Alexander von Humboldt – wissenschaftlicher Entdecker Amerikas

Der Universalgelehrte, Forschungsreisende und Humanist ALEXANDER VON HUMBOLDT (1769–1859) gilt als Begründer der modernen wissenschaftlichen Entdeckungsreisen. Sein vielseitiges Wirken und enzyklopädisches Wissen hatte mehrere Generationen junger Naturforscher zu eigenen Leistungen angeregt. Viele von ihnen hat HUMBOLDT mit Rat und Tat gefördert. Im Hause seines Bruders WILHELM (1767–1835) in Jena lernte ALEXANDER VON HUMBOLDT die Dichter FRIEDRICH SCHILLER (1759–1805) und JOHANN WOLFGANG GOETHE (1749–1832) kennen, SCHILLER war zugleich Historiker, GOETHE beschäftigte sich mit naturwissenschaftlichen Studien. Anregend auf HUMBOLDTS Naturkenntnis und Menschenbild wirkten weitere Gelehrte und Denker seiner Zeit wie der Göttinger Naturforscher JOHANN FRIEDRICH BLUMENBACH (1752–1840) sowie der Erdumsegler JOHANN GEORG FORSTER (1754–1794), den er auf einer Reise durch Teile Westeuropas begleitete. Die Begegnung mit FORSTER hatte großen Einfluss auf HUMBOLDTS „Hang nach der Tropenwelt“, aber noch mehr regten ihn botanische Studien an. Im weltoffenen London und auch in Amsterdam wurde HUMBOLDT die Enge seiner preußischen Heimatstadt schmerzlich bewusst. In London begegnete HUMBOLDT JOSEPH BANKS (1744–1820), der an der ersten Weltumseglung JAMES COOKS teilgenommen hatte. (FORSTER begleitete COOK auf dessen zweiter Weltreise in die Südsee.) BANKS leitete später den Königlichen Garten in England und war seit 1777 Präsident der Royal Society in London.

Sehnsucht nach tropischen Ländern

HUMBOLDT bekannte:

„Beschäftigung mit der Naturkunde und wissenschaftliche Zwecke hatten den Wunsch nach der Tropenwelt in mir erregt.“

Der „naturhistorische Eifer“ wurde durch das Treffen mit JOSEPH BANKS verstärkt.
Im fernen Bogotá sinnierte HUMBOLDT elf Jahre später:

„Ich wäre in die fernste Südsee geschifft, und hätte ich nie einen wissenschaftlichen Zweck erfüllt. Ich fühlte mich eingeengt, engbrüstig. Ein unbestimmtes Streben nach dem Fernen und Ungewissen, alles, was meine Phantasie stark rührte, die Gefahr des Meeres, der Wunsch, Abenteuer zu bestehen und aus einer alltäglichen Natur mich in eine Wunderwelt zu versetzen, reizten mich damals an. Dazu schien mir dies das einzige Mittel, sich dem Naturzustande zu nähern.“
(Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, S. 39-40)

WILLDENOW begeisterte ihn einst für die Botanik

Bereits nach seiner Forschungsreise durch Südamerika sandte HUMBOLDT einem Schweizer Freund autobiografische Notizen, in denen es u. a. hieß:

„Bis zum Alter von 16 Jahren hatte ich wenig Lust, mich mit den Wissenschaften zu befassen und wollte Soldat werden. Meine Eltern mißbilligten diese Neigung; ich mußte mich dem Finanzwesen widmen und habe nie in meinem Leben Gelegenheit gehabt, einen Kurs in Botanik oder in Chemie zu absolvieren; nahezu alle Wissenschaften, mit denen ich mich in der Gegenwart beschäftige, habe ich mir selbst und sehr spät angeeignet. Vom Studium der Pflanzen habe ich nicht sprechen gehört, bis ich 1788 Herrn Willdenows Bekanntschaft machte ...“
(Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, S. 50-51)

In der Höhenluft von Bogotá erinnerte sich HUMBOLDT daran, wie folgenreich für sein weiteres Leben die Bekanntschaft mit dem hervorragenden Berliner Botaniker CARL LUDWIG WILLDENOW (1765–1812) wurde, der bereits über die Pflanzenwelt in der näheren Umgebung publiziert hatte und dessen Onkel Direktor des Botanischen Gartens war; HUMBOLDT selbst hatte während seines Studiums in Frankfurt/Oder festgestellt, er besäße zu wenig „Pflanzenkenntnis“:

„Ich fand in Willdenow einen jungen Menschen, der damals unendlich mit meinem Wissen harmonierte. ... Er bestimmte mir Pflanzen, ich bestürmte ihn mit Besuchen. Ich lernte neue ausländische Pflanzen kennen. ... Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben die Palmen des botanischen Gartens, ein unendlicher Hang nach dem Anschauen fremder Produkte erwachte in mir. In 3 Wochen war ich ein enthusiastischer Botanist. Willdenow trug sich damals mit der Idee, eine Reise außerhalb Europas zu machen. Ihn zu begleiten, war der Wunsch, der mich tages und nachts beschäftigte.“
(Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, S. 54)

Krieg verhinderte Ägyptenreise

HUMBOLDTS ursprünglicher Plan, nach Ägypten , an den unteren Nil, und anschließend nach Syrien und Palästina zu reisen, scheiterte, weil NAPOLEON BONAPARTES Truppen in Ägypten einmarschierten. HUMBOLDT, der sich seit Mai 1798 in Paris aufhielt, erhielt eine Einladung, als Naturforscher an einer französischen Weltumseglung teilzunehmen. Der Kaperkrieg der Engländer gegen französische Schiffe verhinderte dieses Unternehmen, ein weiteres scheiterte an Geldmangel; weil der Krieg in Deutschland und Italien erneut ausbrach, zog die französische Regierung das schon bewilligte Geld zurück.

