Simone de Beauvoir

SIMONE DE BEAUVOIR wird als Pionierin des Feminismus bezeichnet.

Ihr berühmtester Satz lautet:

„On ne naît pas femme: on le devient“
auf deutsch:
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“
(Beauvoir, Simone de: Das andere GeschlechtSitte und Sexus der Frau. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1949)

Schöpferin des Existenzialismus

DE BEAUVOIR wird von einigen als eigentliche Erfinderin, als Schöpferin des Existenzialismus angesehen. Das Schlagwort des Existenzialismus stammt von ihr: „Der Mensch ist frei geboren.

Sie selbst betrachtete ihren Lebensgefährten JEAN-PAUL SARTRE als ihren Lehrer und sich selbst nur als „die Zweite“. Welchen Anteil sie an der existenziellen Philosophie SARTREs hat, wird kaum herauszufinden sein. Ihre großen literarischen und philosophischen Themen waren

  • Freiheit,
  • Menschenrechte,
  • Emanzipation,
  • Selbstbestimmung und
  • Gleichberechtigung .

DE BEAUVOIR geht es um Fragen menschlicher Existenz überhaupt. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg wählen. Der Einzelne definiere sich erst durch seine Handlungen, nicht durch Religionen, Ideologien oder Doktrinen. Er müsse nach eigener Überzeugung und persönlicher Erfahrung handeln: Wir müssen, nach SARTRE, „unser Wesen erst durch unser Handeln ... schaffen“. Wie er leben möchte, ist die individuelle Entscheidung des Einzelnen selbst. Der Mensch bestimmt sein Schicksal, er hat die Wahl. Auch wenn der Mensch sich weigert, eine Wahl zu treffen, also seinen Lebensweg zu bestimmen, wählt er. Er ist, nach SARTRE, „zur Freiheit verdammt“, übernimmt damit jedoch auch Verantwortung für die Gestaltung seiner Freiheit. DE BEAUVOIR beleuchtete in ihren Werken vor allem die Rolle der Frau und ihre Verantwortung für die Gestaltung ihrer Existenz. So wird ihr Lebensmotto als „parole“ des Existenzialismus verständlich, denn sie konzipierte den Existenzialismus nicht nur, sondern lebte ihn auch:

Mein wichtigstes Werk ist mein Leben“ .

Kindheit und Jugend

SIMONE LUCIE ERNESTINE MARIE BERTRAND DE BEAUVOIR wurde am 9. Januar 1908 als Erstgeborene „fille rangée“, als „höhere Tochter“ des Anwalts GEORGES DE BEAUVOIR und dessen Frau, der Bibliothekarin FRANÇOISE DE BEAUVOIR, geb. BRASSEUR, in Paris geboren. Die Schwester POUPETTE war zweieinhalb Jahre jünger. Aufgewachsen sind die Geschwister in der großbürgerlichen Wohnung der Eltern am Boulevard Montparnasse.
Die Mutter war eine tiefgläubige Katholikin, der Vater Agnostiker. Dieser Gegensatz bestimmte auch zunächst die Vorstellungen SIMONEs vom späteren Leben: Sie wollte ins Kloster gehen. Mit vier Jahren brachte sie sich das Lesen selbst bei, entdeckte zunehmend die Welt der Poesie. Darin stimmte sie mit ihrem Vater überein, den das Mädchen vor allem wegen seiner Belesenheit stark verehrte.

1913 wurde SIMONE im katholischen Mädcheninstitut Cours Adeline Désir eingeschult. Sie war ein temperamentvolles und wissbegieriges Kind: „Ich hatte einen guten Start“, schrieb sie später über ihre Kindheit. Der Erste Weltkrieg veränderte die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern drastisch: Die Familie musste 1919 nun aus finanziellen Gründen in die Rue de Rennes 71 umziehen. Hier fand jener denkwürdige Vorfall statt, der – nach ihren eigenen Aussagen – den Lebensweg der BEAUVOIR prägte. Ihr Vater bemerkte beiläufig: „Wie hässlich du bist!“ und zeigte sich lieber mit der viel schöneren POUPETTE in der Öffentlichkeit. Das pubertierende Mädchen vergrub sich von nun an in ihre Bücher. 1925 schloss SIMONE die Schule mit dem Baccalauréat ab. 1925 begann sie ein Studium der Philologie am Institut Sainte-Marie in Neuilly und der Mathematik am Institut Catholique in Paris. An der Sorbonne studierte sie 1926/27 Philosophie und schrieb 1928/29 ihre Diplomarbeit über den Philosophen und Universalgelehrten GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ (1646–1716). Ihr Wunsch war es, Lehrerin zu werden.

