Günter Wallraff

Lebensgeschichte

Die Lebensgeschichte GÜNTER WALLRAFFs begann am 1. Oktober 1942. An diesem Tag wurde er als Sohn eines Ford-Arbeiters und einer Fabrikantentochter in Burscheid geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums erhielt er eine Ausbildung als Buchhändler. Schon in den 50er-Jahren begann er zu schreiben – zunächst Lyrik.
Trotz seiner Kriegsdienstverweigerung wurde er 1963 zur Bundeswehr einberufen, jedoch bald wegen seiner andauernden und radikalen Proteste als wehrdienstuntaugliche, „abnorme Persönlichkeit“ entlassen. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit erschienen 1970 im Sammelband „Von einem der auszog und das Fürchten lernte “. In diesem Band verarbeitete er seine Zeit in der psychiatrischen Abteilung des Bundeswehrlazaretts Koblenz, in das er wegen seiner permanenten Waffendienst-Verweigerung eingewiesen worden war. Um in einer Umgebung, die ihn für verrückt hielt, nicht wirklich verrückt zu werden, führte er ein Tagebuch – auch mit dem Ziel, seine bitteren Erfahrungen eines Tages der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Die unfreiwillige Rolle als Psychiatriepatient wurde zum Schlüsselerlebnis und Ausgangspunkt für seine späteren literarischen Arbeiten.
In den Jahren 1964 und 1965 nahm er mehrere Jobs als Hilfsarbeiter in verschiedenen Industriebetrieben an und sammelte so Stoff für seine ersten Berichte. So wurde er in den 60er-Jahren durch seine kritischenIndustrie- und Betriebsreportagen sowie durch seine außergewöhnlichen Recherchemethoden bekannt. Immer wieder schlüpfte er in neue Rollen, um unter dem Deckmantel der Anonymität an brisante Informationen zu gelangen, die er – als der Journalist WALLRAFF – nie erhalten hätte. Das führte schließlich soweit, dass in den Chefetagen der betroffenen Unternehmen schon frühzeitig sogenannte „Wallraff-Steckbriefe“ verfasst wurden, mit denen die Personalbüros anderer Firmen vor dem „Einschleicher“ WALLRAFF gewarnt werden sollten.

WALLRAFF arbeitet inzwischen – nach einer Zeit als Redakteur bei der satirischen Zeitschrift „Pardon“ und einer anschließenden festen Mitarbeit bei der Hamburger Zeitschrift „konkret“ – seit fast 40 Jahren als freier Journalist und Schriftsteller in Köln.

Mitte der 70er-Jahre verließ WALLRAFF die reine Beobachterrolle, die er bis dahin bei seinen journalistischen Projekten eingenommen hatte und nahm stattdessen die Rolle eines aktiven Teilnehmers ein. Er begnügte sich nicht mehr nur mit sachlichen Schilderungen, sondern fing an, mit seinen Reportagen auch Partei zu ergreifen.
So kann man auch spektakuläre Aktionen, wie den Protest gegen die griechische Militärjunta im Sommer 1974, einordnen. Damals kletterte WALLRAFF in Athen auf dem Syntagma-Platz auf einen Laternenpfahl und verteilte Flugblätter, die die Freilassung aller politischen Gefangenen forderten. Unter Anwendung roher Gewalt holte ihn die Polizei herunter, verhaftete ihn und inhaftierte ihn für mehrere Monate bis zum Sturz des griechischen Militärregimes.

WALLRAFF will bewegen, nachdenklich stimmen und aufrütteln. Grunderfahrung seines Schreibens ist das persönliche Erlebnis. Nicht alle seine Projekte glückten allerdings. So nahm er sich einmal vor, herauszufinden, ob die Leute in den Talkshows am Mittag genauso behandelt werden, wie er damals bei der „BILD“-Zeitung. Er schleuste eine Frau ein, die als Mitarbeiterin getarnt in einer Talkshow arbeiten sollte. Eine Zeit lang berichtete sie auch aus der Show, doch dann ließ sie sich vom Sender fest anstellen, teilte ihm mit, dass sie die Arbeit „chic“ finde und brach den Kontakt ab.
In den 1990er-Jahren setzte sich WALLRAFF kritisch mit Menschenrechtsverletzungen in der Türkei auseinander, er lebte während des Golfkriegs aus Solidarität in einem Kibbuz in Israel und er nahm Partei für SALMAN RUSHDIE, dem er half, sich vor seinen Verfolgern zu schützen, indem er ihn zeitweise bei sich zu Hause versteckt hielt.
WALLRAFF ist zum dritten Mal verheiratet. Mit der Journalistin BARBARA MUNSCH hat er zwei Töchter, aus den beiden Ehen vorher drei weitere Kinder.