„Mit Kummer sah ich alle meine Aussichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich für mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht, da beschloß ich, nur so bald als möglich, wie es auch sei, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu unternehmen, das meinen Unmut zerstreuen könnte.“
An der auf unbestimmte Zeit verschobenen französischen Expedition sollte auch der Arzt und Botaniker AIMÉ BONPLAND teilnehmen. Humboldt lernte ihn damals kennen und bekannte später: „Diese Bekanntschaft war einer der glücklichen Zufälle meines Lebens.“
(Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, S. 58)

HUMBOLDT ließ sich vom Plan einer Entdeckungsreise nicht abbringen. So reisten er und BONPLAND nach Marseille, um nach Nordafrika überzusetzen und von dort aus Ägypten zu erreichen.

Sachsens Gesandter in Madrid und ein aufgeklärter Staatsminister

Erst als es bis Mitte Dezember keine Möglichkeit gab, nach Afrika zu kommen, begann HUMBOLDT über eine Amerikareise nachzudenken. Es war schließlich der sächsische Gesandte in Madrid, der sicher wusste, dass HUMBOLDT an der Bergakademie Freiberg studiert hatt und vielleicht kannte er auch Publikationen HUMBOLDTS aus dieser Zeit. Der sächsische Gesandte machte HUMBOLDT eine Andeutung, dass er „unter der Verwaltung eines aufgeklärten Ministers, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo, Aussicht habe“, auf eigene „Kosten im Innern des spanischen Amerika reisen zu dürfen“. HUMBOLDT bekannte später:

„Nach all den Widerwärtigkeiten, die ich erfahren, besann ich mich keinen Augenblick, diesen Gedanken zu ergreifen.“(Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, S. 67)

Und so empfahl Sachsens Gesandter in Madrid den preußischen Herrn von HUMBOLDT dem spanischen Ersten Staatssekretär, der gerade zwei Tage im Amt und ein Förderer der Wissenschaften war. Diesem gelang es, seinen König zu überzeugen, HUMBOLDT die Erlaubnis zu erteilen zu dessen amerikaspanischer Expedition. Der Staatssekretär und sein König müssen wohl geahnt haben, dass die wissenschaftliche Entdeckung des spanischen Amerika nur Vorteile für Alt-Spanien bringen konnte. Denn noch waren die riesigen Gebiete des Spanischen Amerika nicht erforscht und nicht bekannt, welche Naturschätze sie bargen.

Ein Pass für das spanische Amerika

Übrigens wusste URQUIJO, wem er die Einreiseerlaubnis in Spaniens Kolonien verschaffte. HUMBOLDT und er hatten sich 1790 in London kennengelernt.
Noch vor der Abfahrt aus La Coruña bemerkte HUMBOLDT, er habe bekommen,

„was Spanier selbst für unmöglich hielten, die vollste Erlaubnis, mit allen Instrumenten, wie ich will, in allen Spanischen Kolonien zu arbeiten, zu messen.“

Und seinem Berliner Freund WILLDENOW teilte er aus Havanna mit:

„In den Ländern, in denen kein Gemeinsinn herrscht, und in denen alles nach Willkür gelenkt wird, entscheidet die Gunst des Hofes alles. Das Gerücht, daß ich von der Königin und dem König von Spanien persönlich ausgezeichnet worden bin, die Empfehlungen eines neuen, allmächtigen Ministers erweichen alle Herzen.“ (Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, S. 175-176)

Natur, Geschichte und Gesellschaft

Der universelle Naturforscher war Wegbereiter der modernen wissenschaftlichen Geografie. HUMBOLDT begründete

  • die physische Erdbeschreibung und
  • die Pflanzengeografie; in seinen Schriften finden sich
  • völkerkundliche Beobachtungen und Notizen.

Weltruhm erwarb HUMBOLDT durch seine fünf Jahre währende Reise in die Äquinoktialgegenden des Neuen Kontinents (1799 bis 1804). Diese Reise nach Mittel- und Südamerika, auf der ihn der französische Arzt und Botaniker AIMÉ BONPLAND begleitete, begründete HUMBOLDTS Ruf als zweiter KOLUMBUS, als Wiederentdecker Lateinamerikas.
HUMBOLDT war nicht der erste Forschungsreisende in Lateinamerika und auch nicht der einzige zu jener Zeit, aber sein Forschungsprogramm und dessen Ergebnisse waren am umfassendsten. Wie kein anderer hat er die von ihm bereisten Gebiete als Ganzes von

  • Natur,
  • Geschichte und
  • Gesellschaft

beobachtet, gemessen, was zu messen war, beschrieben und einer eingehenden Analyse unterzogen. HUMBOLDT interessierte

  • die Tier- und Pflanzenwelt, ihn beschäftigte
  • das Klima und
  • der Charakter der Landschaft, er stieg auf
  • Vulkane, dachte über
  • Meeresströmungen und
  • Bodenschätze nach, führte
  • Höhenmessungen und
  • geografische Ortsbestimmungen durch

und vieles andere mehr. Mit der Auswertung seiner Forschungsreise bereicherte HUMBOLDT das Wissen der Bürger der damals jungen lateinamerikanischen Staaten über ihre eigenen Länder.

Er interessierte sich nicht nur für die Erscheinungen der Natur, sondern auch für die gesellschaftlichen Verhältnisse der Länder, die er bereiste. Er trat ein für die Gleichberechtigung der Rassen und die Abschaffung der Sklaverei. Er war erfüllt von den Maximen der Französischen Revolution, die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verkündeten. SIMÓN BOLÍVAR (1783–1830), der an der Spitze des antikolonialen Kampfes in Lateinamerika (1810–1824) stand, nannte ALEXANDER VON HUMBOLDT den wahren Entdecker des spanischen Amerika. HUMBOLDT habe die Neue Welt mehr zu verdanken als allen Konquistadoren.
HUMBOLDT stand am Beginn einer neuen Epoche der Entdeckungsgeschichte. Es begann für Lateinamerika eine zweite, eine wissenschaftliche Entdeckung und Erschließung. Zweifellos wurde HUMBOLDTS Forschungsreise durch die Tatsache begünstigt, dass Lateinamerika in diesen Jahren nicht im Mittelpunkt von Entdeckungen und Eroberungszügen europäischer Mächte stand.

