Wirtschaftsverständnis in der Geschichte

Ausgangspunkte

Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse und wollen bzw. müssen diese befriedigen. Um sich mit jenen Gütern und Leistungen zu versorgen, die sie zum Leben benötigen, müssen sie arbeiten. Die Wirtschaft bildet das Fundament für diese Bedürfnisbefriedigung und sichert damit die materiellen Grundlagen des menschlichen Lebens. Dabei wirken in einem arbeitsteiligen Prozess Unternehmen, private und öffentliche Haushalte als Wirtschaftssubjekte (Wirtschaftseinheiten) zusammen bzw. aufeinander. Dieser komplexe Wirtschaftsprozess umschließt die Produktion von Gütern und Leistungen, deren Verteilung und schließlich deren Konsum (Verbrauch). Solch ein Wirtschaftsablauf vollzieht sich stets unter den konkreten historischen Bedingungen einer Gesellschaft und wird als Wirtschaftsordnung (Wirtschaftssystem) bezeichnet.

Im Verlauf der menschlichen Geschichte haben sich die Wirtschaftssysteme grundlegend verändert, von der Naturalwirtschaft hin zur Marktwirtschaft, die immer eine Geldwirtschaft ist. Über Jahrtausende herrschte Naturalwirtschaft vor und das menschliche Verständnis wirtschaftlicher Prozesse war naturgemäß räumlich und sachlich begrenzt, auf einzelne Elemente des wirtschaftlichen Handelns bezogen, es war vorwissenschaftlich. Erst mit der Beobachtung kapitalistischer Produktions- und Arbeitsbedingungen und weitergehender Naturerkenntnis in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s entwickelte sich die Wirtschaftswissenschaft als Forschungsdisziplin mit eigenständigem Theoriesystem im modernen Wissenschaftsverständnis: Aus der Beobachtung wurde auf eine Theorie geschlossen (induktives Verfahren), d. h. systematische wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung setzte ein.

Der französische Arzt FRANÇOIS QUESNAY (1694–1774) übertrug die damals aktuelle Entdeckung des Blutkreislaufs auf wirtschaftliche Zusammenhänge. 1758 stellte er in seiner Arbeit „Tableau économique“ durch Analogieschluss die Wechselwirkung von Geld- und Güterströmen in einem wirtschaftlichen Kreislauf dar. 18 Jahre später – 1776 – veröffentlichte der schottische Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler ADAM SMITH (1723–1790) sein Werk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“. SMITH war auf einer Frankreichreise in den frühen 1760er-Jahren FRANÇOIS QUESNAY begegnet. Im Gegensatz zum bis dahin üblichen Wirtschaftsverständnis sah er in der menschlichen Arbeit und der darauf beruhenden Arbeitsteilung die einzige Quelle des Wohlstands. Damit begründete ADAM SMITH die klassische Schule der Nationalökonomie und beeinflusste in dieser oder jener Form alle späteren volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen.

Die volkswirtschaftlichen Modellvorstellungen erfassen seither den Wirtschaftsprozess als miteinander verknüpfte Kreisläufe, und zwar

  • den Güterkreislauf (Güterstrom) und
  • den Geldkreislauf (Geldstrom).

Solche Zusammenhänge existieren auf betriebswirtschaftlicher, regionaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene. Alle Maßnahmen zur Beeinflussung von Einheiten und Abläufen der Wirtschaft werden mit dem Begriff Wirtschaftspolitik bezeichnet. Der Staat und zunehmend supranationale Institutionen sind Träger der Wirtschaftspolitik.

Zum Begriff Ökonomie (Wirtschaft)

Das Wort „Ökonomie“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet im ursprünglichen Sinn das „Haus richtig verwalten“. Die deutsche Übersetzung lautet „Wirtschaft“ und ist von Bewirten im Sinn von (Ein-)schenken abgeleitet. Das Wort „Wirtschaft“ kann heute in dreifacher Hinsicht verstanden werden:

  • als Bezeichnung für das Produzieren von Gütern und Leistungen, die der menschlichen Bedürfnisbefriedigung dienen;
  • als Begriff für den rationalen Gebrauch wirtschaftlicher Ressourcen (Arbeit, Kapital, Natur);
  • als Synonym für Wirtschaftswissenschaften.

