Die Geschichte der englischen Sprache lässt sich in folgende drei Perioden einteilen:
Die Bewohner Britanniens sprachen ursprünglich Keltisch. Nach der Unterwerfung durch den römischen Kaiser CLAUDIUS 43 n. Chr. wurde Britannien römische Provinz. Von da an verbreitete sich die lateinische Sprache vor allem bei Angehörigen der Oberschicht und Stadtbewohnern. In dieser Zeit fanden einige lateinische Wörter aus den Bereichen Straßen- und Hausbau, Garten- und Weinbau sowie Handel und Verkehr, die bis heute verwendet werden, Eingang in die englische Sprache: So liegt der Ursprung des Wortes wine im lateinischen vinum, street ist auf stratum bzw. strata viarum (gepflasterte Straße) zurückzuführen, dish (Teller, Gericht) auf discus (Diskus, Servierplatte). Für das englische port (Hafen; Tür) sind portus und porta die Ursprungswörter, für mountain lat. mons bzw. die Form montem. In Ortsnamen wie Chester, Manchester, Doncaster oder Gloucester ist lat. castra (Lager) unverkennbar.
Mit dem Ende der römischen Herrschaft im Jahr 410 n.Chr. dürfte auch das vorläufige Ende der Verwendung des Lateinischen als gesprochener Sprache zusammenfallen.
Durch die Ausbreitung der christlichen Lehre in England lebte die lateinische Sprache im 6. Jahrhundert wieder auf. Sie übte ihren stärksten Einfluss auf das Altenglische im Zuge der Christianisierung aus, die in der Mitte des Jahrhunderts durch irische Mönche ihren Anfang nahm. Seit dem Jahr 597 wurde die Bekehrung der englischen Bevölkerung von Rom aus systematisch und erfolgreich betrieben. So begann im 7. Jahrhundert der Bau von Kirchen, Klöstern und Schulen, in denen ausschließlich lateinisch gebetet und gelehrt wurde. Damit wurde die Kirche zum Überbringer der römischen Kultur und beeinflusste England nachhaltig.
Während der 500 Jahre, die zwischen der Einführung des Christentums und dem Ende der altenglischen Periode lagen, etablierten sich anfangs aus dem Kirchenlatein viele Substantive, die grundlegend für die neue Religion waren und bis heute zum englischen Wortschatz gehören, darunter: abbot, altar, angel, candle, cleric, epistle, hymn, martyr, mass, minster, nun, organ, pope, priest, psalm, relic, shrine, temple. Zudem wirkte das Lateinische auch auf den Wortschatz des häuslichen Lebens, beispielsweise auf die Bereiche der Nahrung (lobster, mussel, oyster, pear), Kleidung (cap, silk, sack, sock), Pflanzen, Kräuter, Bäume (plant, myrrh, lily, pine). Aber auch andere verbreitete Begriffe wurden in dieser Zeit aus dem Lateinischen entlehnt wie anchor, circle, fever, sponge, talent.
Die erste Blütezeit der Kirche endete im 9. Jahrhundert. Statt gemäß den Ordensregeln zu leben, vernachlässigten die Mönche Gebet und Gottesdienst, hielten sich nicht mehr an das Armutsideal, sondern gaben sich lieber dem bequemen und genussvollen Leben hin. So kam es im 10. Jahrhundert zu einer grundlegenden Reformierung des klösterlichen Lebens: Die im Jahre 910 in Cluny (Burgund/Frankreich), dem größten jemals gebauten Kloster des Abendlandes, formulierte Benediktinerregel war strikter als die des Ordensgründers selbst. Keuschheit, Gehorsam und Armut wurden in den Mittelpunkt gestellt und bewirkten eine religiöse Erneuerung des Mönchtums. Studium und Gelehrsamkeit lebten in der Folgezeit auch in den englischen Klöstern wieder auf. Das ist im Altenglischen an neuen Lehnwörtern erkennbar, die wissenschaftlichen Büchern entnommen wurden: antichrist, apostle, cloister, history, prophet. Etliche der theologischen Begriffe behielten vorerst ihren Fremdwortcharakter und wurden später der englischen Sprache angeglichen (absolutionem, cathedra). Auch zahlreiche medizinische Begriffe entstammen dieser Phase wissenschaftlicher Betätigung, beispielweise cancer, paralysis, plaster.