Vom Orinoko zum Amazonas

Die Flussgabelung
Für HUMBOLDT war der Orinoko der „eigentliche Schlüssel von Südamerika“:

„Wer Meister des Orinoko ist, dringt leicht in die Provinzen Cumaná, Caracas, Barinas, ja durch den Río Meta bis Santa Fé de Bogotá ein. Durch diesen Strom kann man Ideen in Südamerika schnell in Umlauf bringen, Ideen und Waren ...“ (Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 86)

HUMBOLDT erkundete das Stromgebiet des Orinoko im nordöstlichen Südamerika. Von dort aus unternahm er einen Vorstoß zum Amazonas und wies dabei nach, dass Orinoko und Amazonas samt ihrer Nebenflüsse über die Flüsse Río Negro und Casiquiare miteinander verbunden sind. HUMBOLDTS Forschungen gaben den Anstoß zur umfassenden wissenschaftlichen Erforschung dieses größten Stromgebiets der Erde, der Erkundung der

  • Geografie,
  • Geologie und
  • klimatischer Verhältnisse,
  • des Lebens der Urwaldindianer,
  • der Fauna und
  • Flora dieses Gebietes.

Ein schiffbarer Naturkanal

„Seit ich den Orinoko und den Amazonenstrom verlassen habe, bereitet sich für die gesellschaftlichen Verhältnisse der Völker des Okzidents eine neue Ära vor. Auf den Jammer der bürgerlichen Zwiste werden die Segnungen des Friedens und eine freiere Entwicklung aller Gewerbetätigkeit folgen. Da wird denn die europäische Handelswelt jene Gabelteilung des Orinoko, jene Landenge am Tuamini, durch die so leicht ein künstlicher Kanal zu ziehen ist, ins Auge fassen. Da wird der Casiquiare, ein Strom so breit wie der Rhein und einhundertachtzig Seemeilen lang, nicht mehr umsonst eine schiffbare Linie zwischen zwei Strombecken bilden, die 190 000 Quadratmeilen Oberfläche haben. Das Getreide aus Neu-Granada wird an die Ufer des Río Negro kommen, von den Quellen des Napo und des Ucayali, von den Anden Quitos und Ober-Perus wird man zur Mündung des Orinoko hinabfahren, und dies ist so weit wie von Timbuktu nach Marseille. Ein Land, neun- bis zehnmal größer als Spanien und reich an den mannigfaltigsten Produkten, kann durch den Naturkanal des Casiquiare und die Gabelteilung der Flüsse nach allen Richtungen hin befahren werden. Eine Erscheinung, die eines Tages von bedeutendem Einfluß auf die politischen Verhältnisse der Völker sein muß, verdiente es gewiß, daß man sie genau ins Auge faßt.“
(Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 150-151)

Unter Krokodilen und Moskitos

Über die Zeit in den Urwäldern am Orinoko schrieb HUMBOLDT am 21. Februar 1801 aus Havanna an einen Freund nach Berlin:

„Vier Monate hindurch schliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Tigern [Jaguaren] (die hier selbst Kanus anfallen), nichts genießend als Reis, Ameisen, Maniok, Pisang, Orinokowasser und bisweilen Affen ... an Händen und Gesicht von Moskitostichen geschwollen. In der Guayana, wo man wegen der Moskitos, die die Luft verfinstern, Kopf und Hände stets verdeckt haben muß, ist es fast unmöglich, am Tageslicht zu schreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, so wütend schmerzt das Gift dieser Insekten.“ (Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, S. 174-175)

Wie man sich verständigte

HUMBOLDT und BONPLAND sprachen beide Spanisch. Doch in dem Völkergewirr am Orinoko waren sie auf die Hilfe von Dolmetschern angewiesen, Indianer, die sie beim Botanisieren begleiteten. Diese verstanden wohl Spanisch, „aber sie können es nicht recht sprechen“. Und so bedienten sich die Forscher auch öfter der Zeichensprache. Natürlich wusste HUMBOLDT, „daß der unmittelbare Verkehr mit den Eingeborenen belehrender und sicherer ist als der mittels des Dolmetschers“. Doch

„sind der Mundarten so unglaublich viele, daß der Reisende selbst mit dem bedeutendsten Sprachtalent nie so viele sich aneignen könnte, um sich verständlich zu machen. In Peru und Quito kommt man mit der Kenntnis der Quechua- oder Inkasprache aus; man kann sich wenigstens der Mehrzahl der Bevölkerung verständlich machen. Hier wäre es nicht einmal genug, wenn man zehn Sprachen verstünde, von denen es nur ganz rohe Sprachlehren gibt und die untereinander weniger verwandt sind als Griechisch, Deutsch und Persisch.“ (Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 113)

Wie Misstrauen und Hass zwischen Völkern entstanden

Wir finden bei HUMBOLDT des Nachdenkens werte Äußerungen über die Entstehung von Misstrauen und Hass zwischen den Völkern.
Der „unermeßliche Landstrich zwischen dem Äquator und dem achten Breitengrad“ ist nur ein Wald (er ist keine weite, offene Ebene, er ist auch kein Hochland wie in Mexiko). In diesem einen Wald, in dem Flüsse die einzigen Verkehrswege waren, zerstreuten sich