Die klassische Fragestellung der Ökonomie ist die nach den Quellen des Reichtums. Schon seit der Antike beschäftigten sich Menschen mit dieser Frage. Der entscheidende Einschnitt im Wirtschaftsverständnis vollzog sich mit der Herausbildung frühkapitalistischer Verhältnisse in der Frühen Neuzeit. Alle vorindustriellen Gesellschaften waren (und sind) durch eine mehr oder weniger vorherrschende Bedarfswirtschaft geprägt, obwohl sich durch handwerkliche Produktion, Geld und vor allem durch den Fernhandel schon seit der Antike auch Elemente der Erwerbswirtschaft entwickelten. Beide Begriffe gehen auf den deutschen Soziologen und Ökonomen MAX WEBER (1864–1920) zurück.
Bedarfswirtschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht vom Gewinnstreben bestimmt sind. Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient vielmehr unmittelbar oder mittelbar der Deckung eines bekannten, genau umschriebenen Bedarfs einer Gemeinschaft. Jede mittelalterliche Grundherrschaft entsprach einer solchen Bedarfswirtschaft.
Charakteristisch für diese Bedarfswirtschaften sind:

  • Ziel des Wirtschaftens: Güter für den Eigenbedarf der sozialen Gruppe (auf relativ niedrigem Niveau) herzustellen;
  • Mittel des Wirtschaftens: menschliche Arbeitskraft, relativ einfache Produktionsmittel und natürliche Ressourcen;
  • Wirtschaftsraum: unmittelbare Umgebung, ein regional begrenzter Raum.

Charakteristisch für die Erwerbswirtschaft sind dagegen:

  • Ziel des Wirtschaftens: Produktion von Gütern (Waren), die am Markt mit Gewinn verkauft werden. Die erzielten Gewinne werden (auch) zum Ausbau der Produktionsanlagen eingesetzt.
  • Mittel des Wirtschaftens: qualifizierte Arbeitskräfte und technisch immer vollkommenere Produktionsmittel;
  • Wirtschaftsraum: überregional (nationaler, europäischer und Weltmarkt).

Wirtschaftsdenken in der Antike und im Mittelalter

In der Antike und im Mittelalter beschäftigten sich Menschen mit wirtschaftlichen Fragestellungen, die um den Begriff „Oikos“ (griech. Haus) kreisten. Damit wurden sowohl das Gebäude bezeichnet als auch die in einer Hauswirtschaft lebenden Personen mit ihren Tätigkeiten und Gütern beschrieben. Den Denkern ging es dabei um Fragen, die in einer ursprünglich landwirtschaftlich bestimmten Hauswirtschaft (Subsistenzwirtschaft) auf der Tagesordnung standen:

  • um Herrschaftsfragen zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Herr und Gesinde/Sklaven,
  • um erzieherische und medizinische Fragen,
  • um Fragen der Hausarbeit und landwirtschaftlichen Tätigkeit,
  • um ethisch-philosophische Fragen,
  • um Fragen des Eigentums, des Handels, des Geldes, der Arbeit.

Im Zentrum standen jeweils die verschiedenen personalen Beziehungen in einer Hauswirtschaft.

Bei ARISTOTELES (384–322 v. Chr.) ordnet sich die „Lehre vom Haus“ in seine Moralphilosophie ein. Er akzeptiert individuelles Gewinnstreben – im Gegensatz zu PLATON (427–347 v. Chr.) – und sieht in der angemessenen Verteilung von Besitz ein wichtiges Element für einen funktionierenden Staat: „Wenn nun das Maß und die Mitte anerkanntermaßen das Beste sind, so ist auch in Bezug auf die Glücksgüter der mittlere Besitz von allen der beste, denn in solchen Verhältnissen gehorcht man am leichtesten der Vernunft.“ (Aristoteles, Politik 1295b5-6). Eine nivellierende Gleichheit lehnt er dagegen ab und spricht sich für soziale Differenzierung aus: „So scheint die Gleichheit gerecht zu sein und sie ist es, aber nicht unter allen, sondern unter den Ebenbürtigen. Und ebenso scheint die Ungleichheit gerecht zu sein, und ist es auch, aber unter den Unebenbürtigen.“ (Aristoteles, Politik 1280a13-16).

XENOPHON (um 430–nach 355 v. Chr.) bezeichnet in seinem „Oikonomikos“ diejenigen als reich, die mehr besitzen, als zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse notwendig ist. Dahinter steht die Auffassung, Reichtum am Besitz von möglichst viel Geld zu fassen. Für ARISTOTELES bestand wahrer Reichtum dagegen in einer Menge von Mitteln und Werkzeugen sowie in ihrem Gebrauchsnutzen. Geld als Zahlungsmittel und Wertmaßstab sah er zwar als notwendig an, Geldverleih und die dabei eingeforderten Zinsen lehnte er aber als unnatürlich ab.