Literarisches Schaffen

WALLRAFF wurde bekannt durch seine Reportagen. Den ersten Reportageband veröffentlichte er im Jahre 1966: „Wir brauchen dich. Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben“.
Sein fünftes Buch, „13 unerwünschte Reportagen“, das 1969 erschien und in dem er die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Großbetrieben schilderte, machte den Namen WALLRAFF zu einem Synonym für aufklärenden Journalismus. Später folgte „Ihr da oben – wir da unten“ (gemeinsam mit BERNT ENGELMANN, 1973), in dem er auch nicht vor der isolierten Welt der Chefetagen und der fürstlichen Häuser Halt machte.
Schließlich enthüllte er – als Journalist HANS ESSER getarnt – die wahrheitsverstümmelnde und sensationslüsterne Berichterstattung der BILD-Zeitung in dem brisanten Report „Der Aufmacher. Der Mann, der bei BILD Hans Esser war“ (1977). In der Rolle eines Boten hatte WALLRAFF einige Monate in der Hannoverschen Lokalredaktion der BILD-Zeitung gearbeitet und die dort angewandten fragwürdigen Arbeitstechniken dokumentarisch festgehalten. Der Report erregte großes Aufsehen. Der Springer-Verlag reichte Klage gegen den Bericht ein und verlor schließlich den Prozess vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, der den Bericht billigte, da er „Fehlentwicklungen im Journalismus aufzeige“.

Dem ersten BILD-Report folgten noch zwei weitere:

  • „Zeugen der Anklage. Die BILD-Beschreibung wird fortgesetzt“ (1979) und
  • „BILD-Handbuch bis zum BILDausfall“ (1981).

WALLRAFF gehörte der Gruppe 61 an und war Mitbegründer des „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt“. Trotzdem hat er stets vermieden, sich als Schriftsteller zu bezeichnen.

Zu den bekanntesten Werken von WALLRAFF zählt „Ganz unten“ (1985), sein wohl bisher erfolgreichstes Buch, das in der BRD in kürzester Zeit zum Bestseller wurde. In diesem Buch berichtet er, was er selbst am eigenen Leib erfahren musste in der Zeit, in der er als türkischer Fremdarbeiter Ali Levent Sinirlioglu lebte und bei einer Fast-Food-Kette, auf einer Großbaustelle und in einer Leiharbeiterkolonne arbeitete.

Die Wahrheit, die er ganz unten fand, machte sein Buch zu einem Bestseller in der BRD. Innerhalb von vier Monaten wurden fast zwei Millionen Exemplare verkauft. Das Buch wurde in 33 Sprachen übersetzt und verfilmt, was WALLRAFF nun auch international bekannt machte.

WALLRAFF erhielt im Laufe der Jahre zahlreiche Literatur- und Medien-Preise im In- und Ausland u. a.:

  • 1979 Gerrit-Engelke-Literaturpreis der Stadt Hannover
  • 1983 Monismanienpreis / Göteborgs Nation und Universität Uppsala
  • 1984 Carl von Ossietzky-Medaille
  • 1985 Literaturpreis der Menschenrechte (Frankreich) zusammen mit JAMES BALDWIN
  • 1987 British Academy Award / of Film and Television Art
  • 1987 Französischer Medienpreis Prix Jean d'Arcy für den Film „Ganz unten“

Werke (Auswahl)

  • Wir brauchen dich. Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben (1966, 1970 unter: „Industriereportagen“)
  • 13 unerwünschte Reportagen (1969)
  • Von einem der auszog und das Fürchten lernte (1970)
  • Neue Reportagen, Untersuchungen und Lehrbeispiele (1972)
  • Ihr da oben – wir da unten (1973)
  • Aufdeckung einer Verschwörung. Die Spinola-Aktion (1976)
  • Der Aufmacher. Der Mann der bei BILD Hans Esser war (1977)
  • Zeugen der Anklage. Die „BILD“-Beschreibung wird fortgesetzt (1979)
  • BILD-Handbuch bis zum BILDausfall (1981)
  • Die unheimliche Politik (1982)
  • Günter Wallraffs BILDerbuch (1985)
  • Ganz unten (1985)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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