Volkswirtschaftslehre

Volkswirtschaftslehre – Begriff und Gegenstand

In der Regel wird heute an den deutschen Hochschulen und Universitäten zwischen allgemeiner und spezieller Volkswirtschaftslehre unterschieden.
Im Zentrum der allgemeinen Volkswirtschaftslehre steht die Wirtschaftstheorie, die sich sowohl mit mikro- als auch mit makroökonomischen Fragestellungen und mit Außenwirtschaftsfragen befasst.

  • Mikroökonomie fragt nach dem wirtschaftlichen Verhalten von einzelnen privaten Haushalten (beispielsweise wie das Einkommen verwendet wird) und einzelnen Unternehmen (beispielsweise wie Investitionsentscheidungen getroffen werden). Mikroökonomie untersucht dabei die Konsequenzen der wirtschaftlichen Entscheidungen der Haushalte und Unternehmen für Angebot und Nachfrage auf den unterschiedlichen Märkten.
  • Makroökonomie untersucht das wirtschaftliche Verhalten ganzer volkswirtschaftlicher Sektoren, d. h. der Haushalte, der Unternehmen und des Staates in ihrer Gesamtheit. Diese Betrachtung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge erlaubt Aussagen beispielsweise zur Konjunktur, zum Wachstum, zum Sozialprodukt oder zur Arbeitslosigkeit.
  • Außenwirtschaftstheorie beschäftigt sich mit der Öffnung und der internationalen Einbindung einer Volkswirtschaft (beispielsweise mit dem Charakter von Handels- und Kapitalströmen, mit der Ausbildung von Wechselkursen).

Die spezielle Volkswirtschaftslehre befasst sich hauptsächlich mit der Theorie der Wirtschaftspolitik. Dabei geht es um die Möglichkeiten der staatlichen Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens (beispielsweise durch Geld-, Investitions-, Sozial-, Steuer- und Wettbewerbspolitik). Finanzwissenschaft, Statistik, Wirtschaftsgeografie und Wirtschaftsgeschichte stehen in enger Beziehung zur Volkswirtschaftslehre.

Mit fachspezifischen Begriffen und wissenschaftlichen Methoden versucht die Volkswirtschaftslehre, das vielfältige wirtschaftliche Geschehen systematisch zu erfassen und zu beschreiben. Im Zentrum von Lehre und Forschung stehen heute vor allem folgende volkswirtschaftliche Grundbegriffe:

  • Markt und Preis
  • Nachfrage und Angebot
  • Wirtschaftskreislauf
  • Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (Bruttosozialprodukt, Bruttoinlandsprodukt, Nationaleinkommen)
  • Geld
  • Wachstum, Konjunktur und Gleichgewicht
  • Probleme der Beschäftigung
  • Außenwirtschaft
  • Globalisierung

Der deutsche Ökonom ERICH PREISER (1900–1967) formulierte drei Grundfragen, die die Volkswirtschaftslehre stellt und um deren Beantwortung sie sich bemüht:

  • Wie wird die arbeitsteilig organisierte Volkswirtschaft gesteuert?
  • Nach welchen Regeln verteilt sich das volkswirtschaftliche Gesamteinkommen auf die Löhne als Einkommen aus der Arbeit, auf Zinsen, Mieten und andere Formen arbeitslosen Einkommens aus Vermögensbesitz und auf die Unternehmergewinne?
  • Welche Ursachen führen zu Konjunkturschwankungen?

Die Volkswirtschaftslehre fragt also nach den Ursachen für ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten. Sie kann dabei Erkenntnisse über die Art und Weise des Wirtschaftens in einer bestimmten Phase der Geschichte gewinnen. Diese erkannten „Regeln“ sind Modellvorstellungen. Sie haben nicht den Charakter von Naturgesetzen. Auf der Grundlage der erkannten Regeln werden Voraussagen über zukünftiges Wirtschaftsgeschehen gewagt. Diese Prognosen erweisen sich – durch die Vielzahl von Wirkungsbedingungen für die komplexe Natur einer Volkswirtschaft und deren globaler Einbindung – als äußerst schwierige Aufgabe und erlauben bestenfalls Tendenzaussagen. Trotzdem bilden gesamtwirtschaftliche Aussagen heute ein unverzichtbares Element für Entscheidungsfindungen in der Wirtschaftspolitik.

Volkswirtschaftliche Modellvorstellungen

„In einer Volkswirtschaft führen Millionen von Menschen eine Vielzahl von einzelnen Aktivitäten aus, wie z. B. kaufen, verkaufen, arbeiten, sparen, produzieren, Arbeitskräfte einstellen und entlassen usw., die insgesamt kaum zu überschauen sind. In der Volkswirtschaftslehre werden deshalb oft Denkmodelle entwickelt, um die wirtschaftliche Wirklichkeit auf eine überschaubare Anzahl von Faktoren und Zusammenhängen zu reduzieren. Das heißt, es wird in gewissem Sinne mit Vereinfachungen gearbeitet, um die komplexen Vorgänge in einer Volkswirtschaft zu erklären." (…)
Der Vorgang der Modellbildung beruht in den Wirtschaftswissenschaften im Wesentlichen auf folgenden Prinzipien:

  • Durch Aggregation wird eine Vielzahl gleichartiger Elemente zu einer Größe zusammengefasst. Beispielsweise beinhaltet der Sektor „Privater Haushalt“ alle Haushalte einer Volkswirtschaft vom ungelernten Arbeiter bis zum Bankdirektor.
  • Ökonomische Verhaltensweisen werden oftmals als ,mechanische‘ Vorgänge aufgefasst, die durch wenige Faktoren bedingt sind. So wird im Modell des ,homo oeconomicus‘ davon abstrahiert, dass der Mensch auch irrational handeln kann, wenn beispielsweise ein Pullover für viel Geld gekauft wird, nur weil die Freundin ihn auch hat.
  • Durch Isolierung werden nicht erfasste Faktoren aus der Betrachtung ausgeschlossen. In einer Straßenkarte für Autofahrer werden in der Regel Fahrrad- und Wanderwege nicht berücksichtigt.

