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- Jakob Michael Reinhold Lenz
„Wir werden geboren – unsere Eltern geben uns Brot und Kleid – unsere Lehrer drücken in unser Hirn Worte, Sprachen, Wissenschaften – ... es entsteht eine Lücke in der Republik, wo wir hineinpassen - unsere Freunde, Verwandten, Gönner ... stoßen uns glücklich hinein – wir drehen uns eine Zeitlang in diesem Platz herum wie die anderen Räder und stoßen und treiben – bis wir, wenns noch so ordentlich geht, abgestumpft sind und zuletzt wieder einem neuen Rade Platz machen müssen - das ist – ... unsere Biografie.“
(Lenz, Jakob Michael Reinhold: Über Götz von Berlichingen. In: Werke und Schriften. Herausgegeben von Britta Titel und Hellmut Haug, Band 1–2, Band 1. Stuttgart: Goverts, 1965–1966, S. 378)
JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ wurde am 12. Januar 1751 als das vierte von acht Kindern des Pastors CHRISTIAN DAVID LENZ in Seßwegen/Livland (nach den bis ins 20. Jahrhundert hinein siedelnden finnischen Liven benannter Landstrich) geboren und wuchs in einem extrem kunstfeindlichen Haushalt bei seinem Vater in Dorput auf, wohin die Familie 1759 übersiedelte. Er war das Lieblingskind der Mutter und auch sein Vater setzte große Hoffnungen auf ihn, denn er hielt ihn für das begabteste seiner Kinder. Sein Vater war ein angesehener Theologe und Gläubiger; er kritisierte sämtliche anderen Lebensführungen und war sehr konservativ. Dies führte unter anderem zu dem traurigen Zerwürfnis von Vater und Sohn.
Schon als 15-jähriger schrieb LENZ sein erstes Werk, welches ihm den Ruf eines „seltenen Genies“ einbrachte. Dies war das Epos „Versöhnungstod Jesu Christi“. Noch im gleichen Jahr erhielt er den Auftrag, ein Drama zu schreiben. Mit „Der verwundete Bräutigam“ begründete er seinen Weg als Dramatiker.
1768 begann er – zuerst zusammen mit seinem jüngeren Bruder – ein Theologiestudium an der Universität Dorpat. Später setzte er es in Königsberg fort. Sie erhielten ein Stipendium, denn der Vater konnte sie finanziell nicht unterstützen. Dabei hörte LENZ u. a. auch IMMANUEL KANT. Mit seinem Versepos „Die Landplagen“ (1769) trat LENZ erstmalig vor einem größeren Publikum auf.
1771 lief das Stipendium aus und der Vater drängte auf einen schnellen Studienabschluss. Er riet JAKOB, nach Livland zurückzukommen und eine Hofmeisterstelle anzutreten. LENZ missachtete diesen Rat und nahm stattdessen eine Stelle bei den Brüdern VON KLEIST als Hofmeister an. Seine dort gemachten Erfahrungen gingen in sein Werk „Der Hofmeister“ (1774, siehe PDF "Jakob Michael Reinhold Lenz - Der Hofmeister") ein (Diese erste deutsche Tragikomödie handelt von der satirisch-sarkastischen Geschichte eines Theologiestudenten, der sich nach einer folgenreichen Verführung einer Frau selbst entmannt.).
Auf einer Reise nach Straßburg traf LENZ das erste Mal mit JOHANN WOLFGANG VON GOETHE zusammen, der ihn wiederum mit JOHANN GOTTFRIED HERDER und JOHANN KASPAR LAVATER bekannt machte. Unter GOETHEs Einfluss wurde LENZ ein überzeugter Vertreter des Sturm und Drang. Von nun an versuchte LENZ, GOETHE in vielem nachzueifern. Besonders sein von FRIEDRICH VON SCHILLER posthum in dessen Zeitschrift „Die Horen“ veröffentlichtes Romanfragment „Der Waldbruder“ (1797) kann als Pendant zu GOETHEs „Die Leiden des jungen Werthers“ angesehen werden. So wurden die im Jahr 1774 entstandenen Werke später fälschlicherweise zuerst GOETHE zugeschrieben, z. B.
LENZ hatte diese Werke anonym veröffentlicht, sich aber nach den positiven Rezensionen zu erkennen gegeben.
In der Straßburger Zeit verdiente sich LENZ seinen Lebensunterhalt als Begleiter von an der Stadt interessierten jungen Adligen. Später versuchte er, sein Geld ausschließlich als freier Schriftsteller zu verdienen. So entstanden in schneller Abfolge Komödien, die seinen Ruf als herausragender Dramatiker weiter stärkten. Bei der Lektüre der Werke von HOMER, WILLIAM SHAKESPEARE und OSSIAN holte sich LENZ nachwirkende Anregungen für sein dichterisches Schaffen. Seine genaue Kenntnis der Stücke SHAKESPEAREs, die er zur damaligen Zeit für deutsche Bühnen übersetzte, war für LENZ' eigene Werke sehr wichtig.