„die Horden, indem sie den Flußverzweigungen nachzogen, und die Beschaffenheit des Bodens nötigte sie mehr oder weniger, Ackerbauern zu werden. So wirr ist das Labyrinth der Flüsse, daß die Familien sich niederließen, ohne zu wissen, welche Menschenart zunächst neben ihnen wohnte. In Spanisch-Guayana trennt zuweilen ein Berg, eine halbe Meile breiter Forst Horden, die zwei Tage zu Wasser fahren müßten, um zusammenzukommen. So wirken denn in offenen oder in der Kultur schon vorgeschrittenen Ländern Flußverbindungen schon mächtig auf Verschmelzung der Sprachen, der Sitten und der politischen Einrichtungen; dagegen in den undurchdringlichen Wäldern des heißen Landstrichs, wie im rohen Urzustand unseres Geschlechts, zerschlagen sie große Völker in Bruchstücke, lassen sie Dialekte zu Sprachen werden, die wie grundverschieden aussehen, nähren sie das Mißtrauen und den Haß unter den Völkern. Zwischen dem Caura und dem Padamo trägt alles den Stempel der Zwietracht und der Schwäche. Die Menschen fliehen einander, weil sie einander nicht verstehen; sie hassen sich, weil sie einander fürchten.“ (Beiderseits des Amazonas, S. 72-73)

Althergebrachte Vorurteile und Kartografie

Misstrauen und Hass zwischen den Völkern, erklärte HUMBOLDT, haben nicht allein mit unterschiedlicher Herkunft, ihrer Lebensweise sowie dem Entwicklungsstand der Kultur zu tun. Dort, wo Hass zwischen den Völkern stark ausgeprägt war,

„erscheint er als die Folge geographischer Verhältnisse und der damit gegebenen widerstreitenden Interessen. Man verabscheut sich etwas weniger, wenn man weit auseinander ist und bei wesentlich verschiedenen Sprachen gar nicht in Versuchung kommt, miteinander zu verkehren.“ (Beiderseits des Amazonas, S. 88)

Das war auch die Erfahrung, die HUMBOLDT auf seiner Forschungsreise machte, u. a. im Urwald am Orinoko. Er stellte fest, dass Nationalhass, der sich über Jahrhunderte uneingeschränkt erhalten hat, jede Gelegenheit nutzt, um wieder neu aufzuleben. Dieser „eifersüchtige Neid“, gegründet auf „althergebrachten Vorurteilen“, ist HUMBOLDT zufolge

„nicht ohne Einfluß auf den Umstand gewesen, daß unsere geographische Kunde von den Nebenflüssen des Amazonenstromes bis jetzt so mangelhaft ist. Wenn der Verkehr unter den Eingeborenen gehemmt ist und die eine Nation an der Mündung, die andere im obern Flußgebiet sitzt, so fällt es den Kartenzeichnern sehr schwer, genaue Erkundigungen einzuziehen.“ (Beiderseits des Amazonas, S. 89)

Das Pfeilgift Curare

HUMBOLDT brachte als Erster gesicherte Informationen über das indianische Pfeilgift Curare nach Europa. Curare wird heute in der Medizin gegen Starrkrampf und bei Narkosen eingesetzt. HUMBOLDT fand die Pflanze, von der das Gift gewonnen wird, im Urwald am oberen Orinoko:

„Wir mußten durch eine Menge Bäche waten, und es ist dabei wegen der Nattern, von denen die Sümpfe wimmeln, einige Vorsicht nötig. Die Indianer zeigten uns auf dem nassen Ton die Fährte der kleinen schwarzen Bären, die am Temi so häufig vorkommen.
Im Weitergehen kamen wir auf einige Lichtungen im Wald, der uns desto reicher erschien, je zugänglicher er wurde. Wir fanden neue Arten von Coffea [Kaffeestrauch]..., die Galega piscatorum, deren sowie der Jacquinia und einer Pflanze mit zusammengesetzter Blüte vom Rio Temi die Indianer sich als Barbasco bedienen, um die Fische zu betäuben, endlich die ... Liane, von der das vielberufene Gift Curare kommt.“
(Beiderseits des Amazonas, S. 77)

HUMBOLDT hatte Gelegenheit, einem örtlichen „Chemiker“ bei der Herstellung des Curare zuzusehen. Die klebrige, an Teer oder dicken Sirup erinnernde Masse, mit der die Indianer ihre Blasrohr-Pfeile vergifteten, wenn sie kleine Affen und Vögel jagten, bedrohte beinahe auch HUMBOLDTS Leben.

„Das Curare hatte Feuchtigkeit angezogen, war flüssig geworden und aus dem schlecht verschlossenen Gefäß über unsere Wäsche gelaufen. Beim Waschen vergaß man einen Strumpf innen zu untersuchen, der voll Curare war, und erst, als ich den klebrigen Stoff mit der Hand berührte, merkte ich, daß ich einen vergifteten Strumpf angezogen hatte. Die Gefahr war desto größer, als ich gerade an den Zehen blutete, weil mir Sandflöhe schlecht ausgegraben worden waren.“
(Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 155)

HUMBOLDT hatte auf seiner Reise zum Amazonas zu seinem Glück, wie sich später herausstellte, die Grenze des spanischen Amerika nie überschritten; in Brasilien lag ein Haftbefehl gegen ihn vor.

Im versunkenen Reich der „Sonnensöhne“

Schriftlich überlieferte Geschichte
Auf dem Wege von Quito nach Lima machte Humboldt zufällig eine „höchst merkwürdige Entdeckung“. Er machte die Bekanntschaft eines gebildeten Indianers, der indianische Handschriften besaß, in denen einer seiner Vorfahren aus dem 16. Jahrhundert die Geschichte der Provinz Quito vor ihrer Eroberung durch den Inka TÚPAC YUPANQUI darstellte. Verfasst wurden die Handschriften in der zu jener Zeit gesprochenen Indianersprache, die nachher der Sprache der Inka, dem Quetschua, weichen musste und nun, als HUMBOLDT in Quito weilte, völlig verschwunden war. Doch zum Glück hatte ein anderer Vorfahr des jetzigen Besitzers diese Memoiren ins Spanische übersetzt.
Dieses Handschriftenmanuskript, des Weiteren indianische Sagen, die HUMBOLDT sammelte, schliesslich Hieroglyphen, die er am Casiquiare sah, wo zu seiner Zeit keines Menschen Spur zu finden war, darüber hinaus Veröffentlichungen über die Wanderungen der Mexikaner in das südliche Amerika waren HUMBOLDT Anlass, über den Ursprung der kupferfarbenen Menschen nachzudenken.