In volkswirtschaftlichen Modellen wird in mehrfacher Weise von der ökonomischen Wirklichkeit abstrahiert. Es werden nicht alle Merkmale der Wirklichkeit abgebildet, sondern nur solche, die benötigt werden, um – entsprechend dem jeweiligen Erkenntnisziel – wichtige Aktivitäten durchschaubar zu machen. Unberücksichtigte Phänomene werden so behandelt, als ob ihr Einfluss konstant bliebe. Reichweite und Aussagekraft von ökonomischen Modellen für die Erklärung realen wirtschaftlichen Verhaltens sind oftmals nur dann richtig zu verstehen, wenn die Annahmen bekannt sind, auf denen die Modellkonstruktion beruht.
Ein typisches Beispiel für ein volkswirtschaftliches Denkmodell ist das Modell des Wirtschaftskreislaufs, in dem die grundlegenden Transaktionen in einer Volkswirtschaft verdeutlicht werden sollen.“ (Kaiser, Franz-Josef/Brettschneider, Volker: Volkswirtschaftslehre, Cornelsen Verlag 2002, S. 39 f.)

Geschichte der Volkswirtschaftslehre

Die Anfänge der Volkswirtschaftslehre gehen auf das Zeitalter des Absolutismus zurück. Natürlich gab es auch schon früher wirtschaftswissenschaftliche Darstellungen zu Einzelfragen beispielsweise zum Münzwesen oder zu Steuern. Aber erst mit dem Niedergang der absolutistischen Staaten, dem Vordringen freiheitlicher Ideen und der Ausbildung nationaler Märkte entwickelte sich die Volkswirtschaftslehre zu einer modernen Wissenschaft, die die Volkswirtschaft als Ganzes in ihren Blick nahm. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden für diese Wissenschaftsdisziplin häufig die Begriffe Nationalökonomie oder politische Ökonomie gebraucht.
Der Leibarzt des französischen Königs LUDWIGS XV., FRANÇOIS QUESNAY (1694–1774), schuf 1758 ein Schema der Güter- und Einkommensströme, angelehnt an die zeitgleich erfolgte Entdeckung des Blutkreislaufs. Aus diesem Modell eines wirtschaftlichen Kreislaufs ging schließlich die bis heute praktizierte volkswirtschaftliche Gesamtrechnung hervor. Aber erst mit ADAM SMITH (1723–1790) und seinem Werk „Der Wohlstand der Nationen“ entstand die klassische Schule der Nationalökonomie. Smith sah in der menschlichen Arbeit die Quelle des Reichtums. Er schuf mit seinen Erkenntnissen die Grundlagen für die späteren Modellvorstellungen von den Selbststeuerungskräften der Marktwirtschaft („unsichtbare Hand des Marktes“). Seine Theorien beeinflussten in dieser oder jener Form die nachfolgenden volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen marxistischer oder nichtmarxistischer Prägung. Zu den bedeutendsten Richtungen zählte ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die neoklassische Schule der Volkswirtschaftslehre, „die vor allem durch Ökonomen wie WILLIAM STANLEY JEVONS (1835–1882), LÉON WALRAS (1834–1910) und CARL MENGER (1840–1921) geprägt wurde. Während in der klassischen Schule der Wert eines Gutes vom Arbeitsaufwand (Arbeitswertlehre) für dieses Gut abhängt, betonen die Neoklassiker, dass der Wert eines Gutes durch den Nutzen, den dieses Gut dem Verbraucher zur Befriedigung seiner Bedürfnisse stiftet, bestimmt wird (subjektive Wertlehre). Die am Nutzen der Konsumenten orientierte Betrachtung des Güterwertes und die Verwendung exakter mathematischer Darstellungsweisen seitens der Vertreter der Neoklassik, die auch als Grenznutzentheoretiker bezeichnet werden, schufen die Voraussetzungen für die moderne Mikroökonomie.
Den wichtigsten Anstoß zur Weiterentwicklung der gesamtwirtschaftlichen Theorie gab der britische Nationalökonom JOAN MAYNARD KEYNES (1883–1946). Keynes suchte unter dem Eindruck der im Oktober 1929 beginnenden Weltwirtschaftskrise nach Wegen, wie der Staat durch eine aktive Wirtschaftspolitik der Wirtschaft aus einer Krise helfen kann. Im Zentrum der Überlegungen des Keynesianismus steht das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu dem insbesondere die Vollbeschäftigung gehört.
Aus der Sicht des Neoliberalismus, zu dessen wichtigsten Vertretern in Deutschland WALTER EUCKEN (1891–1950) gehört, hat der Staat die Aufgabe, durch marktverträgliche Eingriffe eine freie, am Wettbewerb orientierte Wirtschaft zu schaffen und zu sichern. Die Auffassungen der klassischen Schule über eine freie Wirtschaft ohne staatlichen Eingriff werden heute vor allem durch Ökonomen wie MILTON FRIEDMAN (1912–2006) vertreten. Friedman gilt als der wichtigste Urheber der modernen Geldtheorie, des Monetarismus, die insbesondere aus der Kritik der Ansichten von Keynes entstand.“ (Pollert/Kirchner/Polzin: Das Lexikon der Wirtschaft – Grundlegendes Wissen von A–Z, Bonn: BpB 2004, S. 52 f.)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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