In der mittelenglischen Periode zwischen 1150 und 1500 dominierte als Folge der normannischen Eroberung (1066) durch WILLIAM THE CONQUEROR der Einfluss des Französischen. Über diese romanische Sprache gelangten Wörter lateinischen Ursprungs indirekt ins Englische.
Aber auch auf direktem Wege wurden über die Schriftsprache weiterhin lateinische Wörter entlehnt, meist aus Werken des Rechts, der Medizin, der Theologie und der Literatur, so z. B. allegory, conspiracy, frustrate, genius, interrupt, legal, lunatic, mechanical, minor, necessary, picture, polite, pulpit, quiet, rational, secular, summary. Außerdem sprachen in dieser Zeit Geistliche und gebildete Menschen weiterhin Latein, so dass einige lateinische Wörter auch durch den mündlichen Gebrauch in die englische Sprache gelangten.
Lateinische Schriftzeichen
Im 14. Jahrhundert verfasste der Oxforder Universitätsprofessor, Prediger und religiöse Reformer JOHN WYCLIFFE die erste englische Gesamtübersetzung der lateinischen Bibel (die so genannte Vulgata, von lat. vulgatus = verbreitet, bekannt). Dabei verwendete er zahlreiche lateinische Wörter, die es bisher im Englischen nicht gab. Zwar galt er zu Lebzeiten aufgrund seiner Kritik an der Kirche als Ketzer, aber sein Werk floss in die späteren Bibelübersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts ein, so dass sich seine Entlehnungen schließlich in der Alltagssprache etablierten.
In der Literatur, vor allem der Dichtung, ist im 15. Jahrhundert die absichtliche Verwendung ungebräuchlicher lateinischer Wörter auffällig. Diese sogenannten aureate terms sollten der stilistischen Verschönerung des Englischen dienen. Manche dieser Wörter wie laureate, mediation, oriental verloren bald ihre extravagante Ausstrahlung, da sie in die Alltagssprache übergingen.
Zahlreiche Neuerungen markieren das Ende des Mittelalters und den Beginn der Renaissance in Europa. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die Erfindung des Buchdrucks um die Mitte des 15. Jahrhunderts, der in England 1476 von WILLIAM CAXTON eingeführt wurde. Die Möglichkeit, gedrucktes Wissen schneller als je zuvor zu verbreiten, hob landesweit das Bildungsniveau. Immer mehr Menschen lernten lesen und schreiben.
Durch die Rückbesinnung auf die Antike erlebte die Kenntnis der alten Sprachen eine neue Blüte. Das gesammelte Wissen der Griechen und Römer – deren Philosophie, Staatstheorie, Geschichte, Literatur, Wissenschaft, Kultur – stand erneut im Mittelpunkt des Interesses. Viele Autoren der Frühen Neuzeit waren bemüht, in ihren Werken das große Stilideal der Goldenen Latinität, den Redner und Staatsmann CICERO, zu erreichen.
Während der Einfluss des Kirchenlateins nachließ, nahm die Bedeutung der lateinischen Sprache in den Wissenschaften und der Literatur stark zu. Der rasante Zuwachs an wissenschaftlicher Erkenntnis in der Frühen Neuzeit erforderte in den verschiedenen Bereichen umgehend einen angemessenen Spezialwortschatz. Waren keine Bezeichnungen für neue Phänomene vorhanden, mussten sie geschaffen werden. Dadurch stiegen zwischen 1550 und 1650 die Entlehnungen aus dem Lateinischen sprunghaft an.
