich staatliches Handeln zumeist zunächst am Eigennutz orientiere und Staaten erst einmal die wichtigsten Akteure sind.
Anders als bei den Realisten verengt sich der Blick aber weniger stark auf die Kategorie der Macht auf Kosten anderer. Vielmehr wird Interessengemeinsamkeiten und den Vorteilen gemeinsamer Kooperation eine wesentlich größere Beachtung geschenkt.
Insgesamt werden daher die Chancen für eine dauerhafte internationale Kooperation wesentlich höher eingeschätzt. Einen Grund dafür sehen Vertreter dieser Schule auch darin, dass Staaten gerade aufgrund der anarchischen internationalen Grundstruktur ein rationales Interesse an einer durch gemeinsame Regeln und Normen berechenbaren Ordnung hätten. Neben einem Mehr an Sicherheit versprächen dauerhafte Kooperationsformen für den einzelnen Staat auch weitere, beispielsweise wirtschaftliche Gewinne.
Gerade heute würden dabei die Vorteile internationaler Zusammenarbeit angesichts gegenseitiger internationaler Abhängigkeiten, länderübergreifender Problemlagen (z. B. internationale Umweltverschmutzung) und Prozessen der Globalisierung für viele immer offensichtlicher werden.
Internationale Organisationen werden vor dem Hintergrund dieser Prämissen als dauerhafte institutionalisierte Kooperation zwischen Staaten begriffen. Sie sind also gleichsam eine Arena, in der die Staaten verhandeln, ihre konkrete Politik mehr oder weniger koordinieren und gemeinsame Ziele entwickeln.
Darüber hinaus wird internationalen Organisationen aber auch eine begrenzte Akteursqualität beigemessen. So könnten sie etwa durch in ihrem Rahmen kodifizierte verbindliche Sanktions- und Überwachungsmechanismen in einzelnen Politikbereichen (z. B. Frieden und Sicherheit) tätig werden und würden zu diesem Zweck über eigene Institutionen verfügen, die ihnen auch – im Verhältnis zu Staaten eingeschränkte – Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten gäben. Insgesamt würden sie so die gesamte internationale Ordnung mit prägen.
Die idealistische Schule, zu deren Begründern u. a. der ehemalige amerikanische Präsident THOMAS WOODROW WILSON, 1856–1924) gehört, weist deutliche Unterschiede zu den beiden vorangegangenen Ansätzen auf.
Ist bei den erstgenannten, wenn auch mit dann unterschiedlichen Folgerungen, die Kategorie staatlicher Macht ein wesentlicher Ausgangspunkt der Überlegungen, so hebt dieser dritte Ansatz die zentrale Bedeutung gesellschaftlich geteilter Werte und Normen – man kann auch sagen: Ideale – hervor.
Dementsprechend sind hier Gesellschaften, und – wie man heute sagen würde – Gruppen der Zivilgesellschaft, zentrale Akteure. Hilfsweise kann man sich eine Gesellschaft in diesem Sinne auch als eine Art Wertegemeinschaft vorstellen.
Auf internationaler Ebene nun würden verschiedene nationale Wertegemeinschaften einerseits miteinander konkurrieren; zugleich könnten sich aber auch über verschiedene nationale Gesellschaften hinweg geteilte internationale Wertegemeinschaften konstituieren. Inhaltlich gedacht wird dabei etwa an
Insgesamt kann man mit dieser Schule auch von einer ideellen Struktur des internationalen Systems sprechen.
Staaten erscheinen hier insbesondere als Träger zunächst nationaler Wertegemeinschaften. Besonders demokratische Staaten würden dabei danach streben, die ihnen zugrunde liegenden Ideale auch zu Handlungsmaximen in den internationalen Beziehungen werden zu lassen. Ihr Agieren ist also nicht, wie in den beiden erstgenannten Schulen, vornehmlich rational eigennützig. Das trifft nach den Vorstellungen dieses Ansatzes eher schon auf undemokratische, die Wertvorstellungen ihrer Gesellschaften häufig negierende Staaten zu, die aufgrund dessen oft zu Störenfrieden einer gemeinsamen internationalen Friedensordnung würden.
Internationale Organisationen sind für die Vertreter dieser Theorie in zweifacher Hinsicht von entschiedener Relevanz:
Seit einiger Zeit haben vor allem neuere Ansätze der institutionalistischen und der idealistischen Schule deutlich mehr Anhänger als die realistische Schule. Dennoch sollte man durchaus alle drei Theorien im Auge behalten. Man sollte sie und ihre wichtigsten Kategorien zunächst einmal auch als Hilfsmittel für das Verständnis und die Untersuchung bestimmter konkreter politischer Konstellationen und Situationen begreifen. Man sollte also fragen, ob sie für die eigene Analyse nützlich sein könnten.
Hinsichtlich der Debatte um eine Reform der UNO könnte es diesbezüglich sinnvoll sein, zwischen verschiedenen Politikbereichen der Weltorganisation zu unterscheiden.
Bei Überlegungen für eine Reform des UN-Sicherheitsrats, der zentrale Bedeutung im Bereich der Förderung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch die Weltorganisation hat, wird man sicherlich eher auf die beiden erstgenannten Theorien zurückgreifen.
Nicht nur betrifft der genannte Politikbereich zentral die äußere Sicherheit von Staaten. Sie sind schon aufgrund der Tatsache, dass nur sie allein über Streitkräfte verfügen, auch heute die stärksten Akteure in den internationalen Beziehungen. Das kann, muss aber nicht unbedingt für die Annahmen der realistischen Schule sprechen.
Denn kann man nicht heute zugleich auch den Versuch beobachten, viele sicherheitspolitische Herausforderungen durch Kooperation verschiedener Staaten (z. B. durch multinationale Friedenstruppen im Auftrag des Sicherheitsrats) zu lösen? Aber was heißt das für die Reform des Sicherheitsrats und die Gewichtung dieses Gremiums den Staaten gegenüber? Allemal ist dies eine spannende Debatte, bei der man in beiden Theorien womöglich für die eigene Positionsfindung bedenkenswerte Thesen und Argumente finden kann.
Anders liegt der Fall im Politikbereich des Schutzes der internationalen Menschenrechte. Hier hat es schon ein wichtiges Reformprojekt gegeben. Zwar ist der 2002 gegründete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag keine Unterorganisation der UNO. Er soll aber laut Statut eng mit ihr zusammenarbeiten.
Hinsichtlich dieser Institution kann man wiederum verschiedene Aspekte untersuchen. Denn ist seine Entstehung nicht auch im Zusammenhang einer wachsenden Bedeutung international anerkannter Menschenrechtsnormen zu sehen, was wiederum auch auf das jahrzehntelange Wirken transnational agierender Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen wie „Amnesty International“ oder „Human Rights Watch“ zurückgeführt werden kann? Der idealistische Ansatz könnte bei einer entsprechenden Analyse helfen.
Man könnte aber auch untersuchen, welche Gründe darüber hinaus Staaten zur Kooperation, zur gemeinsamen Schaffung dieses Gerichts und eines für sie verbindlichen Völkerstrafrechts veranlasst haben.
Und man kann fragen, welche Bedeutung und Wirkungsmöglichkeit dieses Gericht angesichts einer großen internationalen Zustimmung einerseits und des bisherigen Nichtbeitritts der Weltmacht USA, der es dabei vor allem um ihre Handlungsmöglichkeiten als Weltmacht geht, andererseits hat.
Auch dies wären spannende und miteinander zusammenhängende Debatten, bei denen man auf alle drei der genannten Theorien zurückgreifen sollte.
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