Reichtum indianischer Sprachen

HUMBOLDT beschäftigte sich mit dem Studium indianischer Sprachen und fand das Urteil anderer Forscher über eine angebliche Ausdrucksarmut der Sprachen der Ureinwohner Amerikas nicht bestätigt. Die karibische Sprache zum Beispiel, so führt HUMBOLDT an, verbinde

„Reichtum, Anmut, Kraft und Zartheit. Es fehlt ihr nicht an Ausdrücken für abstrakte Begriffe. Sie kann von Zukunft, Ewigkeit, Existenz und so weiter reden und hat Zahlwörter genug, um alle möglichen Kombinationen unserer Zahlzeichen anzugeben. Vorzüglich lege ich mich auf die Inkasprache; sie ist die gewöhnliche hier (zu Quito, Lima und so weiter) in der Gesellschaft und ist so reich an feinen und mannigfachen Wendungen, daß die jungen Herren, um den Damen Süßigkeiten vorzusagen, gemeiniglich Inka zu sprechen anfangen, wenn sie den ganzen Schatz des Kastilischen erschöpft haben.
Diese zwei Sprachen und einige andere gleich reiche könnten allein genügen, sich zu überzeugen, daß Amerika einst eine weit höhere Kultur besaß, als die Spanier 1492 dort fanden.“ (Im Banne der Anden, S. 105)

Inkastraßen

In fast 4 500 m Höhe fand HUMBOLDT

„die Ruinen des prächtigen Inkaweges“.

Die alte Straße der Inka war aus behauenen Steinen gebaut und verlief schnurgerade, und er erfuhr, man glaube, dass sie bis nach der Stadt Cuzco geführt habe. Humboldt meinte, die alte Inkastraße gleiche

„den schönsten Wegen der alten Römer“,

deren höchstgelegene Heerstraßen er in Italien, Frankreich und Spanien gesehen habe.

Forscherfüße bluten, Maultiere versinken im Morast: alles für die Botanik

Aus Briefen an den Bruder WILHELM:

  • „Von Honda steigt man 1370 Toisen aufwärts nach Santa Fé de Bogotá. Der Weg zwischen den Felsen – kleine eingehauene Treppen, nur 18 bis 20 Zoll breit, so daß die Maultiere nur mit Mühe ihren Leib durchbringen - ist über alle Beschreibung schlecht...“ (Im Banne der Anden 93)
  • „Am westlichen Abhange der Anden gibt es Sümpfe, wohin man bis an die Knie sinkt. Das Wetter hatte sich geändert, es regnete stromweise in den letzten Tagen, unsere Stiefel faulten uns am Leibe, und wir kamen mit nackten und blutrünstigen Füßen zu Cartago an, aber mit einer schönen Sammlung neuer Pflanzen bereichert, wovon ich eine Menge Zeichnungen mitbringe...“
    „Dicke Wälder liegen zwischen Morästen. Die Maultiere sinken bis an den Leib ein, und man muß durch so tiefe und enge Schlüfte, daß man in Stollen eines Bergwerkes zu kommen glaubt. Auch sind die Wege mit den Knochen der Maultiere gepflastert, die hier vor Kälte oder aus Mattigkeit umfielen.“
  • „die den wildesten Charakter tragen und die Seele mit Bewunderung und Schauder erfüllen“. (Im Banne der Anden S. 97/98)

MÚTIS – LINNÉs Schüler in Bogotá

Mutis hatte uns ein Haus in seiner Nähe einrichten lassen und behandelte uns mit ausnehmender Freundschaft. Er ist ein ehrwürdiger alter Geistlicher von beinahe 72 Jahren - und ein reicher Mann.
Der König zahlt für die botanische Expedition hierselbst jährlich 10000 Piaster. Seit fünfzehn Jahren arbeiten 30 Maler bei Mutis; er hat 2 bis 3000 Zeichnungen in Großfolio, welche Miniaturgemälde scheinen. Nächst der Banksischen in London habe ich nie eine größere Bibliothek als die Mutisische gesehen.“
(Im Banne der Anden S. 94-95)

Auch in HUMBOLDTS großem Reisewerk finden wir Zeichnungen von exotischen Pflanzen. BONPLAND zählte in Lima 3 374 Beschreibungen von Pflanzen als wissenschaftliche Ausbeute der bisherigen Expedition auf botanischem Gebiet.
Der greise spanische Botaniker JOSÉ CELESTINO MÚTIS (1732–1808), war ein Schüler des schwedischen Naturforschers KARL VON LINNÉ (1707–1778). MÚTIS lebte seit vielen Jahren in Bogotá. Als HUMBOLDT ihn aufsuchte, hatte er gerade eine Abhandlung über die Flora dieses Gebietes beendet.