Typisch für die Renaissance ist andererseits die zunehmende Bedeutung der Landessprache aufgrund des erwachenden nationalen Selbstbewusstseins. Diese Entwicklung ist in der Frühen Neuzeit in ganz Europa zu beobachten. Natürlich war die Durchsetzung des Englischen gegenüber dem etablierten Latein ein mühsamer Prozess. Denn das Lateinische dominierte alle wissenschaftlichen Disziplinen und die Literatur und war die einzige Sprache, die von den Gebildeten in ganz Europa verstanden wurde. Zudem war sie durch die Rückbesinnung auf die Antike in Mode. Auch hatte das Lateinische den Vorteil einer stabilen Orthographie, während die Schreibung des Englischen noch nicht festgelegt war. Dennoch stieg das Verlangen nach englischer Literatur, wie die Arbeit an Bibelübersetzungen verdeutlicht. Im Anschluss an WYCLIFFE wurden theologische Schriften zunehmend auf Englisch verfasst, wodurch das Lateinische seine Exklusivität auf diesem bedeutenden Gebiet einbüßte.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts entbrannte die so genannte inkhorn debate (inkhorn = Tintenfass; dieses Symbol wurde gewählt, da sich die Auseinandersetzung auf die Literatursprache bezog). Puristen der englischen Sprache bezeichneten die lateinischen Entlehnungen als inkhorn terms und lehnten deren Verwendung ab. Denn die Ausuferung des Wortschatzes erforderte mittlerweile englisch-englische Lexika, um die eigene Sprache zu verstehen. Trotz des Widerstandes gegen lateinische Begriffe wurden in der Frühen Neuzeit viele im modernen Englisch unverzichtbare Wörter, insbesondere Verben, entlehnt: to adapt, atmosphere, to benefit, to emanzipate, to exist, expectation, expensive, to extinguish, insane, to meditate.
Einige der frühneuzeitlichen Lehnwörter haben ihre ursprüngliche Form behalten wie appendix, epitome, delirium. Andere wurden verändert, um sie der englischen Sprache anzugleichen. Aus dieser Phase der englischen Sprachgeschichte stammen beispielsweise die verbreiteten Adjektivendungen –ous (statt lat. –us bei conspicuous von conspicuus) und –al (statt lat. –us bei external von externus) oder das Suffix –ty bei Substantiven (statt lat. –tas bei brevity von brevitas).
Bemerkenswert ist auch, dass manche lateinische Wörter in der Frühen Neuzeit zum zweiten Mal eingeführt wurden: So gab es bereits seit der altenglischen Periode bishop und dish (abgeleitet von episcopus und discus), im Frühneuenglisch kamen die Neubildungen episcopal und disc hinzu. Oft erhielten Wörter lateinischen Ursprungs nach der zweiten Entlehnung auch andere Bedeutungen. Dies traf zum Beispiel auf das Adjektiv fastidious zu. Es wurde im 15. Jahrhundert im Sinne von proud, scornful (stolz, verächtlich) verwendet. Ein Jahrhundert später war es hingegen in der Bedeutung disgusting, distasteful (ekelerregend, widerlich) gebräuchlich und näherte sich damit wieder an seine ursprüngliche Bedeutung (fastidiosus = voll Ekel, ekelerregend) an.
Gegen Ende dieser Periode hat sich die englische Sprache gegenüber der lateinischen durchsetzen können. Dennoch blieb die Beherrschung des Lateinischen als internationales Kommunikationsmittel ein angesehenes Bildungs- und Erziehungsideal und war als beste Zugangsvoraussetzung zur klassischen Literatur unverzichtbar. Es ist das Verdienst von Dr. SAMUEL JOHNSON, im 18. Jahrhundert – nach Jahrzehnten theoretischer Diskussion – die Uneinheitlichkeit der englischen Sprache beseitigt zu haben: Mit seinem Dictionary of the English Language legte er 1755 einen ersten Standard in Bezug auf Schreibung, Grammatik und Sprachgebrauch fest.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von