1776 folgte LENZ GOETHE nach Weimar. Anfänglich verband ihn eine enge Freundschaft mit GOETHE, denn LENZ war im Umgang mit Menschen sehr liebenswürdig und gewandt. Wegen seiner geringen Körpergröße wurde er von GOETHE fast liebevoll „Lenzchen“ genannt. Bereits im selben Jahr kam es aber zu einer Meinungsverschiedenheit und so musste LENZ wegen seiner Streitigkeiten auf Veranlassung GOETHEs die Stadt verlassen. LENZ wollte eine tiefe Beziehung zu GOETHE, er schickte ihm seine Werke. Als er aber immer mehr dem Wahnsinn verfiel, äußerte sich GOETHE über ihn folgendermaßen:
„... bald schien er sich mir unterzuordnen, bald sich mir gleich zu setzen ... er war eine seltsame Komposition aus Genie und Kind.“
Noch in Weimar erschienen der Roman „Zerbin. Oder Die neuere Philosophie“ (1775) und die Komödie „Die Soldaten“ (1776, siehe PDF "Jakob Michael Reinhold Lenz - Die Soldaten"), in der LENZ das Problem des entehrten Mädchens thematisiert. Das sozialkritische Stück war für die damalige Zeit sehr fortschrittlich und galt als geschmacklos und verworren, da es von der Verführung eines Bürgermädchens durch einen adligen Offizier handelt, das daraufhin zu einer gewerbsmäßigen Dirne absinkt. Der ehemals Verlobte des Mädchens tötet den Offizier mit Rattengift. Eine Gräfin, die die wahre Ursache, den „ehlosen Stand der Herren Soldaten“, für den Abstieg des Mädchen erkannt hat, nimmt das Mädchen bei sich auf. Das Stück wird seit 1968 wieder an deutschen Bühnen aufgeführt, allerdings nach einer Bearbeitung durch BERTOLT BRECHT.
1777 machte sich bei LENZ eine Geisteskrankheit bemerkbar und hemmte seine Schaffenskraft enorm. LENZ wurde von Pfarrer JOHANN FRIEDRICH OBERLIN gepflegt und war auf fremde Hilfe angewiesen. Während seiner Krankheit hielt er sich häufig in der Schweiz und bei seinen Eltern in Riga auf. Bald darauf verstieß ihn seine Familie und er ging nach Sankt Petersburg, um dort als Soldat im Kadettenkorps Geld für die Familie zu verdienen.
Ein Jahr später, 1781, siedelte LENZ nach Moskau zu seinen Freunden aus Freimaurerkreisen über. In Moskau angekommen, nahm ihn der Staatsrat G. F. MÜLLER, der Direktor des Archivs im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, bei sich auf und veranlasste LENZ, Privatunterricht bei adligen Familien zu geben.
LENZ hatte noch große Pläne; so wollte er u. a. eine französische Zeitung in Moskau herausbringen. Aber seine physischen Fähigkeiten waren wegen seiner Krankheit starken Schwankungen unterworfen und so gibt es von den elf Jahren, die er sich in Moskau aufhielt, nur wenige Zeugnisse. Sein engster Freund KARAMSIN schrieb am 20. April 1787 an JOHANN KASPAR LAVATER:
„Was soll ich Ihnen von Lenzen sagen? Er befindet sich nicht wohl. Er ist immer verwirrt. Sie würden ihn gewiß nicht erkannt haben, wenn Sie ihn jetzt sähen. Er wohnt in Moskau, ohne zu wissen, warum. Alles was er zuweilen schreibt, zeigt an, dass er jemals viel Genie gehabt hat; jetzt aber ...Ich habe ihm Ihren Brief persönlich eingehändigt.“
(Rosanow, M.N.: Jakob M. R. Lenz: der Dichter der Sturm- und Drangperiode. Leipzig: Verlagsbuchhandlung Schulze & Co., 1909, S. 427)
Sein Leben sollte tragisch zu Ende gehen. Völlig verarmt und verwahrlost, starb LENZ am 24. Mai 1792 auf einer Moskauer Straße. Seine Ruhestätte ist unbekannt und auch der Grund für seinen Tod.
Die „Allgemeine Literaturzeitung“ meldete seinen Tod mit folgenden Worten:
„Er starb vor wenigen Bedauernden und von Niemandem vermisst. Von allen verkannt. Gegen Dürftigkeit kämpfend, entfernt von allem, was ihm teuer war, verlor er doch nie das Gefühl seines Wertes. Er lebte sogar von Almosen und wurde auf Kosten eines großmütigen, russischen Edelmannes, in dessen Haus er lange lebte, begraben.“
Sein tragisches Schicksal fand allerdings noch literarisches Interesse, denn GEORG BÜCHNERs Erzählung „Lenz“ (1836) handelte von dem tragischen Schicksal des Dichters. In dieser berühmten Erzählung verknüpft BÜCHNER seine eigenen Ansichten mit der Poetologie des Dichters LENZ zu einem Kunstgespräch.
Die Erzählungen und Dramen von LENZ wurden von seinen Zeitgenossen zumeist als merkwürdig angesehen. In seinen Werken kritisierte er häufig die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse und sympathisierte mit den Unterdrückten. Er beschrieb u. a. Identitätskrisen von Intellektuellen und verarbeitete oft autobiografische Erlebnisse.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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