JEAN-PAUL SARTRE und DE BEAUVOIR

Deshalb bereitete sich DE BEAUVOIR auf die Lehrerlaubnis (agrégation) an der Ecole Normale Supérieure (ENS) vor, wo sie im Juli 1929 JEAN-PAUL SARTRE kennenlernte. Hinter ihm bestand sie als Zweitbeste die Agrégation. In jenem Jahr begann auch die Beziehung der beiden, SIMONE DE BEAUVOIR und SARTRE siezten einander jedoch zeitlebens:
Er nannte sie „Petit charmant Castor (ihr gemeinsamer Briefwechsel erschien in: „Lettres au Castor et á quelques autres“).

Der Dualismus „wie Kastor und Pollux“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch für eine enge Männerfreundschaft verwendet. Castor heißt auf deutsch Biber, könnte aber auch für das unzertrennliche Zwillingspaar Kastor und Pollux (frz.: Castor et Pollux) stehen, das im Volksglauben bei den Seefahrern als Retter in der Not galt. Castor ist aber auch jener Fixstern am Himmel, der Teil des Sternbilds der Zwillinge ist: Unzertrennlich, lebten Kastor und Polydeukes (d.i. Pollux), folgt man der griechischen Sage, nach Kastors Tod im Trojanischen Kriege abwechselnd im Hades und im Olymp, bis Zeus sie als Sterne an den Himmel versetzte. Das Bild von Kastor und Pollux symbolisiert deshalb sehr treffend die nahezu symbiotische Beziehung SARTREs und DE BEAUVOIRs.

Beide hatten während ihres Lebens nebenher auch andere Beziehungen, auch einige sehr dauerhafte, aber keine konnte die Liebe SARTREs und DE BEAUVOIRs zueinander zerstören.
Sie teilten niemals eine gemeinsame Wohnung, damit jeder seine Unabhängigkeit behalten konnte. Sie waren einander wirklich Gleichberechtigte, sowohl, was das Denken anging, als auch im Ausleben ihrer Sexualität. Die ihr von SARTRE angetragene Ehe lehnte DE BEAUVOIR als „beschränkende Verbürgerlichung und institutionalisierte Einmischung des Staates in Privatangelegenheiten“ ab. Beide probierten eine Beziehung zu fünft als hetero- und homosexuelle Partnerschaft zugleich: SARTRE, DE BEAUVOIR, zwei junge Frauen und ein junger Mann.

Lehrerin und Schriftstellerin

Nach ihrer Lehrerlaubnis unterrichtete DE BEAUVOIR zunächst als Privatlehrerin in Paris, um in der Nähe SARTREs sein zu können.

Nachdem SARTRE nach Le Havre ging, unterrichtete sie bis 1943 an verschiedenen Lyzeen in Marseille, Rouen und Paris.
Die Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs während des Zweiten Weltkrieges 1940–1944 verbrachte DE BEAUVOIR in Paris. Hier lernte sie auch

  • ALBERT CAMUS (1913–1960),
  • JEAN GENET (1910–1986),
  • ALBERTO GIACOMETTI (1901–1966) und
  • PABLO PICASSO (1881–1973)

kennen. Sie trafen sich häufig im Café Flore am Boulevard St. Germain-des-Prés. Als sie 1943 die Beziehung einer Schülerin zu einem jüdischen Jungen verteidigte, wurde sie entlassen. Fortan arbeitete DE BEAUVOIR als freie Schriftstellerin. In ihrem Roman „Le sang des autres“ (dt.: „Das Blut der anderen“, 1945) setzte sich DE BEAUVOIR mit der Zeit der Besatzung auseinander. 1943 erschien ihr erster Roman „L'Invitée“ (dt.: „Sie kam und blieb“), eine Dreiecksgeschichte, in der sie SARTREs Beziehung zu ihr und einer anderen Frau thematisierte.

Nach dem Krieg

Nach dem Krieg arbeitete DE BEAUVOIR an der von SARTRE gegründeten politisch-literarischen Zeitschrift „Les Temps Modernes“ mit. Hier erschienen auch einige ihrer wichtigsten Essays.