Aufstieg auf den Chimborazo

Von Quito aus bestieg HUMBOLDT einige Gipfel der Anden. Es war eine Landschaft der Vulkane und Erdbeben. HUMBOLDT nahm auch die Besteigung des rund 6 300 m hohen Chimborazo in Angriff. Dieser Berg wurde lange Zeit für den höchsten der Erde oder wenigstens für den höchsten Amerikas gehalten. Ihn konnte HUMBOLDT im Jahre 1802 bis in 5 881 m Höhe besteigen; eine Höhe, die bis dahin kein Forscher erreicht hatte; etwa 400 m unterhalb des Gipfels mussten HUMBOLDT und seine Begleiter umkehren.
In 4 340 m Höhe begann

„der nackte Fels zutage zu treten, in einer seltsam schwammigen Art, fast wie Koks. Hier stieg ich vom Maultier, und wir marschierten über viereinhalb Stunden im Schnee. Unsere Begleiter blieben bis zur Grenze des ewigen Schnees im Sattel. Versteinert von der Kälte ließen sie uns im Stich; nur Bonpland, Carlos Montúfar und drei Indios mit dem Barometer und anderen Instrumenten folgten mir weiter. Die Indios blieben auf nahezu 5000 Metern schließlich auch zurück, trotz aller unserer Vorhaltungen. Sie versicherten, vor Atemnot sterben zu müssen, und dabei hatten sie uns noch vor wenigen Stunden mitleidig betrachtet und gesagt, allein würden die Weißen es nicht bis zum Schnee hinauf schaffen. ...
Wir stiegen weiter, der Grat flachte ab, aber die Kälte nahm mit jedem Schritt zu. Wir litten rasend unter Atemnot, und noch schlimmer quälte uns der Brechreiz. Ein Bauer aus San Juan, der uns besten Willens folgte, ein sehr robuster Mann, versicherte, er habe sich sein Leben lang nicht so schlecht im Magen gefühlt. Außerdem bluteten wir aus dem Zahnfleisch, aus den Lippen, das Weiß unserer Augäpfel war blutunterlaufen. ... Wir fühlten Kopfschwäche, einen dauernden, in unserer Situation sehr gefährlichen Schwindel. Der Nebel wurde undurchdringlich.“

(Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 299, 300)

CARLOS MONTÚFAR

Zu HUMBOLDTS Begleitern bei diesen Unternehmungen gehörte außer BONPLAND ein junger Kreole, CARLOS AGUIRRE Y MONTÚFAR (1778–1816), der Sohn seines spanischen Gastgebers. MONTÚFAR, „ein trefflicher, lernbegieriger junger Mann“, wie HUMBOLDT später schrieb, war so begeistert von HUMBOLDT und BONPLANDS Forscherdrang, dass er mit ihnen nach Mexiko, Kuba, die USA und nach Paris reiste. Nach Lateinamerika zurückgekehrt, reihte sich CARLOS MONTÚFAR in die Unabhängigkeitsbewegung ein; er wurde von einem spanischen Exekutionskommando hingerichtet.

Über den Einfluss der Geografie auf die menschliche Kultur

„Die Konquistadoren staunten nicht wenig, als sie auf das hohe Plateau der Llanos von Bogotá kamen und statt der nackten Menschen, die sie um Santa Marta und an der Mündung des Río Magdalena gefunden hatten, die Indianer in feine baumwollene, gewebte Zeuge gekleidet sahen. Die Ruanas [Ponchos] sind indianische Erfindung. Kälte zwang die Chibchas zur Arbeit, zur Bekleidung. Die Äcker mit Mais, Reismelde, Kartoffeln wurden auf den Gebirgen sorgfältiger bestellt als in der wärmeren Ebene, wo die Natur alles von selbst hervorbringt und man kaum die Erde umzuwühlen braucht. Not zwingt zur Arbeit, Kälte ist Not, und die Untermischung kalter, unfruchtbarer Erdstriche, zweitausend Meter hoher Plateaus mitten unter die fruchtbarsten Tropenländer hat gewiß den größten Einfluß auf die Menschenkultur in Amerika gehabt. Auch sehen wir im neuen Kontinent, daß vor der Conquista in den Ländern, wo kalte und heiße Erdstriche abwechseln – Neu-Granada, Mexiko, Peru – , die Einwohner zu höherer Geisteskultur gelangt waren als in den heißen einförmigen Ebenen von Guayana, Caracas, am Orinoko, Río Negro und Río Marañón, wo die Natur unerzwungen alles von selbst erzeugt und wo die Gebirge nicht hoch genug sind, um ihre Bewohner zu Arbeit und Bekleidung zu zwingen. Solchen Einfluß auf Menschenglück und Menschenbildung hat die Unebenheit der Erdfläche, dies ist der moralische Einfluß der Berge!“
(Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 233)

Auf den Spuren des Aztekenreiches in Mexiko

Günstige Erzlagerstätten
HUMBOLDT entwarf in „rohen Zügen“ ein Wortgemälde der Kordillere von Neuspanien. Dabei machte er auf einen bis dahin wenig beachteten, aber für „die Fortschritte der Nationalindustrie wichtigen Vorteil aufmerksam. Dieser Vorteil ergab sich

„aus der mittleren Höhe, auf welcher die Natur in Neuspanien den großen Reichtum metallischer Schätze vergraben hat. In Peru liegen die vornehmsten Silberbergwerke, die von Potosi, Pasco und Chota, weit über den Wolkenschichten nahe bei der Grenze des ewigen Schnees. Um sie zu bearbeiten, müssen Vieh und Lebensmittel aus der Ferne herbeigeschafft werden. Dazu bieten Städte auf den hohen Gebirgsrücken mitten in Gegenden, wo das Wasser nachts das ganze Jahr hindurch gefriert und wo kein Fruchtbaum gedeiht, den Menschen eben keinen einladenden Aufenthalt dar.
Nur die Hoffnung, sich zu bereichern, kann den freien Mann bewegen, die Küste oder den milden Himmelsstrich der Gebirgstäler zu verlassen, um sich auf dem einsamen Rücken der peruanischen Andenkette einsam anzusiedeln. In Neuspanien findet man die ergiebigsten Erzniederlagen, die von Guanajuato, Zacatecas, Tasco und Real del Monte, auf einer mäßigen Höhe von 1700 bis 2000 m. Sorgsam bebaute Felder, volkreiche Städte und Dörfer umgeben indiesem gesegneten Länderstriche die Erzgruben. Wälder bekränzen die Gipfel der benachbarten Berge; alles erleichtert daselbst die Ausbeute der unterirdischen Schätze.“
(Durch das Land der Azteken, S. 72-73)

Aber die Natur hatte Neuspanien nicht nur begünstigt. Es mangelte, wie in Altspanien, an Wasser und schiffbaren Strömen.