In der römischen Antike spielten die philosophisch geprägten ökonomischen Vorstellungen der griechischen Denker keine große Rolle. Dagegen entstanden wirtschaftspraktische Texte, also eher betriebswirtschaftliche Schriften. Der bekannteste Text ist „De agri cultura“ (Über den Ackerbau) von CATO DEM ÄLTEREN (234–149 v. Chr.). Diese Anleitung für landwirtschaftliche Betriebsführung orientiert auf Gewinnstreben und Wirtschaftlichkeit.

Für das ökonomische Denken im Mittelalter sind einige Belegstellen in der Bibel (besonders in den Paulusbriefen) und die griechischen Texte, die arabische Wissenschaftler erhalten und kommentiert haben, bedeutsam. Demnach spielten eine entscheidende Rolle:

  • das Bevölkerungswachstum,das Bevölkerungswachstum,
  • die zunehmende Arbeitsteilung und
  • die Ausbreitung von Geldwirtschaft und Fernhandel.

Aber bis zum späten Mittelalter stand die auf griechischen Ursprüngen ruhende Lehre vom „Haus“ weiter im Zentrum ökonomischer Vorstellungen. Typisch dafür ist die Schrift „Oeconomica“ des KONRAD VON MEGENBERG (1309–1374). Die unmittelbare Wirkung dieser und ähnlicher Schriften auf die Bevölkerungsmehrheit war allerdings gering, weil die Texte in lateinischer Sprache verfasst sind.

Wirtschaftsdenken in der Frühen Neuzeit (14. bis zum Ausgang des 18. Jh.s)

Mit der Frühen Neuzeit begann ein tief greifender Wandel in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Frühkapitalistische Verhältnisse bildeten sich heraus. Renaissance und Humanismus formten ein neues Menschenbild. Das Fundament für modernes naturwissenschaftliches Denken entstand. Europäische Seefahrer entdeckten „neue Welten“ jenseits der Meere. Ein seegestützter Fernhandel mit globalen Zügen bildete sich heraus. Damit verbunden trat das Bankwesen als wichtiger wirtschaftlicher Faktor in Erscheinung.
Schließlich entstanden mit der Herausbildung absolutistischer Staaten und ihrem Geldbedarf für Heer und Bürokratie merkantilistische Wirtschaftsauffassungen. Die sich aber nicht in einer einheitlichen Theorie niederschlugen. JEAN-BAPTISTE COLBERT (1619–1683), französischer Politiker und Finanzminister unter Ludwig XIV., formulierte die Grundpositionen des merkantilistischen Denkens:

  • Der Handel ist die Quelle des Wohlstandes.
  • Der Staat profitiert von Zöllen und indirekten Steuern.
  • Der Handel schafft Wohlstand als eine feste Größe.
  • Gewinn für den einen Staat bedeutet Verlust für den anderen Staat.
  • Wirtschaftswachstums ist unbekannt.

Als unmittelbare Vorläufer der modernen Wirtschaftswissenschaften gelten die Physiokraten, die dich auf die Herrschaft der Natur berufen. Der wichtigste Vertreter dieser Richtung ist FRANÇOIS QUESNAY (1694–1774), der das naturwissenschaftliche Denken auf wirtschaftliche Zusammenhänge anwendet. Er betrachtet den Boden als Quelle allen Reichtums. Daraus leitete er drei ökonomische Klassen ab:

  • Landwirte (Pächter) = produktive Klasse;
  • Eigentümer des Bodens = besitzende Klasse;
  • Händler und Gewerbetreibenden = sterile Klasse.

ADAM SMITH kritisierte zwar die einseitige landwirtschaftliche Betrachtungsweise, konnte sich aber den Ansatzpunkten insoweit anschließen, als er den Wohlstand der Nationen nicht in unkonsumierbaren Vorräten an Geld, sondern in Verbrauchsgütern sah, die durch menschliche Arbeit jährlich reproduziert werden müssen. Damit war der Grundgedanke der klassischen Schule der Volkswirtschaftslehre geboren. Seither entwickelte sich das ökonomische Denken in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern der auf das freie Spiel der Kräfte des Marktes setzenden Vertreter und ihren Kontrahenten, die die regulierenden Eingriffe des Staates einfordern.

In der Realität traten und treten natürlich vielfältige Zwischen- und Übergangsformen in Erscheinung, wobei beide Richtungen von der Garantie des Privateigentums ausgehen. Hinzugekommen ist im 19. Jh. die marxistische Wirtschaftstheorie als ein Denkansatz, der im Kern auf die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln orientiert.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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