„Alle Menschen sind sterblich“

Der 1946 erschienene Roman „Tous les Hommes sont mortels“ (dt.:„Alle Menschen sind sterblich“) greift ein Sujet auf, das bereits von anderen Autoren vor ihr thematisiert wurde: das des als Unsterblicher durch die Zeit wandernden Protagonisten. VIRGINIA WOOLF (1882–1941) hatte in „Orlando: A Biography“ (1928) eine Hauptfigur geschaffen, die, auf der Suche nach Identitätsfindung, in verschiedenen Zeiten einmal als Mann, ein anderes Mal als Frau agierte. Dieses Thema der geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen wurde bei DE BEAUVOIR zum zentralen Anlass ihres Schreibens.

In „Alle Menschen sind sterblich“ begegnet die junge Schauspielerin Regine im Frankreich der 40er-Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts dem seltsamen und, wie sie erst später bemerkt, unsterblichen Raymond Fosca, der im Jahre 1279 in der Stadt Carmona in Italien geboren wurde und der, um seiner Stadt für immer dienen zu können, nach einem Mittel für das ewige Leben sucht. Sechs Jahrhunderte durchstreift der Held die europäische Geschichte, um zu erkennen, dass er nichts bewirken kann, dass die Sehnsüchte und Hoffnungen der Menschen vergeblich sind.

„Alle Menschen sind sterblich“ ist ein Roman, in dem DE BEAUVOIR existenzphilosophische Fragen behandelt. Das wird u. a. deutlich an der Figur des Armand.

Vergänglichkeit kann auch eine Chance sein, auch wenn das Leben des Einzelnen nicht die „allerleiseste Spur“ hinterlässt.

„Das andere Geschlecht“

Die wichtigen, bewegenden Fragen menschlicher Existenz werden in diesem Roman noch Männern in den Mund gelegt, schon 1949 setzte sich DE BEUVOIR in ihrem Buch „Le Deuxiéme Sexe“ (dt. 1951: „Das andere Geschlecht“) mit „Sitte und Sexus der Frau“ (Untertitel) auseinander. Dieses Buch, der Entwurf einer existenzialistischen Ethik, thematisiert die Rolle der Frau in der Gesellschaft und erregte so großes Aufsehen, dass es vom Vatikan wegen der „unmoralischen Doktrinen, die die guten Sitten und die Heiligkeit der Familie mit Füßen treten“(In: „L`Osservatore Romano“) auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurde.

„Das andere Geschlecht“, ein Klassiker der Frauenbewegung, analysiert und kritisiert das herrschende patriarchalische Weltbild jener Zeit., Der Mann, „das Subjekt, .. das Absolute“ wird der Frau als „das Andere“ entgegengestellt.

SIMONE DE BEAUVOIR lässt „Das andere Geschlecht“ mit einem Zitat von KARL MARX enden:

Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe. Aus dem Charakter dieses Verhältnisses folgt, inwieweit der Mensch als Gattungswesen, als Mensch sich geworden ist und erfaßt hat; das Verhältnis des Mannes zum Weib ist das natürlichste Verhältnis des Menschen zum Menschen. In ihm zeigt sich also, inwieweit das natürliche Verhalten des Menschen menschlich und inwieweit seine menschliche Natur ihm zur Natur geworden ist.
(Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1968, Band 40, S. 535 )

„Die Mandarins von Paris“

Der Roman „Die Mandarins von Paris“, der als Schlüsselwerk der Existenzialismusbewegung gilt, spielt im Frankreich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Nun schildert die weibliche Hauptgestalt, die Psychologin Anne, ihre Suche nach dem persönlichen Glück. Der Journalist Henri hingegen symbolisiert die Zerrissenheit und den Zerfall der französischen Intellektuellen nach dem Ende des Krieges und nach der Résistance. Der Roman basiert zu Teilen auf der Beziehung der Autorin zu SARTRE und dem Amerikaner NELSON ALGREN (seit 1947).

1955 erhielt SIMONE DE BEAUVOIR für ihren Roman „Les Mandarins“ den „Prix Goncourt“, die angesehenste literarische Auszeichnung Frankreichs,. Zu jener Zeit unterhielt DE BEAUVOIR eine Beziehung zu CLAUDE LANZMANN, mit dem sie auch zusammenlebte.