In Hieroglyphen gemalte und in Stein gehauene Geschichte

Obwohl die genaue Herkunft der Azteken ungewiss ist, so haben doch ihre Hieroglyphen-Gemälde

„das Andenken an die Hauptepochen der großen amerikanischen Völkerwanderung überliefert“.

Sie sei derjenigen ähnlich, „welche Europa im fünften Jahrhundert in einen Zustand von Barbarei gestürzt“ habe. Doch die Völker, „welche Mexiko durchzogen, ließen daselbst Spuren von Zivilisation und Kultur zurück.“
HUMBOLDT verwies auf

Überbleibsel von Denkmalen mexikanischer Architektur, welche einen schon auffallend vorgerückten Zivilisationsstand verraten“, in der Nähe von Oaxaca. (Durch das Land der Azteken, S. 82-83)

Um nun die Geschichte der Ureinwohner Neuspaniens zu schreiben, dürfe man die Indianer nicht

„nur in ihrem gegenwärtigen Zustande von Geistesversunkenheit und Elend schildern“,

sondern müsste sich der „entfernteren Epoche“ zuwenden, als die Indianer noch

„unter der Herrschaft ihrer eigenen Gesetze all ihre eigentümliche Energie entwickeln“

konnten.

„Man müßte die hieroglyphischen Gemälde, ihre Bauten von gehauenen Steinen und ihre Bildhauerarbeiten untersuchen, die sich erhalten haben und, wenn sie auch schon noch die Kindheit der Kunst verraten, dennoch auffallende Ähnlichkeiten mit mehreren Denkmalen der zivilisiertesten Völker zeigen.“ (Durch das Land der Azteken, S. 88-89)

Die kupferfarbenen Menschen

Über die kupferfarbenen Menschen berichtete HUMBOLDT:

„Man erstaunt beim ersten Blick über die Ähnlichkeit der Züge in den Gesichtern der Bewohner von 1 ½ Millionen Quadratmeilen Landes, nämlich von den Feuerlandinseln bis zum St.-Lorenz-Fluss und der Beringsenge, und glaubt es ganz deutlich zu sehen, daß sie sämtlich, trotz all der ungeheuren Verschiedenheit ihrer Sprachen, aus einer Wurzel abstammen.“ (Durch das Land der Azteken, S. 89)

Betrachtet man diese Menschen jedoch genauer, so lassen sich doch jede Menge Unterschiede feststellen, besonders dann, wenn man, wie HUMBOLDT, längere Zeit unter den Ureinwohnern gelebt hat. HUMBOLDT verweist darauf, dass den Europäern zunächst auffällt, dass ihre Hautfarbe von der der anderen Rasse verschieden ist, bevor sie unter den Menschen anderer Hautfarbe unterschiedliche individuelle Züge ausmachen.

„Überdies ist der Europäer bei seinem Urteil über die große Ähnlichkeit der Rassen mit schwarzbrauner Haut einer besonderen Täuschung ausgesetzt, indem er sich durch eine von der unsrigen so verschiedene Hautfarbe überrascht findet und die Gleichstimmigkeit des Kolorits die Verschiedenheit der individuellen Züge lange Zeit in seinen Augen verschwinden macht.“ (Durch das Land der Azteken, S. 90)

Indianische Geschichte vor Kolumbus

Aber es ist schwer, die aztekische Geschichte vor KOLUMBUS richtig zu beurteilen, wenn man nur die jetzigen Indianer sieht, geknechtet, erniedrigt. Als die spanischen Eroberer kamen,

„wurden die wohlhabendsten Indianer, bei denen man eine gewisse intellektuelle Kultur vermuten konnte, größtenteils die Opfer europäischer Grausamkeit. Besonders wütete der christliche Fanatismus aber gegen die aztekischen Priester; man vertilgte alle ... die man als die Bewahrer der historischen und astronomischen Kenntnisse des Landes ansehen konnte...
Die Mönche ließen sogar die hieroglyphischen Bilder verbrennen, durch welche alle Art Kenntnisse von Generation zu Generation verpflanzt wurden. Nachdem das Volk dieser Unterrichtsmittel beraubt war, verfiel es in eine um so tiefere Unwissenheit, da die Missionare die mexikanischen Sprachen nur sehr schlecht verstanden und daher die alten Ideen durch wenige neue zu ersetzen vermochten. Die indianischen Frauen, welche noch einiges Vermögen gerettet hatten, verheirateten sich lieber mit den Eroberern, als daß sie die Verachtung teilten, welche man gegen die Indianer hatte, und die spanischen Soldaten strebten um so mehr nach dergleichen Verbindungen, da nur sehr wenige Europäerinnen der Armee gefolgt waren.“
(Durch das Land der Azteken, S. 95)

Rätselhafte Geschichte der alten Mexikaner

HUMBOLDT dachte über die rätselhafte Geschichte der Azteken nach:

„Findet man indes, daß die Eingeborenen eine genaue Kenntnis der Länge des Jahres hatten und daß sie am Ende ihres großen Cyklus von 104 Jahren genauer als die Griechen, Römer und Ägypter interkalierten, so möchte man glauben, daß diese Fortschritte nicht die Wirkung einer intellektuellen Entwicklung der Amerikaner selbst gewesen, sondern daß sie sie ihrer Verbindung mit irgendeinem sehr gebildeten Volke von Mittelasien verdanken. Die Tolteken erschienen im 7. und die Azteken im 12. Jahrhundert in Neuspanien, sie nehmen bereits eine geographische Karte von dem Lande auf, das sie durchzogen haben, bauen Städte, Straßendämme, Kanäle und ungeheure Pyramiden, welche völlig richtig gegen die vier Weltgegenden gestellt sind und deren Basis 438 m Länge hat.“ (Durch das Land der Azteken, S. 97)