1955 reiste DE BEAUVOIR mit SARTRE nach China und in die Sowjetunion. Daraus entstand „La longue marche“ („China – das weitgesteckte Ziel“, 1957). Die Sowjetunion besuchte sie zwischen 1962 und 1966 mehrfach, um sich für die Freilassung von inhaftierten Regierungskritikern einzusetzen.
SARTRE und DE BEAUVOIR wandten sich gegen die Auswirkungen des in Europa tobenden Kalten Krieges und nahmen 1955 an der Friedenskonferenz von Helsinki teil.

Seit 1958 erschien ihre dreiteilige Autobiographie „Mémoires dúne jeune fille rangée“ (dt:„Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“).

1963 starb die Mutter an Krebs. In „Une Mort très douce“ (dt.: „Ein sanfter Tod“, 1964) beschrieb sie deren Leiden.

Das „Gewissen Frankreichs, Europas, ja des Westens“, SIMONE DE BEAUVOIR, und SARTRE nahmen 1967 am Russell-Tribunal zur Erörterung der amerikanischen Kriegsverbrechen während des Vietnamkrieges in Kopenhagen teil und prangerten die Einmischung der USA als militärische Aggression sowie die Bombardierung ziviler Ziele durch die Amerikaner als Völkermord an. 1968 unterstützten sie die revoltierenden Studierenden während der Maiunruhen in Paris.

Präsidentin der „Liga für Frauenrechte“

1974 wurde DE BEAUVOIR Präsidentin der „Liga für Frauenrechte“ in Frankreich.
SARTRE, der in seinem Leben reichlich rauchte und Unmengen Scotch und Rotwein trank, litt an einem Lungenödem, an Leberzirrhose und Durchblutungsstörungen des Gehirns. Er starb am 15. April 1980. In „La Cérémonie des adieux, suivi de Entretiens avec Jean-Paul Sartre (août-septembre 1974)“ (dt.: „Die Zeremonie des Abschieds und Gespräche mit Jean-Paul Sartre“) schilderte DE BEAUVOIR 1981 die letzten Lebensjahre und das Siechtum des Lebensgefährten. Dabei berichtete sie offen und schonungslos, so dass sie Entrüstung und Entsetzen hervorrief. Sie bemerkte, dass diese sogenannten „Freunde“ das Prinzip des Existenzialismus nicht begriffen hatten.

Damals war sie selbst schon stark vom Alter und Alkoholkonsum gezeichnet, das Gehen fiel ihr zunehmend schwerer, wie MARGARET A. SIMONS berichtet.

Am 14. April 1986 starb SIMONE DE BEAUVOIR in Paris.
Sie wurde neben JEAN-PAUL SARTRE auf dem Pariser Friedhof Montparnasse beigesetzt.

Werke (Auswahl)

  • L'Invitée“ („Sie kam und blieb“), 1943
  • Le sang des autres“ („Das Blut der anderen“), 1945
  • Les bouches inutiles“, Schauspiel, 1945
  • Tous les hommes sont mortels“ („Alle Menschen sind sterblich“), 1946
  • Pour une morale de l'ambiguité“ („Für eine Moral der Doppelsinnigkeit“) Artikel, 1947
  • L'Amérique au jour le jour („Amerika – bei Tag und Nacht“), 1948
  • Le deuxième sexe“ („Das andere Geschlecht“), 1949
  • Les mandarins“ („Die Mandarins von Paris“), 1954
  • La longue marche“ („China – das weitgesteckte Ziel“), 1957
  • Mémoires d'un jeune fille rangée“ („Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“), mit:
    -La Force de l'âge“, 1960, dt.: „In den besten Jahren“,
    -La Force des choses“, 1963, dt.: „Der Lauf der Dinge“ und
    -Tout compte fait“, 1972, dt.: „Alles in allem“
  • La Force de l'âge“ („In den besten Jahren“), 1961
  • La Force des choses“ („Der Lauf der Dinge“), 1963
  • Une Mort trés douce“ („Ein sanfter Tod“), 1964
  • Les Belles Images“ („Die Welt der schönen Bilder“), 1966
  • La Femme rompue“ („Eine gebrochene Frau“), 1967
  • La Vieillesse“ („Das Alter“), 1970
  • Tous compte fait“ („Alles in allem“), 197
  • La cérémonie des adieux“ („Die Zeremonie des Abschieds“), 1981
  • Journal de guerre, Septembre 1939 – Janvier 1941“ (hrsg. v. Sylvie le Bon de Beauvoir), 1990

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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