Aztekische Handschriften

Der Naturforscher bewunderte die Bildung der Azteken , die in aztekischen Hieroglyphenbüchern nachvollzogen werden kann:

„Wie kann man überhaupt daran zweifeln, daß ein Teil der mexikanischen Nation einen gewissen Grad an Bildung erreicht hatte, wenn man den Fleiß bedenkt, mit welchem die hieroglyphischen Bücher abgefaßt waren, und sich erinnert, daß ein Bürger von Tlaxcala, mitten unter dem Waffengeräusch, die Bequemlichkeit unseres römischen Alphabetes benutzte, um in seiner Sprache fünf dicke Bände über die Geschichte seines Vaterlandes zu schreiben, dessen Unterjochung er beweinte.“ (Durch das Land der Azteken, S. 98-99)

„Die aztekischen Handschriften sind entweder auf Papier von Agaven oder auf Hirschhäuten geschrieben und oft 20 bis 22 cm lang. Jede Seite hat 7 bis 10 qcm Flächeninhalt. Diese Handschriften sind hie und da rautenförmig eingebogen, und sehr dünne, hölzerne Brettchen, welche an den äußersten Enden befestigt sind, machen ihren Einband und geben ihnen Ähnlichkeit mit unseren Quartbänden. Keine Nation des Altertums, welche wir kennen, hat einen so ausgebreiteten Gebrauch von der Hieroglyphenschrift gemacht; keine zeigt uns wirkliche gebundene Bücher, wie wir sie soeben beschrieben haben. Mit diesen Büchern muß man indes andere aztekische Malereien mit den nämlichen Zeichen, aber in Tapetenform von 63 qcm nicht verwechseln. Ich habe mehrere in den Archiven des Vizekönigs von Mexiko gesehen und besitze selbst einige Fragmente, welche ich in dem malerischen Atlas stechen ließ, der den historischen Bericht von meiner Reise begleitet.“ (Durch das Land der Azteken, S. 98)

Erforschung der indianischen Ureinwohner und ihrer Geschichte

HUMBOLDT und andere humanistische deutsche Forschungsreisende „trugen viel ethnografisches und historisches Material über die alteingesessenen Indianer zusammen“. Sie erkannten, dass das alte Amerika vielhundertjährige Traditionen besaß. Bis zu HUMBOLDTS Zeit wurden die Indianer weitgehend als geschichtslos angesehen. Die Forscher entdeckten wesentliche Ursachen, die die Entwicklung der indianischen Völker hemmten oder begünstigten.
Zu den großen Verdiensten ALEXANDER VON HUMBOLDTS gehört es, entscheidende Impulse gegeben zu haben zur Erforschung der amerikanischen Ureinwohner und ihrer Vergangenheit. Er lieferte auch selbst viele Beiträge. HUMBOLDT berichtete von den „schwachen Überbleibseln“ der Kunst und des Gewerbefleißes der Bewohner aus vorkolumbianischer Zeit, die „unserer besonderen Aufmerksamkeit würdig“ seien.

„Überzeugt von dieser Wahrheit“, bekannte HUMBOLDT, „habe ich daher auf meinen Reisen alles gesammelt, was mich tätige Wißbegierde in einem Lande entdecken ließ, wo während ganzer Jahrhunderte von Barbarei die Intoleranz alles, was auf die Sitten und den Gottesdienst der alten Bewohner Bezug hatte, zerstörte; wo man Gebäude niederriß, bloß um die Steine derselben zu benutzen oder auch nach verborgenen Schätzen zu forschen.“ (Im Banne der Anden, S. 89)

Es mangelte an geschichtlicher Überlieferung. Die europäischen Kolonien in Amerika

„sind fast durchweg in Ländern angelegt worden, in denen die dahingegangenen Geschlechter kaum eine Spur ihres Daseins hinterlassen haben.“ (Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 51)

„In Peru, in Guatemala und in Mexiko sind allerdings Trümmer von Gebäuden, historische Malereien Zeugen der alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer ganzen Provinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von der Geschichte der Inkas und der mexikanischen Fürsten haben. Der Eingeborene hat seine Sprache, seine Tracht und seinen Volkscharakter behalten. Aber seit man die Knotenschrift und die symbolischen Malereien nicht mehr anwendet, seit das Christentum eingeführt wurde und durch andere Umstände sind die geschichtlichen und religiösen Überlieferungen allmählich untergegangen.“ (Alexander von Humboldt: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 52)

Als HUMBOLDT seinen mehrbändigen Bericht über Mexiko vorlegte, schloss er diesen mit den Worten:

„Möchte diese Arbeit, die in der Hauptstadt Neu-Spaniens begonnen wurde, denen nützlich werden, die berufen sind, über die Wohlfahrt des Landes zu wachen; möchte es sie besonders mit der wichtigen Wahrheit durchdringen können, daß das Wohl der Weißen eng an das der roten Rasse (la race cuivré) gebunden ist und daß es in beiden Amerika kein dauerhaftes Glück geben kann, als insofern die gedemütigte, aber durch lange Unterdrückung erniedrigte Rasse nicht an den Errungenschaften teilnehmen wird, die aus den Fortschritten der Zivilisation und der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Ordnung resultieren.“ (Durch das Land der Azteken, S. 8)

Jahre für die Auswertung

In New York traf HUMBOLDT mehrmals mit dem Präsidenten der noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika, THOMAS JEFFERSON (1743–1826), zusammen.
Nach erfolgreicher Überfahrt von Philadelphia nach Bordeaux schrieb HUMBOLDT einem Jugendfreund:

„Mit dreißig Kisten und botanischen, astronomishen, geologischen Schätzen beladen kehre ich zurück und werde Jahre brauchen, mein großes Werk herauszugeben.“

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